Die Leiden des jungen Bernhard
Thomas Bernhard wurde durch viele Werke und Skandale zum bedeutendsten österreichischen Schriftsteller nach 1945. Seine fünf autobiografischen Romane über Kindheit und Jugend sind nun als Hörbuch auf 15 CDs erschienen - gelesen von fünf Schauspielern.
Den Vater hat er nicht gekannt, sein Großvater war ein ewig erfolgloser Schriftsteller, die Mutter schob ihn nach Thüringen ins nationalsozialistische Erziehungsheim ab, wo er als Bettnässer bloßgestellt wurde. Er brach die Schule ab, wollte erst Kaufmann, dann Sänger werden – und verbrachte stattdessen Jahre seiner Jugend todkrank in Sanatorien. Die Rede ist von Thomas Bernhard, der durch viele Werke und Skandale zum bedeutendsten österreichischen Schriftsteller nach 1945 wurde. Jetzt gibt es seine fünf autobiografischen Romane über Kindheit und Jugend als Hörbuch im Audio Verlag – auf 15 CDs gelesen von Ulrich Matthes, Peter Simonischek, Wolfram Berger, Burghard Klaußner und Gert Voss.
Ulrich Matthes:
"Meine Heimatstadt ist in Wirklichkeit eine Todeskrankheit, in welche ihre Bewohner hineingeboren und hineingezogen werden, und gehen sie nicht in dem entscheidenden Zeitpunkt weg, machen sie direkt oder indirekt früher oder später unter allen diesen entsetzlichen Umständen entweder urplötzlich Selbstmord oder gehen direkt oder indirekt langsam und elendig auf diesem im Grunde durch und durch menschenfeindlichen architektonisch-erzbischöflich-stumpfsinnig-nationalsozialistisch-katholischen Todesboden zugrunde."
Dieser Ton, diese Suada, diese Kunst der Beschimpfung ist unverkennbar: Thomas Bernhard, der hier mit seiner Heimatstadt Salzburg hart ins Gericht geht. "Die Ursache", der erste Band seiner Autobiografie, wird von Ulrich Matthes mit analytischer Präzision und subtilem Rhythmusgefühl für den komplex geschichteten Satzbau gelesen. Bernhard verbrachte die letzten Jahre des Zweiten Weltkriegs in einem Salzburger Internat, gepeinigt von katholischen und nationalsozialistischen Erziehern. Geigespielend in der Schuhkammer, frönte er dem Selbstmordgedanken, während die Stadt von Bombenangriffen zertrümmert wurde.
Kein Zweifel, die Leiden des jungen Bernhard waren außerordentlich. Traumatisch ergiebiger kann eine Kindheit nicht sein, beginnend mit der – 1931 noch als "Schande" empfundenen – unehelichen Geburt und dem verschwundenen Vater. Der spätere Österreichhasser Bernhard beschreibt sich im Übrigen nicht als Alpenmensch, im Gegenteil, er sei "im Grunde" ein Meermensch, denn er habe sein erstes Lebensjahr auf See verbracht. Um den Skandal zu vermeiden, hatte ihn die Mutter in Holland zur Welt gebracht und den Säugling dann, weil sie arbeiten musste, in Pflege gegeben:
Gert Voss:
"Die Lösung war ein im Hafen von Rotterdam liegender Fischkutter, auf welchem die Frau des Fischers Pflegekinder in Hängematten unter Deck hatte, sieben bis acht Neugeborene hingen an der Holzdecke des Fischkutters und wurden jeweils nach Wunsch der ein- oder zweimal wöchentlich erscheinenden Mutter von der Decke heruntergeholt und gezeigt. Ich hätte jedesmal jämmerlich geschrien und mein Gesicht sei, solange ich auf dem Fischkutter gewesen sei, von Furunkeln verunstaltet gewesen…"
Kulinarischer kann nicht von den Schrecken einer Kindheit erzählt werden, als es der Burgschauspieler Gert Voss hier tut. In seinem Ton scheint das Schlimmste bereits bewältigt – und kafkaeske Szenen wie diese werden zum Hörgenuss. Wolfram Berger dagegen verleiht dem jugendlichen Thomas Bernhard, der im Band "Der Atem" ins Sterbezimmer eines Krankenhauses abgeschoben wird, einen scharfen, zynischen Ton – da tritt jemand an, dem mancher Traum bereits zerplatzt ist und der nun entschlossen ist, seine Existenz gegen alle Zumutungen zu verteidigen. Und der zugleich die urbane Todesverdrängung nicht mitmacht:
"Der Städter ist im Abschieben seiner zum Tode verurteilten Alten und Kranken der Brutalere. Er lässt sich ganz einfach nicht mehr blicken. Nun ist er, so sein Gedanke, den, der ihm so lange Zeit, so viele Monate oder so viele Jahre lästig gewesen ist, los; der, welcher ihm durch die Einlieferung ins Krankenhaus abgenommen worden ist, soll jetzt allein sein letztes, gleich wie fürchterliches Wegstück in den Tod gehen."
