"Die Kunst muss eine existenzielle Radikalität haben"
Der Schriftsteller Franz Xaver Kroetz hat sich nach eigenem Bekunden nie für Politik interessiert. Das Politische sei seinen Stücken im Nachhinein aufgepfropft worden. Er verfolge "eigentlich einen ganz strengen innerlichen Ansatz". Deshalb habe ihm auch Christoph Schlingensiefs "Eine Kirche der Angst vor dem Fremden in mir" sehr beeindruckt, weil es einen radikalen privaten Ansatz verfolge.
Katrin Heise: Nach einem Tag im Büro, wie es so viele Tage in Büros gibt, geht Fräulein Rasch nach Hause in ihre Wohnung. Dort macht sie, was sie immer macht: essen, abwaschen, Radio hören, dann geht sie ins Bett. Und da macht sie, was sie sonst nicht macht: Sie schluckt eine Überdosis Tabletten. Am nächsten Morgen kann der pünktliche Wecker sie nicht mehr wecken. Depression pur. 70 Minuten lang auf der Bühne des Kölner Schauspielhauses. Abendelang umjubelt! Und heute ist diese Aufführung zu Gast beim Berliner Theatertreffen. Das Stück "Wunschkonzert" in der Regie von Katie Mitchell. Geschrieben hat es Franz Xaver Kroetz, Regisseur, Schriftsteller, Theaterautor und Schauspieler in einer Person. Und auch er ist Gast beim Theatertreffen und deshalb hatten wir die Möglichkeit für ein Gespräch. Das habe ich gestern im Theater mit ihm aufgezeichnet:
Herr Kroetz, ich grüße Sie erst mal ganz herzlich.
Franz Xaver Kroetz: Hallo, grüß Gott!
Heise: Schön dass Sie Zeit haben. Ihr Theaterstück "Das Wunschkonzert", das hatte 1973 Uraufführung. Wie hat Ihnen eigentlich Katie Mitchells Version gefallen?
Kroetz: Ja, ich war in Lüttich und habe dort inszeniert, also in Liège, in Belgien, und da haben wir festgestellt, dass dies nur 120 Kilometer von Köln weg ist. Und gerade an einem probenfreien Tag lief das in Köln. Und nachdem ich von Katie Mitchell schon aus London gehört habe - denn ich bin öfter mal in London, schau mir Theater an und habe auch Aufführungen dort und wusste, dass es wahrscheinlich einer der spannendsten Frauen am britischen Theater überhaupt ist -, bin ich also nach Köln und habe mir das angeschaut. Und das hat mir dann doch so gut gefallen, dass ich einfach am nächsten Tag, da war noch mal probenfrei, noch ein zweites Mal mir angeschaut habe.
Heise: Also Sie haben noch mehr entdeckt sozusagen, als Sie damals geschrieben haben?
Kroetz: Na ja, das ist so, dass Sie bei jeder guten Aufführung natürlich hoffen, dass der Text, den Sie geschrieben haben, zum Leben erwacht. Und dieses Erwachen kann nie so stattfinden, dass sich nichts verändert. Also "Wunschkonzert" war bis jetzt ja immer getragen von eben herausragenden Schauspielerinnen. Ob es jetzt hier Anne Tismer war, die in dieser Thomas-Ostermeier-Inszenierung an der Schaubühne im Zusammenhang mit "Nora" das toll machte. Also es gibt 'ne ganze Menge Frauen, die das wunderbar gespielt haben. Aber hier sind acht Frauen eigentlich, und die passen aber so was von zusammen.
Das ist so eine Filettierung. Eigentlich wird das Ganze auseinandergenommen in 1000 Partikel und wird dann aber so was von passgenau wieder eingesetzt. Also es wird gepuzzelt, es wird in Fetzen gerissen, und dann wird das aber wieder so was von passgenau eingesetzt. Mir hat das sehr gut gefallen. Und ich muss dazusagen, ich bin inzwischen wahrscheinlich großzügig geworden, also der Level ist für mich der: Erkenne ich überhaupt noch ein Stück wieder als meines oder nicht? Und ich meine, ich saß auch schon öfter mal in einem Theater ...
Heise: Und wussten gar nicht, was Sie da eigentlich sehen?
