"Die Mauer funktioniert nicht als Problemlöser"
Den Fall der Berliner Mauer bezeichnet der Fotograf Kai Wiedenhöfer als wichtigstes politisches Ereignis seines Lebens. Leider sei daraus keine Lehre gezogen worden. Im Gegenteil: In den letzten 20 Jahren hätten Mauern eine Renaissance erlebt.
Liane von Billerbeck: Berlin, Belfast, Bagdad. Der 1966 geborene Dokumentarfotograf Kai Wiedenhöfer hat Grenzanlagen auf der ganzen Welt fotografiert, seit er das 1989 nach dem Fall der Berliner Mauer zum ersten Mal tat, damals als Student im ersten Semester an der Folkwangschule in Essen, wo er Fotografie studierte. Später dann noch in Damaskus Arabisch. Und er hat zahlreiche Preise bekommen, unter anderem den World Press Award. Und in Berlin, auf der Rückseite der East Side Gallery, auf der Westseite also, sind seine Mauerfotos aus aller Welt jetzt zu sehen. Aber Kai Wiedenhöfer ist jetzt bei uns zu Gast, herzlich willkommen!
Kai Wiedenhöfer: Vielen Dank!
von Billerbeck: Die Mauer, die Mauer, muss man ja genauer betont sagen, das war damals die in Berlin, also die beide Berlins, die beiden deutschen Staaten und auch die Systeme teilte. Sie haben die Menschen fotografiert, die an der Mauer gefeiert haben, aber auch die Mauer selbst, diese Grenzanlage. Was hat Sie an den Betonplatten, dem Stacheldraht, dem Todesstreifen fotografisch so interessiert?
Wiedenhöfer: Damals war es eigentlich, also wir kamen – also wir sind ziemlich schnell von Essen hierher gefahren, jedoch nicht aufgrund unserer Professoren, sondern eines amerikanischen Fotografen, den wir getroffen haben, der hat gesagt, er würde sofort fahren, das haben wir dann auch gemacht. Und wir kamen dann irgendwie um vier Uhr morgens am Potsdamer Platz am 12. November, und es war halt einfach diese Stimmung in der Stadt, die wir festgehalten haben. Also es ging damals eigentlich weniger um die Mauer an sich. Die war eher so Beiwerk. Es war diese echt super Stimmung, die da war, die ich in meinem Leben eigentlich nie wieder erlebt hab.
Man hat ja immer so diese Seiten, und die haben sich eigentlich aufgelöst an dem Tag. Selbst die DDR-Grenzer waren eigentlich relativ happy oder machten einen netten Eindruck. Das war schon – das war halt echt so eine Basisstimmung, die einfach nur Freude ausdrückte, und so was ist mir nie wieder passiert. Und deswegen war es halt für mich auch, also war das wichtigste politische Ereignis in meinem Leben. Und es war ja auch ein Ende der Welt, wie wir sie kannten, oder aus der wir gekommen sind, also die Welt des Kalten Krieges einfach.
von Billerbeck: Ihre Professoren an der Folkwangschule, die waren, so hörte ich, nicht so begeistert, dass Sie da für ein paar Tage nach Berlin gefahren sind, anstatt zu Ihren Vorlesungen in die Uni – war Dokumentarfotografie, wie Sie sie gemacht haben, in Essen damals noch kein Thema?
Wiedenhöfer: Nein, das nicht, aber – ich weiß nicht, die Leute haben es halt einfach unterschätzt, also in der Breite und in der Bedeutung, die das hatte. Also ich habe es auch schwer bereut, dass wir bloß vier, fünf Tage geblieben sind und dann halt – ich war gerade zehn Tage im ersten Semester, und man hat dann gesagt, wie wichtig die Schule ist und so, was sie dann eigentlich gar nicht war, das hat sich ja schon da rausgestellt. Aber immerhin waren wir da.
von Billerbeck: Warum ist aber nun dieses Motiv der Grenzanlagen für Sieso wichtig geworden seit dem Mauerfall, wo es ja um die Mauer ging?
