Die Literatur lügt nie
"Alle Menschen lügen" heißt der neue Roman von Alberto Manguel. Und folgt man der Geschichte, die Manguel hier erzählt, oder genauer: den Geschichten, so kann es an dieser Aussage keinen Zweifel geben. Alle Menschen lügen, weil es die eine Wahrheit nämlich schlicht nicht gibt.
Man weiß, wie unzuverlässig Zeugenaussagen sind. Ob bei Un- oder Überfällen hat die Polizei immer wieder größte Schwierigkeiten bei ihrer Ermittlungsarbeit, weil der eine ein grünes Auto hat davonfahren sehen, der andere ein blaues, weil der eine meint, der Räuber hatte braunes Haar, der andere schwarzes.
Alberto Manguel nun macht sich diesen Umstand erzählerisch zunutze. Aus vier verschiedenen Perspektiven erzählt er die Geschichte Alejandro Bevilacquas, eines Argentiniers, der unter der Militärdiktatur im Gefängnis landet und später die literarischen Kreise in der spanischen Hauptstadt Madrid frequentiert. Ein Journalist hat sich auf seine Spuren begeben und befragt nun nacheinander einen gewissen Alberto Manguel, der mit Bevilacqua befreundet war und nun, wie der wirkliche Manguel in der Nähe von Poitiers lebt, eine Frau, mit der Bevilacqua ein Verhältnis hatte oder gerne gehabt hätte, einen ehemaligen Zellengenossen, und schließlich einen seiner argentinischen Peiniger.
Dieser letzte allerdings spricht zum Leser bereits aus dem Jenseits. Wie sein Opfer Bevilacqua ist auch er, Ende der 70er-Jahre, eines unnatürlichen Todes gestorben, und der Grund für die beiden Todesfälle wird dem Leser erst mit einer geschickten Wendung ganz am Ende des Romans offenbart.
Die Grundidee, ein und dieselbe Geschichte aus verschiedenen Perspektiven zu erzählen, ist, wenn auch nicht neu, so doch durchaus interessant. Denn Literatur zielt schließlich nicht auf eherne Wahrheiten, Sie umkreist eher, so könnte man vielleicht sagen, mit Sprache die Wahrheit hinter der Sprache. Von daher ist die Perspektivenvielfalt gerade der literarischen Prosa sehr gemäß.
Dennoch wirkt Manguels Roman einigermaßen konstruiert. Zwar gelingt es ihm, den einzelnen Figuren eine je eigene Sprache, einen je eigenen Charakter zu verleihen. Die vier Geschichten aber stehen in keinem ausgewogenen Verhältnis zueinander. Werden dem fiktiven Alberto Manguel ganze 100 Seiten eingeräumt, müssen sich die übrigen drei Berichterstatter mit erheblich weniger Platz zufrieden geben. So wirkt gerade der Anfang von "Alle Menschen lügen" einigermaßen behäbig. Dabei hätten etwas mehr Tempo gleich zu Beginn und ein schnellerer Perspektivenwechsel insgesamt den Eindruck des Konstruierten womöglich gar nicht erst aufkommen lassen.
Besprochen von Tobias Lehmkuhl
Alberto Manguel: Alle Menschen lügen
Aus dem Spanischen übersetzt von Susanne Lange
S. Fischer Verlag, Frankfurt 2010
240 Seiten, 19,95 Euro
Alberto Manguel nun macht sich diesen Umstand erzählerisch zunutze. Aus vier verschiedenen Perspektiven erzählt er die Geschichte Alejandro Bevilacquas, eines Argentiniers, der unter der Militärdiktatur im Gefängnis landet und später die literarischen Kreise in der spanischen Hauptstadt Madrid frequentiert. Ein Journalist hat sich auf seine Spuren begeben und befragt nun nacheinander einen gewissen Alberto Manguel, der mit Bevilacqua befreundet war und nun, wie der wirkliche Manguel in der Nähe von Poitiers lebt, eine Frau, mit der Bevilacqua ein Verhältnis hatte oder gerne gehabt hätte, einen ehemaligen Zellengenossen, und schließlich einen seiner argentinischen Peiniger.
Dieser letzte allerdings spricht zum Leser bereits aus dem Jenseits. Wie sein Opfer Bevilacqua ist auch er, Ende der 70er-Jahre, eines unnatürlichen Todes gestorben, und der Grund für die beiden Todesfälle wird dem Leser erst mit einer geschickten Wendung ganz am Ende des Romans offenbart.
Die Grundidee, ein und dieselbe Geschichte aus verschiedenen Perspektiven zu erzählen, ist, wenn auch nicht neu, so doch durchaus interessant. Denn Literatur zielt schließlich nicht auf eherne Wahrheiten, Sie umkreist eher, so könnte man vielleicht sagen, mit Sprache die Wahrheit hinter der Sprache. Von daher ist die Perspektivenvielfalt gerade der literarischen Prosa sehr gemäß.
Dennoch wirkt Manguels Roman einigermaßen konstruiert. Zwar gelingt es ihm, den einzelnen Figuren eine je eigene Sprache, einen je eigenen Charakter zu verleihen. Die vier Geschichten aber stehen in keinem ausgewogenen Verhältnis zueinander. Werden dem fiktiven Alberto Manguel ganze 100 Seiten eingeräumt, müssen sich die übrigen drei Berichterstatter mit erheblich weniger Platz zufrieden geben. So wirkt gerade der Anfang von "Alle Menschen lügen" einigermaßen behäbig. Dabei hätten etwas mehr Tempo gleich zu Beginn und ein schnellerer Perspektivenwechsel insgesamt den Eindruck des Konstruierten womöglich gar nicht erst aufkommen lassen.
Besprochen von Tobias Lehmkuhl
Alberto Manguel: Alle Menschen lügen
Aus dem Spanischen übersetzt von Susanne Lange
S. Fischer Verlag, Frankfurt 2010
240 Seiten, 19,95 Euro