"Die Liebe braucht keine Namen"

Von Jochen R. Klicker |
Christentum und Buddhismus kommen in einer Unzahl von Erscheinungsbildern daher: Allein der etablierte christliche Glaube hat sich in dem Koloss des Römischen Katholizismus sowie in 332 nicht-katholischen Kirchen organisiert. Und der Buddhismus - in drei große religionsphilosophische Schulen lose gegliedert - ist mit einer geschätzten Gesamtzahl von etwa 500 Millionen Anhängern die viertgrößte Weltreligion. Doch beide Glaubensrichtungen haben Parallelen.
"Wissen Sie, wenn Sie katholisch sind oder evangelisch oder mohammedanisch oder Hindu … die guten Eigenschaften eines Charakters sind von Natur aus gute Eigenschaften. Ob das einen katholischen Background oder Hintergrund hat oder einen buddhistischen … Identität spielt hier gar keine Rolle. Liebe ist nicht christlich, auch nicht buddhistisch, auch nicht mohammedanisch, sondern Liebe ist Liebe! Ein tugendhafter Charakter braucht keinen Namen. Wenn man den Namen eines Kindes ändert, heißt das doch nicht, dass man damit seinen Charakter ändert. Buddha sagt: Gute Sachen gilt es zu vermehren und zu kultivieren; schlechte Sachen sind zu vermeiden oder zu vernichten durch Geisteskontrolle."

Niemand kann genau sagen, wie viele Anhänger die sanfte Lehre des Buddha mittlerweile in Deutschland hat. Denn anders als zum Beispiel im Christentum gibt es im Buddhismus keine "Kirche" im herkömmlichen Sinne. Auch sind die Suchenden nirgendwo amtlich registriert. Schätzungen sprechen jedenfalls von zweieinhalb Millionen Gläubigen, die etwa zur Hälfte asiatische Zuwanderer sind.

Wobei die Begriffe "Glaube" und "Gläubige" nicht passen, weil sie in den Kontext von Offenbarungsreligionen gehören und nicht – wie im Falle des Buddhismus – zu den Erfahrungsreligionen. An die Stelle unterschiedlichster Erlösungslehren tritt jedenfalls bei dem Erleuchteten eine aufmerksame und gleichmütige Selbsterfahrung, die zwar Gefühle und Gedanken nicht negiert, aber sie als vorübergehend und vergänglich entlarvt. Schon hier beginnen die ersten massiven Missverständnisse.
Da wird zum Beispiel in einem der kanonisierten Lehrdialoge des Erleuchteten Buddha ernsthaft die Frage diskutiert, ob der alt-indische Schlüsselbegriff Nirwana nun Sein bedeutet, oder Nichtsein, oder beides oder keines von beidem. - Worauf der Erleuchtete noch einmal nachlegt und alle vier Möglichkeiten verneint. Man kann verstehen, dass dies einem deutschen Gelehrten wie "wirrer Unsinn" erscheinen muss. Wie könnte bei einem solchen Dilemma jemals eine "richtige" Übersetzung von Schlüsselbegriffen zustande kommen?

Schon Mitte des 20. Jahrhunderts hat den Indologen Helmuth von Glasenapp diese Frage beschäftigt. Heraus kam erstens noch eine Nirvana-Übersetzung, nämlich "das Ganz-anders-Sein; und zweitens eine neue, in Lyrik verfasste Semantik des Begriffes:

"Die Kräfte, die bedingt entstanden,
Die Ursachen, die sie entbanden,
Und wie ihr Schwinden vor sich geht:
Das lehrte Buddha, der Asket.

Die ganze Welt ununterbrochnen Werdens,
In der nur Abhängig-Bedingtes waltet,
Die ist das unaussprechliche Nirvana,
Wenn Abhängig-Bedingtes ausgeschaltet.

Denn so wie zwischen Meer und Woge
Letzthin kein Unterschied besteht,
So in dem einzigen Bewusstsein
Ein Wandel niemals vor sich geht."

Ausgedrückt werden soll damit, dass das Nirvana, der angestrebte Zustand der Erlösung, jenseits begrifflicher Denkmuster liegt und sich deshalb mit der Ratio eben gerade nicht erfassen lässt. - Jedoch vielleicht mit einer kleinen mythologischen Geschichte, die von der Insel Sri Lanka stammt, wo der Buddhismus Staatsreligion ist.

"Dem fürstlichen Yogi ist in seiner Einsamkeit unter dem ihm zugewiesenen Baume in Nacht und Morgen jene große Erleuchtung widerfahren, nach der er sich 'der Erleuchtete' nennt.
Sein Blick fällt auf die unwissende Welt und geht zurück zu seiner Erleuchtung, und er begreift: Was ihm widerfahren ist, lässt sich NICHT LEHREN. Vergebliche Mühe wär’s, davon zu reden … Doch mit Gedankenschnelle tritt der Weltgeist vor den Erwachten hin und bittet ihn, Lehrer von Göttern und Menschen zu werden, der kreatürlichen Welt, die im Traumschlaf des Lebens den Weg zur eigenen Erleuchtung weist. Unter den Wesen ohne Zahl gäbe es einige, auf deren Augen wenig Staub der Lebensleidenschaft läge, sie wären doch imstande, sein Wort zu vernehmen. Da entschließt sich der Erleuchtete, den Weg zur Erleuchtung zu weisen."

