"Die Mentalität der Kurie ist inakzeptabel"

Der Kirchenkritiker im Gespräch mit Philipp Gessler |
Zusammen mit Joseph Ratzinger hat der Schweizer Theologe Hans Küng das Zweite Vatikanische Konzil beraten. Später wurde Küng zu einem der schärfsten Kritiker des Papsttums, das er als "absolute Monarchie" verurteilt. Angesichts des Reformstaus in der katholischen Kirche hofft Küng, dass Benedikt einen progressiven Nachfolger bekommt.
Moderator: Beides sind Jahrhunderttheologen: Joseph Ratzinger, geboren 1927, Hans Küng, 1928. Beide werden katholische Priester, beide schnell theologische Wunderkinder und ziemlich progressive offizielle Berater – Peritus – des Zweiten Vatikanischen Konzils vor 50 Jahren. Fast parallel machen sie Karriere an deutschen Universitäten. Drei Jahre lang ab 1966 lehren sie zeitgleich in Tübingen – Küng empfiehlt seiner Fakultät, Ratzinger dorthin zu holen.

Dann der Bruch: Während sich Ratzinger, auch im Zuge seines Entsetzens über die 68er, zu einem konservativen Kirchenmann und Theologen entwickelt, bleibt Küng seiner Linie treu. Ratzinger steigt in der Kirche auf, wird Erzbischof, dann als Präfekt der Glaubenskongregation in Rom oberster Glaubenshüter der Weltkirche – und schließlich sogar Papst. Küng dagegen wird ein – vielleicht der größte – Kirchenkritiker seiner Zeit. Seine Bücher ecken an: Ihm wird die kirchliche Lehrbefugnis entzogen. Aber er wirkt weiter, als Gründer und Präsident der Stiftung Weltethos.

Nach der Wahl Ratzingers zum Papst Benedikt XVI. am 19. April 2005 dann die Überraschung: Schon nach wenigen Monaten lädt der neue Papst den großen kritischen Geist Küng zu einem Treffen in seine Sommerresidenz Castel Gandolfo ein. Sie sprechen vier Stunden miteinander. Acht Jahre später treten nun beide zurück: Ratzinger von seinem Papstamt, Küng als Präsident seiner Stiftung.

Mit Professor Küng sprach ich vor der Sendung über Joseph Ratzinger, den scheidenden Papst, seinen alten Kollegen. Ich fragte zunächst, ob auch ihn die Nachricht vom Rücktritt von Papst Benedikt XVI. überrascht habe.

Hans Küng: Ich war überrascht, aber nicht ganz. Ich kenne Josef Ratzinger von Jugend auf sozusagen, ich weiß, er ist ein Mann von hohem Verantwortungsbewusstsein und hat ja die Frage schon öfters erwogen – also es war nicht eine totale Überraschung.

Moderator: War es denn die richtige Entscheidung, zurückzutreten?

Küng: Es war die sehr richtige Entscheidung, ich bin ihm sehr dankbar für diesen mutigen Akt, das ist keineswegs selbstverständlich. Er hat ja nun ein Vorbild gehabt, das gerade in die Gegenrichtung gezeigt hat. Er wollte offenkundig nicht sein Sterben der Welt nun vordemonstrieren wie sein Vorgänger, das hat ja auch auf viele eher peinlich gewirkt, er hat rechtzeitig das Amt aufgegeben, wie es eigentlich bei jedem sein müsste, der das nicht mehr ausfüllen kann.

Moderator: Hat denn dieser Rücktritt Konsequenzen für das Papsttum? Kardinal Woelki zum Beispiel hat gesagt, das bewirke eine gewisse Entzauberung.

Küng: Ja, es schadet nichts, wenn diejenigen, die in der katholischen Kirche den Papst sozusagen für den Vizegott auf Erden ansahen, dass sie sehen: Der ist ein sterblicher Mensch, er hat eine bestimmte Aufgabe, es ist ihm nicht einfach gegeben für Lebzeiten. Das ist alles sehr positiv.

