Die Macht der Familien

Von Bernd Musch-Borowska |
Vergangenen November wurden bei einem Massaker auf der philippinischen Insel Mindanao fast 60 Menschen getötet. Inzwischen hat die Staatsanwaltschaft Anklage erhoben. Einer der Hauptverdächtigen ist ehemaliger Provinzgouverneur der Insel, Chef einer der mächtigsten Familien der Region - und Verbündeter von Staatspräsidentin Arroyo.
Das Massaker, dem politische Auseinandersetzungen zugrunde lagen, hat die Schwachpunkte der Demokratie auf den Philippinen offen gelegt. Einflussreiche Familien teilen sich politische und wirtschaftliche Macht, sowohl in der Provinz, als auch in Manila. Im Mai finden dort Präsidentschaftswahlen statt.

Schon vor dem Prozess um das Massaker von Maguindanao haben die philippinischen Behörden schärfste Sicherheitsvorkehrungen getroffen. Der Gerichtssaal wurde im Polizei-Hauptquartier in Manila eingerichtet. Abgeschirmt von der Außenwelt wird gegen Andal Ampatuan Junior verhandelt, den Sohn des Gouverneurs der Provinz Maguindanao. Er soll der Anführer der Männer gewesen sein, die bei dem Massaker am 23. November fast 60 Menschen brutal ermordet haben.

Andal Ampatuan Junior behauptet, er sei unschuldig. Von seiner Gefängniszelle aus sprach er mit Journalisten und gab sich dabei zuversichtlich, dass er freigesprochen wird.

"Alles, was ich will, ist ein fairer Prozess. Ich weiß, dass ich unschuldig bin. Allah weiß, dass ich unschuldig bin und dass diese Vorwürfe, die gegen mich erhoben wurden, falsch sind."

Doch die Aussagen der Augenzeugen belasten den Angeklagten schwer. Andal Ampatuan Junior habe persönlich Menschen erschossen, die vor ihm auf dem Boden kniend um ihr Leben gefleht hätten, sagt der stellvertretende Bürgermeister des Ortes Ampatuan, Rasul Sangki, der das grausame Verbrechen mit angesehen hat. Sangki war einst ein enger Verbündeter der Ampatuans und ist jetzt einer der wichtigsten Zeugen der Anklage. Auch Video-Aufnahmen von dem Massaker wurden in der Verhandlung gezeigt.

Bilder, die so schrecklich waren, dass der Rechtsanwalt der Familien der Opfer, Harry Rogue, vorzeitig den Gerichtssaal verließ.

Harry Rogue: "Das war das erste Mal, dass die Rohfassung dieses Videos zu sehen war. Mir ist richtig schlecht geworden, deshalb musste ich raus gehen. Was dort in Maguindanao geschehen ist, war einfach unmenschlich. Nur der Teufel selbst ist zu so etwas fähig."

Am 23. November vergangenen Jahres waren Familienmitglieder und Anhänger der Mangudadatus aus der Nachbar-Provinz nach Shariff Aguak gefahren, der Hauptstadt der Provinz Maguindanao, um die Kandidatur von Toto Mangudadatu für die Gouverneurswahl im Mai dieses Jahres anzumelden. Begleitet wurden sie dabei von den Anwälten der Familie und zahlreichen Journalisten. Doch der Gouverneur von Maguindanao, Andal Ampatuan Senior, der Chef des einflussreichen Familien-Clans, hatte schon seinen Sohn als Nachfolger vorgesehen.

Der Konvoi wurde auf dem Weg zur Provinz-Hauptstadt von der Privat-Armee des Gouverneurs abgefangen, insgesamt mehr als 100 schwer bewaffnete Männer. Die Magudadatus, ihre Anwälte und auch die mitgereisten Lokal-Reporter wurden erschossen und zerstückelt und mitsamt der Fahrzeuge in einem großen Erdloch vergraben.