Wiedenhöfer: Es war also damals aus der Stimmung, die eben war. 1989 hat man gedacht, wir haben jetzt eine freie Welt und auch eine grenzenlose Welt, und die Zeit der Mauern ist vorbei und was wir eben in den 20 Jahren gesehen haben seitdem, ist eben eine riesige Renaissance der Mauern. Also ein französischer Philosoph hat geschrieben, es seien seit dem Mauerfall 1989 18.000 Kilometer befestigte Grenze gebaut worden. Ich weiß nicht, woher er die Zahl hat, aber ich selber komme auf sechseinhalb Tausend, und die kann ich auch bildnerisch belegen.
Und – ich meine, der Fall der Berliner Mauer war ja eigentlich, das war ja praktisch das Zeichen dafür, man kann einen Konflikt nicht damit lösen, dass man eine Mauer baut. Und die Lehre, die daraus eigentlich gezogen worden ist, geschichtlich gesehen, die hat sich eben nicht umgesetzt, sondern man macht eben weiter auf diesem Weg, und es ist ja, wenn man in der Geschichte länger zurücksieht, es hat ja nie ein Problem gelöst. Ob es jetzt ein nationaler Konflikt ist oder ein religiöser oder ein ethnischer, es hat ja nie funktioniert.
von Billerbeck: Nun ist es ja nicht immer einfach, an solchen Mauern, die zwischen verfeindeten Staaten, Regionen oder aus anderen Gründen gebaut wurden, zu fotografieren. Wenn Sie sich erinnern, Sie haben beispielsweise auch in Korea fotografiert, was war da besonders schwierig? Wie hat die Bürokratie denn, die Administration auf Ihr Ansinnen reagiert, wenn Sie gesagt haben, Sie wollen sich da umsehen und Bilder machen?
Wiedenhöfer: Na ja, für Korea habe ich relativ viele Vorbereitungen gemacht, also über die koreanische Botschaft hier, also über die Pressesektion, aber das war im Prinzip falsch, das wusste ich natürlich erst hinterher. Man hätte einfach nur mit dem Militärattaché reden müssen, weil der ganze Zugang ist einfach so reglementiert, dass man einfach nur, aber wirklich nur, ausschließlich mit der Armee da arbeiten kann. Und ich muss den Amerikanern noch die Füße küssen praktisch, weil die haben mir den Zugang gegeben, auch wenn bloß für zwei, drei Tage, und der Rest war eigentlich, in den fast drei Wochen, die ich da war, mehr oder weniger Zeitverschwendung und ein Hin-und-Her-Gerenne.
von Billerbeck: Wie haben denn die Soldaten reagiert oder Ihre militärischen Begleiter auf Ihre Arbeit? Waren die auch neugierig, was Sie da fotografieren, oder ist das eher eine komplette Abschottung gewesen?
Wiedenhöfer: Nee, das ist auch verschieden. Also die UN ist eigentlich meistens relativ interessiert, also zum Beispiel die amerikanischen Soldaten in Korea oder die von der UN, also von der UN-Truppe in Zypern. Und auch bei den Irakern, also die sind ja dann nicht direkt dabei. Es ist immer nur – also im Irak, ich hab dann halt so eine Genehmigung vom Bagdad Operations Commander, ich muss dann immer den lokalen Commander fragen und der telefoniert dann wieder an seinem Batallion Head Quarter, und von dort geht es dann wieder ins Bagdad Operations Commandement, dann geht es die Strecke wieder zurück, wobei eigentlich fast immer ja gesagt wird. Aber diese Formalien werden halt eingehalten, und dann geht das halt einen Viertelstunde oder auch eineinhalb Stunden, je nachdem. Und dann redet man schon mal mit den Leuten und guckt dann halt, was raus kommt.
von Billerbeck: Sie waren auch an den Grenzanlagen an der Mauer zwischen den USA und Mexiko – wie haben Sie das erlebt, wie prägt diese Grenze die Menschen, die diesseits und jenseits leben.
