Die Mappe auf dem Dachboden
Er zeichnete rund 200 Porträts von Mithäftlingen im Konzentrationslager Holzen, einem Außenlager von Mittelbau-Dora. Doch die Bilder des ehemaligen Resistance-Kämpfers Camille Delétang aus seiner Lagerzeit galten lange als verschollen. Jetzt sind sie am Ort ihrer Entstehung zu sehen.
Einem 92-jährigen Mann aus Celle ist es zu verdanken, dass die Bilder nicht verschwunden sind. Das Sprechen fällt ihm heute schwer, doch die Freude über die Ausstellungseröffnung ist so groß, dass er unbedingt dabei sein wollte.
Zum ersten Mal begegnet Richard Pfeiffer-Blanke den Nachkommen jenes Ex-Häftlings, dessen Bilder er jahrzehntelang lang auf seinem Dachboden hatte. Er spricht kein Französisch, seine Antworten werden für die Enkelin und Urenkelin des Zeichners Camille Delétang übersetzt:
Ihm gefielen die Zeichnungen so gut, dass er sie immer wieder Freunden zeigte und aufbewahrte. Er erzählt, wie sich jahrzehntelang niemand für die Bilder des französischen Résistance-Kämpfers interessierte, er den Absender und die Herkunft der Bilder nicht kannte.
Bis er sie den Forschern der Gedenkstätte Buchenwald gab. Es begann die Aufarbeitung. Denn viele der gut erhaltenen mit Buntstiften gezeichneten Häftlingsporträts lassen einen Namen erkennen und vor allem die Häftlingsnummern. Vom Zeichner selbst gab es auch ein Porträt und eine Nummer, die tatsächlich in der Kartei des ehemaligen Lagers Buchenwald gefunden wurde. Stück für Stück ließen sich Namen rekonstruieren, sagt Andreas Froese-Karow von der Gedenkstätte Mittelbau-Dora:
"Sobald wir herausgefunden hatten, um wen es sich handelt, haben wir nicht nur nach den Angehörigen, die porträtiert wurden, gesucht, sondern auch nach den Angehörigen des Künstlers, ob es noch welche gibt und wenn ja, wo die sind."
Man fand seine Familie in Frankreich, wo heute noch Enkel und Urenkel leben. Der Kontakt löste anfangs einen Schock aus. Hatte doch Camille Delétang jahrelang von seiner Mappe mit den Bildern erzählt, die in den Kriegswirren abhanden gekommen war, sagt seine Urenkelin Sophie – 29 Jahre alt - und zum ersten Mal in Deutschland:
"Die Wiederentdeckung der Zeichnungen hat unsere ganze Familie durcheinander gebracht. Wir dachten, die Bilder sind verloren. Denn mein Urgroßvater hat immer wieder bedauert, dass er sie nicht zeigen konnte, eben mit diesen Bildern, was er erlebt hatte. Und dieser Verlust hat sich über die Generationen hinweg bis in die dritten Generation immer weitergetragen."
Eine seiner Enkelinnen und Sophie – die Urenkelin - sahen heute zum ersten Mal die Zeichnungen im Original. Es sind sensibel gemalte Porträts von Mithäftlingen, teils in der Arbeitskleidung eines Kochs oder des Lagerarztes. Delétang wollte die Szenen des Alltags im Lager Holzen festhalten – einem Außenlager von Mittelbau-Dora. Dort war er inhaftiert.
Er malte fast trügerisch schöne Idyllen, auf den ersten Blick scheint ein Lächeln manch einem Inhaftierten in das Gesicht geschrieben. Eine Form von Würde schien er geben zu wollen, vor allem aber war es Dokumentation, sagt der Historiker Andreas Froese-Karow:
"Wir werten diese Zeichnungen auch als eine Form von Widerstand und kultureller Selbstbehauptung der Häftlinge, viele Häftlinge zeigen sich auf diesen Zeichnungen in einer Form, die keineswegs dem Lageralltag so entsprochen hat. Das wissen wir aus den Erinnerungsberichten, die von den Häftlingen auch überliefert sind."
Wie grauenvoll der Alltag tatsächlich war, daran erinnerte heute General Louis Garnier, der 1944 nach Buchenwald kam. Er erzählt von Repressalien, Mord und Grausamkeit. Aber auch, wie Häftlinge heimlich die Produktion der V2-Raketen boykottierten.
Camille Delétang kam 1944 in das Lager. Er war für die Zwangsarbeit in der Rüstungsindustrie vorgesehen. Im Außenlager Holzen im heutigen Niedersachsen war er einer von hunderten, die unterirdische Stollenanlagen für die Produktion von Flugbomben ausbauten.
In sieben Monaten Lagerhaft entstanden 200 Zeichnungen – 140 davon sind nun zu sehen.
Einem Häftling, der Lagerarzt war, hatte er seine wertvolle Mappe einst anvertraut im festen Glauben, dass jener mehr Glück haben werde im Falle einer Deportation. Delétang überlebte den Weg nach Bergen-Belsen, kam später - nach der Befreiung - über Belgien zurück nach Frankreich.
Seine Bilder glaubte er verloren, denn bei einem Angriff der Alliierten 1944 kam es auf dem Deportationsweg im Güterbahnhof von Celle zu einem Massaker, viele Häftlinge versuchten zu fliehen. Die Mappe landete damals im Vorgarten des heute 92-jährigen Mannes.
Die Enkelin des Zeichners, der 1969 in seinem Haus in Le Mans starb, kann es noch immer nicht fassen:
"Er hat uns alle immer gezeichnet, die Verwandten, und hat die Bilder immer wieder verschenkt."