Das Massaker von Maguindanao gilt als das schlimmste politisch motivierte Verbrechen in der jüngeren philippinischen Geschichte. Dabei sei auf den Philippinen Gewalt im Zusammenhang mit Wahlen nichts Ungewöhnliches, sagt Steven Rood, der Leiter der Asia Foundation in Manila:

"Das ist das schlimmste Gewaltverbrechen im Zusammenhang mit Wahlen, solange man zurück denken kann. Und es gibt weiterhin einzelne Morde und Racheakte. Und es ist das größte Massaker an Journalisten, das es je auf der Welt gegeben hat. Denn es waren zahlreiche Medienvertreter in dem Konvoi, weil man dachte, dann würde nichts passieren. Es zeigt gleichzeitig, wie lokal die Politik auf den Philippinen ausgerichtet ist. Einzelne Familien haben in den Provinzen die Macht.

Sie haben kein Monopol, sie stehen durchaus in Konkurrenz zueinander, aber wenn die Macht gefährdet wird, kann es durchaus zu Gewalt kommen. Ganz besonders in Mindanao, wo es jede Menge Waffen gibt, kann die Rivalität zwischen zwei Familien in Gewalt ausarten. Und daraus entwickelt sich dann mitunter eine andauernde Fehde zwischen rivalisierenden Familien-Clans."

Die Familien-Clans der Ampatuans und der Mangudadatus sind durch Heirat sogar miteinander verwandt. Doch beim Kampf um die politische und wirtschaftliche Macht gibt es eine knallharte Konkurrenz. Die Ampatuans haben in den vergangenen Jahren die Provinz Maguindanao kontrolliert, die Mangudadatus die Nachbar-Provinz Sultan Kudarat.

Die angekündigte Kandidatur von Toto Mangudadatu in Maguindanao, der Hochburg der Ampatuans, sei für den Gouverneur und Patriarchen des Familienclans eine Frage der persönlichen Ehre gewesen, sagt Ishak Mastura ein Repräsentant der Autonomen Muslimischen Region in Mindanao. Dies sei viel schlimmer, als eine Gefährdung des Wahlsieges.

"Die Kandidatur der Mangudadatus war ein Angriff auf die Ehre des Gouverneurs. Die Ehre ist für Ampatuan Senior viel wichtiger als der demokratische Wettbewerb, bei dem jeder bei einer Wahl als Kandidat auftreten kann. Die Ampatuans hätten ohnehin gewonnen. Aber es war einfach zu viel für den Stolz des Gouverneurs, dass ihn jemand herausfordert, obwohl doch völlig klar sein musste, dass er gegen die überwältigende Macht der Ampatuans nicht gewinnen konnte."

Andal Ampatuan Senior ist der Chef des Familien-Clans, so etwas wie der Pate einer italienischen Mafia-Organisation. Seine Söhne, Schwiegersöhne und Neffen sind Bürgermeister in den Ortschaften der Provinz. Einige haben führende Positionen bei der Polizei und der Armee in der Region, andere sind Kongress-Abgeordnete oder Regierungsbeamte in Manila.

Wenn einer der Ampatuans durch die Provinz gefahren ist, dann wurde er meist von einem ganzen Konvoi schwer bewaffneter Leibwächter begleitet. Bei den Mangudadatus war das nicht anders. Trafen zwei Konvois aus verfeindeten Lagern aufeinander, gab es in der Regel eine Schießerei - mit Toten und Verletzten. Am 23. November hingegen war alles anders.

Toto Mangudadatu fuhr nicht selbst nach Shariff Aguak, um die Unterlagen für seine Kandidatur bei der bevorstehenden Gouverneurswahl abzugeben, weil er wusste, was passiert, wenn er mit seinen Leibwächtern in das Gebiet der Ampatuans eindringt. Er schickte stattdessen die weiblichen Mitglieder der Familie, unter anderen seine Frau und seine Schwestern. Die sollten die Papiere abgeben. Er dachte, den Frauen würde schon nichts geschehen.

