Die Kunst des NS-Regimes im virtuellen Raum
Bislang ist dieses Stück der Kulturpolitik des NS-Regimes nie systematisch aufgearbeitet worden. Eine Datenbank namens "GDK Research" wird jetzt im Internet Kunstwerke, die von 1937 bis 1944 im Münchener Haus der Kunst gezeigt wurden, für jedermann kostenlos online zugänglich machen.
Drei Jahre lang haben das Zentralinstitut für Kunstgeschichte in München, das Haus der Kunst und das Deutsche Historische Museum in Berlin an der Datenbank gearbeitet. Als Grundlage dienten sechs Fotoalben aus der NS-Zeit, in denen die sechs Kunstausstellungen von 1938 bis 1943 lückenlos dokumentiert sind. Diese Fotos wurden eingescannt und elektronisch aufbereitet.
Nun kann man im Internet die Ausstellungen virtuell Raum für Raum abschreiten und für jedes Werk alle bekannten Angaben aufrufen: Titel und Künstler, Entstehungsjahr und Verkaufspreis, falls es verkauft wurde. Damit werde nicht nur erstmals die Bandbreite der NS-Kunstproduktion und ihre Inszenierung empirisch erfasst, so Projekt-Referent Christian Fuhrmeister. Die Datenbank liefere auch Material für eine Neubewertung der modernen deutschen Kunstgeschichte:
"Drittens werden nicht nur Ausstellungs-Verzeichnisse und Künstler-Biografien modifiziert werden müssen, sondern grundlegende Annahmen über die Entwicklung der Kunst in Deutschland im 20. Jahrhundert. Denn bisher herrschte ein klares Bild vor: hier klassische Moderne und internationale Avantgarde, dort ideologisch kontaminierte und politisch indoktrinierende NS-Kunst. Diese antithetische Vereinfachung hat die Heterogenität der Kunst im Nationalsozialismus systematisch reduziert. 'GDK Research' hingegen zeigt erstmals, wie es wirklich gewesen ist."
NS-Kunst war Chefsache: Als Vorsitzender der GDK-Jury entschied Adolf Hitler persönlich, welche Gemälde und Skulpturen ausgestellt werden sollten und welche nicht. Der Diktator war zugleich sein bester Kunde: Von den rund 6000 verkauften Exponaten erwarb Hitler allein mehr als 800 und gab dafür fast sieben Millionen Reichsmark aus. Propaganda-Minister Joseph Goebbels kaufte 217 Werke für 1,2 Millionen Reichsmark; alle anderen Nazi-Größen hielten sich ebenso wie Privat-Personen deutlich zurück. Dabei war nur ein Bruchteil der gezeigten Werke ideologisch gefärbt, wie Projekt-Referentin Iris Lauterbach betont, die meisten bedienten einen bieder konservativen Kunstgeschmack:
"Man muss sich klar machen, dass der weitaus größte Teil der Werke bei den 'Großen Deutschen Kunstausstellungen' die scheinbar harmlosen Landschaften, Porträts und Stillleben waren. Und genau diese, sagen wir einmal: Normalität – in Anführungsstrichen – der Kunstauswahl im ideologischen Kontext: Das halte ich für eine hochinteressante Angelegenheit. Nicht alles bei den Nazis war offen ideologisch, das ist völlig klar. Das wurde gerne behauptet, weil die Propaganda es auch immer so gezeigt hat. Dass aber die große Masse sich hinzugesellte und dem ein anderes Fundament gab, das halte ich für eine interessante Folgerung aus diesem Material."
Damit wurden die GDK auch wirtschaftlich zu einem großen Erfolg: Alljährlich besuchten zwischen 400 und 850.000 Menschen die Ausstellungen. Bei allen Verkäufen kassierte das Haus der Kunst zehn Prozent Provision. Für Okwui Enwezor, den neuen Direktor des Hauses, wollte das NS-Regime mit vermeintlich idyllischen Darstellungen das Publikum "narkotisieren", während es doch einen Vernichtungskrieg führte. Das solle 2012 eine Sonderausstellung zum 75. Jahrestag der Gründung seines Hauses beleuchten, kündigte Enwezor an. Nicht als Nabelschau, sondern im Vergleich mit der Kulturpolitik anderer totalitärer Regime:
"Diese Ausstellung wird über das, was im Archiv des Hauses der Kunst liegt, weit hinausgehen. Ich will nicht zu viel über unsere Planung verraten, aber wir werden den Horizont über München und Deutschland hinaus auf ganz Europa erweitern, um den historischen Kontext zu verstehen, in dem die 'Großen Deutschen Kunstausstellungen' stattfanden. Damals gab es weltweit viele ähnliche Ausstellungen, beispielsweise in Italien, Frankreich und Russland. Wir vergessen leicht, dass in dieser Epoche solche Formen der Selbstdarstellung eines Regimes nicht auf Deutschland beschränkt waren. Indem wir es in Bezug zu ähnlichen historischen Phänomenen setzen, wollen wir das Archiv im Haus der Kunst entfetischisieren."
Zwar hat Enwezor dieses Vorhaben von seinem Vorgänger Chris Dercon geerbt. Doch indem er es in weitreichende geschichtliche Zusammenhänge einbettet, verleiht er ihm seine persönliche Handschrift: Der ehemalige Leiter der Documenta 2002 steht wie kaum ein anderer Kurator für politisch engagierte Kunst im Zeitalter der Globalisierung. Wie er diesen Ansatz darüber hinaus im Haus der Kunst künftig umsetzen will, verriet Enwezor aber diesmal noch nicht.
