Die Mauer "hat eine Zukunft als Denkmal"
Die Präsidentin des Nationalkomitees für Denkmalschutz, Eva-Maria Stange, hat eindringlich dafür plädiert, Teile der Berliner Mauer und des früheren Grenzstreifens zu erhalten. Die sinnliche Wahrnehmung der Mauer sei unentbehrlich. Man brauche etwas Sichtbares, "um das man vieles an Informationen ranken kann". Man müsse "zumindest in Teilen diese sinnliche Wahrnehmung erhalten für die nachwachsende Generation".
Liane von Billerbeck: Die Mauer muss weg, hieß es nicht nur während der 28 Jahre, als sie Ost und West trennte, sondern auch kurz nach dem Mauerfall. Man wollte das Monstrum einfach nicht mehr vor Gesicht haben. Inzwischen wissen besonders Jüngere kaum noch, wo genau die Mauer stand und auch viele nichts über ihre Geschichte. Heute befasst sich eine Tagung in Berlin mit Mauer und Grenze. Veranstaltet hat sie das Nationalkomitee für Denkmalschutz gemeinsam mit der Akademie der Künste, der Stiftung Berliner Mauer und der Brandenburgischen Universität Cottbus. Vor unserer Sendung habe ich mit Eva-Maria Stange gesprochen, sie ist Staatsministerin in Sachsen und Präsidentin des Nationalkomitees für Denkmalschutz, und habe sie gefragt, ob die Mauer eine Zukunft hat, und zwar als Denkmal.
Eva-Maria Stange: Ich glaube, sie hat eine Zukunft als Denkmal, weil mittlerweile allen klar ist, dass wir, ich sag mal so, etwas Greifbares, etwas Sichtbares benötigen, um das man dann natürlich auch vieles an Informationen ranken kann. Aber das Sinnliche, die Wahrnehmung dieser Mauer, ist unentbehrlich. Und deswegen nicht nur unsere Tagung, sondern auch ein Umdenken in der Frage: Was bleibt von der Mauer?
von Billerbeck: Sie haben gesagt, mittlerweile hat man begriffen. Wann war denn der Punkt, als man begriffen hat, dass die Mauer ein Denkmal ist und dass man da Teile auch davon erhalten muss?
Stange: Also eigentlich hat es schon 1990 die Diskussion insbesondere bei den Denkmalschützern gegeben, und ich bin da auch sehr dankbar, dass gerade die Denkmalschützer in Berlin und Brandenburg sich da aktiv eingesetzt haben dafür. Und das Umdenken hat, glaube ich, so Mitte der 90er Jahre stattgefunden. Und jetzt in der Tagung - ich habe das gestern Abend bei der Buchlesung schon gemerkt - ist eigentlich vollkommen klar, dass es ohne diese sinnliche Wahrnehmung der Mauer, zumindest in Teilen der Stadt, auch nicht möglich sein wird, über Dauer diese Geschichte, die Informationen, die mit der Mauer verbunden sind, aufrechtzuerhalten.
von Billerbeck: Nun haben die Denkmalpfleger sich aber nicht nur gegen politischen Widerstand Anfang der 90er Jahre durchsetzen müssen, sondern auch gegen Widerstand von Leuten, die diese Mauer als Bollwerk in Erinnerung haben. Es hat viele Tote gegeben, bis zum letzten, Chris Geffroy, der am 5. Februar '89 dort erschossen wurde. Wie groß war der Widerstand aus diesen Bereichen?
Stange: Es ist vollkommen verständlich, dass die Menschen, insbesondere diejenigen, die durch die Mauer auch mit ihrem Leben, das Leben bedroht worden ist, dass sie den Wunsch haben, dass die Mauer verschwindet und dass sie sozusagen auch aus dem sichtbaren Umfeld verschwindet. Das ist erst mal für mich vollkommen verständlich.
