Die Lage der Weltreligionen

In dem Band "Forum für Verantwortung: Säkularisierung und Weltreligionen" von Hans Joas und Klaus Wiegandt werden die großen Religionen Christentum, Judentum, Islam, Hinduismus, Buddhismus und Konfuzianismus vorgestellt und in aktuelle kulturelle wie politische Kontexte eingebettet. Dabei spielt das Verhältnis der einzelnen Religionen zu den Wahrheitsansprüchen der Wissenschaft eine besondere Rolle.
Die gemeinnützige Wissenschaftsstiftung "Forum für Verantwortung" hat in den letzten Jahren ebenso voluminöse wie wissenschaftlich gewichtige Sammelbände zu den von ihr veranstalteten Tagungen vorgelegt: "Mensch und Kosmos", "Die kulturellen Werte Europas" oder "Die Zukunft der Erde" heißen diese Bände mit Aufsätzen der renommiertesten Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen ihrer jeweiligen Fächer.

Man könnte das Ansinnen der Stiftung so beschreiben: Themen, die in der Öffentlichkeit (in den Feuilletons) breit diskutiert werden, sollen einer ruhigeren, tieferen Erörterung durch Spezialisten und Universalgelehrte unterzogen werden. Das Thema der Verantwortungskonferenz war im Jahr 2006 "Säkularisierung und Weltreligionen" – es geht um das, was in den Gazetten die "Wiederkehr der Religion" genannt wird. Denn oft wird unter Säkularisierung schlicht das Schwinden der Religiosität verstanden, dem dann die "Wiederkehr der Religion" gegenüber gesetzt wird. Das das differenzierter gesehen werden muss, zeigt dieser ausgesprochen lesenswerte Sammelband.

Die so genannte Säkularisierungsthese besagt, dass im Zuge der Modernisierung der Lebensverhältnisse der Einfluss der Religionen zurückgehe und überhaupt deren Strukturen sich allmählich auflösten. Der New Yorker Soziologe José Casanova zeigt anschaulich, dass diese These nicht einmal für das gegenwärtige Europa zutrifft. Allenfalls für die neuen Bundesländer und die Tschechische Republik lässt sich eine nennenswerte Desakralisierung im Zuge der Atheistischen Politik der kommunistischen Machthaber diagnostizieren. Aber mit Irland und Polen sind zwei Staaten EU-Mitglieder, die nahezu geschlossen in der katholischen Tradition stehen.

Der Sammelband stellt zunächst die "Lage der Weltreligionen" dar, allerdings stehen die beiden Aufsätze von Karl Kardinal Lehmann für den Katholizismus sowie des Münchner Theologen Friedrich Wilhelm Graf für den Protestantismus nur indirekt im Horizont der Säkularisierungsfrage – sie sind eher affirmative Darstellungen des Status Quo beziehungsweise höherer Wunschformen ihrer jeweiligen Kirchen.

Der schnörkellos-nüchterne Aufsatz des Heidelberger Rechtsphilosophen Winfried Brugger bringt die systematische Frage der Säkularisierung auf den Punkt: Wie ist das Verhältnis von Staat und Kirche zu denken. Er kommt auf sechs mögliche Verhältnisse, vom Kirchenstaat bis zur radikalen Trennung z.B. in Frankreich und in den USA. Sein Ansatz macht deutlich, dass nicht etwa Aufklärung auf eine Beseitigung des Religiösen zielen muß, sondern auf eine Neutralität des Staates, die die friedliche Ausübung und das Zusammenleben der Religionen erst ermöglicht.

Es gibt jedoch auch Religionen, die so gut wie ganz darauf verzichten, eine politische Funktion anzustreben wie der Buddhismus, oder solche, die nicht auf ein metaphysisches System zielen, sondern eine praktische Ethik vorstellen wie der Konfuzianismus. Der Heidelberger Sinologe Rudolf G. Wagner zeigt in sprachlich herausragender Weise die in der Geschichte kaum vorhandenen politischen Aspekte des Buddhismus auf, sowie die staatstragenden Funktionen der konfuzianischen Tradition, die momentan in China wiederbelebt wird.

Max Weber sprach von der "Entzauberung der Welt" als Kollateralschaden der Säkularisierung in Europa. Der Konstanzer Wissenschaftsgeschichtler Ernst Peter Fischer untersucht die Dialektik von naturwissenschaftlicher Ernüchterung und den "Rückschlag" in Kreationismus.

Global gesehen handelt es sich bei der Säkularisierung sowie ihrer Gegenkraft, der "Wiederkehr der Religion", so zeigt dieser Band überzeugend, um ein weitgehend europäisches Phänomen - nicht einmal die USA kann man sinnvoll einbeziehen, weil die Neutralität des Staates dort eben nicht zu einer Säkularisierung der Bürger führte. Zum Thema Europa und Säkularisierung ist also noch lange nicht das letzte Wort gesprochen worden.

Aber die Theorie vom Staat, der in Religionsdingen neutral ist und als aufklärerische "Pflanzschule" der Religionen fungiert, also die Bedingungen einer friedlichen Koexistenz verschiedener Religionen sichert, wurde nirgends so dicht diskutiert wie in der europäischen Tradition. Eine Ironie der Geschichte ist, dass die Lessingssche Utopie der drei gleichberechtigten abrahamitischen Religionen global gesehen gescheitert ist: Die meisten Konflikte produzieren die Monotheismen.

In dieser Hinsicht hätte man sich neben des allzu frommen Artikeln des Kardinals und des Theologieprofessors Graf doch noch etwas zum systematischen Konfliktpotenzial des Monotheismus gewünscht, etwa aus der Feder des oft diskutierten Ägyptologen Jan Assmann. Aber alles in allem wird niemand, der sich ernsthaft mit der Säkularisationsproblematik auseinandersetzen will, an diesem informativen und gut lesbaren Band vorbeikommen.

Rezensiert von Marius Meller

Hans Joas und Klaus Wiegandt:
Forum für Verantwortung: Säkularisierung und Weltreligionen,

S. Fischer Verlag 2007, 512 Seiten, 13,95 Euro.