Kroetz: Ich war, aber gut, das ist dann Kalkutta oder so gewesen, wo ich dann einfach mir dachte, ich habe keine Ahnung, welches Stück spielen sie eigentlich. Also dieser Level ist aber hier mehr wie übererfüllt. Ich glaube, da ist einfach mit modernen Theatermitteln ein relativ altes Stück erzählt worden auf eine tolle Art und Weise. Mir hat's sehr gut gefallen.
Heise: Das ist ein Theaterstück ohne Worte, das heißt, die Hauptdarstellerin redet nicht. Das ist ja ziemlich mutig, so ein Theaterstück ohne Worte zu schreiben, ohne Dialog.
Kroetz: Ja, das ist 'ne Frage, inwieweit man eben existenzielle Vorgänge durch Dialog beschreibt oder vielleicht doch Haltung beschreibt. Und in dem Fall ist es halt ein Mensch, der ein ritualisiertes Leben 20 Jahre gleich führt, und wir erleben als Theaterzuschauer diesen letzten Abend, indem diese Ritualisierung als Leerlauf entlarvt wird von der handelnden Person selber. Und dadurch entsteht eine solche Kluft, sie wird eigentlich von sich selbst entleert, sie enteinsamt während dieses Abends und versucht dann eigentlich durch eine Selbsttötung, wieder mit sich ins Reine zu kommen und wieder sie selber zu werden.
Das hört sich vielleicht schwierig an, ist aber eigentlich wie in eine Märchengeschichte, also so ein mythischer Vorgang, glaube ich, den gibt es schon sehr häufig - sich wiederfinden durch Selbstauslöschung. Und das hat dem Stück auch das Leben gegeben, glaube ich. Da braucht man nicht quack, quack, quack, sondern das geht anders, das geht mit 'ner existenziellen Haltung.
Heise: Und jetzt in dieser neuen Stückinszenierung eben auch durch sehr moderne technische Mittel dann. Die Broschüre zum Theatertreffen, die spricht bei der Mitchell-Inszenierung von einem Anti-Kroetz und schreibt, ich zitiere mal so ein paar Zeilen: "Gegen die Plattheit des sogenannten Mitleidsdramatikers setzt sie" - also Frau Mitchell - "eine konzertierte Aktion, eine Feier der Komplexität, die das Motto tragen könnte: Niemand stirbt für sich allein". Und so weiter, so geht's dann weiter. Kränkt Sie so eine Zuschreibung eigentlich, Mitleidsdramatiker?
Kroetz: Das ist mir wurscht, das interessiert mich nicht. Das ist so, wie wenn ein Hund irgendwo an eine Karawane pinkelt. Das ist Feuilleton-Geschmützel.
Heise: Da ist man auch einiges gewöhnt dann irgendwann?
Kroetz: Das ist mir scheißegal. Schauen Sie, ich habe 60 Stücke geschrieben, ich schreibe seit 45 Jahren Theater. Ob jetzt da der eine noch ein Stück von mir gut oder mittel oder schlecht findet - ich freue mich, wenn sie sagen, Kroetz, du hast tolle Stücke geschrieben. Aber wenn sie sagen, es waren keine guten Stücke, dann sage ich, na, so what?
Heise: Guckt's euch halt nicht an.
Kroetz: Das ist mir wurscht.
Heise: Ihr Text war, das haben Sie auch selber gesagt, eine "Studie kapitalistischer Entfremdung". Also Kapitalismuskritik, im Moment ja hat sie Hochkonjunktur. Fühlen Sie sich so ein bisschen bestätigt durch das, was Sie auch gerade Anfang, Mitte der oder überhaupt in den 70ern geschrieben haben?
Kroetz: Also ich habe damals überhaupt nichts Politisches gedacht, ich wollte einfach so ein Schicksal beschreiben, und das möglichst genau, so wie alle meine Stücke entweder aus meiner Familie, von meiner Mutter oder sonst wo herkommen. Und dieses Fräulein Rasch, ich könnte Ihnen sagen, welche Frau das war. Die hat nicht Selbstmord begangen, aber die ist dann an einem übrigens auch Lungenkrebs gestorben, so eine einsame Frau. Das hat überhaupt nichts mit Politik oder mit überhaupt nichts zu tun. Das waren mich bedrängende Schicksale.
