Die Kraft der zwei Kerzen

Von Annette Schneider-Solis und Claus Stephan Rehfeld |
Am 7. November 1957 lief in Zwickau der erste Trabant vom Band. In wenig veränderter Form begleitete der "Plastebomber" die Menschen im Osten Deutschlands fast 44 Jahre lang. Heute sind bundesweit noch rund 50.000 Trabis unterwegs, davon die meisten in Sachsen.
Muss man gehört haben

Kleines Vorspiel: Muss man gehört haben

Äh, ja, Sie sollten eigentlich der P 70 hören, den Vorläufer vom Trabi. Nun, er wollte nicht mehr.

Das ist der P 50, der erste Trabant. Das war am 7. November 1957.

Das ist der 601er. Den kennen alle. Der Trabi wurde am häufigsten gefahren.

Und das … ist der P 1.1. Der letzte Trabant. Das war am 30. April 1991.

Und das ist der NEW TRABI. Den gibt es noch nicht. Aber im Westen war er schon zu sehen. Auf der IAA in Frankfurt. Und das ...

"Das ist der Benzinhahn – Z wie Zu, A wie Auf. Lassen wir einfach auf. – ja - So, jetzt aufpassen."

Sie Daheim auch! Sonst ergeht es ihnen wie den Autodieben da in Gera. Die scheiterten gar kläglich, blieben nach ein paar Metern liegen – weil: die kannten den Benzinhahn nicht. Dass der sich im Fußraum des Wagens befindet, weiß jedes Ossi-Kind.

Dass die Rennpappe aus Zwickau nach der Wende zeitweise zu den am häufigsten gestohlenen Autotypen gehörte, dies gehört zwar auch hierher, ist aber schon wieder eine andere Geschichte.

Der letzte Kunde

Wer den ersten Trabi bekam, ist nicht überliefert, wohl aber, wer den letzten ausgelieferten Trabi in Zwickau bestieg.

"Du hast den bestellt irgendwann mal?"
"Ja."
"Ich hab den Zettel hier in meiner Tasche. Guck mal her. Du hast den bestellt."
"Gucke. Und ich hab hier das Original."
"Ach so, ja, ja. Du hast den ´62 bestellt."
"62 bestellt, 68 sollte ich ihn kriegen, hatte keine DDR-Mark."
"Warst gerade ein bisschen klamm. Ein bisschen eng in der Tasche. Ist ja echt ein Wahnsinn, es hat ja ein bisschen gedauert. Jahrzehnte hat das gedauert?"
"So ist es."
"Und jetzt fährst du mal nen anderen. Notfalls."
"Notfalls."
"Notfalls mal auch nen anderen. Ja. Aber ist ein witziges Teil irgendwie. Ist echt witzig, dass du den bestellt hast. 65 umbestellt. Ja, gut, Klasse."

Herr Unger hatte seine Trabi-Anmeldung aus DDR-Zeiten auf den Hamburger Rocker umschreiben lassen und so kamen zwei Legenden zueinander: die Nachtigall aus Billerbeck und die Rennpappe aus Zwickau.

Der Trabi. Er wurde Rennpappe genannt, Gehhilfe getauft, Plastikbomber gefoppt, Kugelporsche gespottet, Lumpenpressling geschmäht, Asphaltpickel benamst, Carton de blamage übersetzt.

Markante Duftnote hinten, prägnantes Profil vorne, einzigartiges Fahrgefühl innen.

Klein, schlicht, kompakt, pflegeleicht – jede bessere Dorfschmiede konnte ihn reparieren.

Der Volkswagen Made in GDR – Witze wurden über ihn gerissen, Filme gedreht, Lieder verfertigt.

Lindenberg: "Guckt mal, der klingt doch nicht schlecht. So. Na gut. Meint ihr, der hält auch? Ich meine: muss man sich da besonders gut versichern lassen vorher? Macht einen stabilen Eindruck."

Der Schlagzeuger Lindenberg trommelte im Mai 1996 auf der Beziehungskiste den Abgesang. Der letzte Trabi an den letzten Kunden.


Die Beziehungskiste

Den Abgesang auf die Trabi-Produktion in Zwickau, auf die letzte Auslieferung. Aber nicht auf den Trabi als Beziehungskiste. Zu viele Geschichten stecken in ihm drin, zu unentbehrlich war er im Alltag GDR, zu lange wurde auf ihn gewartet. So mancher Besitzer verpasste seinem Gefährt einen Vornamen und hob so manches auf.

"Und zwar haben wir hier den HO-Kaufvertrag, die Kaufvereinbarung. Und zwar haben wir da den ersten Trabant 500 gekauft zum Preise von 7.482,90."