Ich darf daran erinnern, dass Josef Ratzinger und ich zusammen im Konzil waren und ja da die Richtlinie für Bischöfe auf 75 Jahre festgezurrt wurde. Das ist ein förmlicher Konzilsbeschluss. Es gab die eine Ausnahme, das muss ich hinzufügen, eben das Summus Pontifex, das soll ausgenommen sein. Kardinal Suenens, ein Freund von mir, der das vorgetragen hat im Konzil, sagte mir, als ich ihn fragte, warum er den Papst ausnimmt, sagte: Ja, weil sonst das nicht durchgeht. Und deswegen war das eine rein taktische Entscheidung. Im Grunde sollte der Bischof von Rom denselben Bedingungen unterworfen sein wie alle anderen Bischöfe auch.

Moderator: Wenn Sie jetzt diesen Rücktritt wegen zunehmender Schwäche des Papstes beobachten, haben Sie dann auch irgendetwas wie Mitleid mit dem Papst?

Küng: Na ja, selbstverständlich, wir sind halt gleichaltrig, nicht, er tritt übrigens nur ein paar, 14 Tage vorher zurück, bevor ich zurücktrete von meinen Ämtern, und ich habe das schon lange angekündigt und er jetzt kurzfristig. Also wir haben ja auch unsere körperlichen Gebrechen, das kann man mit 85 nicht mehr ausschließen. Also ich empfinde auch sehr großes Mitleid mit ihm, weil einfach die Last des Amtes groß ist.

Ich muss aber unbedingt etwas hinzufügen: Ich habe noch mehr Mitleid mit denen, die unter ihm gelitten haben, all die tausenden von Priester, die in unregelmäßigen Verhältnissen leben sollen, die nicht mehr im Amt bleiben dürfen, die Geschiedenen, die Millionen Geschiedenen, die auch Mitleid verdient hätten, und also die Leute mit dem Kondom und so weiter – da gibt es noch viele Leute, die mir natürlich noch wichtiger sind als das Leiden des einen.

Moderator: Haben Sie Papst Benedikt XVI., in dieser Figur Papst Benedikt XVI. eigentlich ihren früheren Tübinger Kollegen, Professor Ratzinger, wiedererkannt, oder waren das ganz unterschiedliche Figuren?

Küng: Als ich in Castel Gandolfo war und vier Stunden mit ihm reden konnte kurz nach seinem Amtsantritt, da war er wieder wie früher, aber eine ganze Zeitlang war er natürlich sehr abgehoben, schon als Kardinal, als der Glaubensrichter. Er kann sehr liebenswürdig sein, war er auch damals mit mir vor allem, das war hervorragend, aber er kann auch kalt und scharf sein und Leute zurückweisen. Also, er hat zwei Gesichter.

Moderator: Hätten Sie denn gedacht, dass dieses Treffen in Castel Gandolfo de facto so folgenlos bleiben würde?

Küng: Nein. Ich hatte damals große Freude, weil ich den Eindruck hatte, er kriegt die Kurve, die Kurve wieder zum Zweiten Vatikanischen Konzil, nach vorwärts, und es sah ganz so aus, er hatte viele Anzeichen dafür. Aber nachher geschah eben nichts, er kam wieder in die Bahn der Kurie, und die Kurie ist das große Problem für ihn geblieben.

Moderator: Sie sind enttäuscht von dem Pontifikat Benedikts?

Küng: Aufs Ganze gesehen entschieden, denn es war ein Pontifikat der verpassten Gelegenheiten. Er hätte die Möglichkeiten gehabt, mit den Juden ganz anders umzugehen, auch ganz anders mit den Muslimen, er hätte sehr leicht einen Schritt machen können auf die evangelischen Kirchen zu, hätte das korrigieren können, dass er die nicht als gültige Kirchen, als echte Kirchen ansieht – er hat die Chancen verpasst bis am Ende, wo ich noch dachte: Jetzt wird er doch noch zum Abschied, wenn er einmal nach Deutschland kommt, zum letzten Mal wird er sich aussprechen, erstens für Reformen, Strukturreformen und zweitens für eine ökumenische Annäherung. Beides ist nicht geschehen, und insofern konnte man von ihm jetzt nichts mehr erwarten, und der Rücktritt war im Grunde konsequent.

Moderator: Haben Sie denn einen Tipp, wer der nächste Papst wird?