Die autobiografischen Romane gehören zum Besten, was Thomas Bernhard geschrieben hat. Seine monomanische Reflexionsprosa hat in diesen Büchern ein solides Erfahrungsfundament: Erziehungsheime, die Leiden eines Gymnasiasten, der sich eines Tages entschließt, die Schule abzubrechen und eine Lehre als Lebensmittelhändler im verrufensten Viertel von Salzburg zu machen; der Traum von einer Karriere als Sänger, durch den die Krankheit einen Strich macht. Weil jeder der fünf Bände einem anderen Vorleser anvertraut wurde, wird jedesmal eine etwas andere Frequenz der Bernhardschen Sprachmusik hörbar – ein polyphones Verfahren, das sich hervorragend bewährt.
Bei Bernhard steckt in der Tragödie immer auch die groteske Komödie. In "Die Kälte", gelesen von Burghard Klaußner, wird der Kranken- und Todesbetrieb der Lungenheilstätte Grafenhof beschrieben. Der Tod des geliebten Großvaters, der als lebenslang erfolgloser, aber umso verbissener um sein Werk ringender Schriftsteller später zum Archetyp all der elitär-verschrobenen Bernhardschen Geistesmenschen werden sollte, hat den Achtzehnjährigen schwer getroffen; kurz darauf verliert er auch die Mutter. Er liest von ihrem Tod in der Zeitung:
Burghard Klaußner:
"Da entdeckte ich eines Tages unter der Rubrik Todesfälle der Zeitung die Notiz: Herta Pavian, 46 Jahre. Das war meine Mutter. Sie hieß Herta Fabjan, es bestand kein Zweifel, das Pavian beruhte auf einem Hörfehler der Zeitung, die sich tagtäglich für eine versteckte, aber gierig gelesene Rubrik die Toten des Tages durchgeben ließ. (…) Herta Pavian, 46 Jahre, sagte ich immer wieder vor mich hin, Herta Pavian, 46 Jahre!"
Bernhard stilisiert seine jungen Jahre zur Märtyrerbiografie. Die Rhetorik des Todes wechselt mit heldischen Überlebensentschlüssen. Zur Steigerung der existenziellen Melodramatik ist dem Übertreibungskünstler jedes Mittel recht – und gerade wegen ihrer Theatralität sind seine Prosa-Monologe große Vorlagen fürs Hörbuch.
Schreibend hat sich Bernhard sich mit bewundernswerter Energie aus seiner vielfach beschädigten Existenz herausgearbeitet. Diese Autobiografie ist nicht nur der Schlüssel zum Werk eines der bedeutendsten deutschsprachigen Autoren des 20. Jahrhunderts – es ist auch ein wirkliches literarisch-therapeutisches Lebensbuch, das Leidenden mit seiner Ethik des Durchhaltens Mut einflößen kann.
Besprochen von Wolfgang Schneider
Thomas Bernhard: Autobiografische Schriften. Gelesen von Ulrich Matthes, Peter Simonischek, Wolfram Berger, Burghard Klaußner und Gert Voss
Audio Verlag, Berlin 2010,
15 CDs, 1122 Minuten, 70 Euro
Ulrich Matthes:
"Meine Heimatstadt ist in Wirklichkeit eine Todeskrankheit, in welche ihre Bewohner hineingeboren und hineingezogen werden, und gehen sie nicht in dem entscheidenden Zeitpunkt weg, machen sie direkt oder indirekt früher oder später unter allen diesen entsetzlichen Umständen entweder urplötzlich Selbstmord oder gehen direkt oder indirekt langsam und elendig auf diesem im Grunde durch und durch menschenfeindlichen architektonisch-erzbischöflich-stumpfsinnig-nationalsozialistisch-katholischen Todesboden zugrunde."
Dieser Ton, diese Suada, diese Kunst der Beschimpfung ist unverkennbar: Thomas Bernhard, der hier mit seiner Heimatstadt Salzburg hart ins Gericht geht. "Die Ursache", der erste Band seiner Autobiografie, wird von Ulrich Matthes mit analytischer Präzision und subtilem Rhythmusgefühl für den komplex geschichteten Satzbau gelesen. Bernhard verbrachte die letzten Jahre des Zweiten Weltkriegs in einem Salzburger Internat, gepeinigt von katholischen und nationalsozialistischen Erziehern. Geigespielend in der Schuhkammer, frönte er dem Selbstmordgedanken, während die Stadt von Bombenangriffen zertrümmert wurde.