Auf der anderen Seite muss man immer an die denken - die Generation ist ja bereits geboren -, die die Mauer nie selbst erlebt hat, die sie sozusagen nur noch aus der Geschichte kennt. Und hier ist es aus meiner Sicht unverzichtbar, dass ähnlich wie an anderen Stellen wir Denkmale über Jahrhunderte erhalten, dass wir auch hier zumindest in Teilen diese sinnliche Wahrnehmung erhalten für die nachwachsende Generation - nicht für die, die von der Mauer unmittelbar bedroht gewesen sind, sondern für die nachwachsende Generation.
von Billerbeck: Nun gibt es ja nicht nur eine zentrale Mauergedenkstätte, sondern viele Gedenkorte. Welche Rolle spielt denn beim Erhalt der Mauer auch das Bürgerengagement an verschiedenen Punkten in Berlin und auch an anderen Stellen, wo die Mauer stand?
Stange: Sicher wird jetzt in den nächsten zwei Tagen in der Tagung die verschiedenen Stellen des Erhaltens der Mauer und das Bürgerengagement eine größere Rolle spielen. Und ich will vielleicht auch an dieser Stelle sagen, Denkmale, die von staatlicher Hand erhalten werden, sind sicherlich die eine Seite. Dort, wo sich aber die Bürger selber engagieren und selber einbringen und auch ihre persönlichen Informationen mit einbringen, das ist sicher etwas, was noch nachhaltiger wirkt und was auch für die Informationsweitergabe an die nächste Generation, für die Vermittlung auch zum Beispiel gegenüber ausländischen Bürgern, noch von größerer Bedeutung ist. Also ich halte sehr viel und ich würde auch sehr gern befördern dieses Bürgerengagement.
von Billerbeck: Nun steht Berlin immer im Mittelpunkt, schließlich heißt die Mauer "Berliner Mauer", aber sie stand ja auch anderswo. Wie haben Sie das erlebt als Präsidenten des Nationalkomitees für Denkmalschutz, wie unterschiedlich ist der Umgang mit der Mauer in der Stadt und auf dem Land?
Stange: Der Denkmalschutz - und das will ich vielleicht noch mal deutlich machen - hat sich hier in hervorragender Weise eingebracht, um die Mauer als Denkmal, als Mahnmal zu erhalten, vielleicht früher, als viele andere das getan haben. Ich möchte aber auch immer wieder drauf hinweisen, wir haben nicht nur in Berlin eine Mauer gehabt, sondern wir haben auch eine Ost-West-Teilung mit allem, was dazugehört, wenn es auch nicht die manifeste Mauer selbst gewesen ist, unmittelbar zwischen Ost- und Westdeutschland gehabt.
Und wenn ich heute sehe, dass die Zeugen dazu fast vollständig verschwinden, weil Landschaftsschutzgebiete entstehen oder man tatsächlich den Wunsch hat, das wieder zu naturalisieren und Menschenleben dort auch wieder sich ansiedeln in diesen Grenzstreifen, dann habe ich schon ein bisschen Sorge, dass hier die Erinnerung vollkommen verschwindet über die Jahrzehnte. Und deswegen wäre es sicherlich auch wichtig, nicht nur in Berlin und in Teilen von Brandenburg an die Mauer zu erinnern und sie zu erhalten, sondern auch in dem ehemaligen Grenzstreifen zwischen Ost- und Westdeutschland.
von Billerbeck: Während Ihrer Tagung gibt es eine Diskussion, die den etwas polemischen Titel hat: "Muss man die Mauer wieder aufbauen?" Was meinen Sie, muss man das?