Und um nicht Selbstmord zu begehen - als junger Mann war ich sehr, ich glaube, Empathie war meine Lebenskrankheit, ich habe sehr viel Mitgefühl, ich habe einfach mit gelitten. Ich konnte einem Menschen in die Augen schauen und habe sein Schicksal gesehen. Und um mich von dieser Krankheit - Empathie ist nämlich auch eine Krankheit, weil man kommt nicht zum eigenen Leben, sondern man lebt immer andere Leben -, und dieser Zustand, der hat meine frühen, wahrscheinlich wichtigen Stücke erzeugt.
Alles andere, Politisches, das ist ja nebenbei draufgepfropft worden, weil ich 'ne Wut hatte, logischerweise. Es gibt ja Zustände, heute könnte man ja auch ne Wut kriegen, diese Frechheit, mit der die Reichen, die Herrschenden nach unten drängen, drücken, also wie wir behandelt werden. Die Welt, in der wir leben, glaube ich, ist die schlechteste, die überhaupt vorstellbar ist. Für mich ist es so. Ich war in meinem Leben vielleicht drei-, viermal auf Demonstrationen. Ich habe meine meisten Auftritte in der DKP, meiner großen kommunistischen Partei, habe ich mit Theaterauftritten behandelt.
Im Schreiben, da war meine Wirklichkeit, da war ich zu Hause. Und so gesehen sind alle diese Stücke ein Teil von mir und auch ein hilfloser Teil von mir, denn leider findet in meinen Stücken ja zu wenig Widerstand statt. Das tut mir heute, jetzt wo ich aufgehört habe, eigentlich leid. Es ist nichts. Die Menschen sind liebevoll geschildert, aber sie sind in ihrer ganzen hilflosen Kleinheit geschildert. Dieses "Wunschkonzert", ich meine, das ist ja eine ganz armselige Figur. Der Vorspruch lautet ja nur: Mich wundert als junger Mann, dass die Menschen, bevor sie sich wehren, sich lieber umbringen.
Heise: Sagt Franz Xaver Kroetz im Deutschlandradio Kultur. Herr Kroetz, Sie haben gerade gesagt, eigentlich jetzt 'ne Zeit, wie es damals auch war, die Sie damals in Wut gebracht hat und die damals dazu geführt hat, dass Sie die einzelnen Schicksale beschreiben mussten. Jetzt haben Sie aber auch gesagt, Sie haben aufgehört zu schreiben. Warum haben Sie eigentlich aufgehört zu schreiben, und reizt es Sie nicht jetzt gerade in so 'ner Zeit, ja, wo eben Wirtschaftskrise, Hartz IV, wo das Ganze, Ihre Themen sozusagen auch wieder nach Behandlung schreien, reizt es Sie nicht, wieder zu schreiben?
Kroetz: Also da gibt's 'ne ganz einfache Antwort. Ich habe 2004, leider, glaube ich, ein bisschen zu spät, mit dem Schreiben aufgehört, denn das Schreiben hat mich krank gemacht. Ich habe wahrscheinlich meine Ehe ruiniert, ich habe am Schreiben nur noch gelitten und ich wäre wahrscheinlich auch gestorben. Entweder hätte ich mich zu Tode gesoffen oder sonst was. Also ich habe 2004 aufgehört und seitdem bin ich sehr viel glücklicher und es geht mir sehr, sehr viel besser.
Das Schreiben begann mit einem ungeheuren Glück, und es wurde mehr und mehr eine Selbstvergiftung. Ich habe ja schon mit zwölf Jahren zu schreiben begonnen, natürlich scheiße wie alle, und es gibt auch ein irrsinniges Werk, also Tagebücher, es gibt Tausende. Aber am Ende, ich kann's nur sagen, ich hab ein großes Arbeitszimmer und manchmal saß ich auf der Couch, schaute auf den Schreibtisch, sah ihn Anfang jetzt dieses Jahrtausends und dachte mir: Gell, da finden die letzten Zuckungen eines Geisteskranken statt.
Heise: Sie haben gerade eben noch ein Stichwort gesagt.
