Die Macht der Bilder
"Das Handbuch der politischen Ikonographie" führt in 150 Beiträgen und 1200 Abbildungen vor, wie von der Antike bis in die Gegenwart politische Ideale und Inhalte bildlich dargestellt wurden. Es erforscht dabei Kontinuität und Wechsel der Inszenierungen, mit denen Menschen sich ein Bild von der Macht machen.
Allabendlich betrachten viele Zuschauer die Fernsehbilder vom Fortgang der Politik. Sie sehen Minister Hände schütteln, Paraden abnehmen, mit Aktenkoffern umherlaufen und vor Kameras beruhigende Verlautbarungen abgeben. Andernorts geht es weniger beschaulich zu. Rebellen stürmen die Straße entlang, verbrennen Autos oder Puppen, und die Ordnungskräfte marschieren in martialischer Rüstung auf.
An Orten des Unheils verwüsten Naturgewalten ganze Landstriche, woraufhin Vertreter der Obrigkeit mit besorgter Miene zur Ortsbesichtigung eilen. Obwohl alle Welt vom Zeitalter der Bilder redet, scheint die Politik mit wenigen Bildformeln auszukommen. Vielleicht hat der Verdruss an der Politik auch einen ästhetischen Grund. Wo immer das Gleiche zu sehen ist, wendet sich das verstimmte Publikum rasch ab.
Die politische Ikonografie, deren kanonische Zwischenergebnisse nun in einem zweibändigen Handbuch zu besichtigen sind, erinnert an buntere Zeiten. Bei der Gegenwart farbloser Bilder hält sie sich nicht lange auf. Entstanden aus der kunstgeschichtlichen Schule Aby Warburgs, bezieht sie ihren Bildfundus vorrangig aus der Antike und Renaissance, aus der späteren Neuzeit und frühen Moderne, aus Zeiten der Herrschaft mithin, als nicht Bürokratie und Gesetz, sondern Majestäten mit Pomp und Förmlichkeiten regierten. Als historische Disziplin erforscht sie Herkunft, Kontinuität und Wechsel der Inszenierungen, mit denen Menschen sich ein Bild von der Macht machen - und mit denen ihnen die Macht ein Bild von der Welt vormacht.
"Die politische Ikonografie fasst die Bildwerke nicht als eindeutige Dokumente politischer Sachverhalte auf, sondern betrachtet sie als interessengeleitete Strategien, deren Ergebnisse vom Willen eines Auftraggebers, von den Erwartungen eines zu überzeugenden Publikums und von der persönlichen Einstellung eines Künstlers geprägt sind oder gebrochen werden.
Sie umfasst vornehmlich visuelle Inszenierungen politischer Ereignisse und ihrer Protagonisten, Mythen und Motive, Personifikationen und Allegorien politischer Begriffe, ihre Einsatzmöglichkeiten sowie ihre Verdichtungen zu Symbolen."
140 Artikel haben die 90 Autoren zu dem Handbuch beigesteuert, das nicht systematisch, sondern alphabetisch, nach Art eines Lexikons aufgebaut ist. Das Werk ist nicht nur eine Sammlung profunder Gelehrsamkeit, sondern zugleich eine Fundgrube für Entdeckungen. Ganz nebenbei erfährt der Leser, welche Bildmuster sich ihm aufdrängen, wenn er sich eine Vorstellung von politischen Begebenheiten zu machen sucht. Da ist das Bad in der Menge, bei dem Könige, Präsidenten oder Parteiführer ihre Volksnähe zur Schau stellen. Da ist die gereckte Faust der Empörung, die zugleich Abwehr, Gruß und Solidarität demonstriert.
Da ist die Zeremonie der Krönung, bei welcher der neue Regent demütig auf die Knie sinkt, um gesegnet und gesalbt zu werden, sich sodann aber erhebt und sich, ausgestattet mit den Insignien der Herrschaft, auf den Thron setzt, während alle Untertanen vor ihm stehen und das Haupt neigen müssen. Und da ist die wiederkehrende Wahlkampagne, bei der die bunten Plakate mittlerweile von einem Fernsehformat verdrängt wurden, das die Vielfalt der Papierbilder auf monotone Rededuelle reduziert hat.
