Die Macht der Schuldgefühle
Der Ire William Trevor gilt als Meister des präzisen Erzählens. Als wären seine Figuren nicht erfunden, sondern real, berichtet er in "Mogeln beim Canasta" aus dem Leben von Priestern, Automechanikern und eines Mädchens, die alle eines verbindet - die Schuld.
Die Verhältnisse in Irland haben sich gründlich geändert. Nimmt man die Erzählungen von William Trevor zum Maßstab, dann ist ein Rückfall in den Bürgerkrieg zwischen Katholiken und Protestanten in Zukunft nicht mehr zu befürchten. Das hat vor allem damit zu tun, dass die Bedeutung der Religionen auch in Irland kontinuierlich abzunehmen scheint. Die Priester, die in Trevors Geschichten durchaus vorkommen, denn sie gehören nun mal zum irischen Grundbestand, sind alte Herren im Ruhestand.
In der Erzählung mit dem Titel "Glaube" geht es um einen eher gescheiterten Vertreter seiner Zunft, der zusammen mit seiner strengen Schwester eine verfallene Provinzkirche mit kleiner Gemeinde übernimmt, um dort etwas Neues entstehen zu lassen, dann aber in einem umgekehrten Erweckungserlebnis seinen Glauben verliert und von da an nur noch seinen Job macht und erlebt, wie seine Schwester stirbt.
William Trevor, der große irische Erzähler, ist ein Meister darin, mit wenigen knappen Sätzen seine Figuren in der ganzen Tragik ihres Lebens kenntlich zu machen. Die sprachliche Präzision, mit der er die Konturen freilegt – von Hans-Christian Oeser vorzüglich ins Deutsche gebracht - , hat vielleicht auch damit zu tun, dass er nebenbei unter dem Namen Trevor Cox als Holzbildhauer arbeitet, es also gewohnt ist, die Strukturen des Materials zu erkennen und unsichtbare Formen herauszuarbeiten. Das Material seiner Erzählungen sind Menschen und ihre Schicksale, und immer wieder geht es um den Moment, in dem sich ein Leben entscheidet, um eine Schuld, die dann so sehr lastet, dass sie alles beschwert.
Die Macht der Schuldgefühle mag auch eine Folge der abnehmenden Bedeutung der Kirchen und der Religion sein. Jetzt bleibt jeder mit seiner Schuld allein, trägt sie schweigend mit sich herum und hat keine Chance, sie wieder loszuwerden. Davon handeln diese Geschichten.
Da ist zum Beispiel der junge Automechaniker, der mit dem Auto ein Kind anfährt und auf der Straße liegen lässt, eine kleine Verrückte, die auf alle vorbeifahrenden Autos zurennt, der doch also auch diesmal schon nichts geschehen sein wird und die im Zweifelsfall selbst schuld ist. Und trotzdem lässt ihn das Ereignis nicht wieder los. Oder das junge Mädchen, das mit seinem Angeberfreund und seiner Gang nachts durch die Straßen zieht und Zeugin wird, wie ein Junge niedergeschlagen und dabei getötet wird. Ihre Schuld besteht in der latenten Zustimmung, in ihrer Freude beim Zusehen und in der Bereitschaft, die hässliche Wahrheit mit falschen Erklärungen zu verkleistern. "Wir müssen damit leben, dass Schuld sich wahllos verteilt", sagt ihr Vater.
Immer wieder geht es bei Trevor um das Zusammenleben, um Beziehungen und Trennungen – so wie in der Geschichte von einer Frau, die in einem Zimmer über der Pferdewettannahmestelle ihren Geliebten trifft, mit dem sie die Untreue erprobt und über ihre Ehe nachdenkt: Ihr Mann geriet neun Jahre zuvor unter Mordverdacht, angeblich hat er eine Prostituierte, die er regelmäßig aufsuchte, umgebracht. Er wurde freigesprochen aus Mangel an Beweisen, doch die Frau weiß nicht, ob er nicht doch schuldig war. Nie hat sie ihn gefragt und hielt doch treu zu ihm. Das Schweigen über die Schuld war die Basis ihrer Liebe, doch diese Art der Liebe, so wird ihr allmählich klar, reicht nicht aus.
Trevor, mittlerweile 82 Jahre alt, ist ein großer Menschenkenner und Menschenfreund, dem es nicht schwerzufallen scheint, sich in die unterschiedlichsten Charaktere einzufühlen. Junge und Alte, Frauen und Männer, Bauern und Arbeiter, Pastoren und Landstreicher bevölkern die irische Landschaft seiner Literatur, und alle wirken mit ihren Sorgen und ihrer Schuld so wirklich, als wären sie nicht erfunden, sondern vorgefunden. Trevors Stärke ist seine Zurückhaltung und die ruhige Gelassenheit des Alters. Auch wenn er Fragen der Schuld verhandelt, moralisiert er nicht, sondern beobachtet bloß. Seine Figuren haben genug mit sich selbst zu tun. Da muss sich nicht auch noch der Autor einmischen.
