Die Lügen der Propaganda
Ein Krieg ist das größte aller Verbrechen. Dennoch wagen sich Kriminalromanciers selten an diesen Stoff. Oliver Bottini ist glücklicherweise frei von solcher Scheu. In "Der kalte Traum" erzählt er von der vielen hierzulande nach wie vor unbekannten oder nur als Zerrbild vertrauten Historie des jugoslawischen Bürgerkriegs.
Die gängige Lesart vom "Unabhängigkeitskrieg" gegen die "serbischen Schlächter" ist dabei nicht die seine, schwadronierte man doch vor 20 Jahren in der kroatischen Gemeinde vom "Vaterländischen Krieg". Eine allzu sentimental veranlagte Regierung Kohl betrieb damals die frühzeitige Anerkennung der angeblich so freiheitswilligen Republika Hrvatska – ein Fehler mit "katastrophalen Folgen", wie es rückblickend eine Figur in Bottinis Roman sagt, mutmaßend, dass ein führender deutscher Politiker daraus die Konsequenzen zog: "Deshalb, davon war Ehringer mittlerweile überzeugt, war Hans Dietrich Genscher im Mai 1992 als Außenminister zurückgetreten."
Richard Ehringer, 66, längst pensionierter Referatsleiter Südosteuropa im Auswärtigen Amt, ist eine fiktive Figur – erfunden wie die Handlung dieses sich gleichwohl an Fakten entlang bewegenden spannenden Thrillers, der im Baden-Württemberg der Gegenwart beginnt und rasch zu 15 Jahre zurückliegenden Geschehnissen auf dem Balkan führt. Namentlich zu denen in der umkämpften Krajina: Am 25. August 1995 ermordeten dort in Grubori Soldaten einer kroatischen Sondereinheit mehrere ältere serbische Zivilisten. Diese Tat war später Teil der Anklage gegen den kroatischen Befehlshaber Ante Gotovina vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag.
Wer an Jugoslawien denkt, denkt an den Gräueltaten eines Slobodan Milošević oder Radovan Karadžić, aber Namen wie Gojko Šušak oder Mladen Markać sagen einem nichts, obwohl auch sie Verbrechen begangen haben. Von einem dieser Verbrechen handelt Bottinis Roman und vom Versuch, alle Zeugen und Spuren einer regelrechten Hinrichtung zu beseitigen. Auf dass ja nicht am manichäischen (und also die Realität verfälschenden) Weltbild gerüttelt werde: hier die bösen Serben, da die guten Kroaten.
Bottini schafft es, uns die Geschichte der blutigen, tausende Todesopfer fordernden "ethnischen Säuberungen" auf dem Balkan anhand eines klug konstruierten Plots neu zu vermitteln. Wenn darin von exilkroatischen Agitatoren die Rede ist, die Anfang der 90er-Jahre in Deutschland "winterliche Reisen" zu ihren Landsleuten unternehmen, um mit nationalistischen Reden Männer für sogenannte "Heimatschutz-Regimenter" zu rekrutieren, muss man natürlich an die berühmte "winterliche Reise" Peter Handkes zu den Flüssen Donau, Save, Morawa und Drina denken.
Bottini fordert nicht "Gerechtigkeit für Serbien". Er erzählt von dem verschwundenen kroatischen "Kriegstouristen" Thomas Ćavar, den seine Vergangenheit einholt. So überdenken wir unseren vernagelten Blick auf den Zerfallskrieg in Jugoslawien. Dieser Blick, auch davon handelt dieses Buch, verdankt sich auch den Propagandalügen, die die von Kroaten beauftragte PR-Agentur "Ruder Finn" in die Welt setzte. Die Wahrheit ist eben immer das erste Opfer des Krieges. Auch diese Weisheit illustriert dieser gelungene, solide recherchierte Kriminalroman.
Besprochen von Knut Cordsen
Oliver Bottini: Der kalte Traum. Roman
DuMont, Köln 2012
446 Seiten, 18,99 Euro
Richard Ehringer, 66, längst pensionierter Referatsleiter Südosteuropa im Auswärtigen Amt, ist eine fiktive Figur – erfunden wie die Handlung dieses sich gleichwohl an Fakten entlang bewegenden spannenden Thrillers, der im Baden-Württemberg der Gegenwart beginnt und rasch zu 15 Jahre zurückliegenden Geschehnissen auf dem Balkan führt. Namentlich zu denen in der umkämpften Krajina: Am 25. August 1995 ermordeten dort in Grubori Soldaten einer kroatischen Sondereinheit mehrere ältere serbische Zivilisten. Diese Tat war später Teil der Anklage gegen den kroatischen Befehlshaber Ante Gotovina vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag.
Wer an Jugoslawien denkt, denkt an den Gräueltaten eines Slobodan Milošević oder Radovan Karadžić, aber Namen wie Gojko Šušak oder Mladen Markać sagen einem nichts, obwohl auch sie Verbrechen begangen haben. Von einem dieser Verbrechen handelt Bottinis Roman und vom Versuch, alle Zeugen und Spuren einer regelrechten Hinrichtung zu beseitigen. Auf dass ja nicht am manichäischen (und also die Realität verfälschenden) Weltbild gerüttelt werde: hier die bösen Serben, da die guten Kroaten.
Bottini schafft es, uns die Geschichte der blutigen, tausende Todesopfer fordernden "ethnischen Säuberungen" auf dem Balkan anhand eines klug konstruierten Plots neu zu vermitteln. Wenn darin von exilkroatischen Agitatoren die Rede ist, die Anfang der 90er-Jahre in Deutschland "winterliche Reisen" zu ihren Landsleuten unternehmen, um mit nationalistischen Reden Männer für sogenannte "Heimatschutz-Regimenter" zu rekrutieren, muss man natürlich an die berühmte "winterliche Reise" Peter Handkes zu den Flüssen Donau, Save, Morawa und Drina denken.
Bottini fordert nicht "Gerechtigkeit für Serbien". Er erzählt von dem verschwundenen kroatischen "Kriegstouristen" Thomas Ćavar, den seine Vergangenheit einholt. So überdenken wir unseren vernagelten Blick auf den Zerfallskrieg in Jugoslawien. Dieser Blick, auch davon handelt dieses Buch, verdankt sich auch den Propagandalügen, die die von Kroaten beauftragte PR-Agentur "Ruder Finn" in die Welt setzte. Die Wahrheit ist eben immer das erste Opfer des Krieges. Auch diese Weisheit illustriert dieser gelungene, solide recherchierte Kriminalroman.
Besprochen von Knut Cordsen
Oliver Bottini: Der kalte Traum. Roman
DuMont, Köln 2012
446 Seiten, 18,99 Euro