Kroetz: Was?
Heise: Mit dem Widerstand und dass Sie das eigentlich selber bedauern oder bereuen vielleicht auch, dass Ihre Figuren keinen Widerstand leisten. Jetzt hat dieses Theatertreffen ein Stück auch eingeladen, da geht es auch gerade um Widerstand. Volker Lösch vom Schauspielhaus Hamburg ist mit seiner Truppe da, "Marat oder was ist aus unserer Revolution geworden?". Hartz-IV-Chöre treten da auf und rufen zur Revolution auf. Also da gibt's den Widerstand. Glauben Sie, dass es den eigentlich jetzt nur noch auf dem Theater gibt, warten Sie auf 'ne Revolution im Moment?
Kroetz: Nein, nein, überhaupt nicht, aber das ist auch nicht mein Lebensansatz. Ich bin ein Mann der Worte, mich hat auch Politik im Grunde genommen nie interessiert, mich hat immer Schreiben interessiert. Die Kunst muss eine existenzielle Radikalität haben, dass die Wirklichkeit und die Politik vor ihr in die Knie geht. Sie müssen sie packen, die Kunst ist ein Lasso. Aber das Lasso besteht nicht aus Hartz-IV-Chören. Nichts dagegen zu sagen, ist schon recht, aber ich hatte immer einen ganz strengen, eigentlich einen ganz strengen innerlichen Ansatz. Ich glaube, sonst wäre ich auch nicht eigentlich krank durchs Schreiben geworden, wenn das nicht gewesen wäre.
Heise: Krank geworden durch das Schreiben, andere Autoren, Theatermacher versuchen gerade, ihr Kranksein durch Schreiben, durch Spielen zu verarbeiten oder vielleicht sogar zu überwinden. Christoph Schlingensiefs "Kirche der Angst vor dem Fremden in mir" hat die diesjährigen Theatertage hier eröffnet, und der Theaterpreis des Theatertreffens ist an den Regisseur Jürgen Gosch gegangen. Der konnte ihn nicht entgegennehmen wegen seiner eigenen Krebserkrankung. Wie erleben Sie eigentlich so diese Auseinandersetzung mit Krankheit, Tod, mit dieser zum Teil öffentlichen Auseinandersetzung?
Kroetz: Also ich habe hier gebeten, wenn man mich einlädt, dass man mich so einlädt, dass ich mir das Schlingensief-Stück anschauen kann. Das ist passiert, ich hab's gesehen. Und es hat mich sehr beeindruckt, weil dieser radikale private Ansatz, Theater als einen Notizblock, also dass man so einen radikalen privaten Ansatz zu so einem Tagebuch, zu so einem hingekritzelten Tagebuch, das hat mir sehr, sehr gut gefallen. Und ich würde sagen, also der Schlingensief hat jetzt, glaube ich, mehr Power auf der Schaufel als vielleicht vor ein paar Jahren, wo dann so diese Spielereien und das war. Und ich denke sowieso, ein Schriftsteller oder ein Künstler, der nicht von sich redet, ist langweilig, wenn er nur von sich redet, ist auch langweilig, dieses Verhältnis. Und ich finde, das ist hier doch sehr, sehr spannend gelungen, dass diese Geschichten dann vielleicht erst mit so einer existenziellen Schwierigkeit wie mit dem Gedanken, dass man bald stirbt oder so, das ist traurig, da muss man aber auch wahrscheinlich schweigen.
Heise: Ihre Filmrolle der "Brandner Kasper", das war ja auch so ein Wilderer, der dem Tod noch einige, einige viele Lebensjahre abluchst. Wie ist eigentlich Ihre Haltung zum eigenen Alter?
Kroetz: Also, ich sage ja, ich habe ja diese Krise, diese starke Krise hinter mir, und ich habe auch gedacht, dass ich wahrscheinlich, als ich Schreiben aufhörte, ohne Schreiben nicht leben kann. Ich dachte mir, vielleicht werde ich gesund sozusagen, also ich werde aus dieser Gefangenschaft entlassen, aber dann ist mir so langweilig, dass ich mich vielleicht dann umbringe. Das ist aber nicht passiert. Ich habe jetzt eben aufgrund meiner Möglichkeiten, dass ich eben spielen kann, dass ich auch inszenieren kann, hat mein Leben wieder ganz gut angefangen. Und wenn's so weitergeht, dann möchte ich ganz gern noch ein bisschen leben. Wenn's allerdings diese starken Depressionen, diese Entzugserscheinung vom Schreiben, wenn die wiederkäme, dann würde ich lieber tot sein.
