Die Kulturlandschaft Bosnien-Herzegowina

Zurück zum Provinzialismus?

Die beiden Musiker Luka Sulic (re) und Stjepan Hauser (li.) auf ihrem Konzert in Sarajevo
Die beiden Musiker Luka Sulic (re) und Stjepan Hauser (li.) auf ihrem Konzert in Sarajevo © imago stock&people
Von Sabine Adler |
Bosnien-Herzegowina ist zerrissen: Muslimische Bosnier, orthodoxe Serben und katholische Kroaten haben nach dem Bürgerkrieg nicht wirklich wieder zusammengefunden. Lange verband sie die Kunst, doch auch sie gerät zunehmend unter die Räder der Nationalisten.
Jazz oder Folklore, internationale Kunst oder Provinzialismus: In Bosnien-Herzegowina streiten sich die Geister und die Kultur wehrt sich gegen die Krake Politik, die alle Posten und Pöstchen kapert und dann mit ihrem Nationalismus ausfüllt.
Dem Direktor des Jazzfestivals Sarajewo, Edin Zubčević, und Nihad Kreševljaković vom Internationalen Theaterfestival MESS reicht es:
"Die Politik hat die volle Kontrolle über die Kulturproduktionen. Alle Veranstaltungen sind in der Hand von staatlichen Institutionen. Sie bestimmen, wer was organisiert, sie wählen die Leute dafür aus. Es gibt eine ständige Rotation, allesamt sind keine Profis, es geht nur darum, einen Posten zu bekommen, den nächsten Karriereschritt vorzubereiten."
"Während des Krieges gab es fast 200 Theatervorstellungen. Die meisten waren Stücke von internationalen Autoren. William Shakespeare, Samuel Beckett und so weiter. Dieser Internationalismus war immer wichtig in Sarajewo. Heute versuchen Politiker, eine ethnozentrierte Gesellschaft zu formen, in der nur die eigene ethnische Gruppe von Bedeutung ist. Wir fühlen uns unterdrückt von solchen Leuten, die uns in den Provinzialismus führen wollen."

Die Mittel aus dem gesamtstaatlichen Topf versiegen

Die Politiker wollen jede Veranstaltung für ihre eigenen Auftritte nutzen, die sich häufig nur an ihre ethnische Klientel richten. Wird ihnen das verwehrt, wie beim Jazzfest oder Theaterfestival, verlieren sie nicht nur das Interesse, sondern fahren die Unterstützung runter. Die Funktionäre von der Kroatischen Demokratischen Union seien geradezu paranoid, sie würden angeblich ihre Stimme verlieren, nicht mehr gehört werden, sagt Nihad Kreševljaković. Deswegen verdrängt Folklore immer häufiger Kunst aus Europa und der Welt, für die kaum noch Geld ausgegeben wird.
Seit fast 60 Jahren richtet sich das Theaterfestival MESS besonders an kleine und experimentelle Bühnen aus dem In- und Ausland. Schon zu jugoslawischen Zeiten gehörte es fest zum Kulturkalender Sarajewos, nun droht das Aus. Die Mittel aus dem gesamtstaatlichen Topf versiegen.
"Ohne die Unterstützung der Föderation können wir nicht bestehen. Aber diese Hilfe wurde in den letzten zehn Jahren um 80 Prozent gekürzt."

Diversität - ein Geschenk oder eine Strafe?

Dem Jazzfestival geht es nicht besser. 2015 ließ es die Regierung einfach im Regen stehen, als es an das Bezahlen der Rechnungen ging. Das Problem für die Organisatoren: Das Festival hatte schon stattgefunden, die Show war vorbei. Mit den Schulden blieben sie allein zurück.
Schwer war es immer, sagt Edin Zubčević, Organisator der ersten Stunde, damals, vor 22 Jahren, direkt nach dem Friedensabkommen von Dayton:
"Das erste Festival haben wir sechs Monate nach dem Ende der Belagerung von Sarajewo vorbereitet, im Waffenstillstand. Wir konnten keine Pianisten einladen, denn es gab keinen Flügel, kein Klavier. So waren in den ersten Jahren vermutlich die meisten und besten Keyboardspieler des 20. Jahrhunderts bei uns."
In diesem Jahr war der Grammy Award Gewinner Bill Frisell in Sarajewo zu Gast, vor zwei Jahren inszenierte John Zorn seinen Bagatelle-Marathon – ein Livekonzert mit elf Bands, das später in der Elbphilharmonie und in Paris zu hören war.

Crowdfunding für das Jazz-Festival

Jazz-Organisator Edin Zubčević hat es satt, die Politik um Almosen zu bitten. Soeben starteten er und sein Team eine Crowdfundig-Kampagne, mit der sie hoffen, das Überleben des Festivals zu retten. Bis Jahresende wollen sie das Geld zusammen haben, damit am 7. November 2019 das nächste Fest starten kann:
"Während des Krieges haben wir nicht nur um unser Leben gekämpft, sondern auch für die Idee, dass Diversität ein Geschenk ist und keine Strafe. Heute wollen Politiker uns glauben machen, dass ethnische Vielfalt eine Strafe ist."
Sie hätten den Krieg durchgestanden, sagt der Theatermann, dann würden sie auch jetzt schaffen, das Festival am Leben zu erhalten.
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