Stange: Nein, also auch Denkmäler werden nicht wieder aufgebaut, sondern sie werden an der Stelle erhalten, wie sie zu einem bestimmten Zeitpunkt erhalten gewesen sind. Und ich habe schon gestern Abend sehr schnell gelernt, dass es die Mauer an sich auch über die Jahrzehnte nicht gegeben hat, sondern die Mauer sich auch viel verändert hat. Und ich denke, die Mauer sollte an den Stellen, an repräsentativen Stellen erhalten bleiben, so wie sie 1989 zum Fall der Mauer dagestanden hat und natürlich mit den entsprechenden Informationsmaterialien versehen werden. Es macht überhaupt keinen Sinn, die Mauer wieder aufzubauen. Ich glaube, das würde auch zu erheblichen Irritationen in der Bevölkerung in Ost und West führen.
von Billerbeck: Trotzdem gibt es das Interesse von Touristen, die Mauer auch sinnlich erfahrbar zu erleben, die ja in Berlin doppelreihig war, das haben viele ja gar nicht mehr in Erinnerung, die nur die eine Seite gesehen haben. Wie wird das praktisch passieren, dass auch Touristen und auch nachfolgende Generationen, die das ja nicht mehr erlebt haben, das so erleben können, wie die Mauer dort war?
Stange: Also erst mal, glaube ich, ist das Mauerdenkmal im Marie-Elisabeth-Lüders-Haus, das wir gestern Abend auch sehen konnten, zumindest ein Ort, wo man einen Teil der Mauer und natürlich auch das, was mit der Mauer verbunden war, nämlich die Toten an der Mauer, sehr hautnah erleben kann.
Aber Sie haben vollkommen recht. Ich glaube, auch im Ergebnis der Tagung muss geklärt werden, ob es notwendig ist, die Mauer eben nicht nur als einseitige Mauer zu sehen, sondern in ihrer gesamten Anlage zu sehen, nämlich dass sie zwei Seiten hatte, dass es einen Todesstreifen gegeben hat und vor allen Dingen auch die Informationen, die dazu notwendig sind. Ich glaube, hier ist noch vieles zu klären in den nächsten Jahren, und dazu soll die Tagung ja auch einen Beitrag leisten.
von Billerbeck: Wir reden sehr viel über die Mauer als überwundenes Symbol der Teilung. Eine Debatte, die besonders in Leipzig und auch in Berlin sehr heftig geführt wird, ist um das Einheitsdenkmal, also das Denkmal, das eigentlich eine schöne Erinnerung an ein Ereignis der deutschen Geschichte wachrufen soll. Was meinen Sie, welches Gewicht soll das Erinnern an die Teilung gegenüber dem Erinnern an die Einheit haben?
Stange: Ich glaube, beides ist wichtig. Also man kann die Einheit nicht verstehen, wenn man nicht die Teilung versteht und nicht die Hintergründe, weshalb Deutschland, weshalb Ost-West über Jahrzehnte geteilt gewesen ist, dann kann man auch nicht verstehen, warum man sich über die Einheit, über den Fall der Mauer, über das Aufbegehren, des Widerstandes im Osten freuen soll oder bzw. das auch historisch mit verarbeiten soll. Beides gehört zusammen, beides gehört eng verbunden miteinander und beides muss den nachfolgenden Generationen auch durch ein Denkmal sozusagen sofort einleuchtend sein und einsichtig sein. Denn die Einheit kann man nicht verstehen, ohne die Teilung verstanden zu haben.
von Billerbeck: Ein Denkmal, das ist immer so was Ernsthaftes, Schwergewichtiges. Was meinen Sie, brauchen wir ein bisschen mehr Leichtigkeit, auch bei diesem Einheitsdenkmal, wenn Sie die Vorschläge, die da jetzt bisher verworfen worden sind für dieses Denkmal, mal vor ihrem geistigen Auge Revue passieren lassen?