Das Massaker sei ein völlig unerwarteter Verstoß gegen die sonst übliche Achtung und Zurückhaltung gegenüber Frauen gewesen, sagte Vater Jun Mercado, vom Orden der Hünfelder Oblaten OMI, der in Cotabato City eine Missionsstation hat.

"Alle hatten erwartet, dass die Männer kommen würden, um die Kandidatur von Toto Mangudadatu anzumelden. Niemand dachte daran, dass es die Frauen machen würden. Und die Mangudadatus wiederum waren sicher, dass den Frauen nichts passieren würde, sonst hätten sie bestimmt nicht die Frau und die Schwestern von Toto Mangudadatu geschickt.

Sie waren sicher, dass der alte Ampatuan den Frauen nichts antun würde. Denn es wäre völlig unter der Würde eines Feudalherren oder eines Warlords, unbewaffnete und unschuldige Frauen zu ermorden."

In Cotabato City, dem regionalen Zentrum an der Grenze zur Provinz Maguindanao, hat das Massaker am 23. November vergangenen Jahres einen Schock ausgelöst. Die Menschen hier sind an Gewalt gewöhnt. Bewaffnete Konflikte zwischen verfeindeten Familien-Clans oder zwischen der philippinischen Armee und Rebellen der Moro Islamic Liberation Front, MILF, gehören fast zur Tagesordnung. Der Erzbischof von Cotabato City, Orlando Quevedo, zu dessen Diözese die Provinz Maguindanao gehört:

"Gewalt dieser Art ist bei uns nichts Ungewöhnliches. Tatsächlich wurden schon direkt vor meiner Residenz auf der Straße Leute erschossen. Bewaffnete Motorradfahrer, die im Vorbeifahren einen Polizisten oder einen Regierungsbeamten erschießen und verschwinden.

So etwas kommt immer wieder vor. Auch politische Morde. Aber es sind Einzelfälle und nicht solche Massenhinrichtungen, wie das jetzt der Fall war."

Der brutale Mord an fast 60 unbewaffneten Menschen, unter ihnen etwa 30 Journalisten, hat alle Zwischenfälle der Vergangenheit in den Schatten gestellt. Unter den Opfern waren vor allem Lokal-Reporter aus der Region, denn die Kandidatur eines Mangudadatu gegen einen Ampatuan war eine Top-Story für die regionale Presse.

Grace Tanghal, die Programm-Direktorin des katholischen Radiosenders Notre Dame NDBC in Cotabato City, war erleichtert, dass keiner ihrer Mitarbeiter unter den Opfern war.

"An dem Tag ging uns das alles ziemlich nahe. Ich habe fünf der Opfer persönlich gekannt. Von den anderen Journalisten kannte ich nur die Artikel in den lokalen Zeitungen."
Der lokale Radiosender, der von Christen und Muslimen in der Region gleichermaßen gehört wird, hat die Nachricht vom Massaker in Maguindanao als Erster gemeldet.

"Wir hatten das als Breaking News. Toto Mangudadatu, der Vize-Bürgermeister von Buduan, der seine Ehefrau geschickt hatte, um die Kandidatur anzumelden, war bei uns gerade live auf Sendung. Er berichtete, dass der ganze Konvoi entführt worden sei."

Zu diesem Zeitpunkt wusste noch niemand, dass sie schon alle tot waren. Und während des Interviews erhielt Toto Mangudadatu eine SMS, dass fünf seiner Familienmitglieder ermordet worden seien. Wir waren also die Ersten, die die Nachricht vom Massaker in unserer Sendung hatten.

Die internationale Journalisten-Organisation "Reporter ohne Grenzen" sprach von einem schwarzen Tag für die Pressefreiheit. Nonoy Espina, der stellvertretende Vorsitzende der philippinischen Journalistengewerkschaft, sagte, das Massaker zeige den völligen Zusammenbruch von Recht und Ordnung in Mindanao und ein komplettes Versagen der philippinischen Regierung.