Mark. Das war 1960. Gleich die erste längere Fahrt führte Familie Skoumal von Köthen nach Berlin. Die begann mit einer Panne, brachte Apfelsinen ein, führte zeitweilig in die verkehrte Richtung ... nach Westberlin und ging dennoch gut aus. Es war die Zeit, da man noch auf der Autobahn wenden konnte.

Nun, das Alltagsauto schleppte Kartoffelsäcke und Steine für den Hausbau, Obstkisten und Reiseandenken, die Westverwandtschaft und die Ostfamilie. Wenn es sein musste, bis weit weg.

"4.000 km gefahren. Wahnsinn! Mit drei Kindern nach Rumänien. Die Kleine lag unten quer, und die beiden Großen saßen hinten, und dann haben die sich immer abgewechselt. Zwischen den Sitzen hinten lag immer einer von den Dreien."

Wessis in Rumänien staunten und fragten, ob das Fahrzeug mit einem DDR-Autoreisezug gekommen sei?! 1970! Nun, Familie Gronau wunderte sich über die Frage und schüttelte verständlicherweise den Kopf.


Westembargo und Ostentwicklung

Es war ein holpriger Weg zum Trabant. Er beginnt mit einem Beschluss des DDR-Ministerrats 1954, der ein Auto für das Volk fordert – für höchstens 4000 Mark und 5,5 Liter Benzin. Und aus Duroplast.

"Die westlichen Länder hatten Tiefziehblech auf die Embargoliste gesetzt, also verboten zu liefern an Ostdeutschland. Und die Russen hatten ja selber nichts. Und da gab der damalige Generaldirektor, Kollege Lang, den Auftrag, wir müssen eine Ausweichlösung finden. Und zwar einen Kunststoff, den man verwenden könnte für Karosserie-Außenverkleidungen."

Herr Barthel probierte und probierte, und zwar so lange, bis er der Duroplast-Erfinder ward. Und so konnte am 7. November 1957 der erste Trabant, ein P 50, schließlich in Nullserie gehen. Und wir notieren, nicht schamhaft, sondern doch etwas stolz: Es ist eines der ersten Fahrzeuge mit einer selbsttragenden Karosserie, kann zu der Zeit mit Westwagen konkurrieren, und bleibt bis zu seinem Ende das einzige Serienmodell aus Kunststoff.

Ach ja, für die Pappenheimer West – von wegen Rennpappe. Nun, es gab da tatsächlich Versuche mit Pappe, nicht: aus Pappe. Bitte, Herr Barthel.

"Es hatte damals der frühere Werkleiter von der Faserplattenfabrik Schönheide sich angeboten, etwas zu machen auf der Basis der Pappe, obwohl das Faserplattebasis war. Der Mann wurde auch eingestellt, kriegte Gelegenheit, seine Versuche zu machen, aber die Teile weichten beim ersten Regen auf."
Hübsch, die Geschichte, nicht wahr? Ebenso die von der heimlichen Entwicklung des Trabi-Vorläufers in Zwickau. Aber die Geschichte vom Schwarzauto kennt ja eh jeder Neuwestdeutsche. Wir sparen sie uns also an dieser Stelle. Sie würde den Ossi eh nur langweilen.


Ein treuer Begleiter

"Er war immer ein treuer Begleiter, er hat uns nie enttäuscht, und vor allen Dingen, mein Mann war auch in der Lage, zu jeder Zeit den Wagen selbst zu reparieren."

Schnell kommen Trabi-Besitzer darauf zu sprechen. Ja, ja, damals war's, erinnert sich Familie Skoumal.

"Der Trabant war pflegeleicht. Man konnte alles selber machen."

Die durchschnittliche Lebensdauer eines Trabi lag 1980 bei 28,5 Jahren. Ein Gebrauchter war nicht selten teurer als ein Neuwagen. In den 70ern erwartete man sich sein Gefährt. So zwölf Jahre von der Anmeldung bis zur Auslieferung. Gedulderprobt der Käufer, robust das Gefährt.

"30 cm Schnee und kein Schneepflug und dann mit dem 500er Trabant gefahren, zu Hause angekommen, das waren vielleicht 5 bis 6 km. Und ich denke: Was klimpert denn da drinne? Mache die Motorhaube auf: Alles voller Schnee! Der ganze Motor mit Tank - alles voller Schnee. Und am Gebläse hingen die Eiszapfen dran, und die fielen dann immer ab in das Gebläse rein. Und deswegen waren die Geräusche da."

Aber gefahren ist er trotzdem.

