"Die Leute fühlen sich wie in einem großen Gefängnis"
Vor dem Osterfest wollten viele Christen aus dem Westjordanland nach Israel einreisen, erhielten aber keine Genehmigung. Mitri Raheb, Pastor der lutherischen Gemeinde in Bethlehem, hält das für Willkür - und vergleicht die israelischen Behörden mit denen der DDR.
Ute Welty: In Bethlehem geboren, in Jerusalem gestorben und auferstanden: Auf den Spuren Jesu feiern Hunderttausende im Westjordanland und in Israel das Osterfest, mit Messen in der Geburtskirche und in der Grabeskirche. Der Glaube eint die Menschen, die Politik trennt sie. So wollten viele Christen aus dem Westjordanland nach Israel einreisen, erhielten aber keine Genehmigung. Die israelischen Behörden haben das dementiert. Pastor der lutherischen Gemeinde in Bethlehem ist Mitri Raheb, ausgezeichnet 2008 mit dem Aachener Friedenspreis. Guten Morgen an diesem Karsamstag!
Mitri Raheb: Guten Morgen!
Welty: Haben Sie davon in Ihrer Gemeinde auch gehört, dass Menschen nach Jerusalem wollten, aber nicht durften?
Raheb: Ja, also auf jeden Fall. Man muss halt immer so eine Erlaubnis beantragen, um während der Feiertage nach Jerusalem überhaupt fahren zu dürfen. Und wir haben eine ganze Liste mit allen Erwachsenen in der Gemeinde eingereicht. Ich würde sagen, vielleicht die Hälfte haben was bekommen, die Hälfte nicht.
Welty: Woran lag das, was war die Begründung?
Raheb: Also das ist so wie in der ehemaligen, früheren DDR, da gibt es natürlich keine Begründung, das ist Willkür. Jeder bekommt dieses Jahr vielleicht eine Erlaubnis, nächstes Jahr bekommt er es nicht – es gibt natürlich auch eine schwarze Liste, diese haben sowieso keine Möglichkeit, eine Erlaubnis zu bekommen.
Welty: Wie erleben Sie überhaupt dieses Osterfest 2013 und die politischen Begleitumstände im Vergleich zu den Jahren davor?
Raheb: Also erstens, in diesem Jahr ist insofern etwas Neues eingetreten, weil die katholische Kirche gesagt hat, sie wird Ostern feiern mit den Orthodoxen, und das erst Anfang Mai. Das heißt, das Volk ist gespalten, also nur in Bethlehem und Jerusalem feiern die palästinensischen Christen Ostern jetzt, dieses Wochenende. Alle anderen feiern erst im Mai, und das ist so ein komisches Gefühl, dass wir sozusagen jetzt auch … also das hat eigentlich keine Lösung gebracht.
Welty: Es ist nur noch einmal eine Trennung mehr?
Raheb: Genau, es ist eine Trennung mehr, genau so ist es. Politisch – ich würde sagen, es ist also eigentlich ruhig. Ich denke, Karfreitag ist eine gute Beschreibung der Situation. Die Leute haben den Eindruck, es ist alles verloren, der Friede ist weit weggerückt, und ein Licht am Ende des Tunnels ist nicht zu sehen – fast so ein großer, schwerer Stein, die Mauer liegt vor der Westbank, und ich glaube, alle Menschen fragen sich, wer kann diesen Stein wegwälzen. Insofern, ich denke, für uns Karfreitag ist nicht nur etwas, was vor 2000 Jahren geschehen ist, sondern etwas, was eigentlich wir heute hautnah auch erleben.
Welty: Aber auf den Karfreitag folgt der Ostermontag. Ostern ist ja das höchste christliche Fest, das für einen Pastor auch viel Arbeit bedeutet, auch die Freude über die Auferstehung, was alles steht auf Ihrem Programm?
