Die Mauer als Symbol
Bevor Gras über die Geschichte wächst, trägt Maren Ullrich Spuren dessen zusammen, was das deutsch-deutsche Grenzbauwerk war, und was es den beiden Staaten bedeutete. Denn so unübersehbar wie die Sperranlagen fast vierzig Jahre lang waren, so schnell verschwinden sie. In freier Landschaft holt sich die Natur ihren Raum zurück, und in Berlin haben viele vergessen, wo genau die Grenze verlief. Viele Touristen wünschen sich mehr Restmauer zur Anschauung zurück.
Gut so, sagen viele Deutsche, je schneller die sichtbaren Zeichen der Teilung verschwinden, desto besser. Maren Ullrich aber bedauert den oft bewusstlos und übereilt vorgenommenen Rückbau der Grenzanlagen. Er zeuge von Verdrängung, von Ignoranz im Sinne von Nicht-Wissen-Wollen und nicht selten von Desinteresse an der Geschichte. Deshalb ist ihr Buch zunächst eine Bestandsaufnahme. Es dokumentiert, was da war, und was geblieben ist, und was daraus zu lernen ist. Vor allem aber zeigt es, wie die beiden Deutschlands die Grenze sehen wollten.
Die Grenze war, über ihre von beiden Systemen unterschiedlich behaupteten Funktion hinaus, ein Symbol. Dementsprechend waren die Bilder und Abbildungen der Demarkationslinie nie objektive Darstellungen, sondern von Anfang mit Bedeutung und Ideologie aufgeladen. Bilder der westdeutschen "Grenzinformation" stellten den Eisernen Vorhang in den fünfziger Jahren noch gern mit Wachturm und Stacheldraht dar, gewollt war die Assoziation mit Kriegsgefangenen- oder Konzentrationslagern. "DDR-KZ" war eines des häufigsten Graffitis auf der Berliner Mauer, bevor Künstler sie als gigantische innerstädtische Leinwand entdeckten.
Die Darstellung der Demarkationslinie ändert sich mit dem Zeitgeist: Während der von Willy Brandt eingeleiteten Entspannungspolitik dominierten plötzlich Fotos von Toren im Zaun oder von Einblicken in die Landschaft dahinter. In den achtziger Jahren dagegen erlahmte das Interesse an der Grenze auf westdeutscher Seite, man schaute einfach nicht mehr hin, und umso größer war das Erstaunen bei vielen über das, was nach dem 9. November plötzlich zutage trat.
Die DDR dagegen ließ sich nicht in die Karten gucken und zeigte in ihren Publikationen nur unscharfe Fotografien oder schematische Darstellung der Staatsgrenze, immer in ihrer behaupteten Funktion als Wehranlage gegen den Westen. Dafür betrieb sie einen Heldenkult um die, je nach Zählweise, zwischen 16 und 37 zu Tode gekommenen DDR-Grenzschützer.
Maren Ullrichs Buch ist schon deshalb ein Verdienst, weil es durch die Dokumentation der Darstellungen an und von der Grenze zeigt, welcher Geist im geteilten Deutschland des Kalten Krieges vorherrscht. Die auf westdeutscher Seite zahlreich aufgestellten Mahnmale gegen die Grenze, riesige Holzkreuze, Findlinge und kitschig-aufdringliche Skulpturen aus Stacheldraht sprechen für sich. Tote an der Grenze wurden nicht selten für fundamentale Systemkritik instrumentalisiert.
Interessant ist auch zu erfahren, dass Schilder mit der Landkarte eines "dreigeteilten Deutschlands", BRD, DDR und Ostgebiete, in den sechziger Jahren deshalb umstritten waren, weil auf ihnen Landstriche wie das Sudetenland oder Westpreußen nicht verzeichnet waren. Zu viele wollten im Westen damals zurück zu einem Deutschland, das weit größer war als das von 1937.
Maren Ullrich ist Kunsthistorikerin, ihr bevorzugtes Mittel, sich dem Topos zu nähern, ist die Bildbeschreibung. Sie deutet die unterschiedlichen Darstellungen der Grenze nach ihrem symbolischen Gehalt aus und zieht Rückschlüsse auf ihren Einfluss auf den Diskurs des jeweiligen Staates: in der Regel dienen Grenzbilder der Selbstrechtfertigung. Und auch nach 1989 herrscht das Lagerdenken vor, sagt Maren Ullrich, nachdem sie die zahlreichen Grenzmuseen und nachträglich errichteten oder veränderten Erinnerungsstätten analysiert hat.
Denn so wie es während der Teilung im Wesentlichen nur von bundesrepublikanischer Seite aus möglich war, sich ein Bild von der Grenze zu machen, so dominiert heute die westdeutsche Geschichtsinterpretation. Viele gerade der kleinen Museen, in der Regel unter Verzicht auf wissenschaftliche Unterstützung durch Privatinitiative zusammengestellt, changieren zwischen Flohmarkt-Ästhetik und Geisterbahn. Authentische Darstellungen aus ostdeutscher Sicht fehlen oder kommen zu kurz.
