Die kurze Geschichte von Deutsch-Ostafrika
Vor gut 120 Jahren wurden dem Deutschen Reich zwei kleine afrikanische Königreiche geschenkt: Ruanda und Urundi, das heute Burundi heißt. Es war 1884 auf der Berliner "Kongo-Konferenz", dass die europäischen Mächte mit Hilfe ungenauer Landkarten den afrikanischen Kontinent schwungvoll untereinander aufteilten.
Aufgrund ungenauer Linienführung kam das Deutsche Reich unerwartet an die beiden neuen Kolonien. Doch das Interesse der Deutschen an den Gebieten in Deutsch-Ostafrika war zunächst gering. Die beiden Königreiche waren klein, man wusste nichts über sie und man versprach sich auch keine wirtschaftliche Ausbeute. Zehn Jahre sollten vergehen, bis die ersten deutschen Forschungsreisenden ruandischen und urundischen Boden betraten.
Dass die Trommeln königliche Herrschaftssymbole waren, bemerkten die Deutschen sehr schnell. Die Organisation der Herrschaft aber durchschauten sie nicht so rasch, wie Helmut Strizek in seinem Buch "Geschenkte Kolonien" beschreibt:
"Es handelte sich um Königreiche mit sehr differenzierten Herrschaftsstrukturen. Die Könige […] herrschten nach Einschätzung der Europäer absolut; erst später bemerkte man die Begrenzungen ihrer Macht. Im Machtgefüge spielte die den Europäern allerdings lange verborgen gebliebene 'Königin-Mutter' eine große Rolle.
Herrschaftszentren waren die Königshöfe, die sich auf eine kleine Bevölkerungsgruppe stützten, die sich Tutsi nannte und über große Rinderherden verfügte. Die Mehrheit der Bevölkerung waren Ackerbauern, die sich als Hutu bezeichneten."
Die Tutsi waren die Adligen. Sie waren groß und schlank, reich und trugen stets lange Speere bei sich, die sie an Länge noch überragten. Die Hutu waren kleinwüchsiger und den Tutsi untergeben. Helmut Strizek beschreibt sehr detailliert die sozialen Strukturen der Clans. Ihre Traditionen und Lebensbedingungen ähneln sich in Ruanda und Urundi in weiten Teilen. Doch es gibt auch Unterschiede, die der Autor detailliert auffächert. Seinen Schwerpunkt aber legt er auf Ruanda, wo er selbst einige Jahre gelebt hat. Über Urundi spricht er meistens vergleichend:
"Die Zusammensetzung der Bevölkerung entsprach der Ruandas. Wie auch in Ruanda lebten die Menschen in Streusiedlungen in ihren Rugo genannten Gehöften inmitten ihrer Bananenhaine. […] Die für den Tutsi-Adel in Ruanda übliche Körperlänge von häufig über zwei Metern fand sich in Urundi seltener. 'Gemischte' Ehen zwischen Tutsi und Hutu waren nichts Ungewöhnliches."
Nachdem sie sich einen Überblick über die Bewohner "ihrer" Gebiete verschafft hatten, richteten die Deutschen nach und nach Militärposten ein. Zu gewalttätigen Übergriffen kam dabei in der Regel nicht. Sie setzten die afrikanischen Könige auch nicht ab, doch wurde ihre Funktion zunehmend repräsentativ. Das Programm der Deutschen hieß "indirekte Herrschaft": Der König blieb im Amt, regierte aber im Sinne der deutschen Kolonialherren.
Von ersten Berichten aus den neuen Kolonien angelockt, kamen nach und nach auch europäische Missionare ins Land. Das Wettrennen um den Einfluss in Ruanda und Urundi entschieden die Katholiken für sich. Die Protestanten hatten das Nachsehen. Bis heute sind in beiden Ländern 65 Prozent der Bevölkerung katholisch. Helmut Strizek zitiert den katholischen Missionar Jean-Joseph Hirth mit dem 1897 geäußerten Satz:
"Wir müssen unverzüglich Ruanda in Beschlag nehmen."
