"Die letzten Touristen reisen ab"
Die Krise in Ägypten führt zu massiven Einbußen in der Tourismusbranche. Reiseziele wie Luxor litten schon seit mehr als einem Jahr unter dem fast völligen Ausfall der Urlauber, sagt Rainer Herret von der Deutsch-Arabischen Industrie- und Handelskammer (AHK) in Kairo. Mit einer Erholung der Branche sei frühstens 2014 zu rechnen.
André Hatting: Firmen schließen, Touristen bleiben aus, Börsenkurse stürzen ab – Ägypten bezahlt für seine Variante des Arabischen Frühlings einen hohen Preis. Das Land liegt wirtschaftlich am Boden, und den harten Kurs der Übergangsregierung gegen die Muslimbrüder finden ausländische Investoren auch nicht gerade vertrauenserweckend. Rainer Herret ist Geschäftsführer der Deutsch-Arabischen Industrie- und Handelskammer und jetzt am Telefon. Guten Morgen nach Kairo!
Rainer Herret: Ja, guten Morgen nach Berlin!
Hatting: Zuletzt war zu lesen, dass immer mehr Firmen ihre Produktion einstellen, GM zum Beispiel oder der Haushaltsgerätehersteller Electrolux. Wie verhalten sich eigentlich deutsche Unternehmen in Ägypten?
Herret: Ja, die Einstellung der Produktion, das war eine direkte Antwort darauf, dass durch diese Protestcamps eigentlich die Durchfahrt durch den Großraum Kairo behindert war, dass also die Unternehmen Schwierigkeiten hatten, ihre Mitarbeiter überhaupt zu den Arbeitsplätzen kommen zu lassen. Zusätzlich durch die Ausgangssperre, die jetzt am Abend ist, kommt als weiteres logistisches Problem dazu, dass sie die Leute nicht nur wieder nach Hause bringen müssen, die müssen denen auch Gelegenheit geben, einzukaufen und die Familien zu versorgen. Deswegen hatte man die Produktion in der vergangenen Woche an zwei Tagen ruhen lassen und arbeitet jetzt mit eingeschränkten Öffnungszeiten. So langsam kommt man jetzt wieder zur Normalität zurück.
Hatting: Würden Sie die Produktionsbedingungen jetzt, unter der Übergangsregierung als besser oder als schlechter bezeichnen, verglichen mit der Zeit unter Mursi?
Herret: Wir haben sicherlich schlechtere Produktionsbedingungen. Wir haben ein politisches Umfeld, was insoweit nicht belastbar ist, als man nicht weiß, in welche Richtung künftig Wirtschaftspolitik hier betrieben wird. Wir haben unter der Arbeitnehmerschaft in Ägypten generell große Enttäuschung, zehn Prozent Inflation, das frisst die Löhne auf, sehr große Enttäuschung unter weiten Teilen der Bevölkerung, die ja seit 2011 im Prinzip hofft, eine Verbesserung zu erleben, und das alles drückt natürlich auf die Arbeitsbedingungen.
Hatting: Müssen deutsche Unternehmen auch viele Ägypter entlassen?
Herret: Das tun sie nicht. Der Hintergrund davon ist, dass der ägyptische Arbeitsmarkt im Wesentlichen nur halbqualifizierte oder unqualifizierte Arbeitskräfte zur Verfügung stellt. Deswegen haben die Investoren in vielen Jahren ihre Mitarbeiter nachqualifiziert, herangeführt. Das möchte man jetzt natürlich nicht aufgeben, indem man die Leute einfach freistellt, und dann müsste man in einigen Monaten wieder neu anfangen, die Leute auszubilden. Und deswegen setzen unsere Unternehmen eigentlich alles daran, ihren Mitarbeiterstamm zu halten, auch wenn sie natürlich Umsatzrückgänge haben.
Hatting: Kernbranche des Landes ist der Tourismus natürlich. Wie ist denn die Lage in den beliebten Reisezielen Luxor oder am Roten Meer?
