Eine Frage der Stimmung
Berlin hat es nach der Wende schon einmal versucht, Olympia in die Stadt zu holen. Aber scheiterte kläglich. "Das wird diesmal anders", sagen nun die Olympia-2024-Befürworter. Die Gegner aber fragen: "Warum, was hat sich seitdem verändert?"
Berlin, an einem kalten Novemberabend im prächtigen Bärensaal des Alten Stadthauses. "Oder wie letztens der Chef der Marketing-Gesellschaft von London gesagt hat: jedes Pfund, das wir in London anlässlich der Olympischen Spiele investiert haben, hatte 15 Pfund volkswirtschaftlichen Ertrag für die Stadt." Sport-Staatssekretär Andreas Statzkowski, CDU, macht Stimmung für Olympia. Er spricht zu Mitgliedern des Landessportbundes, Thema: "Was bedeutet eine Olympiabewerbung für Berlin und seine Sportvereine?" Er kennt das: zu Beginn jeder Bewerbungskampagne ist viel Aufklärungsarbeit nötig.
"Ich frage mich, wer ehrlich weiß, dass das IOC heute schon in Brasilien 1,2 Milliarden an Durchführungskosten übernimmt und dass die Durchführung der Olympischen Spiele dem Land Berlin nicht einen einzigen Euro kosten würde. Wer weiß, dass in Berlin jetzt schon die Bundesrepublik Deutschland rund 50 Prozent der Baukosten für die Sportstätten im Leistungs- und Spitzensport bezahlt. Mit anderen Worten: es liegt auf der Hand, dass auch für die dringend benötigten Investitionen in unsere Sportanlagen die Bundesrepublik Deutschland in massivem Umfang auch dem Land Berlin helfen würde. Das sind alles Dinge, die ansonsten Berlin verloren gehen würden."
Gut einhundert Sportfunktionäre hören den Ausführungen des Staatssekretärs zu. Dann begeben sie sich in mehrere Arbeitsgruppen und diskutieren dort die Chancen und Risiken einer Olympiabewerbung Berlins. Mit Veranstaltungen wie dieser versucht der Senat, Rückhalt in der Bevölkerung zu bekommen.
"Richtig. Wir wollen ja nicht Olympische Spiele gegen die Bürger, sondern wir wollen Olympische Spiele mit den Bürgern und für den Bürger und durch den Bürger." Kaweh Niroomand: "Vieles, was in der Stadt gemacht werden muss, muss auch ohne Olympia gemacht werden. A und O ist: wir müssen erklären, warum die Olympischen Spiele für Berlin gut sind. Warum diese Spiele Berlin auch gut tun."
Kaweh Niroomand, Manager des mehrfachen deutschen Volleyballmeisters BR Volleys, ist begeistert von der Idee, Olympia nach Berlin zu holen. Dafür rührt er zusammen mit den anderen fünf Profiklubs der Stadt kräftig die Werbetrommel. Einen Imagefilm haben sie produzieren lassen, jede Menge Postkarten, Luftballons und Klatschpappen. Bei jedem Heimspiel kommen sie mittlerweile zum Einsatz. "Es ist ganz wichtig, dass wir die 600.000 Mitglieder in den vom Landessportbund organisierten Vereinen auch erreichen und auch aktivieren und das Feld nicht grundsätzlichen Neinsagern überlassen."
Berlin? - Nein, lieber die anderen
"Ja? Ich halte davon gar nichts. Ich glaube nicht, dass Berlin die Olympischen Spiele retten muss, es gibt genug Bewerberstädte für Olympische Spiele, und Berlin hat so viele Probleme gegenwärtig zu lösen, dass eine Bewerbung für die Olympischen Spiele von dieser Problemlösung ablenken würde." Zu den Neinsagern gehört Gabriele Hiller. Sie ist die Sportpolitische Sprecherin der Links-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus und führendes Mitglied im Bündnis NOlympia.
