#Kunstjagd - Das ganze Projekt: Wo steckt das verschollene Gemälde?
Die Spur des lebensrettenden Visums
Ein Bild verhilft einer jüdischen Familie zur Flucht aus Nazi-Deutschland. Wo steckt es heute, 77 Jahre später? Die Reporter gehen der Spur des lebensrettenden Visums nach, für das die Familie Engelberg das Bild eintauschte.
"We got on the train and said good-bye to mami, a raised finger to the lips: quiet! Till we get there, to the border. And once we pass the border, my father says: We are safe! And he takes out a big chocolate bar and we share it. For the first time, I don’t have to be quiet."
Während die Mutter Paula Engelberg vorläufig in München bleibt und das alte Leben abwickelt, ist der Rest der Familie endlich in der Schweiz, endlich in Sicherheit.
Fast 80 Jahre später überqueren wir ebenfalls die Grenze, immer noch unter dem Eindruck unseres Telefonats mit Edward Engelberg. Was aus den Bildern geworden ist, die Edward an sein verlorenes Gemälde erinnert haben, das herauszufinden wird eine Weile dauern. In der Zwischenzeit fahren wir in die Schweiz und wollen mehr über die Umstände erfahren, unter denen das Visum erteilt wurde.
Noch auf der Reise rauscht eine Email in unser Postfach. Sie ist von unserer Kollegin aus München. Sie hat gefunden, wonach wir schon seit Wochen suchen. Nein, leider nicht das Gemälde, aber dafür das Schweizer Visum, samt Unterschrift.
Eine Unterschrift - eine neue Spur
Es lag in der Wiedergutmachungsakte, eigentlich direkt vor unserer Nase, aber wir konnten sie in München nicht einsehen, weil das Archiv die Akte nicht bereit gelegt hatte. Jetzt haben wir eine Unterschrift - und damit eine neue Spur.
Andrea Raschèr ist ein Mann, der auch am Samstag in seinem Büro in Zürich anzutreffen ist. Der Jurist und Berater hat die Anlaufstelle Raubkunst aufgebaut. Wir fragen ihn, ob er es für möglich hält, dass Paula Engelberg das Gemälde gegen ein Visum eingetauscht haben könnte.
"Ich finde es überhaupt nicht ausgeschlossen, Wir wissen, dass die Beamten auf den Konsulaten damals nicht viel verdienten und ich kann mir sehr gut vorstellen, dass jemand die Notlage ausnutzte, entsprechend korrupt war und dies auch gemacht hat."
Die Schweiz war Drehscheibe für Raub- und Fluchtkunst. Hier konnten Kunstwerke zu einem höheren Preis verkauft werden als in Deutschland. Auch Gemälde mit dem Stempel "entartet".
"Nun gut, er bringt es mit dem diplomatischen Gepäck in die Schweiz und hier hatte es verschiedene Galerien wie Fischer in Luzern, die das weiter verkaufen. Also da hätte ich keine Probleme, in Genf gab es das, in Basel und eben Zürich. Es gab da genügend Galeristen die da tatkräftig zur Seite standen."
Zuerst aber müssen wir rausfinden, was es mit der Person auf sich hat, die das Visum damals unterschrieb.
"So wir haben Annemarie Nadler, Carmen Tobler…"
Uns liegt eine Liste mit Namen der Konsulatsmitarbeiter aus München vor. Wir gehen sie durch und versuchen anhand der Namen die Unterschrift zu entziffern.
"Wolgang Gribi, aha, das ist ein G und könnte auf jeden Fall ein R sein.“
Wolfgang Gribi ist also unser Mann, zumindest für den Moment.
Wir rufen in New York an.
"Wow, what an amazing discovery. We have been looking for that visa for three years and been told time and again that it doesn't exist, that it is nowhere to be found. And if you are in my shoes you think: So my family owes their life to a Mr. Gribi. Without him, I would probably not be having this conversation now."
Der Enthusiasmus von Stephen Engelberg, Edwards Sohn, motiviert uns aufs Neue.
"Now the mystery only deepens. You can imagine that Gribi has transacted the business but you can also imagine that his boss has said: Herr Gribi, punch out that visa for Engelberg, please."
Die Freude über unseren Fund währt nur kurz. Wir müssen mehr über Gribi erfahren, und das schleunigst, die Zeit läuft uns langsam davon.
Wir wühlen uns durch mehrere Kisten Material
Wir fahren ins Bundesarchiv nach Bern. Wir wühlen uns durch mehrere Kisten Material, bis wir auf Gribis Akte stoßen. Als Gribi das Visum für die Engelbergs unterschreibt, ist er 34 Jahre alt und im Generalkonsulat die rechte Hand des Kanzleichefs Paul Frey.
Volltreffer, wir finden den Nachlass von Gribi.
Also konzentrieren wir uns auf seinen Vorgesetzten Paul Frey. Seine Akte strotzt nur so vor Beschwerden über die Arbeitsbedingungen, über das geringe Gehalt, den fehlenden Urlaub. Insgesamt haben die Mitarbeiter, auf deutsch gesagt, die Schnauze voll.
"Selbst wenn die jetzt Geldsorgen hatten, heißt das nicht dass die korrupt gewesen sein müssen, aber diese Kombination aus Unzufriedenheit, kein Geld, Macht ausüben wollen."
Die Akten erzählen viel aus der Vergangenheit, trotzdem wissen sie zu wenig. Aber vielleicht lebt ja noch jemand, der diejenigen kannte, die damals am Hebel saßen.
Wir fahren zu dem Altersheim, in dem die Witwe Gribi wohnen soll.
"Du hast nicht wirklich gedacht, wir finden eine 106-jährige, oder?"
Wir sind, ganz einfach, zehn Jahre zu spät. Und klammern uns auch deshalb an jeden Strohhalm; telefonieren ganze Dörfer nach dem Nachnamen Gribis ab, suchen Kinder und Enkel.
Entweder tot, nicht auffindbar oder sie wissen nichts. Die Kunstjagd geht langsam an die Substanz.
"Leute, wenn ihr kein Bock habt, dann können wir es auch lassen, aber es ist nun mal so, dass wir die Situation dokumentieren müssen."
Doch dann machen wir die Tochter von Paul Frey, Gribis Vorgesetzten am Schweizer Generalkonsulat, ausfindig. Sie lebt in Reutlingen. Gleichzeitig taucht ein Stein-Gemälde von unserem Fahndungsplakat. Es zeigt eine Frau mi einem aufgeschlagenen Buch. Das Gemälde ist kriegsbeschädigt, heißt es. Es hängt bei einem Musiker, es hängt In München. Dort, wo unsere Suche vor fünf Wochen begonnen hat.