Herret: Ja, insbesondere das Niltal, also Luxor und bis runter nach Asyut, die leiden jetzt schon seit über einem Jahr unter einem fast völligen Ausfall der Touristen. Das ist sehr dramatisch, denn dort gibt es keine lokale Industrie. Das heißt, die Menschen sind zu 100 Prozent davon abhängig, dass Tourismus stattfindet, große Arbeitslosigkeit unter der Jugend. Bislang war die Lage am Südsinai und am Roten Meer besser, aber auch hier haben wir jetzt die Reisewarnungen ausgeweitet, und die großen Reiseveranstalter haben bis Mitte September Ägypten aus dem Programm genommen. Die letzten Touristen reisen ab, und es kommen nur noch Einzelreisende nach. Das ist also sehr dramatisch in diesen Gegenden.
Hatting: Und wie reagieren die Ägypter in den betroffenen Gebieten darauf? Wandern sie ab ins Ausland, als Gastarbeiter?
Herret: Die Alternative gibt es für die Leute im Tourismus nicht. Bauarbeiter und Techniker, die können an den arabischen Golf gehen zum Arbeiten, aber wer als Animateur oder in einem Hotel als Dienstleister arbeitet, der hat diese Alternative nicht, und man ist völlig hilflos.
Hatting: Das ägyptische Tourismusministerium will Charterflüge jetzt verstärkt unterstützen. Schon bei einer Flugauslastung von 40 Prozent gibt es Geld für die Reiseveranstalter, und zwar umgerechnet 160 Euro pro freigebliebenem Sitz. Glauben Sie, dass das hilft?
Herret: Beschränkt wird es helfen. Aber man muss verstehen, dass natürlich auch Verunsicherung unter den Reisenden ist. Man möchte jetzt nicht in einem Land Urlaub machen, wenn da Menschen erschossen werden. Es wird eine Weile dauern, bis das Vertrauen wieder hergestellt ist, und es gibt ja auch Alternativen für die Reisenden. Wir befürchten, dass erst zur Sommersaison 2014 wieder mit einem richtigen Aufkommen des Tourismus gerechnet werden kann. Und es sind ja nicht nur die deutschen Touristen, die wegbleiben, auch die große Sparte der Russen ist weggefallen.
Hatting: Die Europäische Union denkt ja darüber nach, Hilfsleistungen einzufrieren. Das würde die Wirtschaft natürlich weiter schwächen. Wenn Sie mit Ägyptern vor Ort sprechen, was ist deren Meinung zur EU, und besonders zu Deutschland?
Herret: Ja, da ist absolute Verständnislosigkeit. Man meint, dass hier ein großes Missverständnis herrscht bezüglich der Natur der Muslimbrüderschaft. Man sieht hier in der großen Mehrheit der Bevölkerung ein faschistisches, religiöses Unterdrückungssystem, was dabei war sich aufzubauen, und was man sozusagen in letzter Minute hat verhindern können. Und das deckt sich natürlich auch mit der Propagandamaschine des Militärs, die die Muslimbrüderschaft jetzt in Bausch und Bogen verdammt, was man auch nicht tun kann – es sind ja nicht alles Terroristen dort. Und da baut sich natürlich eine sehr ablehnende Haltung gegenüber dem Westen auf. Und das wiederum spielt den Golfstaaten in die Hände, die ja gesagt haben, egal welche Hilfszahlungen eingestellt werden, wir legen hier noch mal Milliarden drauf.
Hatting: Sie sind, Herr Herret, vor Ort, Sie erleben das täglich mit. Wie ist denn Ihre Einschätzung, wie sehen Sie das?
Herret: Ich bin letzte Woche aus Deutschland zurückgekommen und hatte angesichts der Fernsehberichte jetzt erwartet, dass hier noch Chaos herrscht, und wundere mich, wie normal das Leben in dieser 25-Millionen-Metropole Kairo abläuft. Natürlich, an den drei, vier Orten, wo demonstriert wird, da sehen Sie Brandruinen, und da sind die Straßen aufgerissen, weil die Leute sich mit Pflastersteinen bewaffnet haben. Aber die Supermärkte sind geöffnet, die Auslagen sind gefüllt. Insoweit läuft das Leben dann wieder seinen normalen Gang. Ich sehe das also deutlich entspannter, als das in der Berichterstattung vorkommt.