"Die Haushaltslage Berlins ist einfach eine schlimme. Mit mehr als 60 Milliarden Euro Schulden, mit einer Zinszahlung von täglich 6 Millionen Euro Zinsen, was im Jahr dann 2 Milliarden Euro Zinsen mehr macht und noch nicht einen Cent Schuldenabbau bedeutet, das heißt also, dass sich die Haushaltssituation durch Olympische Spiele verschärfen würde. Und die Hoffnung, dass man Probleme der Stadt lösen könnte in diesem Zusammenhang, halte ich für absurd, weil: wenn man wirklich bestimmte Themen angehen will, kann man es auch ohne Olympische Spiele."
In einem sind sich Olympia-Befürworter und Olympia-Gegner einig: ohne umfassende Beteiligung der Bürger wird es eine Bewerbung Berlins für die Spiele nicht geben. Diverse Meinungsumfragen und Diskussionsforen wurden geschaltet, ein klares Bild zeichnet sich bisher nicht ab.
Im August veröffentlichte der Senat erste Zahlen einer Online-Befragung. Danach finden 76 Prozent aller Berliner, dass sich Olympia an die Stadt anpassen muss, nicht andersherum. Ende Oktober waren laut einer Umfrage des Deutschen Olympischen Sportbundes 48 Prozent der Berliner für, 49 Prozent gegen eine Olympiabewerbung ihrer Stadt.
Auch der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland ist online gegangen. Gemeinsam mit dem Landessportbund hat der BUND Berlin eine Website geschaltet. Geschäftsführer Tilmann Heuser blickt aufs Meinungsbarometer.
"Bisher sieht man recht deutlich, dass olympische Spiele, wie auch bei den Meinungsumfragen, insgesamt noch eher positiv bewertet werden, in der eigenen Stadt ist es eher umstritten, vor allem die Frage: 'Ist das IOC so reformfähig, dass ein nachhaltiges und wirtschaftlich vertretbares Konzept Chancen hat?' Das wird eher sehr, sehr skeptisch beurteilt, und die andere Frage: 'Ist es vertretbar, rein Olympiabedingte Kosten für die Spiele aus dem Berliner Haushalt mitzufinanzieren?' wird eben auch eher mit 'Nein!' beantwortet, während andere Punkte wie 'Ob das Olympische Dorf zur Lösung des Wohnungsmangels beitragen kann'? Das ist dann eher so Pari-Pari mit derzeit leicht negativem Einschlag, und auch das Sportstättenkonzept muss noch weiter optimiert werden, um tatsächlich die Leute zu begeistern."
Ergebnisse wie diese klingen interessant, verraten auch eine Tendenz, repräsentativ sind sie nicht. An dieser Online-Aktion haben bisher 450 Menschen teilgenommen, an einer weiteren Umfrage des Senats gerade einmal doppelt so viele. Olympia-Euphorie klingt anders. Gabriele Hiller vom Bündnis NOlympia.
"Ich glaube, es gibt keine Olympiastimmung. Es gibt keine Freude, keine Erwartungshaltung dafür, es gibt im Gegenteil ein Kopfschütteln: 'Wie kommen die jetzt darauf?', 'Haben die nicht andere Sorgen?'"
"Ich weiß, dass Berlin eine Stadt ist, die brennen kann. Und ich möchte die Begeisterungsschalter umlegen. Ich möchte gern, dass Berlin aufwacht und sieht, was für eine grandiose Chance wir da haben, und ich möchte das Feuer in den Augen der Berliner spüren."
"Wir wollen spielen" heißt die Idee, die überzeugen soll
Alexander Wolf ist so etwas wie die Speerspitze der Bewegung pro Olympia. Der Unternehmensberater hat einen Verein gegründet: „berlympic e.V.". „Wir wollen spielen" lautet der Slogan. In einer ersten Foto-Kampagne lassen sich ganz normale Menschen in ihrer ganz persönlichen olympischen Disziplin ablichten und stellen das Foto anschließend ins Netzwerk der sozialen Medien.
"Die bisherigen Einsendungen sind schon ziemlich lustig, wir haben Salzstangen-Fechten, wir haben Schrubber-Werfen, wir haben Aktenordner-Liften, wir haben sogar Mitarbeiter-Wurf, Kollegen-Wurf hieß es, glaube ich, da werden gute Sachen rauskommen."