Küng: Wenn ich ihn hätte, würde ich ihn nicht sagen, denn er würde dann sicher nicht gewählt.

Moderator: Das wäre kontraproduktiv?

Küng: Das wäre kontraproduktiv, ja. Es kommt aber dazu, dass wir keine eindeutigen Papabili haben. Das war früher eigentlich klar, ich habe ja … Wir waren auch befreundet mit seinem Gegenspieler, Ratzingers Gegenspieler war der Kardinal Martini von Mailand, und das war natürlich eine Persönlichkeit, die überragend war und die jedermann kannte. Es gibt heute nur noch sehr durchschnittliche Leute, jedenfalls nach unserem bisherigen Verständnis. Es ist die Frage, ob einer von denen so hervorragend ist, dass er sozusagen ein neuer Gorbatschow werde, der also die Kirche wieder in Bewegung bringt.

Moderator: Die Leute entwickeln sich ja auch. Von Johannes XXIII. hätte man auch nicht erwartet, dass er so etwas Großes wie ein Konzil einberuft.

Küng: Es ist in der Tat so, dass man nie voraussagen kann, … Ich habe ja nun mehrere Päpste gekannt. Einige haben das Beste gemacht, was man erwartet hat, wie Johannes XXIII., andere haben wieder so halb versagt, wie Paul VI., und einige haben es ganz verkehrt gemacht meines Erachtens, wie eben Johannes Paul II., der die Kirche wirklich in die Restauration geführt hat und mit seinem treuen Statthalter Ratzinger zusammen der Kirche eine unheimliche Last aufgebürdet hat, mit sehr vielen Problemen, mit mittelmäßigen Bischöfen sehr oft, mit einer Menge von Reformstau – also da kann man nur sagen: Hoffentlich macht der andere, der jetzt kommt, aus dem allem eine Warnung, es nicht gleich nachzumachen.

Moderator: Die Europäer haben im Konklave ja nach wie vor fast die Mehrheit. Haben Sie denn trotzdem Hoffnung, dass es mal ein Nicht-Europäer werden könnte?

Küng: Das Problem dieser Papstwahl ist ja die Zwei-Drittel-Mehrheit. Eine Drittel-Mehrheit heißt, das also kann eine Sperrminorität sein und kann jeden verhindern. Ich glaube, also insofern die Kardinalszahlen natürlich sehr verschieden sind – sie verdanken wir auch dem Papst Ratzinger –, ist doch im Grunde unglaublich, dass die Italiener jetzt wieder aufs Ganze gesehen 28 Leute haben, 28, Deutschland sechs, ganz Nordamerika hat 14 – das ist keine Verteilung. Und die Macht der Italiener ist natürlich groß, solange sie zusammenhalten. Aber oft halten sie nicht zusammen, das ist unser großer Vorteil, es ist auch sonst in Italien mit der Politik so. Aber immerhin: Wir möchten nicht einfach einen Italiener haben, der da einfach in die Fußstapfen des bisherigen tritt, denn das wäre für die Kirche ein Verhängnis.

Moderator: Würde sich denn die Kirche ändern durch die Wahl eines Nicht-Europäers?

Küng: Nur dann, wenn der nicht romanisiert ist. Es gibt Leute, … Ratzinger selber ist ein Beispiel, der war ja römischer als die Römer, und wenn es ein Afrikaner ist, der auch wieder römischer ist als die Römer, was wollen wir dann?

Also, es kommt nicht auf die Nation an, es kommt nicht auf die Hautfarbe an, es kommt auf die Kompetenz an, es kommt auf die moralische, hohe Qualität an, es muss ein mutiger Mann sein, der sieht zunächst einmal, wie elend der Zustand der Kirche ist. Den habe ich nun in meinem Buch "Ist die Kirche noch zu retten?" analysiert nach Strich und Faden, und das müsste doch die Voraussetzung sein, dass man merkt: So geht es einfach nicht weiter. Wenn er das nicht merkt, dann, glaube ich, wird weitergewurstelt und dann kommen wir immer noch tiefer in die Krise rein.

Moderator: Was sind denn die Hauptbaustellen, die der nächste Papst anpacken muss?