"Das war ein Schock für uns alle. Schon am ersten Tag, als die Nachricht vom Massaker die Runde machte und die Gesamtzahl der Toten noch gar nicht genau fest stand und noch von 21 Opfern die Rede war, war das schon das größte Massaker an Journalisten, das es je gegeben hat.

Für mich war das besonders schockierend, denn wenn ich nicht krank geworden wäre, dann wäre ich dort gewesen. Denn wir hatten gehört, dass irgendetwas passieren würde, sollte Mangudadatu seine Kandidatur anmelden. Aber niemand hätte gedacht, dass es so ein Massaker geben würde."

Nach dem Verbrechen demonstrierten in Manila Hunderte Journalisten und Menschenrechtsaktivisten gegen die auf den Philippinen übliche politische Gewalt. Immer wieder sind Journalisten Opfer von Mord und Einschüchterungsversuchen. Der Präsident des philippinischen Presseclubs, Benny Antiporda, fordert ein entschlossenes Handeln des Staates.

"Wenn die Regierung nicht von selbst ihrer Verantwortung gerecht wird, werden wir Medienvertreter die Politiker zwingen, endlich etwas zu tun. Sie müssen für die ganze Nation sorgen und nicht nur für ihre eigenen Interessen und ihre Angehörigen."

Viele Demonstranten trugen schwarze Armbinden mit der Aufschrift: Stoppt die Ermordung von Journalisten. Menschenrechtsorganisationen klagen, dass die Zahl der politischen Morde seit dem Amtsantritt von Präsidentin Gloria Arroyo vor sieben Jahren drastisch zugenommen habe. Nonoy Espina, der stellvertretende Vorsitzende der philippinischen Journalisten-Gewerkschaft:

"Schon vor dem Massaker gab es unter der Regierung von Gloria Arroyo die meisten Morde an Journalisten. Seit ihrem Amtsantritt im Jahr 2001 wurden 67 Journalisten getötet. Das sind mehr als doppelt so viele wie während der Marcos-Diktatur und auch doppelt so viele wie unter den drei Regierungen nach Marcos und vor Arroyo."

Grace Tanghal von Radio Notre Dame in Cotabato City lebt seit Jahren mit der Gefahr. Wenn Lokal-Reporter über Missstände in den lokalen Verwaltungen berichten oder die herrschenden Familien kritisieren, müssen sie mitunter um ihr Leben fürchten. Besonders im Süden der Philippinen. Auch sie habe schon Morddrohungen erhalten, sagt die Programm-Direktorin des katholischen Radiosenders NDBC:

"Ich habe schon ein paar Anrufe bekommen. Und um ehrlich zu sein, ich hatte ganz schön Angst. Normalerweise bekommt man eine SMS oder einen Anruf. Manchmal wird ein Bote geschickt, der einen auffordert, den Mund zu halten, sonst geschehe etwas. Es reicht auch schon, wenn man plötzlich fremde Leute vor seinem Haus beobachtet oder bewaffnete Motorrad-Fahrer. Dann weiß man sofort, was los ist."

Gerade in Cotabato City und den benachbarten Provinzen ist die Macht der herrschenden Familien-Clans auch im Alltag der Menschen allgegenwärtig. In der Provinz Maguindanao sind fast alle Führungspositionen in der öffentlichen Verwaltung und der Polizei mit einem Mitglied der Ampatuan-Familie besetzt. Es gibt praktisch keine staatliche Instanz, an die man sich wenden könnte, um sich über Missstände zu beklagen oder seine staatsbürgerlichen Rechte wahr zu nehmen.