Wiedenhöfer: Ja, also dieses Diesseits und Jenseits ist so ein bisschen …
von Billerbeck: … doppeldeutig geworden …
Wiedenhöfer: Ja, es existiert auch nicht so richtig, weil es gibt diesen berühmten Satz, den man dann oft hört, "I didn't cross the border, the border crossed me", also "Nicht ich hab die Grenze überquert, sondern die Grenze hat mich überquert". Weil es ist ja auch im amerikanisch-mexikanischen Krieg ist ja sehr viel, was früher Kalifornien gehörte, ja mal zu Mexiko, den Vereinigten Staaten zugeschlagen worden, und deswegen ist es ja schon ein extremer Mix von Leuten da, und bis in die 80er-Jahre sind auch Erntehelfer jedes Jahr hin und her.
Und jetzt machen sie das halt nicht mehr, weil durch diese, durch die Grenzanlage ist es halt, wenn man einmal rüber geht, dann bleibt man in der Regel auf amerikanischer Seite, weil der Menschenschmuggel, der dann läuft, ist doch ein ziemlich teures Geschäft und für die Immigranten wird das, die leihen sich das Geld meistens zusammen von ihrer Familie und müssen das Geld dann auch wieder verdienen und schicken das dann nach Mexiko oder Ecuador oder wo immer sie auch herkommen, wieder zurück.
von Billerbeck: Wenn Sie so viele internationale Grenzanlagen im Blick haben, in den Blick nehmen, sie fotografiert haben über viele Jahre, ist da auch ein politisches Anliegen dahinter oder sagen Sie als Dokumentarfotograf, ich zeige nur, was ist, die Schlussfolgerungen muss der Betrachter ziehen.
Wiedenhöfer: Es geht schon in erster Linie darum, halt mal einen Denkprozess auszulösen und es ist halt auch, wie gesagt, dieses Vermächtnis, also der Fall der Berliner Mauer, weil es ist eben – die Mauer funktioniert nicht als Problemlöser, das ist eigentlich schon klar für mich. Und das ist praktisch meine Message, und ja – da hört es eigentlich schon auf. Also es können dann – die Reklexion, die können dann die Leute machen, die sich die Bilder angucken.
von Billerbeck: Sie haben die Mauern ja mal als "Stein gewordenen Ausdruck von Ohnmacht" bezeichnet.
Wiedenhöfer: Ja, das ist halt, wenn nichts mehr, wenn nichts mehr funktioniert, wenn man sich überhaupt nicht –
von Billerbeck: Dann baut man eine Mauer?
Wiedenhöfer: Dann baut man eine Mauer, ja.
von Billerbeck: Zurzeit sind 35 Ihrer Fotos in Berlin zu sehen auf der Rückseite der ja inzwischen legendären East Side Gallery, also sozusagen auf der Westseite der East Side Gallery. Da gab es viel Wirbel um diese Fotos, denn eigentlich, so habe ich es gelesen, wollten Sie ausschließlich Fotografien der Grenzanlagen zwischen Israel und den Palästinensergebieten zeigen. Warum stechen diese Fotos für Sie heraus?
Wiedenhöfer: Na ja, das ist ein ein bisschen längerer Prozess. Also ich habe ein Buch gemacht über – also das ist fertig, das wurde 2007 veröffentlicht im Steidl-Verlag, und – also die ursprüngliche Idee war eben, die Bilder von diesem Buch auf die Mauer zu kleben eigentlich vor der Restaurierung der East Side Gallery in, wann war das, 2009, und dann praktisch das vor der Renovierung hin zu kleben und dann, wenn man die ganzen Sandstrahl- und Renovierungsarbeiten hat, dass man es gar nicht mehr abmachen muss, sondern das bei der Restauration mit runter geht.