Besprochen von Jörg Magenau.
William Trevor: "Mogeln beim Canasta. Erzählungen"
Aus dem Englischen von Hans-Christian Oeser
Hoffmann & Campe, Hamburg 2011
238 Seiten, 20 Euro.
In der Erzählung mit dem Titel "Glaube" geht es um einen eher gescheiterten Vertreter seiner Zunft, der zusammen mit seiner strengen Schwester eine verfallene Provinzkirche mit kleiner Gemeinde übernimmt, um dort etwas Neues entstehen zu lassen, dann aber in einem umgekehrten Erweckungserlebnis seinen Glauben verliert und von da an nur noch seinen Job macht und erlebt, wie seine Schwester stirbt.
William Trevor, der große irische Erzähler, ist ein Meister darin, mit wenigen knappen Sätzen seine Figuren in der ganzen Tragik ihres Lebens kenntlich zu machen. Die sprachliche Präzision, mit der er die Konturen freilegt – von Hans-Christian Oeser vorzüglich ins Deutsche gebracht - , hat vielleicht auch damit zu tun, dass er nebenbei unter dem Namen Trevor Cox als Holzbildhauer arbeitet, es also gewohnt ist, die Strukturen des Materials zu erkennen und unsichtbare Formen herauszuarbeiten. Das Material seiner Erzählungen sind Menschen und ihre Schicksale, und immer wieder geht es um den Moment, in dem sich ein Leben entscheidet, um eine Schuld, die dann so sehr lastet, dass sie alles beschwert.
Die Macht der Schuldgefühle mag auch eine Folge der abnehmenden Bedeutung der Kirchen und der Religion sein. Jetzt bleibt jeder mit seiner Schuld allein, trägt sie schweigend mit sich herum und hat keine Chance, sie wieder loszuwerden. Davon handeln diese Geschichten.
Da ist zum Beispiel der junge Automechaniker, der mit dem Auto ein Kind anfährt und auf der Straße liegen lässt, eine kleine Verrückte, die auf alle vorbeifahrenden Autos zurennt, der doch also auch diesmal schon nichts geschehen sein wird und die im Zweifelsfall selbst schuld ist. Und trotzdem lässt ihn das Ereignis nicht wieder los. Oder das junge Mädchen, das mit seinem Angeberfreund und seiner Gang nachts durch die Straßen zieht und Zeugin wird, wie ein Junge niedergeschlagen und dabei getötet wird. Ihre Schuld besteht in der latenten Zustimmung, in ihrer Freude beim Zusehen und in der Bereitschaft, die hässliche Wahrheit mit falschen Erklärungen zu verkleistern. "Wir müssen damit leben, dass Schuld sich wahllos verteilt", sagt ihr Vater.
Immer wieder geht es bei Trevor um das Zusammenleben, um Beziehungen und Trennungen – so wie in der Geschichte von einer Frau, die in einem Zimmer über der Pferdewettannahmestelle ihren Geliebten trifft, mit dem sie die Untreue erprobt und über ihre Ehe nachdenkt: Ihr Mann geriet neun Jahre zuvor unter Mordverdacht, angeblich hat er eine Prostituierte, die er regelmäßig aufsuchte, umgebracht. Er wurde freigesprochen aus Mangel an Beweisen, doch die Frau weiß nicht, ob er nicht doch schuldig war. Nie hat sie ihn gefragt und hielt doch treu zu ihm. Das Schweigen über die Schuld war die Basis ihrer Liebe, doch diese Art der Liebe, so wird ihr allmählich klar, reicht nicht aus.
Trevor, mittlerweile 82 Jahre alt, ist ein großer Menschenkenner und Menschenfreund, dem es nicht schwerzufallen scheint, sich in die unterschiedlichsten Charaktere einzufühlen. Junge und Alte, Frauen und Männer, Bauern und Arbeiter, Pastoren und Landstreicher bevölkern die irische Landschaft seiner Literatur, und alle wirken mit ihren Sorgen und ihrer Schuld so wirklich, als wären sie nicht erfunden, sondern vorgefunden. Trevors Stärke ist seine Zurückhaltung und die ruhige Gelassenheit des Alters. Auch wenn er Fragen der Schuld verhandelt, moralisiert er nicht, sondern beobachtet bloß. Seine Figuren haben genug mit sich selbst zu tun. Da muss sich nicht auch noch der Autor einmischen.
Besprochen von Jörg Magenau.
William Trevor: "Mogeln beim Canasta. Erzählungen"
Aus dem Englischen von Hans-Christian Oeser
Hoffmann & Campe, Hamburg 2011
238 Seiten, 20 Euro.