Raheb: Genau, also das ist natürlich unsere Aufgabe, denke ich, als Christen, in dieser schweren Zeit auch eine Hoffnung zu verkündigen, die keine billige Hoffnung ist, und eine Hoffnung, die die Menschen selbst zu Mitgestaltern Gottes in dieser Welt macht, und insofern zu Friedensstiftern. Und das wird natürlich auch morgen in der Predigt thematisiert.
Welty: Haben Sie die schon vorbereitet, ist die schon fertig?
Raheb: Ja, natürlich!
Welty: Oder müssen Sie noch mal drüber gehen?
Raheb: Ja, also ich gehe auch bis morgen, gehe ich drüber. Aber es steht schon fest. Das ist schon alles vorbereitet.
Welty: Immer wieder hören wir hier und lesen von den Einschränkungen, mit denen die Menschen im Westjordanland und eben auch in Bethlehem zurechtkommen müssen. Was bedeutet das konkret für Ihr Osterfest?
Raheb: Also für mich, zum Beispiel, wenn ich Familien sehe – gestern kam eine Frau auf mich zu aus der Gemeinde, ihr Mann hat die Erlaubnis bekommen, ihre Töchter haben die Erlaubnis bekommen, Sie hat, die Mutter, keine Erlaubnis bekommen. Und die war natürlich sehr betrübt, und es ist sehr schwierig wirklich, so einer Mutter dann was zu sagen oder zu trösten, weil natürlich die Leute hier fühlen sich wie in einem großen Gefängnis, und die wollen gerne wenigstens während der Feiertage, wenn es möglich ist, vielleicht zum Meer, nach Jaffa oder zu ihren Verwandten nach Nazareth oder so was. Und dann, wenn so was eintritt, das ist für mich als Pfarrer natürlich sehr schwierig, damit umzugehen, weil das ist nicht unter meiner Kontrolle.
Auch, wenn wir, sagen wir mal, manchmal eine Art kleine Konferenz für die Gemeinde, also eine Art Freizeit gestalten wollen in Galiläa, kriegen die Hälfte eine Erlaubnis und die andere Hälfte nicht, dann können wir das überhaupt nicht machen. Dann können wir es nur sozusagen in Jericho oder innerhalb der Westbank machen. Das behindert unsere Arbeit sehr, aber ich sage immer, man muss wirklich die Hoffnung nicht aufgeben, weil natürlich Leben ohne Hoffnung überhaupt kein Leben ist.
Welty: Sagt Mitri Raheb, Pastor der lutherischen Gemeinde in Bethlehem. Ich danke fürs Interview, und ich wünsche Ihnen frohe Ostern trotz allem!
Raheb: Danke, danke gleichfalls!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Mitri Raheb: Guten Morgen!
Welty: Haben Sie davon in Ihrer Gemeinde auch gehört, dass Menschen nach Jerusalem wollten, aber nicht durften?
Raheb: Ja, also auf jeden Fall. Man muss halt immer so eine Erlaubnis beantragen, um während der Feiertage nach Jerusalem überhaupt fahren zu dürfen. Und wir haben eine ganze Liste mit allen Erwachsenen in der Gemeinde eingereicht. Ich würde sagen, vielleicht die Hälfte haben was bekommen, die Hälfte nicht.
Welty: Woran lag das, was war die Begründung?
Raheb: Also das ist so wie in der ehemaligen, früheren DDR, da gibt es natürlich keine Begründung, das ist Willkür. Jeder bekommt dieses Jahr vielleicht eine Erlaubnis, nächstes Jahr bekommt er es nicht – es gibt natürlich auch eine schwarze Liste, diese haben sowieso keine Möglichkeit, eine Erlaubnis zu bekommen.
Welty: Wie erleben Sie überhaupt dieses Osterfest 2013 und die politischen Begleitumstände im Vergleich zu den Jahren davor?
Raheb: Also erstens, in diesem Jahr ist insofern etwas Neues eingetreten, weil die katholische Kirche gesagt hat, sie wird Ostern feiern mit den Orthodoxen, und das erst Anfang Mai. Das heißt, das Volk ist gespalten, also nur in Bethlehem und Jerusalem feiern die palästinensischen Christen Ostern jetzt, dieses Wochenende. Alle anderen feiern erst im Mai, und das ist so ein komisches Gefühl, dass wir sozusagen jetzt auch … also das hat eigentlich keine Lösung gebracht.