Und das wurde dann verlagert auf die andere Seite, also das war dann irgendwie politisch nicht durchführbar hier. Und dann kam eben Belfast und die amerikanisch-mexikanische Grenze dazu, weil ich dann halt schon in meinem nächsten Projekt drin war, das eben diese acht Grenzen umfasst. Und da gab es dann die Idee von der immateriellen Bespielung, was natürlich ein unsinniger – also es war so Ja und Nein zu sagen zur gleichen Zeit, weil wir können nicht dreißig Projektoren aufstellen. Und das Wachpersonal, das ist irgendwie was, was sich oberhalb der 100.000 Euro bewegt …
von Billerbeck: Also die Bilder einfach an die Mauer werfen quasi …
Wiedenhöfer: Ja, und man kann es natürlich auch nur nachts machen und das ist ein Riesenaufwand, das geht einfach gar nicht.
von Billerbeck: Es gab aber auch immer so politische Debatten, weil das Konzept von der Stadt Berlin abgelehnt worden sei, um eben nicht die israelische Grenzanlage mit der Berliner Mauer gleichzusetzen.
Wiedenhöfer: Ja, das ist eben – die einen sagen gleichsetzen, und die anderen sagen vergleichen. Ja, das ist so.
von Billerbeck: Und wie sehen Sie es?
Wiedenhöfer: Ja also wie gesagt, ich hab jetzt diesen – das ist jetzt auch ein bisschen her – also diesen Ansatz habe ich jetzt eigentlich nicht mehr, jetzt wirklich um diese Idee der Problemlösung, dass die halt ad absurdum geführt wurde. Und es ist ja auch so, also man sieht das auch in Israel in den besetzten Gebieten sehr gut, ich hab ja da das erste Mal 1989 fotografiert und damals funktionierte der ganze Grenzverkehr ja trotz der ersten Intifada, die ja heute irgendwie – wie ein Kindergarten aussieht, wenn man überlegt, was heute Sache ist.
Damals hatten die Leute die sehr gute Idee, beidseitig, also wer ein Palästinenser oder was ein Palästinenser haben ja auch in Israel gearbeitet, also Gaza, das wäre ja irgendwie – ein Fünftel der Bevölkerung hat in Israel gearbeitet, und jetzt kennt man sich halt gar nicht mehr. Man hat irgendwie eine Idee von der anderen Seite, die aber meistens nur noch über die Medien irgendwie aufoktroyiert ist, die aber mit der Realität nichts mehr zu tun hat. Und die hilft dem Konflikt natürlich gar nicht. Oder irgendeiner Lösung auch nur näher zu kommen. Und es ist halt auch so – lustig, gestern haben sie in Abudis, also in Jerusalem auch jetzt zum ersten Mal Löcher in die Mauer reingehauen. Was mehr Arbeit ist jetzt als an der Berliner Mauer. Hat anscheinend auch geklappt.
von Billerbeck: Das sagt der Dokumentarfotograf Kai Wiedenhöfer, dessen Bilder derzeit auf der Rückseite der Berliner East Side Gallery zu sehen sind. Danke fürs Kommen!
Wiedenhöfer: Danke auch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Kai Wiedenhöfer: Vielen Dank!
von Billerbeck: Die Mauer, die Mauer, muss man ja genauer betont sagen, das war damals die in Berlin, also die beide Berlins, die beiden deutschen Staaten und auch die Systeme teilte. Sie haben die Menschen fotografiert, die an der Mauer gefeiert haben, aber auch die Mauer selbst, diese Grenzanlage. Was hat Sie an den Betonplatten, dem Stacheldraht, dem Todesstreifen fotografisch so interessiert?
Wiedenhöfer: Damals war es eigentlich, also wir kamen – also wir sind ziemlich schnell von Essen hierher gefahren, jedoch nicht aufgrund unserer Professoren, sondern eines amerikanischen Fotografen, den wir getroffen haben, der hat gesagt, er würde sofort fahren, das haben wir dann auch gemacht. Und wir kamen dann irgendwie um vier Uhr morgens am Potsdamer Platz am 12. November, und es war halt einfach diese Stimmung in der Stadt, die wir festgehalten haben. Also es ging damals eigentlich weniger um die Mauer an sich. Die war eher so Beiwerk. Es war diese echt super Stimmung, die da war, die ich in meinem Leben eigentlich nie wieder erlebt hab.