Heise: Aber Sie haben gesagt, die Zufriedenheit ist zurückgekehrt, weil Sie jetzt über Regie und über Schauspielerei eben ...
Kroetz: Ich bin trotz allem Gejammer ein recht glücklicher Mensch. Ich habe ein gutes, glückliches Schicksal gehabt. Ich konnte viel, viel tun, was die heutigen Menschen oft nicht können.
Herr Kroetz, ich grüße Sie erst mal ganz herzlich.
Franz Xaver Kroetz: Hallo, grüß Gott!
Heise: Schön dass Sie Zeit haben. Ihr Theaterstück "Das Wunschkonzert", das hatte 1973 Uraufführung. Wie hat Ihnen eigentlich Katie Mitchells Version gefallen?
Kroetz: Ja, ich war in Lüttich und habe dort inszeniert, also in Liège, in Belgien, und da haben wir festgestellt, dass dies nur 120 Kilometer von Köln weg ist. Und gerade an einem probenfreien Tag lief das in Köln. Und nachdem ich von Katie Mitchell schon aus London gehört habe - denn ich bin öfter mal in London, schau mir Theater an und habe auch Aufführungen dort und wusste, dass es wahrscheinlich einer der spannendsten Frauen am britischen Theater überhaupt ist -, bin ich also nach Köln und habe mir das angeschaut. Und das hat mir dann doch so gut gefallen, dass ich einfach am nächsten Tag, da war noch mal probenfrei, noch ein zweites Mal mir angeschaut habe.
Heise: Also Sie haben noch mehr entdeckt sozusagen, als Sie damals geschrieben haben?
Kroetz: Na ja, das ist so, dass Sie bei jeder guten Aufführung natürlich hoffen, dass der Text, den Sie geschrieben haben, zum Leben erwacht. Und dieses Erwachen kann nie so stattfinden, dass sich nichts verändert. Also "Wunschkonzert" war bis jetzt ja immer getragen von eben herausragenden Schauspielerinnen. Ob es jetzt hier Anne Tismer war, die in dieser Thomas-Ostermeier-Inszenierung an der Schaubühne im Zusammenhang mit "Nora" das toll machte. Also es gibt 'ne ganze Menge Frauen, die das wunderbar gespielt haben. Aber hier sind acht Frauen eigentlich, und die passen aber so was von zusammen.
Das ist so eine Filettierung. Eigentlich wird das Ganze auseinandergenommen in 1000 Partikel und wird dann aber so was von passgenau wieder eingesetzt. Also es wird gepuzzelt, es wird in Fetzen gerissen, und dann wird das aber wieder so was von passgenau eingesetzt. Mir hat das sehr gut gefallen. Und ich muss dazusagen, ich bin inzwischen wahrscheinlich großzügig geworden, also der Level ist für mich der: Erkenne ich überhaupt noch ein Stück wieder als meines oder nicht? Und ich meine, ich saß auch schon öfter mal in einem Theater ...
Heise: Und wussten gar nicht, was Sie da eigentlich sehen?
Kroetz: Ich war, aber gut, das ist dann Kalkutta oder so gewesen, wo ich dann einfach mir dachte, ich habe keine Ahnung, welches Stück spielen sie eigentlich. Also dieser Level ist aber hier mehr wie übererfüllt. Ich glaube, da ist einfach mit modernen Theatermitteln ein relativ altes Stück erzählt worden auf eine tolle Art und Weise. Mir hat's sehr gut gefallen.
Heise: Das ist ein Theaterstück ohne Worte, das heißt, die Hauptdarstellerin redet nicht. Das ist ja ziemlich mutig, so ein Theaterstück ohne Worte zu schreiben, ohne Dialog.