Es finden sich Schüler. Es entsteht der erste Mönchsorden und mit ihm die erste Überlieferung. Unwillentlich also, aus einer nachträglichen Entschließung wird der Buddha zum großen Lehrer der Welt. Und von vornherein gibt sich die Buddhalehre als ein Weg nur für Wenige.

Hier ist es nun einmal klar ausgesprochen worden: Der praktizierte Weg in die Freiheit – und damit auch ins Glück – ist zumindest im Westen gangbar nur für einige wenige Eliten.

Und sonst? Wie steht es denn nun eigentlich mit der immer wieder beschworenen Ähnlichkeit der sittlich-moralischen Systeme. Sind Christen und Buddhisten einander tatsächlich so nah wie oft behauptet wird?

Zunächst ist für Christen vor allem gewöhnungsbedürftig, dass wichtige ethische Kerngebiete zwar oft den gleichen Wortlaut und dieselbe Begrifflichkeit haben, aber inhaltlich ganz anders besetzt sind. Der Begriff "Freigebigkeit" zum Beispiel, der im Abendland für großzügige materielle Opfer steht, meint nach buddhistischem Verständnis eher die Gabe der Angstfreiheit und Furchtlosigkeit. Und die will eingeübt werden als wichtige soziale Brücke zur Mitwelt.

Nur auf den ersten Blick also und in ein paar sittlichen Grundsätzen ähneln sich die beiden Gebotstafeln. Trotzdem hat vor allem das christlich-protestantische Lager immer mal wieder versucht, zumindest formale Ähnlichkeiten zu suchen beziehungsweise zu unterstreichen. Unter Verweis darauf, dass beide - Buddhismus und Christentum – Erlösungsreligionen seien, listet man dafür gern und emsig scheinbar ähnliche Strukturen auf.

Beide haben einen Gründer, dessen Verehrung für die Entwicklung einer "Lehre" erhebliche Probleme mit sich brachte; denn diese Verehrung galt einem göttlichen Wesen. Aber sowohl Siddharta Gautama Buddha aus dem indischen Adelsgeschlecht der Sakya als auch Jesus von Nazareth, Handwerker und Schriftgelehrter davidischer Herkunft aus Galilea haben ganz entschieden zurückgewiesen, ein Gott oder auch nur von göttlicher Natur zu sein.

Beide Religionen begründen ihre Lehre auf heilige kanonische Schriften, deren Wortlaut wie Auslegung normativen Charakter für das geistlich-sittliche Leben haben. Wobei es schon schwierig sein dürfte, Ähnlichkeiten beim jüdisch-christlichen Kanon dingfest zu machen. Denn ob Tora, Mischna und Talmud nach jüdischer oder ob Altes und Neues Testament nach christlicher Glaubensüberzeugung – in beiden Fällen bedeutet der Umgang mit den "heiligen" Schriften Umgang mit dem offenbarten Wort Gottes…unvorstellbar für Menschen auf dem achtfachen Pfad zur Selbsterlösung. – Am ehesten mögen Ähnlichkeiten zwischen beiden Religionen noch auszumachen sein bei ihren Versuchen der Akkulturation weltweit. Dazu der Theologe und Religionswissenschaftler Gerhard Rosenkranz:

Sie haben ihre Ursprungsländer Nepal und Palästina verlassen und sich mit den Kulturen der Völker, zu denen sie kamen, verbunden, ihnen in kritischen Augenblicken auch widersetzt.. Beide haben durchaus vergleichbare Lebensordnungen und Organisationsformen hervorgebracht, aber auch Protestbewegungen und Reformen erlebt. Und sie sind in große Richtungen und diese wiederum in zahlreiche Sondergebilde zersplittert.

Ethik im Christentum will die Schöpfung gestaltet wisse, die den Menschen von einem allmächtigen Schöpfergott übergeben worden ist. Das jedoch kann buddhistisches Weltverständnis nicht mittragen, denn die Welt ist nach der Lehre des gesamten Buddhismus eine Scheinwelt; die Vorstellung von einem Weltschöpfer und -lenker ist verhängnisvolle Täuschung. Jede Welt ist immer nur eine Station im Ablauf des Werdens und Vergehens von Welten. … Eine letzte Wirklichkeit gibt es von daher für den Buddha nicht, der die Frage, ob er ein oder gar DER Schöpfergott sei, radikal verneint hat. Seine Leugnung jeglicher Seinsrealität im positiven wie im negativen Sinne ist so ausschließlich, dass sich auch gelegentliche Hinweise auf ein "Unerschaffenes" nicht als Beweise für ihr Vorhandensein deuten lassen kann, Alles ist "leer", so lautet sein Urteil über Sein und Nichtsein.