Brandenburg will raschen Ausstieg verhindern
Der Ruf nach einem Kohleausstieg in der Region Lausitz ist groß - die Landesregierung aber hält auffällig hartnäckig an der Braunkohle fest. Doch mithilfe von Bundeseinrichtungen und Forschungsstätten soll der Strukturwandel nun vollzogen werden.
Da fuhr er hin, der letzte Kohlezug aus dem ausgekohlten Tagebau Cottbus Nord. Das war im Dezember 2015. Nun sind nur noch vier Gruben aktiv in der Brandenburger Lausitz, von einst 17. Die meisten wurden gleich nach der Wende geschlossen. Am letzten Rest der Industrie hängen immer noch 8.000 direkte Arbeitsplätze und noch viel mehr in der Zulieferindustrie. Und nun tagt seit ein paar Wochen die Kohlekommission, die für die Bundesregierung den Ausstieg vorbereiten und am besten bis Ende des Jahres Ergebnisse liefern soll.
Andere Baustellen werden dem Ausstieg vorgezogen
Mitten in die angespannte Situation platze dann auch noch der Rücktritt des für die Braunkohleindustrie zuständigen Brandenburger Wirtschafts- und Energieministers: Vergangene Woche, am 21. August, kündigte Albrecht Gerber, SPD Urgestein, aus privaten Gründen seinen Rückzug an. Ein Nachfolger ist noch nicht benannt, doch eines ist klar: Ein Kohlekritiker wird es nicht sein. SPD-Ministerpräsident Dietmar Woidke: "Zur Wirtschaft in Brandenburg gehört natürlich auch die Kohle- und Energieregion mit zigtausenden Arbeitsplätzen und natürlich braucht man auch dafür ein entsprechendes Handwerkszeug und ein entsprechendes Herangehen."
Wie dieses Herangehen aus Sicht der Landesregierung aussehen soll, macht der scheidende Wirtschaftsminister noch einmal klar: Der Umstieg auf erneuerbare Energien muss wirtschaftlich und technisch machbar sein, sagt Gerber. "Da haben wir noch große Baustellen vor uns, den Netzausbau zum Beispiel. Wir legen großen Wert darauf, dass zunächst Perspektiven für die Region entwickelt werden und dann ein Ausstiegspfad diskutiert wird. Da sind wir sehr intensiv dabei uns in der Kommission zu verhalten und auch entsprechende Zuarbeiten, die die Kommission ja von allen betroffenen Ländern erbittet, auch zu leisten."
Das ist hübsch gesagt, haben doch die Grünen und Umweltverbände jüngst wutschnaubend auf einen Brief des Brandenburger Wirtschaftsministers reagiert, den dieser an die Kohlekommission geschrieben hat. Gerber wandte sich auch darin gegen einen "vorzeitigen Ausstieg" aus der Kohleverstromung. Immer wieder und immer noch die alte Leier, stöhnen die oppositionellen Grünen.
"Ein quasi-erotisches Verhältnis zur Braunkohle"
Schon seit Jahren kritisiert der Fraktionsvorsitzende Axel Vogel, dass die SPD im Sinne der Kraftwerksbetreiber um eine möglichst lange Laufzeit ringe, statt den Ausstieg zu gestalten. "Seitdem ich die SPD hier kenne, kämpft sie an allen Fronten dafür, dass die Braunkohle aus ihrer Sicht nicht benachteiligt wird, dass die Braunkohle beim Emissionshandel Vorzüge genießen sollte. Sie hat sich bei Verschärfungen im Emissionshandel quergelegt. Sie hat sich bei der Klimaabgabe quergelegt. Das Problem der Landesregierung ist ja, dass sie ein quasi-erotisches Verhältnis zur Braunkohle hat und versucht, sie auf jeden Fall am Leben zu erhalten. Das Problem dabei ist, dass ihr die Zeit davonläuft, also Gorbatschows Spruch: 'Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben', das gilt für die Braunkohle auch."
Noch kriechen die gigantischen Förderbrücken durch die Lausitzer Tagebaue, noch rumpeln die Kohlemühlen in Deutschlands größtem Kraftwerk Jänschwalde. Doch zwei seiner sechs Blöcke werden demnächst vom Netz genommen, um die CO2-Emissionen zu senken: Eine Stilllegung auf Raten, der Ausstieg rückt immer näher. Selbst der Betreiber, die LEAG, hat schon reagiert, verzichtet auf Tagebauerweiterungen, lässt 400 Millionen Tonnen Kohle in der Erde.
Stimmungswechsel in der Region
Die Menschen in der Region seien geistig schon mindestens einen Schritt weiter als die SPD in Potsdam, meint René Schuster von der Umweltgruppe Cottbus. Die Suche nach Alternativen zur Braunkohle habe in der Lausitz endlich begonnen. "Was die SPD sagt, ist dafür nicht das Entscheidende, das ist die Stimmung in der Region: Dass jetzt auch Herrn Gerber keiner mehr glaubt, dass man den Braunkohleausstieg auf ewig abwenden kann. In der Region gibt es ganz klar einen Stimmungswechsel. Ob die Leute das nun gut finden oder nicht sei dahingestellt, aber man stellt sich jetzt auf einen Ausstieg aus der Braunkohle ein", so Schuster.
Mittlerweile hat die Landesregierung immerhin einen Lausitz-Beauftragten in der Staatskanzlei installiert. Lange hatte sie die Suche nach Ideen und Strategien für die Zukunft delegiert: An die "Innovationsregion Lausitz GmbH". Die hat die Technische Universität Cottbus-Senftenberg gemeinsam mit der regionalen Wirtschaft vor zwei Jahren gegründet. Geschäftsführer ist Hans Rüdiger Lange. Er fordert mehrere Milliarden Euro vom Bund für den anstehenden Strukturwandel: "Wenn man interventionistisch diese Klimapolitik umsetzt, und in einer Geschwindigkeit, die schneller ist, als Atomausstieg und als Wende, dann hat man besondere Verantwortung dafür, das so zu machen, dass es wirtschaftsverträglich und sozialverträglich ist und man nicht verbrannte Erde hinterlässt."
Innovative Lösungen für die Strukturentwicklung
Viel Geld, Innovation und Forschung: Damit könnte die ansonsten strukturschwache Lausitz Energieregion bleiben, Vorreiter für die Erneuerbaren, für Speichertechnologie. So hoffen viele in der Region. Ministerpräsident Woidke geht das Thema Strukturwandel nun offensiver an, will Bundeseinrichtungen, Forschungsstätten und Unternehmen ansiedeln. Für die kommende Woche lädt er zu einer Pressefahrt in die Lausitz. Doch nicht neue Startups oder ein Forschungslabor sind das Ziel, sondern die Bergbausanierung als Beispiel für innovative Lösungen für die Strukturentwicklung. Am Ufer von gefluteten einstigen Tagebauen soll auch die Bedeutung des Tourismus erläutert werden. Doch dass der Tausende Industriearbeitsplätze nicht ersetzen kann, ist klar.