Die Krise und ich

Abgelaufene Frauen

Von Brigitte Neumann |
Mit Mitte 50 ist Frau auf dem Arbeitsmarkt nicht mehr vermittelbar - da nützen auch drei Fremdsprachen als Zusatzqualifikation nichts.
"Was machst du grad", fragt er am Telefon.
"Ich rauche nicht."
Er lacht: "Ist das auch ne Tätigkeit?"
"Ja", sag ich. "Nichtrauchen ist Arbeit. Ersatz muss beigeschafft werden. Ich esse jetzt viel rohes Gemüse."
"Denk an Deine Haut … in Deinem Alter", sagt Heinz. Dann dauert das Gespräch nicht mehr lange.
Aber so ist es: Die Lust auf einen kleinen Aufschub, ja sogar das Verlangen, sein Leben zu verschwenden an irgendsone Zigarette, alles furchtbar schwierig aufzugeben.
Ich bin Quartalsraucherin. Wochenlang komme ich ohne aus. Dann reißt's mich und ich rauche zehn am Tag. Vier solcher Tage hintereinander und die Brust wird beklommen, die Stimme wird dünner. DAS ist nicht gut. Die Stimme brauche ich nämlich manchmal noch zum Arbeiten. Und dann hat auch Herr P., mein Berater vom Arbeitsamt, neulich gesagt, die Stimme sei mein großes Plus. Vom Alter her - er wolle mir nicht zu nahe treten - vom Alter her sei ich nicht mehr vermittelbar. Aber mit der Stimme, da ginge bestimmt noch was.
Unbrauchbar für den Arbeitsmarkt
Ich weiß noch, wie ich auf meinem Kundenstühlchen am Ende des langen grauen Schreibtischs saß und Herrn P. anstarrte, wie vom Donner gerührt. Das hatte ich nämlich noch nicht gewusst, dass ich zu alt bin. Unbrauchbar für den Arbeitsmarkt.
"Aber verdammt, ich kann doch was: drei Fremdsprachen. Ich kann singen, sprechen, moderieren, unterrichten, Texte schreiben." Herr P. entgegnete: "Davon gibt’s viele."
Vielleicht sollte das Arbeitsamt das in seinen Broschüren von vorn herein klar machen. "Über 55-Jährige sehen bitte davon ab, hier vorzusprechen." Wieviel Zeit und Kraft das den Beratern sparen würde. Wieviel seelische Belastung durch abgelaufene Damen, die um Fassung ringen. Mein Gott, Herr P. konnte sich gegen Ende unseres Zwölf-Minuten dauernden Termins nur noch schwer beherrschen, nicht laut zu werden. Er müsse sich wiederholen: um diese Wahrheit komme man nicht herum, ich sei zu alt für den Arbeitsmarkt, die Realität sei nun mal so. Das müsse doch ehrlicherweise mal gesagt werden dürfen, ohne mir zu nahe treten.
Ich hörte nur noch: treten. Packte meine Sachen und ging. Als ich die vierspurige Straße vor dem Arbeitsamt überquerte, hatte ich plötzlich große Angst, überfahren zu werden.
Anderntags mach ich mich sofort dran, meine Stimme anzubieten, das einzige, was der Arbeitsmarkt noch von mir haben will, laut Herrn P.
Aber da hat er sich wohl getäuscht. Keines von 48 angerufenen und mit Stimmproben beschickten Hamburger Tonstudios möchte meine Stimme kaufen. Ich frage den Sprecher, den ich selbst manchmal für Overvoices fremdsprachiger Interviews beschäftige, wie er meine Chancen sieht. "Ach", sagte er und guckt bedenklich, "da haben die Männer es besser. Für die gibt’s einfach mehr zu tun. Mehr Männerrollen in Hörbüchern, mehr Lesungen aus den häufiger von Männern geschriebenen Romanen, mehr neutrale Texte, für die eher Männer in Frage kommen. Aber was willst du denn auch noch da? Du hast doch Arbeit. Denk mal dran, viele Sprecher müssen ganze Familien ernähren."
Sumpf aus Männerseilschaften
Der Sprecher ist hässlich, er riecht aus dem Mund und hat ein bekleckertes Hemd an. Das stimmt zwar, aber ich sags jetzt trotzdem nur aus Rache. Denn verdammt: Wer ernährt mich, wenn der Journalismus sich davon macht, und die literarische Welt sich als ein Sumpf aus Männerseilschaften entpuppt?
Sie zweifeln? Verzweifeln wär angemessener. Der wichtigste deutsche Literatur-Verlag, Hanser, hat im aktuellen Frühjahrsprogramm von 29 Autoren 27 Männer. Das wissen wir, seit der neue Chef Jo Lendle das in einem Interview mit der FAZ offenlegte. Wenn ich Anfang des Jahres meine Titellisten für Besprechungen in den Redaktionen einreiche, bin ich mit Autorinnen vorsichtig, denn die werden mir in der Regel gestrichen. Ich schreibe selbst an einem Roman und überlege, unter männlichem Pseudonym zu veröffentlichen. Auch weil ich beim Durchblättern des letzten Programmhefts zum Harbour Front Literaturfestivals feststellen musste: Von circa 100 Lesungen für Erwachsene waren fünf mit einer Schriftstellerin besetzt. "Mann spricht, Frau nackt.", sagte meine drei-jährige Nichte als Bilanz ihrer Weltbeobachtung.
Nichts hat sich geändert. Wussten wir alle schon so früh, wie der Hase läuft?
"Wenn ich mich länger damit befasse, was den Frauen angetan wird, habe ich Angst, selbst zum Opfer zu werden.", sagt die 45-jährige US-Amerikanerin Heidi Julavits in unserem Gespräch. Julavits Tipp an die Frauen: Arbeitet hart, lehnt nie einen Auftrag ab und macht von euch reden. Klingt plausibel. Ob sie denn auf diese Weise Gründungsredakteurin der Literaturzeitschrift "The Believer" geworden sei, frag ich. Ach, winkt sie ab, das sei nun wirklich keine Geschichte über Hindernisse, die Frauen in den Weg gelegt würden, denn dieser Job sei ihr einfach so in den Schoß gefallen.
"Wissen Sie, ich habe einen Freund, der heißt Dave Eggers …."
Okay, ich habe keinen Freund an der Spitze eines wunderbaren Kulturimperiums. Aber immerhin, ich hab aufgehört zu rauchen.
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Programmhinweis: Vom Abrutschen der Mittelschicht in die Armut handelt auch die "Reportage" vom 26.2. (8.20 Uhr) über eine etwas andere Suppenküche in Lissabon.