Kein Zweifel, die Leiden des jungen Bernhard waren außerordentlich. Traumatisch ergiebiger kann eine Kindheit nicht sein, beginnend mit der – 1931 noch als "Schande" empfundenen – unehelichen Geburt und dem verschwundenen Vater. Der spätere Österreichhasser Bernhard beschreibt sich im Übrigen nicht als Alpenmensch, im Gegenteil, er sei "im Grunde" ein Meermensch, denn er habe sein erstes Lebensjahr auf See verbracht. Um den Skandal zu vermeiden, hatte ihn die Mutter in Holland zur Welt gebracht und den Säugling dann, weil sie arbeiten musste, in Pflege gegeben:
Gert Voss:
"Die Lösung war ein im Hafen von Rotterdam liegender Fischkutter, auf welchem die Frau des Fischers Pflegekinder in Hängematten unter Deck hatte, sieben bis acht Neugeborene hingen an der Holzdecke des Fischkutters und wurden jeweils nach Wunsch der ein- oder zweimal wöchentlich erscheinenden Mutter von der Decke heruntergeholt und gezeigt. Ich hätte jedesmal jämmerlich geschrien und mein Gesicht sei, solange ich auf dem Fischkutter gewesen sei, von Furunkeln verunstaltet gewesen…"
Kulinarischer kann nicht von den Schrecken einer Kindheit erzählt werden, als es der Burgschauspieler Gert Voss hier tut. In seinem Ton scheint das Schlimmste bereits bewältigt – und kafkaeske Szenen wie diese werden zum Hörgenuss. Wolfram Berger dagegen verleiht dem jugendlichen Thomas Bernhard, der im Band "Der Atem" ins Sterbezimmer eines Krankenhauses abgeschoben wird, einen scharfen, zynischen Ton – da tritt jemand an, dem mancher Traum bereits zerplatzt ist und der nun entschlossen ist, seine Existenz gegen alle Zumutungen zu verteidigen. Und der zugleich die urbane Todesverdrängung nicht mitmacht:
"Der Städter ist im Abschieben seiner zum Tode verurteilten Alten und Kranken der Brutalere. Er lässt sich ganz einfach nicht mehr blicken. Nun ist er, so sein Gedanke, den, der ihm so lange Zeit, so viele Monate oder so viele Jahre lästig gewesen ist, los; der, welcher ihm durch die Einlieferung ins Krankenhaus abgenommen worden ist, soll jetzt allein sein letztes, gleich wie fürchterliches Wegstück in den Tod gehen."
Die autobiografischen Romane gehören zum Besten, was Thomas Bernhard geschrieben hat. Seine monomanische Reflexionsprosa hat in diesen Büchern ein solides Erfahrungsfundament: Erziehungsheime, die Leiden eines Gymnasiasten, der sich eines Tages entschließt, die Schule abzubrechen und eine Lehre als Lebensmittelhändler im verrufensten Viertel von Salzburg zu machen; der Traum von einer Karriere als Sänger, durch den die Krankheit einen Strich macht. Weil jeder der fünf Bände einem anderen Vorleser anvertraut wurde, wird jedesmal eine etwas andere Frequenz der Bernhardschen Sprachmusik hörbar – ein polyphones Verfahren, das sich hervorragend bewährt.
Bei Bernhard steckt in der Tragödie immer auch die groteske Komödie. In "Die Kälte", gelesen von Burghard Klaußner, wird der Kranken- und Todesbetrieb der Lungenheilstätte Grafenhof beschrieben. Der Tod des geliebten Großvaters, der als lebenslang erfolgloser, aber umso verbissener um sein Werk ringender Schriftsteller später zum Archetyp all der elitär-verschrobenen Bernhardschen Geistesmenschen werden sollte, hat den Achtzehnjährigen schwer getroffen; kurz darauf verliert er auch die Mutter. Er liest von ihrem Tod in der Zeitung:
Burghard Klaußner:
"Da entdeckte ich eines Tages unter der Rubrik Todesfälle der Zeitung die Notiz: Herta Pavian, 46 Jahre. Das war meine Mutter. Sie hieß Herta Fabjan, es bestand kein Zweifel, das Pavian beruhte auf einem Hörfehler der Zeitung, die sich tagtäglich für eine versteckte, aber gierig gelesene Rubrik die Toten des Tages durchgeben ließ. (…) Herta Pavian, 46 Jahre, sagte ich immer wieder vor mich hin, Herta Pavian, 46 Jahre!"
Bernhard stilisiert seine jungen Jahre zur Märtyrerbiografie. Die Rhetorik des Todes wechselt mit heldischen Überlebensentschlüssen. Zur Steigerung der existenziellen Melodramatik ist dem Übertreibungskünstler jedes Mittel recht – und gerade wegen ihrer Theatralität sind seine Prosa-Monologe große Vorlagen fürs Hörbuch.
Schreibend hat sich Bernhard sich mit bewundernswerter Energie aus seiner vielfach beschädigten Existenz herausgearbeitet. Diese Autobiografie ist nicht nur der Schlüssel zum Werk eines der bedeutendsten deutschsprachigen Autoren des 20. Jahrhunderts – es ist auch ein wirkliches literarisch-therapeutisches Lebensbuch, das Leidenden mit seiner Ethik des Durchhaltens Mut einflößen kann.
Besprochen von Wolfgang Schneider
Thomas Bernhard: Autobiografische Schriften. Gelesen von Ulrich Matthes, Peter Simonischek, Wolfram Berger, Burghard Klaußner und Gert Voss
Audio Verlag, Berlin 2010,
15 CDs, 1122 Minuten, 70 Euro