Maren Ullrichs Buch ist als Aufforderung zu verstehen, sich der Erinnerung an die deutsch-deutsche Grenze auf höherem Niveau zu widmen und dies nicht Amateuren und Geschichtsklitterern zu überlassen.
Maren Ullrich: Geteilte Ansichten.
Erinnerungslandschaft Deutsch-Deutsche Grenze
Mit einem Vorwort von Ralph Giordano
Aufbau Verlag, Berlin 2006
304 Seiten, 24,90 Euro
Die Grenze war, über ihre von beiden Systemen unterschiedlich behaupteten Funktion hinaus, ein Symbol. Dementsprechend waren die Bilder und Abbildungen der Demarkationslinie nie objektive Darstellungen, sondern von Anfang mit Bedeutung und Ideologie aufgeladen. Bilder der westdeutschen "Grenzinformation" stellten den Eisernen Vorhang in den fünfziger Jahren noch gern mit Wachturm und Stacheldraht dar, gewollt war die Assoziation mit Kriegsgefangenen- oder Konzentrationslagern. "DDR-KZ" war eines des häufigsten Graffitis auf der Berliner Mauer, bevor Künstler sie als gigantische innerstädtische Leinwand entdeckten.
Die Darstellung der Demarkationslinie ändert sich mit dem Zeitgeist: Während der von Willy Brandt eingeleiteten Entspannungspolitik dominierten plötzlich Fotos von Toren im Zaun oder von Einblicken in die Landschaft dahinter. In den achtziger Jahren dagegen erlahmte das Interesse an der Grenze auf westdeutscher Seite, man schaute einfach nicht mehr hin, und umso größer war das Erstaunen bei vielen über das, was nach dem 9. November plötzlich zutage trat.
Die DDR dagegen ließ sich nicht in die Karten gucken und zeigte in ihren Publikationen nur unscharfe Fotografien oder schematische Darstellung der Staatsgrenze, immer in ihrer behaupteten Funktion als Wehranlage gegen den Westen. Dafür betrieb sie einen Heldenkult um die, je nach Zählweise, zwischen 16 und 37 zu Tode gekommenen DDR-Grenzschützer.
Maren Ullrichs Buch ist schon deshalb ein Verdienst, weil es durch die Dokumentation der Darstellungen an und von der Grenze zeigt, welcher Geist im geteilten Deutschland des Kalten Krieges vorherrscht. Die auf westdeutscher Seite zahlreich aufgestellten Mahnmale gegen die Grenze, riesige Holzkreuze, Findlinge und kitschig-aufdringliche Skulpturen aus Stacheldraht sprechen für sich. Tote an der Grenze wurden nicht selten für fundamentale Systemkritik instrumentalisiert.
Interessant ist auch zu erfahren, dass Schilder mit der Landkarte eines "dreigeteilten Deutschlands", BRD, DDR und Ostgebiete, in den sechziger Jahren deshalb umstritten waren, weil auf ihnen Landstriche wie das Sudetenland oder Westpreußen nicht verzeichnet waren. Zu viele wollten im Westen damals zurück zu einem Deutschland, das weit größer war als das von 1937.
Maren Ullrich ist Kunsthistorikerin, ihr bevorzugtes Mittel, sich dem Topos zu nähern, ist die Bildbeschreibung. Sie deutet die unterschiedlichen Darstellungen der Grenze nach ihrem symbolischen Gehalt aus und zieht Rückschlüsse auf ihren Einfluss auf den Diskurs des jeweiligen Staates: in der Regel dienen Grenzbilder der Selbstrechtfertigung. Und auch nach 1989 herrscht das Lagerdenken vor, sagt Maren Ullrich, nachdem sie die zahlreichen Grenzmuseen und nachträglich errichteten oder veränderten Erinnerungsstätten analysiert hat.
Denn so wie es während der Teilung im Wesentlichen nur von bundesrepublikanischer Seite aus möglich war, sich ein Bild von der Grenze zu machen, so dominiert heute die westdeutsche Geschichtsinterpretation. Viele gerade der kleinen Museen, in der Regel unter Verzicht auf wissenschaftliche Unterstützung durch Privatinitiative zusammengestellt, changieren zwischen Flohmarkt-Ästhetik und Geisterbahn. Authentische Darstellungen aus ostdeutscher Sicht fehlen oder kommen zu kurz.
Maren Ullrichs Buch ist als Aufforderung zu verstehen, sich der Erinnerung an die deutsch-deutsche Grenze auf höherem Niveau zu widmen und dies nicht Amateuren und Geschichtsklitterern zu überlassen.
Maren Ullrich: Geteilte Ansichten.
Erinnerungslandschaft Deutsch-Deutsche Grenze
Mit einem Vorwort von Ralph Giordano
Aufbau Verlag, Berlin 2006
304 Seiten, 24,90 Euro