Küng: Na ja, man kann viele Baustellen nennen – die Frauenfrage, die Frage der Ehemoral, der Sexualmoral, natürlich die Demokratisierung der Kirche. Wenn Sie mich fragen würden, was er an erster Stelle anpacken müsste, dann ist es zweifellos die Kurienreform.

Wir haben einfach noch eine Hofwirtschaft, eine Hofpolitik, wie das in einer heutigen Zeit gar nicht mehr denkbar ist. Die katholische Kirche ist alles andere als eine Diktatur, aber wir haben noch sozusagen eine französische Republik, die noch von Versailles aus dirigiert wird. Wir haben einen Hofstaat mit all dem Prunk und Protz, das ist noch das Wenigste, aber die ganze Mentalität dieser Kurianen ist doch absolut inakzeptabel.

Wir müssen endlich die römische Kurie, die ein Hof ist aus dem absolutistischen Zeitalter beziehungsweise aus dem Mittelalter, müssen wir ersetzen durch eine effektive Kirchenadministration, eine Kirchenverwaltung, ein Zentrum, das wirklich funktioniert, und das nicht ständig nur behindert und uns noch mehr Probleme beschafft, als wir schon haben.

Moderator: Haben Sie denn Hoffnung, dass der neue Papst tatsächlich so eine Kurienreform anpacken würde?

Küng: Also meine Hoffnung, sage ich Ihnen ehrlich, ist klein, denn Josef Ratzinger zusammen mit Papst Wojtyla haben ja alle diese Kardinäle gemacht, und es sind eben normalerweise nur solche gewählt worden, die schon als Bischöfe zugestimmt haben, dass das Zölibatsgesetz bleibt, dass keine Frauen ordiniert werden, dass die Enzyklika Humanae Vitae über die Geburtenregelung eingehalten wird, und so weiter, und so weiter.

Es ist noch nie ein solcher Episkopat entstanden, der derart konformistisch ausgewählt wurde, und dann noch den Eid ablegen musste natürlich, in der Liturgie dass der Papst, in der Bischofsweihe, dass er schwört Gehorsam auf den Papst. Deswegen haben sie ja bisher nie abweichende Meinungen von den anderen Bischöfen bekommen, von den Kardinälen gar nicht zu reden.

Es ist die Frage, ob im Konklave beziehungsweise den Vorbereitungen, ob da einer wagt, öffentlich zu sagen: So, die Situation der Kirche ist ernst, so können wir nicht weitermachen, und jetzt müssen wir mal reden drüber, wie ernst die Lage der Kirche ist, und dann den richtigen Mann suchen.

Moderator: Glauben Sie denn, dass die Reformen des Zweiten Vatikanums vor 50 Jahren wieder zu ihrem Recht kommen könnten durch einen neuen Papst?

Küng: Ja, durchaus. Also das Zweite Vatikanum ist natürlich die große Appellationsinstanz, jetzt mal von der Bibel abgesehen. Man hat es anders gedacht, als es kam. Die Kurie hat es verhindert. Man muss doch klar sagen: Die Kurie hat schon … von Anfang an war die gegen das Konzil, sie hat während des Konzils ständig gegen das Konzil gearbeitet, und sie hat nach dem Konzil alles getan, um wieder alles in die alten Bahnen zu richten, und zwar vor allem meines Erachtens durch die Personalpolitik, indem man nur noch konsulative Leute aussuchte für sämtliche Ämter in der Kirche der oberen Region, und zweitens durch eine Lehramtspolitik, die ständig Dokumente publizierte, die also auf der konsulativen Linie waren. Das betrifft so ungefähr alle Fragen in der Kirchensituation.

Moderator: Ist es nicht etwas absurd, dass der, man kann sagen, der fast revolutionärste Schritt, den Benedikt gemacht hat, sein letzter Schritt war, nämlich sein Rücktritt?

Küng: Ich glaube, sein erster revolutionärer Schritt war ein anderer, der war damals, als er seinen heftigsten Kritiker, der hier am Mikrofon sitzt, zu einem vierstündigen Gespräch eingeladen hat. Da hat er gezeigt, dass er es kann. Insofern war ich auch überzeugt, dass er auch zurücktreten kann. Und es ist natürlich jetzt so, dass das immerhin als eine große Tat allgemein gepriesen wird, mit Recht, und er wird als der in die Geschichte eingehen, nicht wegen seiner vielen Pannen, sondern als der, der eben am Ende zurücktrat und eben auf diese Weise dem Papsttum neue Möglichkeiten eröffnete.

