"Man kann ihn nur aus der Distanz erkennen"
Kaum ein Schriftsteller ist so umstritten wie Michel Houellebecq. Ist er ein Reaktionär, Frauenverächter und Islam-Hasser? Oder ist er ein verkannter Romantiker und geschmähter Provokateur? Julia Encke ist in ihrem Buch der Frage nachgegangen "Wer ist Michel Houellebecq?".
Frank Meyer: Der französische Schriftsteller Michel Houellebecq ist ein politischer Idiot, ein Rechter, ein Reaktionär, ein Frauenverächter, ein Islamophober, ein öder Schriftsteller – das sagen die einen, die Houellebecq-Hasser. Es gibt wenige Gegenwartsautoren, die so starke Hassattacken auslösen können. Es gibt aber auch sehr viele, die Houellebecq begeistert lesen, die seine Bücher sehr schätzen. Zu denen gehört zweifellos die Literaturkritikerin Julia Encke. Sie hat gerade das Buch "Wer ist Michel Houellebecq?" veröffentlicht und ist jetzt hier im Studio. Seien Sie willkommen!
Julia Encke: Hallo!
Meyer: Wenn wir mal jetzt einen der Vorwürfe rausgreifen, quasi wahllos, Houellebecq sei ein Frauenverächter – was sagen Sie denn dazu?
Encke: Er hat natürlich immer mit dieser Rolle gespielt, auch als, auf Französisch würde man sagen: dragueur, also Frauen angemacht, auch die ihn interviewt haben. Es gibt so ein legendäres Interview, das war eigentlich eine Art Porträt, das die Journalistin Emily Eaken mal im Jahr 2000 über ihn geschrieben hat, wo sie ihn in Irland besucht hat und ihn völlig besoffen antraf und er dann auch gesagt hat, wollen Sie nicht in meinem erotischen Film mitspielen, und die hat das sehr ausgeweitet.
Ich glaube, sie hat damit auch so ein bisschen dieses öffentliche Bild sehr geprägt, und er hat immer alle Gelegenheiten genutzt, damit zu spielen. Ich glaube aber, aus seinen Büchern lässt sich das nicht herauslesen, und an die Bücher muss man sich am Ende halten. Er spielt dieses Spiel der Kunstfigur Houellebecq. Ich habe ihn selber auch nicht als Frauenverächter kennengelernt, sondern als …
Meyer: Sie haben auch mit ihm an der Bar mal gesessen.
Respektvoll gegenüber Frauen
Encke: Ja, ich habe ihn immer wieder getroffen. Also ich war von Anfang an eine Leserin seiner Bücher und habe ihn immer wieder interviewt. Ich habe mal seine Filmarbeiten … Er hat seinen Film "Die Möglichkeit einer Insel", sein Buch selber verfilmt in Benidorm in Spanien, und da war ich eine Woche dabei. Auch sonst jetzt auf der Buchmesse in Frankfurt habe ich ihn getroffen. Er ist ein sehr rücksichtsvoller, sehr, sehr lustiger Mensch. Sieht schon sehr krass aus, muss man sagen, aber er zeigt sich Frauen gegenüber eigentlich, wenn man ihn respektiert, auch respektvoll.
Meyer: Dann schauen wir auf seine Bücher. Das finde ich auch an Ihrem Buch so hervorragend, dass Sie noch mal genau in seine Bücher reingucken und gerade schauen, was er uns eigentlich erzählt von unserer Zeit in seinen Romanen. Sie sagen auch, für Sie gäbe es keinen Schriftsteller der Gegenwart, der einen so herausfordert mit seinen Zukunftsvisionen, wie das Houellebecq tut. Was meinen Sie damit, was ist diese Herausforderung für Sie in seinen Romanen?
Encke: Die Herausforderung ist ja auch, dass er jedes Mal von etwas anderem erzählt und trotzdem natürlich auch immer in provokativer Weise – das hat sich natürlich bei "Unterwerfung" vielleicht am deutlichsten gezeigt, wo von der …
Meyer: Das ist sein jüngstes Buch.
