Die Macht der Mafia

Von Thomas Migge |
Der italienische Journalist Roberto Savinio hat mit "Gomorra" einen erschütternden Bestseller über die Macht der Mafia in und um Neapel geschrieben. Nun wird das Buch verfilmt. Gedreht wird genau dort, wo die Gomorra das Sagen hat. Und als Darsteller treten Männer auf, die für die Mafia gearbeitet haben.
Jungen auf der Straße. Sie rauchen und stehen mit ihren Mopeds zusammen. Sie sprechen über Fußball.
Ältere Jungen kommen mir ihren Autos angefahren. Mit starkem Hupen begrüßen sie die anderen.

Wir sind in Scampia - dem wohl heruntergekommensten und gefürchtetesten Stadtviertel von Neapel. Eine Satellitensiedlung, in der mehrere Zehntausend Menschen leben. Hier erheben sich seit Jahren nicht mehr restaurierte gigantische Mehrfamilienhäuser, oder genauer: -blöcke, die "Vele", zu Deutsch Segel, genannt werden und in denen Hunderten von Familien auf engstem Wohnraum zusammenleben. Die "Vele" sind einer der Drehorte eines Films, in dem es um die Camorra geht. So wird in Neapel und in der Region Campanien die organisierte Kriminalität, die Mafia, genannt. Die meisten der Darsteller sind Jungen und Mädchen aus Scampia. Wie zum Beispiel Mario:

"Ich trete erst später im Film auf, wenn davon die Rede ist, wie ein Bauer Drogen ins Viertel schmuggelt, um auf diese Weise Geld zu verdienen. Doch er wird von anderen, jüngeren Drogenhändlern, vertrieben."

Mario ist erst 16 und doch wurde er schon ganze sieben Mal dem Jugendrichter vorgeführt: Diebstähle, Drogenkonsum und Überfälle. Seit einem Jahr bezeichnet er sich als "pulito", als geläutert. Aus diesem Grund ist er einer der Schauspieler in der Verfilmung des Reportagebuches "Gomorra" des italienischen Journalisten Roberto Saviano - ein Buch über die Camorra und wie sie mit ihren ausgeklügelten Korruptions- und Kriminalitätssystem das Leben der Menschen in Neapel und Umgebung vergiftet - und beendet. Der Film, der von dem Nachwuchsregisseur Matteo Garrone gedreht wird, ist eine Mischung aus Fiction und Reportage, gedreht an den Originalorten mafiösen Schreckens - unter Polizeischutz.

Antimafiapolizisten passten auf, als Regisseur Garrone eine Szene des Films in einer Kaffeebar drehte, wo einige ältere Mitglieder eines Camorraclans zukünftige Aktionen gegen einen anderen Clan planten.

Ein anderer Darsteller des Films "Gomorra" ist Pino, sein wahrer Name muss anonym bleiben. Pino war ein waschechter Camorrist, ein Mafiaboss. Seit Jahren arbeitet er mit der Polizei zusammen. Er ist ein sogenannter "pentito", ein reuiger Mafioso, der für die Zeit der Dreharbeiten, begleitet von Polizeibeamten, das Gefängnis verlassen darf:

"Ich habe mich von der Mafia abgewandt, bin ein Pentito geworden, weil andere Mafiosi meinen Sohn Salvatore mit dem Leben bedroht haben. Da habe ich eine große Angst bekommen. Ich bin dann einer der Wortführer einer Gruppe von Mafiosi geworden, die sich dem Staat ergeben haben."

Pino brauchte nicht lange zu überlegen, um bei dem Filmprojekt mitzumachen - das übrigens vom Kulturministeriums mitfinanziert wird. Matteo Garrone bezeichnet die Arbeit an diesem Film als eine große Herausforderung, denn zum ersten Mal überhaupt werde das Thema Camorra an Originalschauorten von Darstellern in Szene gesetzt, die die Camorra direkt erlebt haben oder ihr angehörten:

"Das ist vor allem ein Projekt mit jungen Leuten, den Nachwuchsopfern der Mafia. Der Autor des Buches kennt meine Arbeit und wollte deshalb, dass ich den Film drehe, hier in Neapel, mit Schülern aus Neapel und vor allem aus Scampia."

Mit dem Film "Gomorra" versucht der Regisseur die vielen verschiedenen Situationen des Buches von Roberto Savinio wiederzugeben. Der Autor muss übrigens für seinen Mut, die mafiösen Dinge klipp und klapp anzusprechen, einen hohen Preis bezahlen: auf der Abschussliste der Camorra steht er ganz oben und ohne Bodyguards kann er seine Wohnung nicht mehr verlassen.

Viele Szenen spielen sich auf den Straßen von Scampia ab, mit jenen Kindern und Jugendlichen, die nie eine ordentliche Arbeit haben werden und somit fast automatisch der Camorra in die Arme fallen: Sie bietet Arbeit und Geld und Hoffnung auf ein besseres Leben. Savianos Buch macht Angst, wirft einen düsteren Blick auf die Realität in Neapel und Umgebung. Garrones Film soll ähnlich erschütternd werden. Schließlich gehe es darum, erklärt er, eine Realität wiederzugeben, die nicht nur für deutsche Zuschauer unvorstellbar ist, sondern auch schon in Rom, nur knapp zwei Autostunden von Neapel entfernt, Angst und Schrecken verbreitet.