"Internet, TV und das mündliche Debattenformat gingen eine neue Liaison ein. Bildlich gesprochen homogenisiert das elektronische Format die Kandidaten. Der Wahlkampf der Bilder hat sich auf einen Zweikampf in einem einzigen Bild – dem TV- oder Computerbildschirm – verengt. Blau ist die alles dominierende Farbe, die männlichen Kandidaten sind in dunkle Anzüge, die wenigen weiblichen Kandidaten zumeist in auffälliges Rot gekleidet. Die ´Qual der Wahl´ zwischen sich immer ähnlicher werdenden Politikern und Parteiprogrammen wird durch die visuelle Homogenisierung des elektronischen Wahlkampfs nicht erleichtert."
Manch unerwarteten Seitenblick gewährt das Handbuch dem bildpolitisch interessierten Leser. Den Artikeln über Parlament, Partei und Partisan folgt beispielweise ein kleiner Essay über den Pflasterstein, dem bevorzugten Wurfgeschoss aller Rebellen seit dem 19. Jahrhundert. Siegt die Obrigkeit bei dem Scharmützel, werden die Straßen sofort wieder gepflastert, damit alles seine Ordnung hat. Ein anderer Artikel informiert an den Überresten der Mailänder Porta Romana über die politische Bedeutung von Grenzen und Schwellen.
"Die Ausübung und Darstellung politischer Macht setzt die Festlegung von Grenzen, die Errichtung von Schranken voraus: nicht nur zwischen dem Erlaubten und dem Unerlaubten, sondern auch zwischen den Machtinhabern und deren Untergebenen, zwischen dem Fürsten und seinen Untertanen, dem Einheimischen und dem Fremden. Die Pforten, die sich in einer Stadtmauer, in der Befestigungsmauer einer Burg, in der Fassade einer Kirche oder eines Rathauses öffnen, sind Orte der Trennung und des Übergangs, deren Bestätigung ein Hauptanliegen politischen Handelns ist."
Die visuelle Politik beschränkt sich nicht auf Bilder, sie gestaltet auch die materielle Architektur der Macht, die Rathäuser und Residenzen, die Standbilder und Grabmäler, die Plätze und Triumphbögen. Und sie benutzt Zeichen, Allegorien und Embleme, um gänzlich unsichtbare Tatbestände sinnfällig zu machen. Werte der Propaganda wie Freiheit und Fortschritt, Gleichheit oder Toleranz wollen vor Augen geführt werden, damit sich die Menschen zumindest ein Bild davon machen können.
Auf eine Systematik des politischen Feldes haben die Herausgeber verzichtet. Dies rächt sich durch begriffliche Unschärfen, vor allem jedoch bei der Auswahl der Stichworte. Die Ordnung des Alphabets ersetzt nicht die Ordnung der Sache. Schon eine einfache Typologie der politischen Machtformen, der Institutionen, kollektiven Gefühle und Aktionsmuster hätte manchem Artikel zusätzliche analytische Schärfe verliehen. Seit Bilder nicht mehr allein von der Obrigkeit lanciert werden, erzeugt der politische Prozess auch Bilder von Ereignissen, die weder beabsichtigt, sind noch eindeutigen Machtinteressen entsprechen.
Welche Bilder erzeugt der politische Skandal, die Schmach, die Schuld, der Verlust der Ehre oder des Amtes? Wie inszeniert sich die Verhandlung, der Kompromiss, die Entschlossenheit oder der unbedingte Siegeswille? Welche Bilder zeugen von den Gefühlen in der Politik, von Zorn, Wut oder Angst, von Begeisterung, Niedergeschlagenheit und Trauer? Und wie setzen sich Worte, Gesichter oder Hände ins Bild?
"Ist die Hand doch nicht nur ´Werkzeug aller Werkzeuge`, sondern als Pars pro toto des Menschen auch sein uneigentliches, zweites Gesicht. Ihre Erscheinungsformen reichen von den massenhaft dargebotenen Händen einer Menschenmenge über Handpaare einzelner Personen und die Einzelhand bis zu Finger und Daumen samt deren Spuren im Hand- oder Fingerabdruck."
Die klassische Ikonografie lehrte uns die Lektüre unzähliger kleiner Gesten, Haltungen und Ausdrucksgebärden. Das vorliegende Handbuch widmet den Bildern der Affekte und Handlungen nur wenig Aufmerksamkeit. Dies schmälert das Lesevergnügen nicht unwesentlich. Denn vielleicht sind es mittlerweile ganz unscheinbare Bilder, die uns Aufschluss geben über die Prozesse der Macht. Sie zielen nicht auf öffentliche Repräsentation oder Einschüchterung, sondern zeigen die Politik in den diskreten Kaminzimmern, Konferenzräumen und Amtsstuben, den zentralen Orten der bürokratischen Herrschaft.