Encke: Ja, von seinem letzten Roman, das ja an dem Tag erschien, wo es dieses Attentat auf die Redaktion "Charlie Hebdo" gab, das war ja so absurd, weil er gleichzeitig auch auf dem Cover von "Charlie Hebdo" zu sehen war, und dieses Buch erzählte ja – "Unterwerfung" – von einer Islamisierung Frankreichs und einem islamischen Präsidenten, also zwar moderater Islam, aber islamischen Präsidenten, Mohamed Ben Abbes, der der Präsident in Frankreich war in diesem Buch, und natürlich ist das eine Herausforderung.
Es wurde natürlich dann im Zusammenhang mit dem Attentat immer so gelesen, als ginge es hier um die Islamisierung des Westens, und mir war es schon wichtig zu gucken, was erzählt dieses Buch eigentlich gerade, wenn man jetzt so ein bisschen von dem Attentat absehen kann, weil es etwas zurückliegt, was für eine Analyse der französischen Gesellschaft oder auch der westlichen Gesellschaft legt dieser Roman vor. Ich glaube, diese Gesellschaftsanalysen sind die Herausforderung.
Meyer: Man kann ja wahrscheinlich schon so argumentieren, dass man sagt, Houellebecq zieht hier ein Argument der Rechten groß, der Islam übernimmt die Macht hier bei uns, übernimmt die Macht in Frankreich. Er wurde ja deswegen auch als Reaktionär angegriffen. Es hieß in einer Kritik in Frankreich, jetzt seien die Argumente der extrem Rechten in die hohe Literatur eingedrungen. Das sehen Sie anders?
Kultivierung einer Art Nichtstils
Encke: Man muss diesen Roman daraufhin dann aber noch mal lesen, weil das wurde jetzt so oft gesagt, dass sich das alle gemerkt haben. Die Rechten spielen in diesem Roman selber eine große Rolle und sehr zweifelhafte Rolle, nämlich die Bewegung der Identitären. Mit denen fängt es eigentlich an. Die sind auch Wendehälse und mischen sich unter die islamischen Führer dann irgendwann und nehmen sehr große Schlüsselpositionen ein. Worum es eigentlich geht ist um so eine Idee der Kollaboration.
Also im Grunde genommen erzählt Michel Houellebecq vom Verfall der französischen Gesellschaft, wo alle entpolitisiert sind und eben auch die Linke entpolitisiert ist, was er ihr vorwirft, und wo die eben mit den islamischen Führern in diesem Fall kollaborieren, und für die Rechten gilt das genauso. Also er analysiert die extrem Rechte ganz genauso in diesem Buch.
Meyer: Was beim Reden über Literatur heute oft unter die Räder kommt und gerade bei einem so politisierten Autor wie Houellebecq ist die Frage, wie schreibt der eigentlich? Darüber schreiben Sie auch, und auch da gibt es gründliche Kritik an Houellebecqs Stil, der sei mittelmäßig, trostlos, schmucklos. Es gibt auch andere Stimmen. Sie zitieren den deutschen Autor, der Houellebecq offenbar sehr schätzt und sagt, seine Bücher hätten einen hochmodernen Realostil. Was meint denn Goetz damit?
Encke: Es sind bestimmte Begriffe, Begrifflichkeiten, Gegenwartsbezüglichkeiten, also Houellebecq ist jemand, der die Gegenwart aufsaugt und auch mal gesagt hat, ich verstehe gar nicht, wie die anderen das nicht machen können, und es geht auch um eine Kultivierung einer Art Nichtstils. Man hat ihm auch vorgeworfen, Michel Houellebecq hat keinen Stil, und ich glaube, sozusagen die Negativität, der Nichtstil ist etwas, was er sehr minutiös herstellt und was für meine Begriffe auf diese Weise sehr modern wirkt auch.