Man hat ja immer so diese Seiten, und die haben sich eigentlich aufgelöst an dem Tag. Selbst die DDR-Grenzer waren eigentlich relativ happy oder machten einen netten Eindruck. Das war schon – das war halt echt so eine Basisstimmung, die einfach nur Freude ausdrückte, und so was ist mir nie wieder passiert. Und deswegen war es halt für mich auch, also war das wichtigste politische Ereignis in meinem Leben. Und es war ja auch ein Ende der Welt, wie wir sie kannten, oder aus der wir gekommen sind, also die Welt des Kalten Krieges einfach.
von Billerbeck: Ihre Professoren an der Folkwangschule, die waren, so hörte ich, nicht so begeistert, dass Sie da für ein paar Tage nach Berlin gefahren sind, anstatt zu Ihren Vorlesungen in die Uni – war Dokumentarfotografie, wie Sie sie gemacht haben, in Essen damals noch kein Thema?
Wiedenhöfer: Nein, das nicht, aber – ich weiß nicht, die Leute haben es halt einfach unterschätzt, also in der Breite und in der Bedeutung, die das hatte. Also ich habe es auch schwer bereut, dass wir bloß vier, fünf Tage geblieben sind und dann halt – ich war gerade zehn Tage im ersten Semester, und man hat dann gesagt, wie wichtig die Schule ist und so, was sie dann eigentlich gar nicht war, das hat sich ja schon da rausgestellt. Aber immerhin waren wir da.
von Billerbeck: Warum ist aber nun dieses Motiv der Grenzanlagen für Sieso wichtig geworden seit dem Mauerfall, wo es ja um die Mauer ging?
Wiedenhöfer: Es war also damals aus der Stimmung, die eben war. 1989 hat man gedacht, wir haben jetzt eine freie Welt und auch eine grenzenlose Welt, und die Zeit der Mauern ist vorbei und was wir eben in den 20 Jahren gesehen haben seitdem, ist eben eine riesige Renaissance der Mauern. Also ein französischer Philosoph hat geschrieben, es seien seit dem Mauerfall 1989 18.000 Kilometer befestigte Grenze gebaut worden. Ich weiß nicht, woher er die Zahl hat, aber ich selber komme auf sechseinhalb Tausend, und die kann ich auch bildnerisch belegen.
Und – ich meine, der Fall der Berliner Mauer war ja eigentlich, das war ja praktisch das Zeichen dafür, man kann einen Konflikt nicht damit lösen, dass man eine Mauer baut. Und die Lehre, die daraus eigentlich gezogen worden ist, geschichtlich gesehen, die hat sich eben nicht umgesetzt, sondern man macht eben weiter auf diesem Weg, und es ist ja, wenn man in der Geschichte länger zurücksieht, es hat ja nie ein Problem gelöst. Ob es jetzt ein nationaler Konflikt ist oder ein religiöser oder ein ethnischer, es hat ja nie funktioniert.
von Billerbeck: Nun ist es ja nicht immer einfach, an solchen Mauern, die zwischen verfeindeten Staaten, Regionen oder aus anderen Gründen gebaut wurden, zu fotografieren. Wenn Sie sich erinnern, Sie haben beispielsweise auch in Korea fotografiert, was war da besonders schwierig? Wie hat die Bürokratie denn, die Administration auf Ihr Ansinnen reagiert, wenn Sie gesagt haben, Sie wollen sich da umsehen und Bilder machen?
Wiedenhöfer: Na ja, für Korea habe ich relativ viele Vorbereitungen gemacht, also über die koreanische Botschaft hier, also über die Pressesektion, aber das war im Prinzip falsch, das wusste ich natürlich erst hinterher. Man hätte einfach nur mit dem Militärattaché reden müssen, weil der ganze Zugang ist einfach so reglementiert, dass man einfach nur, aber wirklich nur, ausschließlich mit der Armee da arbeiten kann. Und ich muss den Amerikanern noch die Füße küssen praktisch, weil die haben mir den Zugang gegeben, auch wenn bloß für zwei, drei Tage, und der Rest war eigentlich, in den fast drei Wochen, die ich da war, mehr oder weniger Zeitverschwendung und ein Hin-und-Her-Gerenne.
von Billerbeck: Wie haben denn die Soldaten reagiert oder Ihre militärischen Begleiter auf Ihre Arbeit? Waren die auch neugierig, was Sie da fotografieren, oder ist das eher eine komplette Abschottung gewesen?