Uwe Fleckner: "Handbuch der politischen Ikonografie"
Verlag C.H. Beck, München/2011
Links bei dradio.de:
Wie Bilder Politik widerspiegeln
An Orten des Unheils verwüsten Naturgewalten ganze Landstriche, woraufhin Vertreter der Obrigkeit mit besorgter Miene zur Ortsbesichtigung eilen. Obwohl alle Welt vom Zeitalter der Bilder redet, scheint die Politik mit wenigen Bildformeln auszukommen. Vielleicht hat der Verdruss an der Politik auch einen ästhetischen Grund. Wo immer das Gleiche zu sehen ist, wendet sich das verstimmte Publikum rasch ab.
Die politische Ikonografie, deren kanonische Zwischenergebnisse nun in einem zweibändigen Handbuch zu besichtigen sind, erinnert an buntere Zeiten. Bei der Gegenwart farbloser Bilder hält sie sich nicht lange auf. Entstanden aus der kunstgeschichtlichen Schule Aby Warburgs, bezieht sie ihren Bildfundus vorrangig aus der Antike und Renaissance, aus der späteren Neuzeit und frühen Moderne, aus Zeiten der Herrschaft mithin, als nicht Bürokratie und Gesetz, sondern Majestäten mit Pomp und Förmlichkeiten regierten. Als historische Disziplin erforscht sie Herkunft, Kontinuität und Wechsel der Inszenierungen, mit denen Menschen sich ein Bild von der Macht machen - und mit denen ihnen die Macht ein Bild von der Welt vormacht.
"Die politische Ikonografie fasst die Bildwerke nicht als eindeutige Dokumente politischer Sachverhalte auf, sondern betrachtet sie als interessengeleitete Strategien, deren Ergebnisse vom Willen eines Auftraggebers, von den Erwartungen eines zu überzeugenden Publikums und von der persönlichen Einstellung eines Künstlers geprägt sind oder gebrochen werden.
Sie umfasst vornehmlich visuelle Inszenierungen politischer Ereignisse und ihrer Protagonisten, Mythen und Motive, Personifikationen und Allegorien politischer Begriffe, ihre Einsatzmöglichkeiten sowie ihre Verdichtungen zu Symbolen."
140 Artikel haben die 90 Autoren zu dem Handbuch beigesteuert, das nicht systematisch, sondern alphabetisch, nach Art eines Lexikons aufgebaut ist. Das Werk ist nicht nur eine Sammlung profunder Gelehrsamkeit, sondern zugleich eine Fundgrube für Entdeckungen. Ganz nebenbei erfährt der Leser, welche Bildmuster sich ihm aufdrängen, wenn er sich eine Vorstellung von politischen Begebenheiten zu machen sucht. Da ist das Bad in der Menge, bei dem Könige, Präsidenten oder Parteiführer ihre Volksnähe zur Schau stellen. Da ist die gereckte Faust der Empörung, die zugleich Abwehr, Gruß und Solidarität demonstriert.
Da ist die Zeremonie der Krönung, bei welcher der neue Regent demütig auf die Knie sinkt, um gesegnet und gesalbt zu werden, sich sodann aber erhebt und sich, ausgestattet mit den Insignien der Herrschaft, auf den Thron setzt, während alle Untertanen vor ihm stehen und das Haupt neigen müssen. Und da ist die wiederkehrende Wahlkampagne, bei der die bunten Plakate mittlerweile von einem Fernsehformat verdrängt wurden, das die Vielfalt der Papierbilder auf monotone Rededuelle reduziert hat.
"Internet, TV und das mündliche Debattenformat gingen eine neue Liaison ein. Bildlich gesprochen homogenisiert das elektronische Format die Kandidaten. Der Wahlkampf der Bilder hat sich auf einen Zweikampf in einem einzigen Bild – dem TV- oder Computerbildschirm – verengt. Blau ist die alles dominierende Farbe, die männlichen Kandidaten sind in dunkle Anzüge, die wenigen weiblichen Kandidaten zumeist in auffälliges Rot gekleidet. Die ´Qual der Wahl´ zwischen sich immer ähnlicher werdenden Politikern und Parteiprogrammen wird durch die visuelle Homogenisierung des elektronischen Wahlkampfs nicht erleichtert."