"Der ist gefahren, das macht ja nischt. Das sind so – Trabant. Das würde heute einer würde das nicht machen. Ein heutiges Fahrzeug. Weil da Elektronik drin ist, das würde dann vorbei sein. Aber Trabant, der verdaut das."

Er vertrug so manchen Eingriff von Herrn Stark – ob Achse, Zylinder oder Bremse. Nur: Bei starkem Nachtfrost, da musste die Batterie schon mal ins Warme gebracht werden. Sonst sprang der Wagen am nächsten Tag nicht an.


Ja, ja, die Wende

Als wir nach der Wende mal mit einem Trabi über die verblasste Grenze fuhren, da blieb er wenige Meter nach dem Grenzübertritt stehen. Irgendwie wollte er nicht mehr, der Trabi. Er bockte, hatte sein Schicksal nach der Wende vor Augen. Und dachte vielleicht an die vielen altersschwachen Westwagen, die Ossis sich hatten andrehen lassen, und die nun auf der Autobahn auf den Pannendienst warteten.

"Es war natürlich immer faszinierend. Weil: Der Juha Kankkunen sagte, das Auto, wir wären froh, wenn wir so ein leichtes Auto hätten, nur die Leistung fehlt eben ein bisschen. Die hatten damals zu der Zeit schon über 300 PS in den Autos, und da waren wir natürlich mit unseren 50 PS recht schwach aufgestellt. Aber eben 700 Kilo, und das Verhältnis war gar nicht so schlecht. Und der hat also da auch so richtig Gas gegeben mit dem Teil, und da waren wir natürlich stolz. Dass ein vierfacher Weltmeister mit unserem Auto gefahren ist, das ist schon schön."

Es war schön. Am 30. April 1991 rollt der letzte Trabant vom Band. Der Kombi Universal 1.1 ward Miss-Piggy-Pink getauft und hatte die Seriennummer 3 Punkt 096 Punkt 099 – so viele Trabis wurden zwischen Anfang und Ende, zwischen 1957 und 1991 gebaut. 3.096.099.

Wie viele davon der Herr Kahlfuß gefahren hat, wissen wir nicht, wohl aber, dass er mit dem Sachsenporsche Rallyes fuhr; mit ihm durch Australien, Afrika und Europa bretterte und DDR-Vizemeister war.
Und Herr Sammett, einst Konstrukteur in Zwickau, erzählt dann noch was von Rallye Monte Carlo und so.

"Ja, in Monte Carlo ist auch mitgefahren worden. 1968 ist das."

Herr Sammet, der Konstrukteur, zeigt auf ein Foto.

"Ja, da haben die gut abgeschnitten. Ich kann mich noch dran erinnern. Das war gerade die Zeit, als ich bei uns in der Firma begonnen hatte, als diese Mannschaft erfolgreich, es waren ja drei Besatzungen, als die von Monte Carlo zurückgekommen sind, da gab es großen Empfang hier unten, da wurden die recht euphorisch begrüßt. Und hatten ja auch Großes geleistet."

1968 ein Mal Silber und ein Mal Bronze. Und für die, die es nicht glauben mögen, zum Mitschreiben: 1970 dann ein Mal Gold und ein Mal Silber. Jawohl, bei der Rallye Monte Carlo.

"Mit solchen Sachen hat natürlich auch Trabant auf sich aufmerksam gemacht, mit solch spektakulären Sachen."

Sieg bei der Rallye Monte Carlo. Und dennoch: Aus, Schluss, Ende.


Die trabinale Solidarität

Und tuckert und tuckert und …

Der Ossi musste ein paar Jahre auf seinen Trabi warten, der Wessi knapp 40 Jahre. Als er ihn mit dem Untergang der DDR hätte haben können, da wollte er ihn partout nicht mehr. Es dauerte dann ein paar Jahre, da entdeckten ihn Bürger beiderseits der Elbe ... als Spaßauto. Revolverschaltung, Benzinhahn und Zweitaktmotor für Touristen. Obwohl es meist Viertakter sind! Einmalig, letztmalig - Erlebnisfahrten sind angesagt.

"Ich hab festgestellt, dass unser Käfer auch nichts anderes war. Im Beschleunigen war er lahm, wenn ich gebremst habe, musste ich mich aufs Bremspedal draufstellen, musste ich beim Trabi auch. Nur der eine Unterschied: Der Kofferraum beim Trabi ist deutlich größer als beim Käfer."

Herr Nietzel kommt aus Niedersachsen und ist Herrn Vollmer um eine Erfahrung voraus.

"Aber ich hab mich nicht getraut, und heut bereue ich das. Meinen Onkel gibt's zwar noch, den Trabi nicht mehr."