Wiedenhöfer: Nee, das ist auch verschieden. Also die UN ist eigentlich meistens relativ interessiert, also zum Beispiel die amerikanischen Soldaten in Korea oder die von der UN, also von der UN-Truppe in Zypern. Und auch bei den Irakern, also die sind ja dann nicht direkt dabei. Es ist immer nur – also im Irak, ich hab dann halt so eine Genehmigung vom Bagdad Operations Commander, ich muss dann immer den lokalen Commander fragen und der telefoniert dann wieder an seinem Batallion Head Quarter, und von dort geht es dann wieder ins Bagdad Operations Commandement, dann geht es die Strecke wieder zurück, wobei eigentlich fast immer ja gesagt wird. Aber diese Formalien werden halt eingehalten, und dann geht das halt einen Viertelstunde oder auch eineinhalb Stunden, je nachdem. Und dann redet man schon mal mit den Leuten und guckt dann halt, was raus kommt.
von Billerbeck: Sie waren auch an den Grenzanlagen an der Mauer zwischen den USA und Mexiko – wie haben Sie das erlebt, wie prägt diese Grenze die Menschen, die diesseits und jenseits leben.
Wiedenhöfer: Ja, also dieses Diesseits und Jenseits ist so ein bisschen …
von Billerbeck: … doppeldeutig geworden …
Wiedenhöfer: Ja, es existiert auch nicht so richtig, weil es gibt diesen berühmten Satz, den man dann oft hört, "I didn't cross the border, the border crossed me", also "Nicht ich hab die Grenze überquert, sondern die Grenze hat mich überquert". Weil es ist ja auch im amerikanisch-mexikanischen Krieg ist ja sehr viel, was früher Kalifornien gehörte, ja mal zu Mexiko, den Vereinigten Staaten zugeschlagen worden, und deswegen ist es ja schon ein extremer Mix von Leuten da, und bis in die 80er-Jahre sind auch Erntehelfer jedes Jahr hin und her.
Und jetzt machen sie das halt nicht mehr, weil durch diese, durch die Grenzanlage ist es halt, wenn man einmal rüber geht, dann bleibt man in der Regel auf amerikanischer Seite, weil der Menschenschmuggel, der dann läuft, ist doch ein ziemlich teures Geschäft und für die Immigranten wird das, die leihen sich das Geld meistens zusammen von ihrer Familie und müssen das Geld dann auch wieder verdienen und schicken das dann nach Mexiko oder Ecuador oder wo immer sie auch herkommen, wieder zurück.
von Billerbeck: Wenn Sie so viele internationale Grenzanlagen im Blick haben, in den Blick nehmen, sie fotografiert haben über viele Jahre, ist da auch ein politisches Anliegen dahinter oder sagen Sie als Dokumentarfotograf, ich zeige nur, was ist, die Schlussfolgerungen muss der Betrachter ziehen.
Wiedenhöfer: Es geht schon in erster Linie darum, halt mal einen Denkprozess auszulösen und es ist halt auch, wie gesagt, dieses Vermächtnis, also der Fall der Berliner Mauer, weil es ist eben – die Mauer funktioniert nicht als Problemlöser, das ist eigentlich schon klar für mich. Und das ist praktisch meine Message, und ja – da hört es eigentlich schon auf. Also es können dann – die Reklexion, die können dann die Leute machen, die sich die Bilder angucken.
von Billerbeck: Sie haben die Mauern ja mal als "Stein gewordenen Ausdruck von Ohnmacht" bezeichnet.
Wiedenhöfer: Ja, das ist halt, wenn nichts mehr, wenn nichts mehr funktioniert, wenn man sich überhaupt nicht –
von Billerbeck: Dann baut man eine Mauer?