Hatting: Rainer Herret, Geschäftsführer der Deutsch-Arabischen Industrie- und Handelskammer in Kairo. Ich danke Ihnen für das Gespräch!
Herret: Ja, danke schön, alles Gute!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Rainer Herret: Ja, guten Morgen nach Berlin!
Hatting: Zuletzt war zu lesen, dass immer mehr Firmen ihre Produktion einstellen, GM zum Beispiel oder der Haushaltsgerätehersteller Electrolux. Wie verhalten sich eigentlich deutsche Unternehmen in Ägypten?
Herret: Ja, die Einstellung der Produktion, das war eine direkte Antwort darauf, dass durch diese Protestcamps eigentlich die Durchfahrt durch den Großraum Kairo behindert war, dass also die Unternehmen Schwierigkeiten hatten, ihre Mitarbeiter überhaupt zu den Arbeitsplätzen kommen zu lassen. Zusätzlich durch die Ausgangssperre, die jetzt am Abend ist, kommt als weiteres logistisches Problem dazu, dass sie die Leute nicht nur wieder nach Hause bringen müssen, die müssen denen auch Gelegenheit geben, einzukaufen und die Familien zu versorgen. Deswegen hatte man die Produktion in der vergangenen Woche an zwei Tagen ruhen lassen und arbeitet jetzt mit eingeschränkten Öffnungszeiten. So langsam kommt man jetzt wieder zur Normalität zurück.
Hatting: Würden Sie die Produktionsbedingungen jetzt, unter der Übergangsregierung als besser oder als schlechter bezeichnen, verglichen mit der Zeit unter Mursi?
Herret: Wir haben sicherlich schlechtere Produktionsbedingungen. Wir haben ein politisches Umfeld, was insoweit nicht belastbar ist, als man nicht weiß, in welche Richtung künftig Wirtschaftspolitik hier betrieben wird. Wir haben unter der Arbeitnehmerschaft in Ägypten generell große Enttäuschung, zehn Prozent Inflation, das frisst die Löhne auf, sehr große Enttäuschung unter weiten Teilen der Bevölkerung, die ja seit 2011 im Prinzip hofft, eine Verbesserung zu erleben, und das alles drückt natürlich auf die Arbeitsbedingungen.
Hatting: Müssen deutsche Unternehmen auch viele Ägypter entlassen?
Herret: Das tun sie nicht. Der Hintergrund davon ist, dass der ägyptische Arbeitsmarkt im Wesentlichen nur halbqualifizierte oder unqualifizierte Arbeitskräfte zur Verfügung stellt. Deswegen haben die Investoren in vielen Jahren ihre Mitarbeiter nachqualifiziert, herangeführt. Das möchte man jetzt natürlich nicht aufgeben, indem man die Leute einfach freistellt, und dann müsste man in einigen Monaten wieder neu anfangen, die Leute auszubilden. Und deswegen setzen unsere Unternehmen eigentlich alles daran, ihren Mitarbeiterstamm zu halten, auch wenn sie natürlich Umsatzrückgänge haben.
Hatting: Kernbranche des Landes ist der Tourismus natürlich. Wie ist denn die Lage in den beliebten Reisezielen Luxor oder am Roten Meer?
Herret: Ja, insbesondere das Niltal, also Luxor und bis runter nach Asyut, die leiden jetzt schon seit über einem Jahr unter einem fast völligen Ausfall der Touristen. Das ist sehr dramatisch, denn dort gibt es keine lokale Industrie. Das heißt, die Menschen sind zu 100 Prozent davon abhängig, dass Tourismus stattfindet, große Arbeitslosigkeit unter der Jugend. Bislang war die Lage am Südsinai und am Roten Meer besser, aber auch hier haben wir jetzt die Reisewarnungen ausgeweitet, und die großen Reiseveranstalter haben bis Mitte September Ägypten aus dem Programm genommen. Die letzten Touristen reisen ab, und es kommen nur noch Einzelreisende nach. Das ist also sehr dramatisch in diesen Gegenden.