Kroetz: Ja, das ist 'ne Frage, inwieweit man eben existenzielle Vorgänge durch Dialog beschreibt oder vielleicht doch Haltung beschreibt. Und in dem Fall ist es halt ein Mensch, der ein ritualisiertes Leben 20 Jahre gleich führt, und wir erleben als Theaterzuschauer diesen letzten Abend, indem diese Ritualisierung als Leerlauf entlarvt wird von der handelnden Person selber. Und dadurch entsteht eine solche Kluft, sie wird eigentlich von sich selbst entleert, sie enteinsamt während dieses Abends und versucht dann eigentlich durch eine Selbsttötung, wieder mit sich ins Reine zu kommen und wieder sie selber zu werden.
Das hört sich vielleicht schwierig an, ist aber eigentlich wie in eine Märchengeschichte, also so ein mythischer Vorgang, glaube ich, den gibt es schon sehr häufig - sich wiederfinden durch Selbstauslöschung. Und das hat dem Stück auch das Leben gegeben, glaube ich. Da braucht man nicht quack, quack, quack, sondern das geht anders, das geht mit 'ner existenziellen Haltung.
Heise: Und jetzt in dieser neuen Stückinszenierung eben auch durch sehr moderne technische Mittel dann. Die Broschüre zum Theatertreffen, die spricht bei der Mitchell-Inszenierung von einem Anti-Kroetz und schreibt, ich zitiere mal so ein paar Zeilen: "Gegen die Plattheit des sogenannten Mitleidsdramatikers setzt sie" - also Frau Mitchell - "eine konzertierte Aktion, eine Feier der Komplexität, die das Motto tragen könnte: Niemand stirbt für sich allein". Und so weiter, so geht's dann weiter. Kränkt Sie so eine Zuschreibung eigentlich, Mitleidsdramatiker?
Kroetz: Das ist mir wurscht, das interessiert mich nicht. Das ist so, wie wenn ein Hund irgendwo an eine Karawane pinkelt. Das ist Feuilleton-Geschmützel.
Heise: Da ist man auch einiges gewöhnt dann irgendwann?
Kroetz: Das ist mir scheißegal. Schauen Sie, ich habe 60 Stücke geschrieben, ich schreibe seit 45 Jahren Theater. Ob jetzt da der eine noch ein Stück von mir gut oder mittel oder schlecht findet - ich freue mich, wenn sie sagen, Kroetz, du hast tolle Stücke geschrieben. Aber wenn sie sagen, es waren keine guten Stücke, dann sage ich, na, so what?
Heise: Guckt's euch halt nicht an.
Kroetz: Das ist mir wurscht.
Heise: Ihr Text war, das haben Sie auch selber gesagt, eine "Studie kapitalistischer Entfremdung". Also Kapitalismuskritik, im Moment ja hat sie Hochkonjunktur. Fühlen Sie sich so ein bisschen bestätigt durch das, was Sie auch gerade Anfang, Mitte der oder überhaupt in den 70ern geschrieben haben?
Kroetz: Also ich habe damals überhaupt nichts Politisches gedacht, ich wollte einfach so ein Schicksal beschreiben, und das möglichst genau, so wie alle meine Stücke entweder aus meiner Familie, von meiner Mutter oder sonst wo herkommen. Und dieses Fräulein Rasch, ich könnte Ihnen sagen, welche Frau das war. Die hat nicht Selbstmord begangen, aber die ist dann an einem übrigens auch Lungenkrebs gestorben, so eine einsame Frau. Das hat überhaupt nichts mit Politik oder mit überhaupt nichts zu tun. Das waren mich bedrängende Schicksale.
Und um nicht Selbstmord zu begehen - als junger Mann war ich sehr, ich glaube, Empathie war meine Lebenskrankheit, ich habe sehr viel Mitgefühl, ich habe einfach mit gelitten. Ich konnte einem Menschen in die Augen schauen und habe sein Schicksal gesehen. Und um mich von dieser Krankheit - Empathie ist nämlich auch eine Krankheit, weil man kommt nicht zum eigenen Leben, sondern man lebt immer andere Leben -, und dieser Zustand, der hat meine frühen, wahrscheinlich wichtigen Stücke erzeugt.