Manch unerwarteten Seitenblick gewährt das Handbuch dem bildpolitisch interessierten Leser. Den Artikeln über Parlament, Partei und Partisan folgt beispielweise ein kleiner Essay über den Pflasterstein, dem bevorzugten Wurfgeschoss aller Rebellen seit dem 19. Jahrhundert. Siegt die Obrigkeit bei dem Scharmützel, werden die Straßen sofort wieder gepflastert, damit alles seine Ordnung hat. Ein anderer Artikel informiert an den Überresten der Mailänder Porta Romana über die politische Bedeutung von Grenzen und Schwellen.
"Die Ausübung und Darstellung politischer Macht setzt die Festlegung von Grenzen, die Errichtung von Schranken voraus: nicht nur zwischen dem Erlaubten und dem Unerlaubten, sondern auch zwischen den Machtinhabern und deren Untergebenen, zwischen dem Fürsten und seinen Untertanen, dem Einheimischen und dem Fremden. Die Pforten, die sich in einer Stadtmauer, in der Befestigungsmauer einer Burg, in der Fassade einer Kirche oder eines Rathauses öffnen, sind Orte der Trennung und des Übergangs, deren Bestätigung ein Hauptanliegen politischen Handelns ist."
Die visuelle Politik beschränkt sich nicht auf Bilder, sie gestaltet auch die materielle Architektur der Macht, die Rathäuser und Residenzen, die Standbilder und Grabmäler, die Plätze und Triumphbögen. Und sie benutzt Zeichen, Allegorien und Embleme, um gänzlich unsichtbare Tatbestände sinnfällig zu machen. Werte der Propaganda wie Freiheit und Fortschritt, Gleichheit oder Toleranz wollen vor Augen geführt werden, damit sich die Menschen zumindest ein Bild davon machen können.
Auf eine Systematik des politischen Feldes haben die Herausgeber verzichtet. Dies rächt sich durch begriffliche Unschärfen, vor allem jedoch bei der Auswahl der Stichworte. Die Ordnung des Alphabets ersetzt nicht die Ordnung der Sache. Schon eine einfache Typologie der politischen Machtformen, der Institutionen, kollektiven Gefühle und Aktionsmuster hätte manchem Artikel zusätzliche analytische Schärfe verliehen. Seit Bilder nicht mehr allein von der Obrigkeit lanciert werden, erzeugt der politische Prozess auch Bilder von Ereignissen, die weder beabsichtigt, sind noch eindeutigen Machtinteressen entsprechen.
Welche Bilder erzeugt der politische Skandal, die Schmach, die Schuld, der Verlust der Ehre oder des Amtes? Wie inszeniert sich die Verhandlung, der Kompromiss, die Entschlossenheit oder der unbedingte Siegeswille? Welche Bilder zeugen von den Gefühlen in der Politik, von Zorn, Wut oder Angst, von Begeisterung, Niedergeschlagenheit und Trauer? Und wie setzen sich Worte, Gesichter oder Hände ins Bild?
"Ist die Hand doch nicht nur ´Werkzeug aller Werkzeuge`, sondern als Pars pro toto des Menschen auch sein uneigentliches, zweites Gesicht. Ihre Erscheinungsformen reichen von den massenhaft dargebotenen Händen einer Menschenmenge über Handpaare einzelner Personen und die Einzelhand bis zu Finger und Daumen samt deren Spuren im Hand- oder Fingerabdruck."
Die klassische Ikonografie lehrte uns die Lektüre unzähliger kleiner Gesten, Haltungen und Ausdrucksgebärden. Das vorliegende Handbuch widmet den Bildern der Affekte und Handlungen nur wenig Aufmerksamkeit. Dies schmälert das Lesevergnügen nicht unwesentlich. Denn vielleicht sind es mittlerweile ganz unscheinbare Bilder, die uns Aufschluss geben über die Prozesse der Macht. Sie zielen nicht auf öffentliche Repräsentation oder Einschüchterung, sondern zeigen die Politik in den diskreten Kaminzimmern, Konferenzräumen und Amtsstuben, den zentralen Orten der bürokratischen Herrschaft.
Uwe Fleckner: "Handbuch der politischen Ikonografie"
Verlag C.H. Beck, München/2011
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Wie Bilder Politik widerspiegeln