Gegner der herrschenden Familie oder wirtschaftliche Konkurrenten haben Glück, wenn sie mit dem Leben davon kommen. Vor allem in der Politik sei alles auf das Interesse der Familien ausgerichtet, sagt Steven Rood von der Asia-Foundation in Manila:

"Das ist schon seit Jahren ein charakteristisches Merkmal der Philippinen. Dort unten in Mindanao, wo es keine alternativen Institutionen gibt wie ein funktionierendes Justizwesen oder eine Polizei, die für die Einhaltung der Gesetze sorgt, wird die Familie umso bedeutender. Alles dreht sich um den Clan. Und das ist dann so wie bei Romeo und Julia, wenn junge Männer mit einer Waffe in der Hand und stolz geschwellter Brust umherziehen und jederzeit bereit sind, einen Streit vom Zaun zu brechen."

Die Ampatuans hatten sich in den vergangenen zehn Jahren zu einer der einflussreichsten Familien im Süden der Philippinen entwickelt. Sie waren enge Verbündete von Präsidentin Gloria Arroyo und galten als das Zünglein an der Waage, als bei der letzten Präsidentschaftswahl im Jahr 2004 die Wiederwahl Arroyos gefährdet war.

Während der zehnjährigen Amtszeit von Präsidentin Arroyo hätten die Ampatuans ihre Machtposition immer weiter ausgebaut, sagt Zamzamin Ampatuan, ein Neffe des Patriarchen und Gouverneurs, der als Staatssekretär im Energieministerium ein wenig Distanz zu den Machenschaften in der Provinz hat, aber natürlich noch in die Familienangelegenheiten der Ampatuans involviert ist.

"Mein Onkel Datu Andal Ampatuan und seine Söhne haben von Anfang an alles daran gesetzt, so viel politische Macht wie nur möglich anzusammeln. Unser Heimatort zum Beispiel, die Provinz-Hauptstadt von Maguindanao, hieß früher Maganoy. Als Datu Andal Gouverneur wurde, gab er dem Ort den Namen seines Vaters, Shariff Aguak.

Damit wollte er zum Ausdruck bringen, dass niemand seine Herrschaft in Frage stellen dürfe. Und dann hat er im Laufe der Jahre mehr als acht Bürgermeisterposten in der Provinz für seine Söhne und Schwiegersöhne geschaffen. Man kann sich also vorstellen, welche Machtposition er für den Ampatuan-Clan aufgebaut hat."

Mehrere führende Familien-Mitglieder der Ampatuans sind heute wegen Verwicklung in das Massaker in Untersuchungshaft. Doch die allumfassende Macht des Clans steht einer Aufklärung des Verbrechens und dem Fortgang des Verfahrens gegen Andal Ampatuan Junior im Wege. Die philippinische Justiz sei viel zu schwach, um gegen die Macht der Familien etwas auszurichten, meint Aurora Corazon Parong, von Amnesty International:

"Die Beweissicherung bei Ermittlungen ist in der Regel so schlecht, dass die Anklage fast vollständig auf Augenzeugen angewiesen ist. Viele Zeugen haben aber Angst um ihr Leben und wollen deshalb normalerweise nicht aussagen. Und wenn sie doch aussagen, dann suchen sie Schutz bei Nichtregierungsorganisationen, weil sie kein Vertrauen in die Zeugenschutzprogramme der Regierung haben. Besonders im Fällen, die mit Menschenrechtsverletzungen zu tun haben."

Medienberichten zufolge sind nach dem Massaker von Maguindanao zahlreiche philippinische Richter und Staatsanwälte untergetaucht - aus Angst, in das Verfahren gegen die Ampatuans verwickelt zu werden. Richter Lusito Cortez vom Regional-Gericht in Quezon City verweigerte die Übernahme des Falls Ampatuan.

Er habe Angst um sein Leben und um die Sicherheit seiner Familie, sagte er. Er habe schon einmal Morddrohungen erhalten, als er vor drei Jahren in einem politischen Mordfall die Verhandlung führte.