Stange: Also ich kenne nicht alle Vorschläge, denn ich bin nicht Mitglied der Jury. Ich habe nur mitbekommen, dass die Jury sehr hart gerungen hat und letztlich aber von den Vorschlägen, die bisher auf dem Tisch gelegen haben, offenbar nicht überzeugt gewesen ist und deshalb auch dieser Prozess weiterläuft. Ich halte das auch für kein Problem, weil es ja hier auch um ein Denkmal geht, was über Jahrzehnte, vielleicht Generationen dann auch einen Aussagewert haben soll, und dafür sollte man sich Zeit lassen.
Die Kunst kann heute viel in dieser Richtung erreichen, aber man muss davon auch überzeugt sein am Ende. Und klar, ein Einheitsdenkmal ist etwas, was eher Freude, Erleichterung symbolisieren soll und nicht eine Mauer auf der anderen Seite. Ich bin keine Künstlerin, insofern vertraue ich aber auf unsere Künstler, dass sie einen Vorschlag unterbreiten können, der dann auch überzeugt.
Eva-Maria Stange: Ich glaube, sie hat eine Zukunft als Denkmal, weil mittlerweile allen klar ist, dass wir, ich sag mal so, etwas Greifbares, etwas Sichtbares benötigen, um das man dann natürlich auch vieles an Informationen ranken kann. Aber das Sinnliche, die Wahrnehmung dieser Mauer, ist unentbehrlich. Und deswegen nicht nur unsere Tagung, sondern auch ein Umdenken in der Frage: Was bleibt von der Mauer?
von Billerbeck: Sie haben gesagt, mittlerweile hat man begriffen. Wann war denn der Punkt, als man begriffen hat, dass die Mauer ein Denkmal ist und dass man da Teile auch davon erhalten muss?
Stange: Also eigentlich hat es schon 1990 die Diskussion insbesondere bei den Denkmalschützern gegeben, und ich bin da auch sehr dankbar, dass gerade die Denkmalschützer in Berlin und Brandenburg sich da aktiv eingesetzt haben dafür. Und das Umdenken hat, glaube ich, so Mitte der 90er Jahre stattgefunden. Und jetzt in der Tagung - ich habe das gestern Abend bei der Buchlesung schon gemerkt - ist eigentlich vollkommen klar, dass es ohne diese sinnliche Wahrnehmung der Mauer, zumindest in Teilen der Stadt, auch nicht möglich sein wird, über Dauer diese Geschichte, die Informationen, die mit der Mauer verbunden sind, aufrechtzuerhalten.
von Billerbeck: Nun haben die Denkmalpfleger sich aber nicht nur gegen politischen Widerstand Anfang der 90er Jahre durchsetzen müssen, sondern auch gegen Widerstand von Leuten, die diese Mauer als Bollwerk in Erinnerung haben. Es hat viele Tote gegeben, bis zum letzten, Chris Geffroy, der am 5. Februar '89 dort erschossen wurde. Wie groß war der Widerstand aus diesen Bereichen?
Stange: Es ist vollkommen verständlich, dass die Menschen, insbesondere diejenigen, die durch die Mauer auch mit ihrem Leben, das Leben bedroht worden ist, dass sie den Wunsch haben, dass die Mauer verschwindet und dass sie sozusagen auch aus dem sichtbaren Umfeld verschwindet. Das ist erst mal für mich vollkommen verständlich.
Auf der anderen Seite muss man immer an die denken - die Generation ist ja bereits geboren -, die die Mauer nie selbst erlebt hat, die sie sozusagen nur noch aus der Geschichte kennt. Und hier ist es aus meiner Sicht unverzichtbar, dass ähnlich wie an anderen Stellen wir Denkmale über Jahrhunderte erhalten, dass wir auch hier zumindest in Teilen diese sinnliche Wahrnehmung erhalten für die nachwachsende Generation - nicht für die, die von der Mauer unmittelbar bedroht gewesen sind, sondern für die nachwachsende Generation.
von Billerbeck: Nun gibt es ja nicht nur eine zentrale Mauergedenkstätte, sondern viele Gedenkorte. Welche Rolle spielt denn beim Erhalt der Mauer auch das Bürgerengagement an verschiedenen Punkten in Berlin und auch an anderen Stellen, wo die Mauer stand?