Wiedenhöfer: Dann baut man eine Mauer, ja.
von Billerbeck: Zurzeit sind 35 Ihrer Fotos in Berlin zu sehen auf der Rückseite der ja inzwischen legendären East Side Gallery, also sozusagen auf der Westseite der East Side Gallery. Da gab es viel Wirbel um diese Fotos, denn eigentlich, so habe ich es gelesen, wollten Sie ausschließlich Fotografien der Grenzanlagen zwischen Israel und den Palästinensergebieten zeigen. Warum stechen diese Fotos für Sie heraus?
Wiedenhöfer: Na ja, das ist ein ein bisschen längerer Prozess. Also ich habe ein Buch gemacht über – also das ist fertig, das wurde 2007 veröffentlicht im Steidl-Verlag, und – also die ursprüngliche Idee war eben, die Bilder von diesem Buch auf die Mauer zu kleben eigentlich vor der Restaurierung der East Side Gallery in, wann war das, 2009, und dann praktisch das vor der Renovierung hin zu kleben und dann, wenn man die ganzen Sandstrahl- und Renovierungsarbeiten hat, dass man es gar nicht mehr abmachen muss, sondern das bei der Restauration mit runter geht.
Und das wurde dann verlagert auf die andere Seite, also das war dann irgendwie politisch nicht durchführbar hier. Und dann kam eben Belfast und die amerikanisch-mexikanische Grenze dazu, weil ich dann halt schon in meinem nächsten Projekt drin war, das eben diese acht Grenzen umfasst. Und da gab es dann die Idee von der immateriellen Bespielung, was natürlich ein unsinniger – also es war so Ja und Nein zu sagen zur gleichen Zeit, weil wir können nicht dreißig Projektoren aufstellen. Und das Wachpersonal, das ist irgendwie was, was sich oberhalb der 100.000 Euro bewegt …
von Billerbeck: Also die Bilder einfach an die Mauer werfen quasi …
Wiedenhöfer: Ja, und man kann es natürlich auch nur nachts machen und das ist ein Riesenaufwand, das geht einfach gar nicht.
von Billerbeck: Es gab aber auch immer so politische Debatten, weil das Konzept von der Stadt Berlin abgelehnt worden sei, um eben nicht die israelische Grenzanlage mit der Berliner Mauer gleichzusetzen.
Wiedenhöfer: Ja, das ist eben – die einen sagen gleichsetzen, und die anderen sagen vergleichen. Ja, das ist so.
von Billerbeck: Und wie sehen Sie es?
Wiedenhöfer: Ja also wie gesagt, ich hab jetzt diesen – das ist jetzt auch ein bisschen her – also diesen Ansatz habe ich jetzt eigentlich nicht mehr, jetzt wirklich um diese Idee der Problemlösung, dass die halt ad absurdum geführt wurde. Und es ist ja auch so, also man sieht das auch in Israel in den besetzten Gebieten sehr gut, ich hab ja da das erste Mal 1989 fotografiert und damals funktionierte der ganze Grenzverkehr ja trotz der ersten Intifada, die ja heute irgendwie – wie ein Kindergarten aussieht, wenn man überlegt, was heute Sache ist.
Damals hatten die Leute die sehr gute Idee, beidseitig, also wer ein Palästinenser oder was ein Palästinenser haben ja auch in Israel gearbeitet, also Gaza, das wäre ja irgendwie – ein Fünftel der Bevölkerung hat in Israel gearbeitet, und jetzt kennt man sich halt gar nicht mehr. Man hat irgendwie eine Idee von der anderen Seite, die aber meistens nur noch über die Medien irgendwie aufoktroyiert ist, die aber mit der Realität nichts mehr zu tun hat. Und die hilft dem Konflikt natürlich gar nicht. Oder irgendeiner Lösung auch nur näher zu kommen. Und es ist halt auch so – lustig, gestern haben sie in Abudis, also in Jerusalem auch jetzt zum ersten Mal Löcher in die Mauer reingehauen. Was mehr Arbeit ist jetzt als an der Berliner Mauer. Hat anscheinend auch geklappt.
von Billerbeck: Das sagt der Dokumentarfotograf Kai Wiedenhöfer, dessen Bilder derzeit auf der Rückseite der Berliner East Side Gallery zu sehen sind. Danke fürs Kommen!
Wiedenhöfer: Danke auch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.