Sie habe nicht viel Hoffnung für das Verfahren gegen die Ampatuans, meint Aurora Corazon Parong von Amnesty International. Auch in vielen anderen Fällen von politischen Morden und Menschenrechtsverletzungen seien die Täter meist ungeschoren davon gekommen:

"Es gibt nur sehr selten ein Verfahren. Ich erinnere mich nur an einen einzigen Fall, als ein Journalist ermordet wurde und die Behörden Anklage gegen einen Polizisten erhoben. Aber ich bin nicht einmal sicher, ob es am Ende zu einem Urteil und einer Bestrafung gekommen ist. In der Regel gibt es einen Einspruch nach dem anderen - und so ein Verfahren zieht sich über viele Jahre."

Das Massaker von Maguindanao war offenbar nicht das erste Gewaltverbrechen der Ampatuans. Das philippinische Fernsehen berichtete über brutale Morde in der Vergangenheit, darunter ein Kettensägen-Massaker, bei dem eine ganze Familie zerstückelt worden sei. Mehr als 200 Morde in den vergangenen Jahren würden mit den Ampatuans in Zusammenhang gebracht, sagte Leila de Lima, die Vorsitzende der Menschenrechts-Kommission der Philippinen. Auch Präsidentin Arroyo habe davon gewusst:

"Bei unseren Untersuchungen, die wir unabhängig von den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft vornehmen, wurde uns von unterschiedlichen Quellen berichtet, dass die Ampatuans auch für andere schwere Verbrechen verantwortlich waren. Es gab schon früher Morde, und es gibt mehrere Massengräber in der Region. Und die Ampatuans sind unbeschadet davon gekommen. Niemand traut sich, etwas zu sagen. Niemand traut sich, solche Fälle zu untersuchen."

An dem Massaker von Maguindanao waren mehr als 100 schwer bewaffnete Männer beteiligt, von denen die meisten auf der Flucht sind und sich in den unübersichtlichen Bergen und Wäldern der Insel Mindanao versteckt haben. Unter den Tätern waren auch reguläre Polizisten und Soldaten der in der Region stationierten philippinischen Streitkräfte.

Die meisten Waffen und die Munition, die bei dem Massaker verwendet wurden, stammten aus den Depots der Armee. Alle Polizisten der Provinz wurden inzwischen entlassen und zahlreiche Soldaten der philippinischen Streitkräfte wegen Verwicklung in das Verbrechen suspendiert.

Sowohl bei der Polizei auf den Philippinen als auch bei der Armee gibt es Einheiten, die aus freiwilligen Zivilisten bestehen, Teilzeit-Soldaten oder Polizisten, die bei Sondereinsätzen herangezogen werden. Diese Einheiten unterstehen zum Teil dem Gouverneur der jeweiligen Provinz und werden von diesem mitunter als Privatarmee betrachtet und für private Angelegenheiten eingesetzt. Oberstleutnant Romeo Brawner, der Sprecher der philippinischen Streitkräfte:

"Wir haben bei den philippinischen Streitkräften sogenannte CAFGUS, bewaffnete Gruppen von Staatsbürgern in bestimmten Regionen. Das sind Freiwillige, die die Hälfte der Zeit als Soldaten tätig sind und von uns trainiert und bewaffnet werden, und den Rest ihrer Zeit ihrer normalen Arbeit nachgehen - als Farmer oder Geschäftsmann. Maguindanao ist ein sehr spezieller Fall.

Nirgendwo sonst werden CAFGUS als Privatarmee eingesetzt. In Maguindanao ist das geschehen, denn nach dem Gesetz sind sie dem Gouverneur unterstellt. Und die Ampatuans hatten dort alles unter Kontrolle. Aber die CAFGUS hätten natürlich nicht bei diesem Massaker eingesetzt werden dürfen."

Selbst der philippinische Justizminister Ronaldo Puno räumte ein, dass im Fall Maguindanao einiges schief gelaufen war:

"Praktisch jeder, der für die Aufrechterhaltung von Sicherheit und Ordnung in Maguindanao zuständig war, hat seine Loyalität zum Staat aufgegeben und nur noch für die lokalen Machthaber gearbeitet. Sie sind als offizielle Sicherheitskräfte der Provinz aufgetreten, waren aber in Wahrheit eine Privatarmee des Gouverneurs."