Stange: Sicher wird jetzt in den nächsten zwei Tagen in der Tagung die verschiedenen Stellen des Erhaltens der Mauer und das Bürgerengagement eine größere Rolle spielen. Und ich will vielleicht auch an dieser Stelle sagen, Denkmale, die von staatlicher Hand erhalten werden, sind sicherlich die eine Seite. Dort, wo sich aber die Bürger selber engagieren und selber einbringen und auch ihre persönlichen Informationen mit einbringen, das ist sicher etwas, was noch nachhaltiger wirkt und was auch für die Informationsweitergabe an die nächste Generation, für die Vermittlung auch zum Beispiel gegenüber ausländischen Bürgern, noch von größerer Bedeutung ist. Also ich halte sehr viel und ich würde auch sehr gern befördern dieses Bürgerengagement.
von Billerbeck: Nun steht Berlin immer im Mittelpunkt, schließlich heißt die Mauer "Berliner Mauer", aber sie stand ja auch anderswo. Wie haben Sie das erlebt als Präsidenten des Nationalkomitees für Denkmalschutz, wie unterschiedlich ist der Umgang mit der Mauer in der Stadt und auf dem Land?
Stange: Der Denkmalschutz - und das will ich vielleicht noch mal deutlich machen - hat sich hier in hervorragender Weise eingebracht, um die Mauer als Denkmal, als Mahnmal zu erhalten, vielleicht früher, als viele andere das getan haben. Ich möchte aber auch immer wieder drauf hinweisen, wir haben nicht nur in Berlin eine Mauer gehabt, sondern wir haben auch eine Ost-West-Teilung mit allem, was dazugehört, wenn es auch nicht die manifeste Mauer selbst gewesen ist, unmittelbar zwischen Ost- und Westdeutschland gehabt.
Und wenn ich heute sehe, dass die Zeugen dazu fast vollständig verschwinden, weil Landschaftsschutzgebiete entstehen oder man tatsächlich den Wunsch hat, das wieder zu naturalisieren und Menschenleben dort auch wieder sich ansiedeln in diesen Grenzstreifen, dann habe ich schon ein bisschen Sorge, dass hier die Erinnerung vollkommen verschwindet über die Jahrzehnte. Und deswegen wäre es sicherlich auch wichtig, nicht nur in Berlin und in Teilen von Brandenburg an die Mauer zu erinnern und sie zu erhalten, sondern auch in dem ehemaligen Grenzstreifen zwischen Ost- und Westdeutschland.
von Billerbeck: Während Ihrer Tagung gibt es eine Diskussion, die den etwas polemischen Titel hat: "Muss man die Mauer wieder aufbauen?" Was meinen Sie, muss man das?
Stange: Nein, also auch Denkmäler werden nicht wieder aufgebaut, sondern sie werden an der Stelle erhalten, wie sie zu einem bestimmten Zeitpunkt erhalten gewesen sind. Und ich habe schon gestern Abend sehr schnell gelernt, dass es die Mauer an sich auch über die Jahrzehnte nicht gegeben hat, sondern die Mauer sich auch viel verändert hat. Und ich denke, die Mauer sollte an den Stellen, an repräsentativen Stellen erhalten bleiben, so wie sie 1989 zum Fall der Mauer dagestanden hat und natürlich mit den entsprechenden Informationsmaterialien versehen werden. Es macht überhaupt keinen Sinn, die Mauer wieder aufzubauen. Ich glaube, das würde auch zu erheblichen Irritationen in der Bevölkerung in Ost und West führen.
von Billerbeck: Trotzdem gibt es das Interesse von Touristen, die Mauer auch sinnlich erfahrbar zu erleben, die ja in Berlin doppelreihig war, das haben viele ja gar nicht mehr in Erinnerung, die nur die eine Seite gesehen haben. Wie wird das praktisch passieren, dass auch Touristen und auch nachfolgende Generationen, die das ja nicht mehr erlebt haben, das so erleben können, wie die Mauer dort war?