Wenn Olympische Spiele nach Berlin kommen, wird es eine riesige Party geben – davon ist Alexander Wolf überzeugt. 35 Unternehmen und 80 Privatpersonen unterstützen seine Initiative, Tendenz steigend. Sie sollen vor allem dabei helfen, die Berliner zu animieren, selbst aktiv zu werden. Olympia von oben verordnen? Geht nicht, sagt der Unternehmensberater, sonst laufen Großprojekte wie dieses an die Wand.
"Den Berlinern täte es gut, ein gemeinsames Projekt zu haben, wo alle Beteiligten in dieselbe Richtung arbeiten. Das haben wir im Moment noch nicht, und dafür wären die Olympischen Spiele eine gute Sache. Ich möchte ungefähr zweieinhalb bis drei Millionen Olympiabegeisterte Berliner, und der Rest soll dagegen sein, weil: sonst wäre es ja nicht meine Stadt. In Berlin sollten nie alle für etwas sein. Deshalb finde ich NOlympia auch ne gute Initiative, weil sie das Korrektiv sein wird, dass die Berlympics wirklich integer, transparent und gut stattfinden."
Die Berliner werden also über die Olympiabewerbung mitentscheiden. Als es vor einem halben Jahr um das Nachnutzungskonzept für das Gelände des ehemaligen Flughafens Tempelhof ging, erteilten sie dem Senat mittels Volksentscheid eine deftige Abfuhr. Was Olympia anbelangt, ist der noch regierende Bürgermeister Klaus Wowereit jedoch zuversichtlich: „Erst werden sie meckern, dann werden sie staunen", sagte er vor kurzem in einem seiner letzten Interviews seiner Amtszeit.
Wie auch immer: die Fraktionen des Abgeordnetenhauses streben jetzt eine Volksbefragung an. Aber wie genau die Meinung der Bürger abgefragt und vor allem wie ihr Votum anschließend rechtsverbindlich umgesetzt werden soll, ist noch völlig offen. Die Landesverfassung sieht ein von der Regierung verordnetes Referendum nicht vor. Andreas Statzkowski, Staatssekretär beim Senator für Inneres und Sport: "Sehr wahrscheinlich wird das zu einer Gesetzesänderung oder überhaupt der Beschlussfassung eines Gesetzes führen müssen, damit wir auch tatsächlich die Berlinerinnen und Berliner in einer solchen Frage an die Urnen bitten können, damit sie ihre Meinung dort auch im Einzelnen kundgeben."
Eine „Lex Olympia"? Kommt nicht in Frage, das ist zu wenig, entgegnet die sportpolitische Sprecherin der Links-Fraktion im Abgeordnetenhaus, Gabriele Hiller:
"Wir meinen, dass wir die Verfassung ändern und Volksbefragungen möglich machen. Das würde heißen, dass man nicht nur ne >Lex Olympia< macht, sondern Volksbefragung zu allen möglichen Fragen möglich würden. Und eine Partei wie die CDU ist da, glaube ich, nicht sehr interessiert daran. Also das Schweizer Modell: 'Wir fragen das Volk' ist nicht sonderlich lukrativ für konservative Kreise in Berlin. Und deshalb tut man sich so schwer, Wege zu finden, wie eine Befragung zu Olympia denn stattfinden könne."
Wie auch immer das Volk befragt werden soll – die Zeit drängt. Spricht sich der Deutsche Olympische Sportbund am 21. März kommenden Jahres tatsächlich für Berlin als deutschen Olympiabewerber aus, haben die politisch Verantwortlichen genau noch ein halbes Jahr Zeit, um die Bürger umfassend zu beteiligen. Tilmann Heuser vom BUND ist skeptisch.
"Ich glaube nicht, dass man das schon für 'ne Bewerbung 2024 hinbekommt, da muss die Interessensbekundung 2015 im Herbst abgegeben werden, für 2028 wäre es vielleicht ein Thema."