Begünstigt wurde das Massaker durch die allgemeine Verbreitung von Schußwaffen. Statistisch gesehen ist jeder Filipino über 15 Jahre bewaffnet. An den Flughäfen, insbesondere den Regional-Flughäfen in der Provinz, gibt es extra Schalter, an denen man seine Schusswaffe einchecken kann. Die Mitnahme einer Pistole im Handgepäck ist auch auf den Philippinen nicht erlaubt. Aber insgesamt sei der Waffenbesitz allgemein möglich, sagt Oberstleutnant Romeo Brawner, der Sprecher der philippinischen Streitkräfte:

"Jeder darf höchstens zwei Waffen besitzen. Eine Langwaffe und eine Pistole oder einen Revolver. Für Zivilpersonen gilt, die Langwaffe darf nicht mehr als Kaliber 22 haben. Im Fall der Ampatuans ist das alles völlig außer Kontrolle geraten. Die haben Unmengen von Waffen angesammelt und wir versuchen jetzt, das alles nachzuvollziehen."

Vor allem im Süden der Philippinen, in der autonomen muslimischen Region auf der Insel Mindanao gehört eine Schusswaffe zum traditionellen Statussymbol eines Mannes. Wer keine Waffe trage, werde innerhalb und außerhalb seines Clans weniger respektiert, sagt Steven Rood, von der Asia-Foundation in Manila, der die sozialen und politischen Verhältnisse in Mindanao eingehend untersucht hat:

"Es gibt eine interessante Anekdote, die ich in letzter Zeit mehrfach gehört habe. Danach ist ein junger muslimischer Mann unbewaffnet zu einer Hochzeitsfeier gekommen und er wurde ignoriert. Nach einer Weile ging er nach Hause und holte seine Waffe. Als er mit der Pistole am Gürtel wieder bei der Feier auftauchte, wurde ihm Kaffee serviert. Er habe dann, so heißt es, den Kaffe über den Lauf seiner Pistole gegossen und gesagt, dieser Kaffee ist wohl für Dich."

Die Regierung in Manila hat der Entwicklung in Maguindanao jahrelang tatenlos zugesehen. Für Präsidentin Gloria Arroyo waren die Ampatuans wichtige Verbündete, nicht nur im Kampf gegen die muslimischen Rebellen der Moro Islamic Liberation Front MILF, sondern vor allem bei der Sicherung von Wählerstimmen.

Bei der Präsidentschaftswahl im Jahr 2004 hatten die Ampatuans dafür gesorgt, dass Präsidentin Arroyo 100.000 Stimmen aus der Provinz Maguindanao erhielt, gerade genug für ihre Wiederwahl. Und bei der für die Regierungsmehrheit entscheidenden Senatorenwahl im Jahr 2007 habe es offiziell nur Stimmen für den Kandidaten des politischen Lagers der Präsidentin gegeben, sagt Nonoy Espina von der philippinischen Journalisten-Gewerkschaft. Dabei hätten die Gegenkandidaten viele Anhänger in Maguindanao gehabt.

"Es ist allgemein bekannt, dass die Ampatuans Arroyo 2004 und auch 2007 zum Sieg verholfen haben. Einige Kollegen berichteten, dass es 2007 in der ganzen Provinz Maguindanao kein einziges Plakat für einen Kandidaten gab, der nicht dem Regierungslager angehörte.

Alles war unter der Kontrolle der Ampatuans. Und die Reporter des philippinischen Fernsehens mussten um ihr Leben rennen, als sie auf Wahlbetrug stießen und darüber berichten wollten."