Moderator: Es gibt ja die These, dass vielleicht jetzt sogar andere Leute animiert werden könnten, auch für dieses Amt sich mehr oder weniger direkt zu bewerben, weil sie wissen: Es muss nicht bis zum Lebensende gehen.

Küng: Das wäre ja durchaus positiv, das wäre auch für Bischöfe positiv. Da haben wir ja die Grenze immerhin, und es wäre gut, wenn von vornherein klar ist: Der Mann macht das mal auf Zeit, damit er auch nicht so vergöttlicht und so verhimmelt, dass es überhaupt nahe an den Cäsarenwahnsinn ranführt.

Moderator: Die Gefahr ist natürlich, wenn es jetzt verstärkt diese Möglichkeit des Rücktritts gibt für den Papst, dass dann auch mehr Druck auf ihn ausgeübt wird.

Küng: Der Druck ist von vornherein immens. Aber wenn einer eine starke Persönlichkeit ist, kann er natürlich in seiner Position sehr wohl der Kirche eine völlig andere Richtung geben. Sie dürfen ja nicht vergessen: Es ist, immer noch, das Papsttum eine absolute Monarchie.

Nach der gegenwärtigen Kirchenverfassung kann der ja praktisch alles machen, was er will, in Sachen Zölibat, in Sachen Frauenordination und so weiter. Also er hat im Grunde, anders als der amerikanische Präsident, eine unbeschränkte Macht, es ist keine Legislative neben ihm, es ist keine Judikative über ihm, er kann alle Dinge machen, wie er will.

Natürlich muss er das nicht als Einzelner machen, wir brauchen einen Papst, der nun nicht als einer unter 1.200.000.000 Katholiken, die es gibt, der als Einzelner meint, jetzt die Dinge entscheiden zu können – wie ich damals bei Paul VI. in der Privataudienz erlebt habe, dass er auf den Tisch, sagt, ja, aber schließlich muss ich dann die Frage der Geburtenregelung entscheiden, ich allein. Nein, das kann er nicht, und insofern braucht es ein kollegiales System, das wollte das Zweite Vatikanum ja haben, aber auch das wurde von der Kurie verhindert.

Moderator: Trotz der ganzen Enttäuschung, die Sie mit Ihrem ehemaligen Kollegen Josef Ratzinger hatten: Beten Sie trotzdem für ihn?

Küng: Ich habe immer für ihn gebetet, ich bete für … Es wäre ja komisch, wenn man also jetzt als Christenmenschen nicht die menschlichen Beziehungen intakt ließe, also das ist uns immerhin gelungen, ihm auch und mir auch. Wir haben völlig andere Positionen vertreten, aber der Respekt, der war immer gegenseitig, und ich würde sehr gern alles tun, was ihm helfen kann.

Moderator: Sie haben sich ja in Ihrem letzten Buch sehr pessimistisch gezeigt, was die Zukunft der Kirche angeht. Lässt Sie jetzt dieses neue Konklave wieder Hoffnung schöpfen?

Küng: Es ist jedenfalls eine neue Hoffnung, dass man merkt: Es geht so einfach nicht weiter. Wenn ein Papst das nicht mehr aushält, gesundheitlich nicht aushält, psychisch nicht aushält, auch geistig nicht aushält, und er merkt, die Welt bewegt sich rascher, als er es noch mitvollziehen kann, dann ist das ein Zeichen der Hoffnung, dass wir vielleicht jetzt doch merken: Wir können nicht so weitermachen.
Und wenn das mal klar ist, dass es in der Kirche nicht so weitergeht, auch in den Spitzen, dann würde auch dieser Hiatus, diese Kluft, die besteht zwischen Reformern und Reformverweigerern – und wenn Sie wollen hier in Deutschland und in deutschen Landen überhaupt und weithin im globalen Norden –, die Kluft zwischen der Hierarchie und dem Volk überwunden werden können.

Moderator: Und das ist Ihre Hoffnung?

Küng: Das ist meine Hoffnung, aber nicht mehr.

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