"Die letzten Tage der Menschheit" von Karl Kraus
Berliner Fassung in der Regie von Paulus Manker
Premiere am 20. August in der Belgienhalle, Berlin
Eine charmante Einladung zum Weltuntergang
17:16 Minuten
Paulus Manker bringt seine siebeneinhalbstündige Version von Karl Kraus' Stück "Die letzten Tage der Menschheit" nach Berlin. Er verspricht eine begehbare Inszenierung, die alle Sinne anspricht.
Paulus Manker ist ein österreichisches Enfant terrible – Gesellschaftskritiker, Schauspieler, Filmemacher, Theaterregisseur. Er hat mit Peter Zadek gearbeitet und mit Christoph Schlingensief, sich mit der FPÖ angelegt und mit "Alma - A Show Biz ans Ende" einen Theater-Hit geschaffen, der rund um die Welt aufgeführt wurde.
2018 widmete er sich dann in Wien einem neuen Großprojekt: "Die letzten Tage der Menschheit", jene unspielbare Materialsammlung, in der Karl Kraus mit satirischer Gnadenlosigkeit hinter die Kulissen des Ersten Weltkriegs blickt.
Jetzt bringt Manker das Stück auch nach Berlin und hat die Inszenierung noch einmal erheblich erweitert: In über sieben Stunden Spielzeit inszeniert er es als aufwendiges Simultandrama.
Das Publikum wandert durch die Inszenierung
Das Stück habe ihn schon lange beschäftigt, sagt er im Gespräch. Bereits 1980 hat er als Schauspieler in einer Inszenierung bei den Wiener Festwochen mitgewirkt.
Für ihn als junger Mann war das damals "sehr aufregend. Das ist ja ein monströses und sehr langes Stück. Die Aufführung damals fand an zwei Abenden statt, insgesamt sieben Stunden – aber noch nicht simultan. Das machen wir hier in Berlin mit dem Stück zum ersten Mal."
Die zahllosen Szenen und Figuren laden hier also dazu ein, auf eigene Faust erkundet zu werden. "Der Zuschauer durchwandert das Stück, er sitzt nicht starr und steif da und schaut auf eine Bühne, wo ihm das dann dargeboten wird – ein bisschen wie in der Schule, wo vorne der Lehrer steht und die Kinder müssen still sitzen und sich das anhören. Sondern der Zuschauer gestaltet den Abend mit. Er entscheidet, wem er folgt, welche Szene er sich anschaut, welcher Figur er nachgeht."
Wie Großmutter unter der Achsel riecht
Die Inszenierung soll dabei alle Sinne ansprechen: Möbel dürfen benutzt, in Büchern geblättert werden. Verpflegung und ein vollständiges Menü sind inklusive. Und auch der Geruchssinn wird in einzelnen Zimmern, etwa im Bad oder Lazarett, sehr bewusst angesprochen:
"In der Küche riecht es nach Speck, nach Eiern. Da ist ein Herd drin, der geheizt werden kann", erklärt Paulus Manker. "Da wird wirklich Essen zubereitet und an das Publikum ausgegeben, es riecht wie in einer alten Küche."
Und er fügt hinzu: "Wenn Sie das in der Jugend erlebt haben, werden sie das ein ganzes Leben nicht vergessen. Das ist wie Großmutter unter der Achsel gerochen hat – das prägt sich einem ein."
Ein Stück von erschreckender Aktualität
Der Text ist dabei nicht nur Blick in die ferne Vergangenheit, sondern scheint gut in eine Zeit zu passen, in der große Katastrophen, aber auch neuer Nationalismus an der Tagesordnung sind.
"Es ist leider erschreckend aktuell, ohne dass man groß viel aktualisieren muss", sagt Paulus Manker dazu. "Es ist ja so, dass Karl Kraus die Schuldigen des Ersten Weltkriegs nicht an der Front oder beim Militär auszunehmen vermag, sondern er hielt die Zivilisten für die wahren Verbrecher. Es sind die Profiteure – die geistigen und finanziellen, die gesellschaftlichen Profiteure. Und der Hauptfeind waren für Karl Kraus die Journalisten."
Den heute so gebräuchlichen Ausdruck "Fake News" hätte man auch damals schon gut anwenden können, verdeutlicht der Regisseur:
"Es war der erste große Krieg, in dem Presse- und Öffentlichkeitsarbeit eine große Rolle gespielt haben und wie man das darstellt: wie heldenhaft, wie erfolgreich. Obwohl die Feinde schon auf dem Vormarsch Richtung Grenze waren, wurde immer noch gejubelt und gelogen."
Nickerchen sind gestattet
Für die Berliner Neufassung hat Paulus Manker das Spielmaterial zwar noch mal erheblich aufgestockt. Doch knapp die Hälfte des Textes bleiben unaufgeführt.
"Das Stück ist nicht zur Gänze ausgeschöpft. Natürlich – in mir keimt schon der Ehrgeiz, erstmals dieses Stück komplett aufzuführen. Da müsste man aber ein ganzes Wochenende damit verbringen."
Und das brächte einige Herausforderungen mit sich:
"Man müsste den Leuten nicht nur die Gelegenheit zum Essen und Trinken geben, sondern zum Ruhen und Schlafen. Wir haben jetzt schon ein großes Lazarett mit Betten und Krankenschwestern, die sich um einen kümmern. Ich habe auch in dieser Produktion schon Leute gesehen, die dann gegen halb zwei ein Nickerchen gemacht haben. Das macht gar nichts."
"Stell Dir vor, es ist Krieg... und du gehst hin"
Was hier stattfindet, ist also vollkommene Immersion – jedoch kritisch, ohne Verherrlichung, eine charmante, aber auch abgründige Einladung zum Weltuntergang.
Oder wie Paulus Manker sagt: "Wir haben den Slogan für diese Aufführung geprägt: Stell dir vor, es ist Krieg … und du gehst hin."
(amu)