Die Kraft des Unvorhersehbaren

Von Jochen Stöckmann |
Die amerikanische Autorin Rebecca Solnit ist eine engagierte Politaktivistin. Sie demonstriert gegen den Irak-Krieg, kämpft für die Natur und lässt kein gutes Haar am Fernsehkonsum ihrer Mitbürger. Zurzeit stellt sie ihr neues Buch "Hoffnung in der Dunkelheit" in Deutschland vor.
Düster schaut die Zukunft aus, glaubt man der Mehrzahl amerikanischer Intellektueller. Diesen Pessimismus teilt Rebecca Solnit nicht. Die Kulturhistorikerin schöpft Hoffnung für die Zukunft – weil sie weit genug zurückschaut: Es gab einmal die Sklaverei, sie ist abgeschafft. Auch Rassendiskriminierung ist unter Strafe gestellt, Frauen müssen sexuelle Belästigungen nicht mehr klaglos hinnehmen. Die hemmungslose Ausbeutung und Verschmutzung der Natur, durch Walfangquoten oder Emissionsverordnungen eingedämmt, war vor wenigen Jahrzehnten noch überhaupt kein Thema. Für Veränderungen, so betont die engagierte Bürgerrechtlerin, braucht man einen langen Atem:

"Man muss den Überblick behalten und darf nicht nur bis zu den letzten Präsidenten-Wahlen zurückschauen, sonst klebt man geradezu an der Gegenwart. Aber mit einer langfristigen Erinnerung würden auch die fortschrittlichen Kräfte erkennen, dass sie etwas erreicht haben. Veränderungen verlaufen nie geradlinig und brauchen ihre Zeit, manchmal 50 Jahre."

Das Buch ist Solnits Medium. Vor der Mattscheibe, so kritisiert sie mit Blick auf ausufernde Wahlkampfspektakel, vergisst das Volk, welche Möglichkeiten es hat, welche Wege ihm offen stehen. Alles schaut nur auf die Prominenz, die Politiker im Licht der Fernsehscheinwerfer. Doch für Solnit spielt das wahre Leben abseits dieser nur vorgeblich politischen Bühne:

"Die Entwicklungen werden im Schatten angestoßen, nicht im Lichtkegel der spotlights. Die Leute auf der Wahlkampfbühne sind doch eher deprimierend, verkörpern geradezu die Macht, die wir nicht haben, die Entscheidungen, die wir nicht fällen, die Begrenzung aller Möglichkeiten. "

"Nur nicht unterkriegen lassen" ist dagegen Solnits Devise. Zur Stärkung der linken oder zumindest progressiven Moral empfiehlt sie neben philosophischen Hausgöttern wie Ernst Bloch und Walter Benjamin eine ganze Reihe kleiner Utopien. Und den Stoff für dieses wohldosierte, von keiner Ideologie getrübte Aufbaumittel beschafft sie sich durch teilnehmende Beobachtung: Rebecca Solnit ist immer mit ganzem Herzen dabei, demonstriert gegen den Irak-Krieg oder für den Erhalt der Natur, protestiert auch gegen die Einschränkung der Bürgerrechte – wahrt dabei aber stets kühlen Kopf und Distanz:

"Ich bleibe ein wenig abseits, stehe nicht hinter jeder Parole, teile aber das allgemeine Anliegen – und sehe alles von innen und von außen."

Man könnte auch sagen: Die glänzende Fassade und ihre weniger schöne Kehrseite. Davon allerdings lässt sich die überzeugte Globalisierungskritikerin keineswegs zum Schwarzweißdenken verführen. Schließlich hat Rebecca Solnit selbst erlebt, dass sogar eine Katastrophe wie der Hurrikan "Katrina" unvorhergesehene Entwicklungen auslösen kann: Plötzlich entstanden inmitten von Hunger und Elend Selbsthilfegruppen, rückten Freiwillige aus Nachbarstaaten an – zeigten sich Ansätze einer wahren Bürgergesellschaft. Und im Fernsehen vernehmen nicht nur Intellektuelle ganz ungewohnte Töne:

"Es gab einen Aufstand in jenen Medien, die im Irak-Krieg noch "eingebettet" und folgsam waren. Nun berichten sie geradezu wütend die Wahrheit. Reporter zeigen ihre Verärgerung, klagen regelrecht an. Die Trance hat ein Ende – ein unerwartetes Erwachen der Medien."