Alles andere, Politisches, das ist ja nebenbei draufgepfropft worden, weil ich 'ne Wut hatte, logischerweise. Es gibt ja Zustände, heute könnte man ja auch ne Wut kriegen, diese Frechheit, mit der die Reichen, die Herrschenden nach unten drängen, drücken, also wie wir behandelt werden. Die Welt, in der wir leben, glaube ich, ist die schlechteste, die überhaupt vorstellbar ist. Für mich ist es so. Ich war in meinem Leben vielleicht drei-, viermal auf Demonstrationen. Ich habe meine meisten Auftritte in der DKP, meiner großen kommunistischen Partei, habe ich mit Theaterauftritten behandelt.
Im Schreiben, da war meine Wirklichkeit, da war ich zu Hause. Und so gesehen sind alle diese Stücke ein Teil von mir und auch ein hilfloser Teil von mir, denn leider findet in meinen Stücken ja zu wenig Widerstand statt. Das tut mir heute, jetzt wo ich aufgehört habe, eigentlich leid. Es ist nichts. Die Menschen sind liebevoll geschildert, aber sie sind in ihrer ganzen hilflosen Kleinheit geschildert. Dieses "Wunschkonzert", ich meine, das ist ja eine ganz armselige Figur. Der Vorspruch lautet ja nur: Mich wundert als junger Mann, dass die Menschen, bevor sie sich wehren, sich lieber umbringen.
Heise: Sagt Franz Xaver Kroetz im Deutschlandradio Kultur. Herr Kroetz, Sie haben gerade gesagt, eigentlich jetzt 'ne Zeit, wie es damals auch war, die Sie damals in Wut gebracht hat und die damals dazu geführt hat, dass Sie die einzelnen Schicksale beschreiben mussten. Jetzt haben Sie aber auch gesagt, Sie haben aufgehört zu schreiben. Warum haben Sie eigentlich aufgehört zu schreiben, und reizt es Sie nicht jetzt gerade in so 'ner Zeit, ja, wo eben Wirtschaftskrise, Hartz IV, wo das Ganze, Ihre Themen sozusagen auch wieder nach Behandlung schreien, reizt es Sie nicht, wieder zu schreiben?
Kroetz: Also da gibt's 'ne ganz einfache Antwort. Ich habe 2004, leider, glaube ich, ein bisschen zu spät, mit dem Schreiben aufgehört, denn das Schreiben hat mich krank gemacht. Ich habe wahrscheinlich meine Ehe ruiniert, ich habe am Schreiben nur noch gelitten und ich wäre wahrscheinlich auch gestorben. Entweder hätte ich mich zu Tode gesoffen oder sonst was. Also ich habe 2004 aufgehört und seitdem bin ich sehr viel glücklicher und es geht mir sehr, sehr viel besser.
Das Schreiben begann mit einem ungeheuren Glück, und es wurde mehr und mehr eine Selbstvergiftung. Ich habe ja schon mit zwölf Jahren zu schreiben begonnen, natürlich scheiße wie alle, und es gibt auch ein irrsinniges Werk, also Tagebücher, es gibt Tausende. Aber am Ende, ich kann's nur sagen, ich hab ein großes Arbeitszimmer und manchmal saß ich auf der Couch, schaute auf den Schreibtisch, sah ihn Anfang jetzt dieses Jahrtausends und dachte mir: Gell, da finden die letzten Zuckungen eines Geisteskranken statt.
Heise: Sie haben gerade eben noch ein Stichwort gesagt.
Kroetz: Was?
Heise: Mit dem Widerstand und dass Sie das eigentlich selber bedauern oder bereuen vielleicht auch, dass Ihre Figuren keinen Widerstand leisten. Jetzt hat dieses Theatertreffen ein Stück auch eingeladen, da geht es auch gerade um Widerstand. Volker Lösch vom Schauspielhaus Hamburg ist mit seiner Truppe da, "Marat oder was ist aus unserer Revolution geworden?". Hartz-IV-Chöre treten da auf und rufen zur Revolution auf. Also da gibt's den Widerstand. Glauben Sie, dass es den eigentlich jetzt nur noch auf dem Theater gibt, warten Sie auf 'ne Revolution im Moment?
