Die Kunst der Reduktion
Vor Beckets berühmtem "Warten auf Godot" entstand "Mercier und Camier". Der Text beschreibt ebenfalls eine endlose und sinnlose Reise von zwei Figuren. Otto Sander und Peter Fitz geben ihnen auf dem Hörbuch ihre Stimme.
Es alles zu reduzieren, aufs Wesentliche, auf den entscheidenden Punkt: Vor Wladimir und Estragon, den beiden aus "Warten auf Godot", vorher machte es Beckett mit diesen beiden anderen, mit Mercier und Camier:
"Es war eigentlich keine beschwerliche Reise, da sie weder über Meere, noch über Grenzen führte, sondern meist durch ebene, wenn auch mancherorts auch öde Gegenden. Mercier und Camier blieben im Lande. Sie hatten dieses unschätzbare Glück."
Mercier und Camier, frei von allem Hab und Gut, nur ein Fahrrad, nur ein Rucksack, nur ein Regenmantel, ein Topf, ein Stift.
"Als sie wieder auf der Straße waren, fragten sie sich, was sie mit dem Fahrrad gemacht hatten. Auch der Sack war weg."
Wenige Utensilien des Lebens. Reduktion, wie gesagt. Eine Reise an keinem erkennbaren Ort; eine endlose, zirkuläre – sinnlose - Wanderung von der Stadt über die Heide; zurück und vor; vor und zurück. Mal wird kurz eingekehrt, aber nur kurz, dann mal wieder zur Hure Elaine, aber auch nur kurz.
"Bei Elaine fiel ihnen sofort der Teppich auf. – Schau dir diesen Bodenbelag an, sagte Camier. – Mercier schaute ihn sich an. – Das ist ein hübscher Teppich, sagte er. – Unerhört, sagte Camier. - Man möchte meinen, dass du ihn zum ersten Mal siehst, sagte Mercier. Du hast dich doch schon genug darauf herumgelümmelt. – Ich sehe ihn zum ersten Mal, sagte Camier. Ich werde ihn nie vergessen. – Das sagt man so, sagte Mercier."
Nach der Befreiung von den Nazis - 1944 - kehrte Samuel Beckett, der seit Ende der dreißiger Jahre in Frankreich gelebt hatte und an der Résistance beteiligt war, aus der Provinz nach Paris zurück. 1946 beendete er den in französischer Sprache verfassten Dialogroman "Mercier und Camier" – "während er auf Godot wartete", wie die "New York Times" schrieb. Doch erst Anfang der 70er Jahre ließ Beckett sein Werk veröffentlichen. Warum dies so lange dauerte? Man kann nur spekulieren.
"Mercier und Camier" war sehr stark autobiographisch geprägt. Weder in London – 1935 -, noch danach in Dublin – bis 1937 – konnte Beckett den Durchbruch als Schriftsteller schaffen; er lebte von der Hand in den Mund. Die ziellose Reise, die Mercier und Camier unternehmen, hatte für Samuel Beckett – vorerst – dann mit der Ankunft in Paris ein Ende.
"Ein noch befahrbarer Weg läuft quer über die Hochheide. Es ist der alte Heerweg. Er durchquert weite Moore. In fünfhundert Meter Höhe oder tausend, wenn Ihnen das lieber ist. Er dient zu nichts mehr. Das sind nur noch ein paar Festungsruinen. Und ein paar verfallene Häuser. Das Meer ist nicht weit."
Und weiter gehen sie auf der Straße. Und sprechen. Und gehen.
"An meinen offenen Augen werden Szenen und Gesichter vorbeiziehen. Das Regnen auf das Glasdach wird sich wie Krallenkratzen anhören, und die Nacht wird mir ihre Farben erzählen. Ich werde Lust bekommen, mich aus dem Fenster zu stürzen, aber ich werde sie bezwingen."
Otto Sander und Peter Fitz – die beiden grandiosen Darsteller dieses Hörspiels, das allein wegen ihrer Stimmen ein vollendeter Hörgenuss ist – verbindet eine sehr persönliche und schöne Geschichte mit "Mercier und Camier": Als Becketts Roman – wie gesagt - in den 70er Jahren herauskam, fassten die beiden den Plan, es für die Bühne zu gestalten.
Ein paar Jahre später reiste Otto Sander nach Paris, traf sich dort mit Samuel Beckett in einem Café. Der Schriftsteller nahm ein Stück Papier und kritzelte darauf die Erlaubnis, den Roman für die geplante Bühnenfassung zu adaptieren. Auf der Bühne war die Sander-Fitz-Bearbeitung von "Mercier und Camier" viele Jahre ein Erfolg und diente ihrerseits als Vorlage für die vom Schweizer Radio produzierte Hörspielfassung.
Und weiter gehen sie auf der Straße. Und sprechen. Und gehen.
"Erinnerst du dich noch an den Papagei? Sagte Mercier. Ich glaube, dass er gestorben ist. – Wir sind nicht vielen Tieren begegnet. Häh? Sagte Camier. Gut, ich gehe. Adieu, Mercier. – Gute Nacht."
Und wollte man Beckett gerecht werden – was immer das auch heißt -, dann müsste, könnte, sollte oder dürfte diese Hörbuch-CD einfach wieder von vorn anfangen, wie diese Reise der beiden. Mercier und Camier. Gehen. Sprechen. Und gehen. Endlos. Sinnlos. Aber vielleicht auch vergnüglich.
