Die Märchen-Maler

Von Günter Beyer |
Im späten 19. Jahrhundert entstand innerhalb der bildenden Kunst der Symbolismus. Die Bilder entführen den Betrachter in eine Welt voller Mythen. Das Wuppertaler Von der Heydt-Museum zeigt in einer Ausstellung zahlreiche Werke des Symbolismus' und zieht Vergleiche zur Kunst der Gegenwart.
Rätselhafte Fabelwesen, halb Mensch, halb Tier, geben sich auf einer in Mondlicht getauchten Lichtung im "Zauberwald" ein Stelldichein. Eine triumphierende Sphinx thront auf einem Berg von Leibern. Eine Gestalt mit wallendem Haar taumelt auf einen schwindelerregenden Abgrund zu. Solche Szenen sind auf Werken von Franz von Stuck, Gustave Moreau und Léon Spilliaert zu sehen, drei Malern des Symbolismus, einer Kunstrichtung, die um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert in ganz Europa in hoher Blüte stand.

""Der Symbolismus war im 19. Jahrhundert ja eine unter mehreren Richtungen ..."

... erinnert Gerhard Finckh, Direktor des Wuppertaler Von der Heydt-Museums.

"Gleichzeitig gab es den Realismus, den Naturalismus, den Historismus - also Richtungen, die sehr viel mit klarer logischer Gedanklichkeit zu tun hatten. Und auf der anderen Seite eben diesen antirationalistischen, etwas mystischen Symbolismus. Und so ist es heute auch."

Symbolistische Spuren - so behauptet nun eine reich bestückte Ausstellung in Wuppertal - lassen sich nämlich durchaus in der allerjüngsten zeitgenössischen Kunst entdecken.

"Es gab ja Ende der 90er Jahre eine verstärkte Tendenz zu einer erzählerisch-imaginativen Malerei ..."

... sagt Ute Riese, die Kuratorin der Ausstellung.

"Also auf einmal wurde wieder figurativ gemalt, Leipziger Schule, Peter Doig, Daniel Richter - alle haben figurative Malerei betrieben auf einmal. Und da mich persönlich diese Richtung des Symbolismus als eine exotische und esoterische Kunstrichtung schon immer interessiert hat, dachte ich, man müsste das gegenüberstellen, um zu sehen, wie die Bezüge sind zwischen diesen beiden Richtungen, zwischen denen genau hundert Jahre liegen."

Das Resultat ist verblüffend: Ute Riese hat Bilder-Paare mit verwandten Motiven gefunden, zwischen deren Entstehung hundert und mehr Jahre liegen. So malte Giovanni Segantini um 1880 eine Landschaft mit einem zerzausten Baum, in dessen Krone eine schemenhafte Frau hockt. 2004 lässt der junge Berliner Künstler Uwe Henneken in einem von der Pop-Art inspirierten Ölbild einer jungen Frau ein knorriger Baum aus dem Haar wachsen. Ein weiteres Bilder-Paar spielt gleich doppelt an auf Arnold Böcklins berühmte "Toteninsel" von 1886. Ferdinand Keller schuf im düster-symbolverhangenen Stil der "Toteninsel" 1902 "Böcklins Grab". Der Brite Glenn Brown dagegen stellt sich 1998 Böcklins Grab als einen im schwarzblauen All schwebenden Meteoriten vor - mit einer phantastischen, an Atommeiler und Metropolis erinnernden Architektur.

"Das ist auch ein Gemälde, hat aber eine ganz glatte, cleane Oberfläche, fast wie ein Computerbild. Und dann, wenn man näher rangeht, sieht man: Es ist ganz fein gemalt, aber so gemalt, dass man es nicht mehr als Malerei erkennen soll."

Entstanden war der Symbolismus als Richtung im literarischen Frankreich des Fin de Siècle, einer seiner Hauptvertreter war der Dichter Stéphane Mallarmé. 1886 proklamierte sein Kollege Jean Moréas ein "Symbolistisches Manifest". Darin forderte er, eine künstlerische Idee dürfe niemals begrifflich fixiert oder direkt angesprochen werden. Der Künstler habe lediglich "feinnervig wahrnehmbare Spuren" zu legen. Zehn Jahre später, 1896, fand in Paris die erste Ausstellung symbolistischer Maler statt, die sich als "peintres de l´âme", als "Maler der Seele", empfahlen. Die mittelalterliche Malerei hatte noch einen regelrechten Kanon christlicher Symbole geschaffen, wonach der theologisch geschulte Betrachter wusste, dass zum Beispiel ein Pfau unwiderlegbar die Hoffnung aufs Paradies verkörpert. Die symbolistische Malerei der Jahrhundertwende dagegen verwendet Symbole freier und knüpft an Märchen, Mythen und Volkssagen an. Zugleich versucht sie, durch raffinierte Licht- und Farbregie rätselhafte, oft unheilschwangere Stimmungen zu erzeugen. So bleibt immer ein Rest von Irrationalem, Unerklärbarem, das den Betrachter irritiert.

"Mallarmé hat es so genannt: Gib dem Betrachter nur die Andeutung, das Rätsel, das Geheimnis. Aber erklär ihm das Bild nie ganz. Insofern gibt es schon eine Parallele."

Erwartet die drei Mädchen auf dem Bild von Ludwig von Hofmann aus dem Jahre 1890 wirklich nur ein harmloses Badevergnügen, wenn sie auf die Wellen zugehen? Oder werden sie ertrinken? Werden - auf dem Foto des Briten Tom Hunter aus dem Jahre 2000 - die beiden jungen Frauen am Lagerfeuer möglicherweise überfallen? Muss man bei dem öden Gelände, dem Zaun und dem kalten Licht der untergehenden Sonne nicht an Gefahr denken?

Weit eindeutiger auf der symbolistischen Klaviatur spielt Jonathan Meese. Seine Bronzeskulptur "Der Propadandist" von 2005 ist ein typischer symbolistischer Zwitter mit Brüsten, Penissen und sogar einem Pferdefuß. Auch auf seinen großformatigen Gemälden versammelt der 37-jährige Meese allerhand Symbolträchtiges - von der Nibelungensage bis zum deutschen Wappenvogel, der als "Suppenadler on the rocks" heruntergekühlt wird.

Museumsdirektor Gerhard Finckh begreift am Beispiel Meese solche Tendenzen zeitgenössischer Kunst bereits als eigenständige neue Richtung:

"Die Bilder von Jonathan Meese, die kriegen dadurch, dass wir sie jetzt mit diesem Begriff Neosymbolismus belegen, für mich eine neue Zuspitzung eigentlich. Also es ist nicht ganz so beliebig, wie das vielleicht bisher war, und es könnte durchaus sein, dass als Ergebnis dieser Ausstellung bleibt, dass man in Zukunft von einem Neosymbolismus spricht, ein Begriff, der bisher eigentlich in der Kunstgeschichte so nicht vorhanden war."

Service:! Die Ausstellung "Der Symbolismus und die Kunst der Gegenwart" ist vom 24.6.2007 bis zum 30.9.2007 im Von der Heydt-Museum in Wuppertal zu sehen.