Kroetz: Nein, nein, überhaupt nicht, aber das ist auch nicht mein Lebensansatz. Ich bin ein Mann der Worte, mich hat auch Politik im Grunde genommen nie interessiert, mich hat immer Schreiben interessiert. Die Kunst muss eine existenzielle Radikalität haben, dass die Wirklichkeit und die Politik vor ihr in die Knie geht. Sie müssen sie packen, die Kunst ist ein Lasso. Aber das Lasso besteht nicht aus Hartz-IV-Chören. Nichts dagegen zu sagen, ist schon recht, aber ich hatte immer einen ganz strengen, eigentlich einen ganz strengen innerlichen Ansatz. Ich glaube, sonst wäre ich auch nicht eigentlich krank durchs Schreiben geworden, wenn das nicht gewesen wäre.
Heise: Krank geworden durch das Schreiben, andere Autoren, Theatermacher versuchen gerade, ihr Kranksein durch Schreiben, durch Spielen zu verarbeiten oder vielleicht sogar zu überwinden. Christoph Schlingensiefs "Kirche der Angst vor dem Fremden in mir" hat die diesjährigen Theatertage hier eröffnet, und der Theaterpreis des Theatertreffens ist an den Regisseur Jürgen Gosch gegangen. Der konnte ihn nicht entgegennehmen wegen seiner eigenen Krebserkrankung. Wie erleben Sie eigentlich so diese Auseinandersetzung mit Krankheit, Tod, mit dieser zum Teil öffentlichen Auseinandersetzung?
Kroetz: Also ich habe hier gebeten, wenn man mich einlädt, dass man mich so einlädt, dass ich mir das Schlingensief-Stück anschauen kann. Das ist passiert, ich hab's gesehen. Und es hat mich sehr beeindruckt, weil dieser radikale private Ansatz, Theater als einen Notizblock, also dass man so einen radikalen privaten Ansatz zu so einem Tagebuch, zu so einem hingekritzelten Tagebuch, das hat mir sehr, sehr gut gefallen. Und ich würde sagen, also der Schlingensief hat jetzt, glaube ich, mehr Power auf der Schaufel als vielleicht vor ein paar Jahren, wo dann so diese Spielereien und das war. Und ich denke sowieso, ein Schriftsteller oder ein Künstler, der nicht von sich redet, ist langweilig, wenn er nur von sich redet, ist auch langweilig, dieses Verhältnis. Und ich finde, das ist hier doch sehr, sehr spannend gelungen, dass diese Geschichten dann vielleicht erst mit so einer existenziellen Schwierigkeit wie mit dem Gedanken, dass man bald stirbt oder so, das ist traurig, da muss man aber auch wahrscheinlich schweigen.
Heise: Ihre Filmrolle der "Brandner Kasper", das war ja auch so ein Wilderer, der dem Tod noch einige, einige viele Lebensjahre abluchst. Wie ist eigentlich Ihre Haltung zum eigenen Alter?
Kroetz: Also, ich sage ja, ich habe ja diese Krise, diese starke Krise hinter mir, und ich habe auch gedacht, dass ich wahrscheinlich, als ich Schreiben aufhörte, ohne Schreiben nicht leben kann. Ich dachte mir, vielleicht werde ich gesund sozusagen, also ich werde aus dieser Gefangenschaft entlassen, aber dann ist mir so langweilig, dass ich mich vielleicht dann umbringe. Das ist aber nicht passiert. Ich habe jetzt eben aufgrund meiner Möglichkeiten, dass ich eben spielen kann, dass ich auch inszenieren kann, hat mein Leben wieder ganz gut angefangen. Und wenn's so weitergeht, dann möchte ich ganz gern noch ein bisschen leben. Wenn's allerdings diese starken Depressionen, diese Entzugserscheinung vom Schreiben, wenn die wiederkäme, dann würde ich lieber tot sein.
Heise: Aber Sie haben gesagt, die Zufriedenheit ist zurückgekehrt, weil Sie jetzt über Regie und über Schauspielerei eben ...
Kroetz: Ich bin trotz allem Gejammer ein recht glücklicher Mensch. Ich habe ein gutes, glückliches Schicksal gehabt. Ich konnte viel, viel tun, was die heutigen Menschen oft nicht können.