"Es war eigentlich keine beschwerliche Reise, da sie weder über Meere ... "
Samuel Beckett - "Mercier und Camier"
Hörspiel nach dem gleichnamigen Roman; fürs Theater und danach fürs Hörspiel bearbeitet von Otto Sander & Peter Fitz.
Eine Produktion des DRS aus dem Jahre 1982
Patmos-Verlag 2006
1 CD – 14,95 €
"Es war eigentlich keine beschwerliche Reise, da sie weder über Meere, noch über Grenzen führte, sondern meist durch ebene, wenn auch mancherorts auch öde Gegenden. Mercier und Camier blieben im Lande. Sie hatten dieses unschätzbare Glück."
Mercier und Camier, frei von allem Hab und Gut, nur ein Fahrrad, nur ein Rucksack, nur ein Regenmantel, ein Topf, ein Stift.
"Als sie wieder auf der Straße waren, fragten sie sich, was sie mit dem Fahrrad gemacht hatten. Auch der Sack war weg."
Wenige Utensilien des Lebens. Reduktion, wie gesagt. Eine Reise an keinem erkennbaren Ort; eine endlose, zirkuläre – sinnlose - Wanderung von der Stadt über die Heide; zurück und vor; vor und zurück. Mal wird kurz eingekehrt, aber nur kurz, dann mal wieder zur Hure Elaine, aber auch nur kurz.
"Bei Elaine fiel ihnen sofort der Teppich auf. – Schau dir diesen Bodenbelag an, sagte Camier. – Mercier schaute ihn sich an. – Das ist ein hübscher Teppich, sagte er. – Unerhört, sagte Camier. - Man möchte meinen, dass du ihn zum ersten Mal siehst, sagte Mercier. Du hast dich doch schon genug darauf herumgelümmelt. – Ich sehe ihn zum ersten Mal, sagte Camier. Ich werde ihn nie vergessen. – Das sagt man so, sagte Mercier."
Nach der Befreiung von den Nazis - 1944 - kehrte Samuel Beckett, der seit Ende der dreißiger Jahre in Frankreich gelebt hatte und an der Résistance beteiligt war, aus der Provinz nach Paris zurück. 1946 beendete er den in französischer Sprache verfassten Dialogroman "Mercier und Camier" – "während er auf Godot wartete", wie die "New York Times" schrieb. Doch erst Anfang der 70er Jahre ließ Beckett sein Werk veröffentlichen. Warum dies so lange dauerte? Man kann nur spekulieren.
"Mercier und Camier" war sehr stark autobiographisch geprägt. Weder in London – 1935 -, noch danach in Dublin – bis 1937 – konnte Beckett den Durchbruch als Schriftsteller schaffen; er lebte von der Hand in den Mund. Die ziellose Reise, die Mercier und Camier unternehmen, hatte für Samuel Beckett – vorerst – dann mit der Ankunft in Paris ein Ende.
"Ein noch befahrbarer Weg läuft quer über die Hochheide. Es ist der alte Heerweg. Er durchquert weite Moore. In fünfhundert Meter Höhe oder tausend, wenn Ihnen das lieber ist. Er dient zu nichts mehr. Das sind nur noch ein paar Festungsruinen. Und ein paar verfallene Häuser. Das Meer ist nicht weit."
Und weiter gehen sie auf der Straße. Und sprechen. Und gehen.
"An meinen offenen Augen werden Szenen und Gesichter vorbeiziehen. Das Regnen auf das Glasdach wird sich wie Krallenkratzen anhören, und die Nacht wird mir ihre Farben erzählen. Ich werde Lust bekommen, mich aus dem Fenster zu stürzen, aber ich werde sie bezwingen."
Otto Sander und Peter Fitz – die beiden grandiosen Darsteller dieses Hörspiels, das allein wegen ihrer Stimmen ein vollendeter Hörgenuss ist – verbindet eine sehr persönliche und schöne Geschichte mit "Mercier und Camier": Als Becketts Roman – wie gesagt - in den 70er Jahren herauskam, fassten die beiden den Plan, es für die Bühne zu gestalten.
Ein paar Jahre später reiste Otto Sander nach Paris, traf sich dort mit Samuel Beckett in einem Café. Der Schriftsteller nahm ein Stück Papier und kritzelte darauf die Erlaubnis, den Roman für die geplante Bühnenfassung zu adaptieren. Auf der Bühne war die Sander-Fitz-Bearbeitung von "Mercier und Camier" viele Jahre ein Erfolg und diente ihrerseits als Vorlage für die vom Schweizer Radio produzierte Hörspielfassung.
Und weiter gehen sie auf der Straße. Und sprechen. Und gehen.
"Erinnerst du dich noch an den Papagei? Sagte Mercier. Ich glaube, dass er gestorben ist. – Wir sind nicht vielen Tieren begegnet. Häh? Sagte Camier. Gut, ich gehe. Adieu, Mercier. – Gute Nacht."
Und wollte man Beckett gerecht werden – was immer das auch heißt -, dann müsste, könnte, sollte oder dürfte diese Hörbuch-CD einfach wieder von vorn anfangen, wie diese Reise der beiden. Mercier und Camier. Gehen. Sprechen. Und gehen. Endlos. Sinnlos. Aber vielleicht auch vergnüglich.
"Es war eigentlich keine beschwerliche Reise, da sie weder über Meere ... "
Samuel Beckett - "Mercier und Camier"
Hörspiel nach dem gleichnamigen Roman; fürs Theater und danach fürs Hörspiel bearbeitet von Otto Sander & Peter Fitz.
Eine Produktion des DRS aus dem Jahre 1982
Patmos-Verlag 2006
1 CD – 14,95 €