Hatting: Und wie reagieren die Ägypter in den betroffenen Gebieten darauf? Wandern sie ab ins Ausland, als Gastarbeiter?
Herret: Die Alternative gibt es für die Leute im Tourismus nicht. Bauarbeiter und Techniker, die können an den arabischen Golf gehen zum Arbeiten, aber wer als Animateur oder in einem Hotel als Dienstleister arbeitet, der hat diese Alternative nicht, und man ist völlig hilflos.
Hatting: Das ägyptische Tourismusministerium will Charterflüge jetzt verstärkt unterstützen. Schon bei einer Flugauslastung von 40 Prozent gibt es Geld für die Reiseveranstalter, und zwar umgerechnet 160 Euro pro freigebliebenem Sitz. Glauben Sie, dass das hilft?
Herret: Beschränkt wird es helfen. Aber man muss verstehen, dass natürlich auch Verunsicherung unter den Reisenden ist. Man möchte jetzt nicht in einem Land Urlaub machen, wenn da Menschen erschossen werden. Es wird eine Weile dauern, bis das Vertrauen wieder hergestellt ist, und es gibt ja auch Alternativen für die Reisenden. Wir befürchten, dass erst zur Sommersaison 2014 wieder mit einem richtigen Aufkommen des Tourismus gerechnet werden kann. Und es sind ja nicht nur die deutschen Touristen, die wegbleiben, auch die große Sparte der Russen ist weggefallen.
Hatting: Die Europäische Union denkt ja darüber nach, Hilfsleistungen einzufrieren. Das würde die Wirtschaft natürlich weiter schwächen. Wenn Sie mit Ägyptern vor Ort sprechen, was ist deren Meinung zur EU, und besonders zu Deutschland?
Herret: Ja, da ist absolute Verständnislosigkeit. Man meint, dass hier ein großes Missverständnis herrscht bezüglich der Natur der Muslimbrüderschaft. Man sieht hier in der großen Mehrheit der Bevölkerung ein faschistisches, religiöses Unterdrückungssystem, was dabei war sich aufzubauen, und was man sozusagen in letzter Minute hat verhindern können. Und das deckt sich natürlich auch mit der Propagandamaschine des Militärs, die die Muslimbrüderschaft jetzt in Bausch und Bogen verdammt, was man auch nicht tun kann – es sind ja nicht alles Terroristen dort. Und da baut sich natürlich eine sehr ablehnende Haltung gegenüber dem Westen auf. Und das wiederum spielt den Golfstaaten in die Hände, die ja gesagt haben, egal welche Hilfszahlungen eingestellt werden, wir legen hier noch mal Milliarden drauf.
Hatting: Sie sind, Herr Herret, vor Ort, Sie erleben das täglich mit. Wie ist denn Ihre Einschätzung, wie sehen Sie das?
Herret: Ich bin letzte Woche aus Deutschland zurückgekommen und hatte angesichts der Fernsehberichte jetzt erwartet, dass hier noch Chaos herrscht, und wundere mich, wie normal das Leben in dieser 25-Millionen-Metropole Kairo abläuft. Natürlich, an den drei, vier Orten, wo demonstriert wird, da sehen Sie Brandruinen, und da sind die Straßen aufgerissen, weil die Leute sich mit Pflastersteinen bewaffnet haben. Aber die Supermärkte sind geöffnet, die Auslagen sind gefüllt. Insoweit läuft das Leben dann wieder seinen normalen Gang. Ich sehe das also deutlich entspannter, als das in der Berichterstattung vorkommt.
Hatting: Rainer Herret, Geschäftsführer der Deutsch-Arabischen Industrie- und Handelskammer in Kairo. Ich danke Ihnen für das Gespräch!
Herret: Ja, danke schön, alles Gute!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.