Den nicht mehr, aber noch 52.432 zugelassene Trabis auf ostdeutschen Straßen, und da vor allem in Sachsen. Im Westen der Republik sind es noch 52 Trabis, die von einer Legende künden.

Im Westen belächelt, im Osten Kult. Hoch, die trabinale Solidarität!

Was?! Sie waren noch nicht bei diesem tollkühnen Menschenschlag mit seinen knatternden Kisten?! Also Trabi-Treff, Trabi-Club und so?! ... von wegen Vereinsamung!

"Die Vereine untereinander - wenn du liegenbleibst oder so, man hilft sich gegenseitig. Das ist halt das Schöne. Nicht wie hier so ein Westauto, da fährste vorbei! Der kann ja den ADAC anrufen! Beim Trabant, da hältste an und hilfst ihm, wenn du kannst."

Herr Patzina ist von den Thüringer Holzlandpappen, der Trabi hat eine farbige Gegenwart, von blau bis pink, und Herr Henkel sieht – zumindest privat – eine rosige Zukunft aufziehen.

"Ich hab zwei Kinder, die kriegen jeder, wenn sie 18 sind, einen Trabant. Der eine ist zehn, der andere ist jetzt zweieinhalb, die kriegen jeder einen Trabant; die stehen schon da, die Autos."
Ja, ja, gar viel gebe es noch zu berichten. Aber die Zeit ist abgelaufen, also die Sendezeit hier. Deshalb nur noch kurz ein Statement von Trabi-Papst Becker aus Halle, der 60 Trabis auf allen befahrbaren Kontinenten gesteuert hat.

"Mit 200 PS und Allrad kommt jede Blondine durch die Sahara. Mit 26 PS musst du fahren können, musst auch ein bisschen Ideen haben. Du musst einfach die richtigen Ideen haben, dann kommst du mit so einem Auto wie dem Trabi überall durch.”"

Genau. Der Trabi steht jetzt übrigens in Buenos Aires, da im Formel-1-Museum von Juan Manuel Fangio – ja, ja.

Ach so, wir haben hier noch ein Schmäckerchen für Sie. Falls Sie noch unschlüssig sind. Ein Werbespot … für Holländer, die mit den Wohnwagen.


Letzte Ausfahrt Zwickau

Ein togaweißer Trabant war es, der im Mai 1996 die letzte Ausfahrt Zwickau ansteuerte. Das Gedränge war groß, das Durcheinander perfekt, der Zündschlüssel endlich gefunden. Uns Udo, der Lindenberg, Bundesverdienstkreuz-Träger und Aktivist der sozialistischen Arbeit, trat seine erste Fahrt im Trabi an.

" "Kupplung."
"Jetzt?"
"Jetzt machen wir hier vorne erstmal die Handbremse los."
"Kurze Testfahrt, kurze Testfahrt. Moment, ich muss den Turbolader noch mal kurz nachschmeißen. Wo geht der Turbolader an? Kein Turbo dran, oder was? Da ist kein Turbolader oder was?!"
"So geht das. Ich bin da absolut variabel. Du weißt, ich fahre auch gern mal mit dem U-Boot, ich bin ein absoluter Flexibililist, was die Transportmittel betrifft. Ja, man kann sogar richtig durchatmen, auch der Hut passt da rein. Es geht schon."
"Mensch, Udo, fahr doch nicht so schnell."
"Hallo, hallo! Hier links rum?"
"Ja, da runter und dann musst du noch mal rum."
"Also sehr geschmeidig, ja, sehr easymäßig. Moment, Moment, lass mich hier mal durch."

Leiser Motor – ist ihnen das auch aufgefallen? Naja, war schon ein VW-Polo-Motor. Egal, war ne tolle Nummer, wird Lindenberg dann später noch sagen und ein beziehungsreiches Beziehungslied zum Besten geben. Wehmütig sangen die Trabi-Fans begeistert mit. Und Sie daheim hören mal bitte auf den Text! Sehr beziehungsreich.

"Good bye, Johnny, good bye, Johnny, schön war’s mit uns zwei’n. Abe leider, aber leider kann’s nicht immer so sein. Good bye, Johnny, good bye, Johnny, mach’s mir nicht so schwer; ich muss weiter, ich muss weiter, meinem Glück hinterher."

Und dann ist uns Udo mit seinem neuen Gefährt zwar nicht gerade abgebraust, aber dennoch hinter der nächsten Biegung verschwunden.

Amtliches Kennzeichen Z – 06082.

Und die Jungs vom Trabi Club Zwickau gleich hinterher.

Ach ja, bevor Sie daheim am Lautsprecher uns auch gleich aus den Augen verloren haben: Der Zweitakter, das ist der echte Trabi! Stimmt's, Herr Hipke?!