Gehäuse des wilden Klangs
Klein und handlich: Als 1963 die Kompaktkassette auf den Markt kam, revolutionierte sie die Kultur des Hörens. Erstmals war es möglich, die Töne der Welt transportabel und mobil durch eigene Aufnahmen zu machen.
Durch die individuell bespielte Musikkassette wurde ein Gegenmarkt zur Musikindustrie geschaffen. Auch heute im Zeitalter von Mp3 und iTunes gibt es sie noch: Menschen, die ihre Magnetbandkassetten lieben.
Sie war ein Versprechen, ein Geschenk, ein kleines technisches Wunderwerk: Erfunden von Lou Ottens, Chefentwickler bei Philips, vorgestellt auf der Berliner Funkausstellung im September 1963.
Ein Verfahren mit Geschichte
Das Verfahren des dänischen Erfinders Valdemar Poulsen basiert auf der Erkenntnis, dass sich Metalldraht durch Strom magnetisieren lässt. Ein Mikrofon wandelt Schallwellen in eine definierte Wechselspannung. Wird nun der Stahldraht an einem Tonkopf vorbei geführt, induziert die Wechselspannung eine bleibende Magnetisierung. Wenn man den Stahldraht anschließend wieder an dem Elektromagneten vorbeiführt, wird wiederum in diesem eine elektrische Spannung induziert. Ein Lautsprecher macht das ursprüngliche Signal wieder hörbar.
Wenn der Rundfunk nichts bietet …
Ein Werbetext der frühen 1970er preist die Vorzüge eines Aufnahme- und Wiedergabegeräts für die Magnetbandkassette, den Sternrekorder:
"Auf dem Gebiet der Reisegeräte gibt es wohl kaum eine sinnvollere Kombination als die eines Rundfunkempfängers mit einem Tonbandgerät. Beide lassen sich getrennt voneinander betreiben, ergänzen sich jedoch vortrefflich, denn man kann vom Rundfunkteil oder einem Fremdgerät liebgewordene Sendungen aufnehmen. Ist einmal 'nichts im Rundfunk', so genügt ein Druck auf die Taste, und das eigene Archiv beginnt zu 'spuren'."
Experimentierfeld für Kreative
Die Musikkassette öffnet Welten. Bannt zum Beispiel den Klang aus dem Westradio auf einen Tonträger, der in die Hemdtasche passt, sich tauschen und kopieren lässt. Das Band kann selbst zum Musikinstrument werden, zum Experimentierfeld für einen jungen Mann, der damals Künstler werden will. Heute hat Moritz Götze, Maler in Halle, Jahrgang 1964, Kassettengeneration, längst sein eigenes Atelier mit Schubschränken an den Wänden. Die sind gefüllt mit Farbtuben, Papieren, Pinseln – und den heißgeliebten Tapes:
"Und das absolut Verrückte ist, diese eine Kassette, diese russische Kassette, ist überhaupt meine allererste Kassette. Die habe ich bei 'ner Freundin aus dem Papierkorb geholt Ende der 70er, weil da war das Band gerissen und die hatte die weggeworfen. Und da habe ich die wieder rausgeholt und dann irgendwie wieder aufgeschraubt oder aufgeschnitten und dann wieder zusammengeklebt - und die geht immer noch."
Onlinetext: hum
Das komplette Manuskript zur Sendung als PDF-Dokument oder im barrierefreien Textformat