Welty: Es ist nur noch einmal eine Trennung mehr?
Raheb: Genau, es ist eine Trennung mehr, genau so ist es. Politisch – ich würde sagen, es ist also eigentlich ruhig. Ich denke, Karfreitag ist eine gute Beschreibung der Situation. Die Leute haben den Eindruck, es ist alles verloren, der Friede ist weit weggerückt, und ein Licht am Ende des Tunnels ist nicht zu sehen – fast so ein großer, schwerer Stein, die Mauer liegt vor der Westbank, und ich glaube, alle Menschen fragen sich, wer kann diesen Stein wegwälzen. Insofern, ich denke, für uns Karfreitag ist nicht nur etwas, was vor 2000 Jahren geschehen ist, sondern etwas, was eigentlich wir heute hautnah auch erleben.
Welty: Aber auf den Karfreitag folgt der Ostermontag. Ostern ist ja das höchste christliche Fest, das für einen Pastor auch viel Arbeit bedeutet, auch die Freude über die Auferstehung, was alles steht auf Ihrem Programm?
Raheb: Genau, also das ist natürlich unsere Aufgabe, denke ich, als Christen, in dieser schweren Zeit auch eine Hoffnung zu verkündigen, die keine billige Hoffnung ist, und eine Hoffnung, die die Menschen selbst zu Mitgestaltern Gottes in dieser Welt macht, und insofern zu Friedensstiftern. Und das wird natürlich auch morgen in der Predigt thematisiert.
Welty: Haben Sie die schon vorbereitet, ist die schon fertig?
Raheb: Ja, natürlich!
Welty: Oder müssen Sie noch mal drüber gehen?
Raheb: Ja, also ich gehe auch bis morgen, gehe ich drüber. Aber es steht schon fest. Das ist schon alles vorbereitet.
Welty: Immer wieder hören wir hier und lesen von den Einschränkungen, mit denen die Menschen im Westjordanland und eben auch in Bethlehem zurechtkommen müssen. Was bedeutet das konkret für Ihr Osterfest?
Raheb: Also für mich, zum Beispiel, wenn ich Familien sehe – gestern kam eine Frau auf mich zu aus der Gemeinde, ihr Mann hat die Erlaubnis bekommen, ihre Töchter haben die Erlaubnis bekommen, Sie hat, die Mutter, keine Erlaubnis bekommen. Und die war natürlich sehr betrübt, und es ist sehr schwierig wirklich, so einer Mutter dann was zu sagen oder zu trösten, weil natürlich die Leute hier fühlen sich wie in einem großen Gefängnis, und die wollen gerne wenigstens während der Feiertage, wenn es möglich ist, vielleicht zum Meer, nach Jaffa oder zu ihren Verwandten nach Nazareth oder so was. Und dann, wenn so was eintritt, das ist für mich als Pfarrer natürlich sehr schwierig, damit umzugehen, weil das ist nicht unter meiner Kontrolle.
Auch, wenn wir, sagen wir mal, manchmal eine Art kleine Konferenz für die Gemeinde, also eine Art Freizeit gestalten wollen in Galiläa, kriegen die Hälfte eine Erlaubnis und die andere Hälfte nicht, dann können wir das überhaupt nicht machen. Dann können wir es nur sozusagen in Jericho oder innerhalb der Westbank machen. Das behindert unsere Arbeit sehr, aber ich sage immer, man muss wirklich die Hoffnung nicht aufgeben, weil natürlich Leben ohne Hoffnung überhaupt kein Leben ist.
Welty: Sagt Mitri Raheb, Pastor der lutherischen Gemeinde in Bethlehem. Ich danke fürs Interview, und ich wünsche Ihnen frohe Ostern trotz allem!
Raheb: Danke, danke gleichfalls!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.