Meyer: Ein anderes schönes Zitat aus Ihrem Buch von dem Musiker Iggy Pop, also dieser Punk-Ikone, der ist offenbar auch ein großer Houellebecq-Leser, und sagt einerseits, für ihn sei Houellebecq ein großer Komiker, was schon mal sehr schön ist und was viele nicht so sehen werden, aber noch ein anderes, was Iggy Pop anspricht, das Thema, das Houellebecq am besten behandele, das sei die Liebe, was wahrscheinlich auch nicht viele sehen werden. Gehen Sie denn da mit, ist das eins seiner großen Themen, die Liebe?
Houellebecq - ein Romantiker?
Encke: Ganz unbedingt. Also es gibt diesen Roman "Die Möglichkeit einer Insel", da gibt es in der Mitte ein Gedicht, wo es heißt, "es gibt in der Mitte der Zeit die Möglichkeit einer Insel", und diese Sehnsucht … Also es lohnt sich auch sehr, diese Gedichte von Michel Houellebecq zu lesen, die sich sehr stark beziehen auf die französische Literatur des 19. Jahrhunderts, also Dichter wie Rimbaud, Lamartine, die zitiert er oft richtig. Also er nimmt auch Versmaß von denen auf.
Man findet so Alexandriner bei Michel Houellebecq, was man jetzt erst mal nicht denken würde, und es geht in all diesen Büchern, die ja von der Individualisierung und Entgrenzung, also Vereinsamung auch von Individuen erzählen, geht es immer wieder um die Sehnsucht nach Liebe, die Sehnsucht und die Möglichkeit einer Liebe, die irgendwie – das ist, glaube ich, wirklich das Romantische, den ich in einem Kapitel eben als Romantiker bezeichne, es geht wirklich um diese romantische Idee der Liebe in seinen Büchern.
Meyer: Würde man auf den ersten Blick oft nicht denken bei seinen Büchern. Jetzt haben wir schon klar gehört, Sie sind eine Verteidigerin und Verfechterin von Michel Houellebecq. Wir haben ja am Anfang auch über seine Selbstinszenierung gesprochen, als Frauenverächter, haben Sie gesagt, ist ein Teil seiner Inszenierung, da gibt es ja viele andere Elemente als Provokateur, als Star, als Underdog. Diese ständige Selbstinszenierung dieses Autors, die Sie eben auch herausarbeiten, aber geht die Ihnen nicht wenigstens auf die Nerven an ihm?
Encke: Ich nehme das mit Humor. Also es ist so, ich habe natürlich auch keine Biografie geschrieben. Die kann man über ihn, glaube ich, nicht schreiben, weil wenn man ihn etwas fragen würde, könnte man nicht sicher sein, ob er das im nächsten Moment widerruft. Das finde ich auch manchmal anstrengend, aber es gehört eben auch zu diesem Moment der Herausforderung, dass man nie weiß, was als nächstes kommt. Vielleicht würde ich gerne noch dazusagen: Ich schätze seine Bücher sehr, ich habe allerdings jetzt kein Fanbuch geschrieben. Es geht mir schon so darum zu analysieren, was … Also wenn man sein Gegner ist, kann man das auch lesen.
Also es geht mir darum zu analysieren, was ist das eigentlich, was viele an ihm so aufbringt oder andere begeistert. Also was macht ihn so umstritten auch und habe ihn eigentlich auch eher aus der Distanz beobachtet. Ich glaube, es ist ganz wichtig, auch zu der Kunstfigur Houellebecq Distanz zu haben, weil man sonst auch nicht weiterkommt. Also man kann ihn nur aus der Distanz erkennen.
Meyer: Das sagt Julia Encke. Sie hat das Buch veröffentlicht "Wer ist Michel Houellebecq?" im Verlag Rowohlt Berlin mit 250 Seiten, 20 Euro ist der Preis. Danke Ihnen sehr für das Gespräch!
Encke: Ich danke Ihnen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.