Eine Hand wäscht die andere. Als Gegenleistung für die Wahlhilfe unterstützte die Präsidentin unterstützte oder duldete es, dass die Ampatuans die Macht in ihrer Provinz immer weiter ausbauten. Dies sei auf den Philippinen übliche Praxis, sagt Zamzamin Ampatuan:

"Das ist ein natürlicher Vorgang im politischen Prozess, vor allem auf den Philippinen. Das ist eine Art Bezahlung für eine Gefälligkeit. Die eine Seite liefert Stimmen für die Wahl, die andere Seite sorgt für Investitionsprojekte und gewährt Privilegien. Egal welche Partei in Manila regiert, sie wird sich mit Andal Ampatuan Senior auseinander setzen müssen. Denn er ist ein wichtiger politischer Faktor in der Provinz."

Obwohl sich Präsidentin Gloria Arroyo nach dem Massaker offiziell von den Ampatuans abgewandt hat, wird befürchtet, dass die Täter und Hintermänner des Massakers vom 23. November am Ende doch ungestraft davonkommen. Arroyo hatte vorübergehend das Kriegsrecht über die Provinz Maguindanao verhängt und den Sicherheitskräften damit weitgehende Freiheiten bei der Fahndung nach den Tätern und der Suche nach den Waffen gegeben.

Es war das erste Mal seit dem Ende der Marcos-Diktatur 1986, dass im Süden der Philippinen das Kriegsrecht verhängt wurde. Und möglicherweise war das ein Verstoß gegen die philippinische Verfassung. Dann wäre das Ganze Verfahren gegen Andal Ampatuan Junior unter Umständen hinfällig, meint Vater Jun Mercado vom Orden der Oblaten in Cotabato City:

"Können Sie sich vorstellen, was passiert, wenn das Oberste Gericht feststellt, dass das Kriegsrecht verfassungswidrig war? Es darf eigentlich nur im Falle eines Aufstands oder einer Rebellion verhängt werden. Und von einer Rebellion kann überhaupt keine Rede sein.

Man hätte die Ampatuans einfach wegen mehrfachen Mordes anklagen sollen und nicht wegen Rebellion. Wenn das Oberste Gericht jetzt feststellt, dass es keinen Grund für die Verhängung des Kriegsrechts gab, dann wären alle Verhaftungen und alle Beweise, die in dieser Zeit gesammelt worden sind, nicht mehr vor Gericht zu verwenden. Das wäre ein Albtraum."

Das Massaker von Maguindanao hat die Schwachpunkte der Demokratie auf den Philippinen offen gelegt. Einflußreiche politische Familien teilen sich die Macht, sowohl in der Provinz, als auch in Manila. Die in westlichen Demokratien übliche freie Stimm-Abgabe bei Wahlen ist auf den Philippinen in vielen Fällen nicht gewährleistet.

Oft bestimmen Familien-Oberhäupter, für welche Partei oder für welchen Kandidaten die Mitglieder des Clans ihre Stimme abzugeben haben. Von einer wahren Demokratie könne dabei keine Rede sein, sagt Erzbischof Orlando Quevedo aus Cotabato City:

"Bei einer solchen Herrschaft von Warlords, die auf den Philippinen weit verbreitet ist, nicht nur hier im Süden in der autonomen muslimischen Region in Mindanao, wird der Wählerwille sehr oft unterdrückt. Entweder durch Stimmenkauf oder durch Korruption oder weil die Wahlen von den herrschenden Familien-Dynastien manipuliert werden. Ob man da von einer echten Demokratie sprechen kann? Der Wille des Volkes kommt jedenfalls durch die Stimmabgabe nicht zum Ausdruck."

Nach zwei Amtszeiten kann Gloria Arroyo bei den bevorstehenden Präsidentschaftswahlen im Mai dieses Jahres nicht mehr antreten. Sie kandidiert stattdessen für einen Sitz im Kongress. Wer das Machtvakuum in der Provinz Maguindanao füllt und bei den ebenfalls stattfindenden Gouverneurswahlen in der Hochburg der Ampatuans antritt, steht noch nicht fest. Toto Mangudadatu, dessen Familienangehörige und Anhänger bei dem Massaker ums Leben gekommen sind, ist jedenfalls entschlossen, zu kandidieren.