In Frankreich hat er sich immer für die Geschichte der Veteranen und ehemaligen KZ-Häftlinge eingesetzt. Das hat er uns als Auftrag mitgegeben, sagt sie und wischt eine Träne ab – es seien Tränen der Trauer, aber auch der Freude über die wiedergefundenen Bilder.
Zum ersten Mal begegnet Richard Pfeiffer-Blanke den Nachkommen jenes Ex-Häftlings, dessen Bilder er jahrzehntelang lang auf seinem Dachboden hatte. Er spricht kein Französisch, seine Antworten werden für die Enkelin und Urenkelin des Zeichners Camille Delétang übersetzt:
Ihm gefielen die Zeichnungen so gut, dass er sie immer wieder Freunden zeigte und aufbewahrte. Er erzählt, wie sich jahrzehntelang niemand für die Bilder des französischen Résistance-Kämpfers interessierte, er den Absender und die Herkunft der Bilder nicht kannte.
Bis er sie den Forschern der Gedenkstätte Buchenwald gab. Es begann die Aufarbeitung. Denn viele der gut erhaltenen mit Buntstiften gezeichneten Häftlingsporträts lassen einen Namen erkennen und vor allem die Häftlingsnummern. Vom Zeichner selbst gab es auch ein Porträt und eine Nummer, die tatsächlich in der Kartei des ehemaligen Lagers Buchenwald gefunden wurde. Stück für Stück ließen sich Namen rekonstruieren, sagt Andreas Froese-Karow von der Gedenkstätte Mittelbau-Dora:
"Sobald wir herausgefunden hatten, um wen es sich handelt, haben wir nicht nur nach den Angehörigen, die porträtiert wurden, gesucht, sondern auch nach den Angehörigen des Künstlers, ob es noch welche gibt und wenn ja, wo die sind."
Man fand seine Familie in Frankreich, wo heute noch Enkel und Urenkel leben. Der Kontakt löste anfangs einen Schock aus. Hatte doch Camille Delétang jahrelang von seiner Mappe mit den Bildern erzählt, die in den Kriegswirren abhanden gekommen war, sagt seine Urenkelin Sophie – 29 Jahre alt - und zum ersten Mal in Deutschland:
"Die Wiederentdeckung der Zeichnungen hat unsere ganze Familie durcheinander gebracht. Wir dachten, die Bilder sind verloren. Denn mein Urgroßvater hat immer wieder bedauert, dass er sie nicht zeigen konnte, eben mit diesen Bildern, was er erlebt hatte. Und dieser Verlust hat sich über die Generationen hinweg bis in die dritten Generation immer weitergetragen."
Eine seiner Enkelinnen und Sophie – die Urenkelin - sahen heute zum ersten Mal die Zeichnungen im Original. Es sind sensibel gemalte Porträts von Mithäftlingen, teils in der Arbeitskleidung eines Kochs oder des Lagerarztes. Delétang wollte die Szenen des Alltags im Lager Holzen festhalten – einem Außenlager von Mittelbau-Dora. Dort war er inhaftiert.
Er malte fast trügerisch schöne Idyllen, auf den ersten Blick scheint ein Lächeln manch einem Inhaftierten in das Gesicht geschrieben. Eine Form von Würde schien er geben zu wollen, vor allem aber war es Dokumentation, sagt der Historiker Andreas Froese-Karow:
"Wir werten diese Zeichnungen auch als eine Form von Widerstand und kultureller Selbstbehauptung der Häftlinge, viele Häftlinge zeigen sich auf diesen Zeichnungen in einer Form, die keineswegs dem Lageralltag so entsprochen hat. Das wissen wir aus den Erinnerungsberichten, die von den Häftlingen auch überliefert sind."
Wie grauenvoll der Alltag tatsächlich war, daran erinnerte heute General Louis Garnier, der 1944 nach Buchenwald kam. Er erzählt von Repressalien, Mord und Grausamkeit. Aber auch, wie Häftlinge heimlich die Produktion der V2-Raketen boykottierten.
Camille Delétang kam 1944 in das Lager. Er war für die Zwangsarbeit in der Rüstungsindustrie vorgesehen. Im Außenlager Holzen im heutigen Niedersachsen war er einer von hunderten, die unterirdische Stollenanlagen für die Produktion von Flugbomben ausbauten.
In sieben Monaten Lagerhaft entstanden 200 Zeichnungen – 140 davon sind nun zu sehen.
Einem Häftling, der Lagerarzt war, hatte er seine wertvolle Mappe einst anvertraut im festen Glauben, dass jener mehr Glück haben werde im Falle einer Deportation. Delétang überlebte den Weg nach Bergen-Belsen, kam später - nach der Befreiung - über Belgien zurück nach Frankreich.
Seine Bilder glaubte er verloren, denn bei einem Angriff der Alliierten 1944 kam es auf dem Deportationsweg im Güterbahnhof von Celle zu einem Massaker, viele Häftlinge versuchten zu fliehen. Die Mappe landete damals im Vorgarten des heute 92-jährigen Mannes.
Die Enkelin des Zeichners, der 1969 in seinem Haus in Le Mans starb, kann es noch immer nicht fassen:
"Er hat uns alle immer gezeichnet, die Verwandten, und hat die Bilder immer wieder verschenkt."
In Frankreich hat er sich immer für die Geschichte der Veteranen und ehemaligen KZ-Häftlinge eingesetzt. Das hat er uns als Auftrag mitgegeben, sagt sie und wischt eine Träne ab – es seien Tränen der Trauer, aber auch der Freude über die wiedergefundenen Bilder.