Die Kirche blieb, die Deutschen aber mussten schon 1916 wieder abziehen. An ihrer Stelle übernahmen belgische Einheiten das Regiment, die auch schon den benachbarten Kongo kontrollierten.
Helmut Strizek durchmisst in seiner Analyse das gesamte 20. Jahrhundert: Sein Schwerpunkt liegt auf der Darstellung der Zeit der deutschen Kolonialherrschaft. Der Text ist mit zahlreichen Karten, alten Fotos sowie historischen Exkursen und Zitaten angereichert. Dass die Kolonisierung Auswirkungen bis heute hat, weist er in einem abschließenden Essay nach. In ihm stellt er vor, wie zunächst die Belgier und anschließend die UNO die Kontrolle in den ehemals deutschen Kolonien übernahmen. Anfang der 60er Jahre – rund 70 Jahre nach dem Eintreffen der Deutschen werden Ruanda und Burundi schließlich unabhängige Staaten.
Doch das Schlimmste stand beiden Ländern noch bevor: die Massaker zwischen Hutus und Tutsi in den 70er und den 90er Jahren. Helmut Strizek zeigt, wie die Einführung demokratischer Wahlen in den 60er Jahren dazu führte, dass die zahlenmäßig überlegenen Hutu die Macht von den traditionell herrschenden Tutsi übernahmen. Der Konflikt eskalierte in der Folge immer wieder; Hutus töteten Tutsis und Tutsis töteten Hutus.
Helmut Strizeks Analyse kündet von außerordentlicher Fachkenntnis. Eine Schwäche seines Berichtes ist allerdings, dass weder im Text noch auf den vielen Fotos kaum jemals eine Frau auftaucht. Welchen Einfluss etwa die "Königin-Mutter" denn genau nahm oder warum neben all den Missionaren keine der katholischen Nonnen vorgestellt wird, bleibt unklar. Dies ist eine Art der Geschichtsschreibung, die mehr als überholt ist. Sieht man davon ab, ist der Band "Geschenkte Kolonien" fundiert recherchiert und angenehm lesbar. Positiv ist auch, dass Helmut Strizek eine Haltung Ruanda und Burundi gegenüber einnimmt, die man als 'kritisches Mitgefühl' bezeichnen könnte.
Helmut Strizek: Geschenkte Kolonien
Ruanda und Burundi unter deutscher Herrschaft
Christoph Links Verlag, Berlin 2006
Dass die Trommeln königliche Herrschaftssymbole waren, bemerkten die Deutschen sehr schnell. Die Organisation der Herrschaft aber durchschauten sie nicht so rasch, wie Helmut Strizek in seinem Buch "Geschenkte Kolonien" beschreibt:
"Es handelte sich um Königreiche mit sehr differenzierten Herrschaftsstrukturen. Die Könige […] herrschten nach Einschätzung der Europäer absolut; erst später bemerkte man die Begrenzungen ihrer Macht. Im Machtgefüge spielte die den Europäern allerdings lange verborgen gebliebene 'Königin-Mutter' eine große Rolle.
Herrschaftszentren waren die Königshöfe, die sich auf eine kleine Bevölkerungsgruppe stützten, die sich Tutsi nannte und über große Rinderherden verfügte. Die Mehrheit der Bevölkerung waren Ackerbauern, die sich als Hutu bezeichneten."
Die Tutsi waren die Adligen. Sie waren groß und schlank, reich und trugen stets lange Speere bei sich, die sie an Länge noch überragten. Die Hutu waren kleinwüchsiger und den Tutsi untergeben. Helmut Strizek beschreibt sehr detailliert die sozialen Strukturen der Clans. Ihre Traditionen und Lebensbedingungen ähneln sich in Ruanda und Urundi in weiten Teilen. Doch es gibt auch Unterschiede, die der Autor detailliert auffächert. Seinen Schwerpunkt aber legt er auf Ruanda, wo er selbst einige Jahre gelebt hat. Über Urundi spricht er meistens vergleichend:
"Die Zusammensetzung der Bevölkerung entsprach der Ruandas. Wie auch in Ruanda lebten die Menschen in Streusiedlungen in ihren Rugo genannten Gehöften inmitten ihrer Bananenhaine. […] Die für den Tutsi-Adel in Ruanda übliche Körperlänge von häufig über zwei Metern fand sich in Urundi seltener. 'Gemischte' Ehen zwischen Tutsi und Hutu waren nichts Ungewöhnliches."