Die Datenbank zu den Großen Deutschen Kunstausstellungen wird am kommenden Donnerstag um 21:00 Uhr im Internet freigeschaltet.
Sie lässt sich unter folgender Web-Adresse aufrufen: www.gdk-research.de
Nun kann man im Internet die Ausstellungen virtuell Raum für Raum abschreiten und für jedes Werk alle bekannten Angaben aufrufen: Titel und Künstler, Entstehungsjahr und Verkaufspreis, falls es verkauft wurde. Damit werde nicht nur erstmals die Bandbreite der NS-Kunstproduktion und ihre Inszenierung empirisch erfasst, so Projekt-Referent Christian Fuhrmeister. Die Datenbank liefere auch Material für eine Neubewertung der modernen deutschen Kunstgeschichte:
"Drittens werden nicht nur Ausstellungs-Verzeichnisse und Künstler-Biografien modifiziert werden müssen, sondern grundlegende Annahmen über die Entwicklung der Kunst in Deutschland im 20. Jahrhundert. Denn bisher herrschte ein klares Bild vor: hier klassische Moderne und internationale Avantgarde, dort ideologisch kontaminierte und politisch indoktrinierende NS-Kunst. Diese antithetische Vereinfachung hat die Heterogenität der Kunst im Nationalsozialismus systematisch reduziert. 'GDK Research' hingegen zeigt erstmals, wie es wirklich gewesen ist."
NS-Kunst war Chefsache: Als Vorsitzender der GDK-Jury entschied Adolf Hitler persönlich, welche Gemälde und Skulpturen ausgestellt werden sollten und welche nicht. Der Diktator war zugleich sein bester Kunde: Von den rund 6000 verkauften Exponaten erwarb Hitler allein mehr als 800 und gab dafür fast sieben Millionen Reichsmark aus. Propaganda-Minister Joseph Goebbels kaufte 217 Werke für 1,2 Millionen Reichsmark; alle anderen Nazi-Größen hielten sich ebenso wie Privat-Personen deutlich zurück. Dabei war nur ein Bruchteil der gezeigten Werke ideologisch gefärbt, wie Projekt-Referentin Iris Lauterbach betont, die meisten bedienten einen bieder konservativen Kunstgeschmack:
"Man muss sich klar machen, dass der weitaus größte Teil der Werke bei den 'Großen Deutschen Kunstausstellungen' die scheinbar harmlosen Landschaften, Porträts und Stillleben waren. Und genau diese, sagen wir einmal: Normalität – in Anführungsstrichen – der Kunstauswahl im ideologischen Kontext: Das halte ich für eine hochinteressante Angelegenheit. Nicht alles bei den Nazis war offen ideologisch, das ist völlig klar. Das wurde gerne behauptet, weil die Propaganda es auch immer so gezeigt hat. Dass aber die große Masse sich hinzugesellte und dem ein anderes Fundament gab, das halte ich für eine interessante Folgerung aus diesem Material."
Damit wurden die GDK auch wirtschaftlich zu einem großen Erfolg: Alljährlich besuchten zwischen 400 und 850.000 Menschen die Ausstellungen. Bei allen Verkäufen kassierte das Haus der Kunst zehn Prozent Provision. Für Okwui Enwezor, den neuen Direktor des Hauses, wollte das NS-Regime mit vermeintlich idyllischen Darstellungen das Publikum "narkotisieren", während es doch einen Vernichtungskrieg führte. Das solle 2012 eine Sonderausstellung zum 75. Jahrestag der Gründung seines Hauses beleuchten, kündigte Enwezor an. Nicht als Nabelschau, sondern im Vergleich mit der Kulturpolitik anderer totalitärer Regime:
"Diese Ausstellung wird über das, was im Archiv des Hauses der Kunst liegt, weit hinausgehen. Ich will nicht zu viel über unsere Planung verraten, aber wir werden den Horizont über München und Deutschland hinaus auf ganz Europa erweitern, um den historischen Kontext zu verstehen, in dem die 'Großen Deutschen Kunstausstellungen' stattfanden. Damals gab es weltweit viele ähnliche Ausstellungen, beispielsweise in Italien, Frankreich und Russland. Wir vergessen leicht, dass in dieser Epoche solche Formen der Selbstdarstellung eines Regimes nicht auf Deutschland beschränkt waren. Indem wir es in Bezug zu ähnlichen historischen Phänomenen setzen, wollen wir das Archiv im Haus der Kunst entfetischisieren."
Zwar hat Enwezor dieses Vorhaben von seinem Vorgänger Chris Dercon geerbt. Doch indem er es in weitreichende geschichtliche Zusammenhänge einbettet, verleiht er ihm seine persönliche Handschrift: Der ehemalige Leiter der Documenta 2002 steht wie kaum ein anderer Kurator für politisch engagierte Kunst im Zeitalter der Globalisierung. Wie er diesen Ansatz darüber hinaus im Haus der Kunst künftig umsetzen will, verriet Enwezor aber diesmal noch nicht.
Die Datenbank zu den Großen Deutschen Kunstausstellungen wird am kommenden Donnerstag um 21:00 Uhr im Internet freigeschaltet.
Sie lässt sich unter folgender Web-Adresse aufrufen: www.gdk-research.de