Stange: Also erst mal, glaube ich, ist das Mauerdenkmal im Marie-Elisabeth-Lüders-Haus, das wir gestern Abend auch sehen konnten, zumindest ein Ort, wo man einen Teil der Mauer und natürlich auch das, was mit der Mauer verbunden war, nämlich die Toten an der Mauer, sehr hautnah erleben kann.
Aber Sie haben vollkommen recht. Ich glaube, auch im Ergebnis der Tagung muss geklärt werden, ob es notwendig ist, die Mauer eben nicht nur als einseitige Mauer zu sehen, sondern in ihrer gesamten Anlage zu sehen, nämlich dass sie zwei Seiten hatte, dass es einen Todesstreifen gegeben hat und vor allen Dingen auch die Informationen, die dazu notwendig sind. Ich glaube, hier ist noch vieles zu klären in den nächsten Jahren, und dazu soll die Tagung ja auch einen Beitrag leisten.
von Billerbeck: Wir reden sehr viel über die Mauer als überwundenes Symbol der Teilung. Eine Debatte, die besonders in Leipzig und auch in Berlin sehr heftig geführt wird, ist um das Einheitsdenkmal, also das Denkmal, das eigentlich eine schöne Erinnerung an ein Ereignis der deutschen Geschichte wachrufen soll. Was meinen Sie, welches Gewicht soll das Erinnern an die Teilung gegenüber dem Erinnern an die Einheit haben?
Stange: Ich glaube, beides ist wichtig. Also man kann die Einheit nicht verstehen, wenn man nicht die Teilung versteht und nicht die Hintergründe, weshalb Deutschland, weshalb Ost-West über Jahrzehnte geteilt gewesen ist, dann kann man auch nicht verstehen, warum man sich über die Einheit, über den Fall der Mauer, über das Aufbegehren, des Widerstandes im Osten freuen soll oder bzw. das auch historisch mit verarbeiten soll. Beides gehört zusammen, beides gehört eng verbunden miteinander und beides muss den nachfolgenden Generationen auch durch ein Denkmal sozusagen sofort einleuchtend sein und einsichtig sein. Denn die Einheit kann man nicht verstehen, ohne die Teilung verstanden zu haben.
von Billerbeck: Ein Denkmal, das ist immer so was Ernsthaftes, Schwergewichtiges. Was meinen Sie, brauchen wir ein bisschen mehr Leichtigkeit, auch bei diesem Einheitsdenkmal, wenn Sie die Vorschläge, die da jetzt bisher verworfen worden sind für dieses Denkmal, mal vor ihrem geistigen Auge Revue passieren lassen?
Stange: Also ich kenne nicht alle Vorschläge, denn ich bin nicht Mitglied der Jury. Ich habe nur mitbekommen, dass die Jury sehr hart gerungen hat und letztlich aber von den Vorschlägen, die bisher auf dem Tisch gelegen haben, offenbar nicht überzeugt gewesen ist und deshalb auch dieser Prozess weiterläuft. Ich halte das auch für kein Problem, weil es ja hier auch um ein Denkmal geht, was über Jahrzehnte, vielleicht Generationen dann auch einen Aussagewert haben soll, und dafür sollte man sich Zeit lassen.
Die Kunst kann heute viel in dieser Richtung erreichen, aber man muss davon auch überzeugt sein am Ende. Und klar, ein Einheitsdenkmal ist etwas, was eher Freude, Erleichterung symbolisieren soll und nicht eine Mauer auf der anderen Seite. Ich bin keine Künstlerin, insofern vertraue ich aber auf unsere Künstler, dass sie einen Vorschlag unterbreiten können, der dann auch überzeugt.