Nachdem sie sich einen Überblick über die Bewohner "ihrer" Gebiete verschafft hatten, richteten die Deutschen nach und nach Militärposten ein. Zu gewalttätigen Übergriffen kam dabei in der Regel nicht. Sie setzten die afrikanischen Könige auch nicht ab, doch wurde ihre Funktion zunehmend repräsentativ. Das Programm der Deutschen hieß "indirekte Herrschaft": Der König blieb im Amt, regierte aber im Sinne der deutschen Kolonialherren.
Von ersten Berichten aus den neuen Kolonien angelockt, kamen nach und nach auch europäische Missionare ins Land. Das Wettrennen um den Einfluss in Ruanda und Urundi entschieden die Katholiken für sich. Die Protestanten hatten das Nachsehen. Bis heute sind in beiden Ländern 65 Prozent der Bevölkerung katholisch. Helmut Strizek zitiert den katholischen Missionar Jean-Joseph Hirth mit dem 1897 geäußerten Satz:
"Wir müssen unverzüglich Ruanda in Beschlag nehmen."
Die Kirche blieb, die Deutschen aber mussten schon 1916 wieder abziehen. An ihrer Stelle übernahmen belgische Einheiten das Regiment, die auch schon den benachbarten Kongo kontrollierten.
Helmut Strizek durchmisst in seiner Analyse das gesamte 20. Jahrhundert: Sein Schwerpunkt liegt auf der Darstellung der Zeit der deutschen Kolonialherrschaft. Der Text ist mit zahlreichen Karten, alten Fotos sowie historischen Exkursen und Zitaten angereichert. Dass die Kolonisierung Auswirkungen bis heute hat, weist er in einem abschließenden Essay nach. In ihm stellt er vor, wie zunächst die Belgier und anschließend die UNO die Kontrolle in den ehemals deutschen Kolonien übernahmen. Anfang der 60er Jahre – rund 70 Jahre nach dem Eintreffen der Deutschen werden Ruanda und Burundi schließlich unabhängige Staaten.
Doch das Schlimmste stand beiden Ländern noch bevor: die Massaker zwischen Hutus und Tutsi in den 70er und den 90er Jahren. Helmut Strizek zeigt, wie die Einführung demokratischer Wahlen in den 60er Jahren dazu führte, dass die zahlenmäßig überlegenen Hutu die Macht von den traditionell herrschenden Tutsi übernahmen. Der Konflikt eskalierte in der Folge immer wieder; Hutus töteten Tutsis und Tutsis töteten Hutus.
Helmut Strizeks Analyse kündet von außerordentlicher Fachkenntnis. Eine Schwäche seines Berichtes ist allerdings, dass weder im Text noch auf den vielen Fotos kaum jemals eine Frau auftaucht. Welchen Einfluss etwa die "Königin-Mutter" denn genau nahm oder warum neben all den Missionaren keine der katholischen Nonnen vorgestellt wird, bleibt unklar. Dies ist eine Art der Geschichtsschreibung, die mehr als überholt ist. Sieht man davon ab, ist der Band "Geschenkte Kolonien" fundiert recherchiert und angenehm lesbar. Positiv ist auch, dass Helmut Strizek eine Haltung Ruanda und Burundi gegenüber einnimmt, die man als 'kritisches Mitgefühl' bezeichnen könnte.
Helmut Strizek: Geschenkte Kolonien
Ruanda und Burundi unter deutscher Herrschaft
Christoph Links Verlag, Berlin 2006