Die Möglichkeiten des Labyrinths
Wie ein roter Faden zieht sich die Vorstellung des Labyrinths durch Dieter Fortes Werk. In seiner neusten Veröffentlichung - ebenso schlicht wie anspruchsvoll "Ein Buch" genannt - legt er eine labyrinthische Chronik der Stadt vor, in der er seit über 40 Jahren lebt: Basel.
Forte, der einst als Hausautor des dortigen Theaters nach Basel ging und dort blieb, führt uns in fünf Kapiteln durch eine Welt, die trotz aller Einzigartigkeit auch eine allgemeine Gültigkeit beansprucht. Schon die Kapitelüberschriften verkünden das, zum Beispiel "Bücher und Bilder", "Was ist der Mensch?" und "Erzählen wir".
Das Labyrinthische ist diesen Themen wesenseigen. Das neue Bild der Welt, so berichtet Forte, entstand aus dem Verlangen des Einzelnen, das verlorene Paradies wiederzufinden und neu zu erschaffen. Dadurch entstanden unzählige Bilder (und Geschichten und Lieder): es entstand die „gestaltete Vielfalt", ein Labyrinth.
Nun ist das Labyrinthische ein Zustand, der den Menschen erst einmal gefährdet; das Ursprungslabyrinth ist jener Palast in Knossos, aus dem Theseus, der den Stiermenschen Minotaurus getötet hatte, nur mit Hilfe von Ariadnes Faden wieder herausfand. Bei Forte begegnet uns das Labyrinthische in Form zerstörter Ordnungen, verzerrter Wahrnehmungen, absurd gewordener Wirklichkeiten. Aber schon die Nachkriegs-Trümmerlandschaft Düsseldorfs (wo Forte 1935 geboren wurde) in seiner Romantrilogie "Das Muster", "Der Junge mit den blutigen Schuhen" und "In der Erinnerung" verband mit dem Negativen auch das Positive: Die Kinder, die in den Trümmern spielen, "waren die freiesten und lebendigsten Menschen, an die er sich erinnern konnte."
Bei Forte bedeutet das Labyrinth statt der Ausweglosigkeit in zunehmendem Maße gerade das Vorhandensein vieler Wege: eine unendliche Menge der Möglichkeiten. Man kann davon überfordert sein, aber grundsätzlich ist dies eine Erweiterung des Horizonts, eine Freiheit, die dem Menschen angemessen ist.
Das Labyrinthische kommt auch Fortes Erzählform und Poetik nahe. Seine Erinnerungstrilogie ist im Grunde "eine einzige große Geschichte, in der zahllose kleine Geschichten durcheinanderwirbeln", wie ein Kritiker damals schrieb. Und das Erzählen selbst wiederum, diese "unendlich oft erzählten Geschichten bewahren uns vor dem Vergessen", wir leben, ohne es vielleicht zu merken, in einem "erzählten Universum", heißt es im vorliegenden Buch. Schon in "In der Erinnerung" stand apodiktisch: "Das alles existierte nur, solange es erzählt wurde".
"Das Labyrinth der Welt" hieß auch ein Werk des Pädagogen und Theologen Comenius, so wie Marguerite Yourcenars epochale Autobiographie übrigens. Auch sie waren Weltsuchungs- und -findungsbücher, ähnlich wie andere Werke, die das Labyrinthische ordnen wollen wie Goffredo Parises "Alphabet der Gefühle" oder Carlos Fuentes‘ "Woran ich glaube". Forte erwähnt nur Comenius – als einen bedeutenden Gewährsmann, der nicht die bloße Wirklichkeit, sondern die Unendlichkeit unserer Vorstellungen feiert: "Wir müssen mehr über diese Möglichkeiten schreiben." Dem kann "der Autor" (wie Forte sich im Buch nennt) nur zustimmen: "Unser Leben besteht aus der Vielfalt der Geschichten."
Besprochen von Peter Urban-Halle
Dieter Forte: Das Labyrinth der Welt. Ein Buch
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2013
263 Seiten, 20,00 Euro
Das Labyrinthische ist diesen Themen wesenseigen. Das neue Bild der Welt, so berichtet Forte, entstand aus dem Verlangen des Einzelnen, das verlorene Paradies wiederzufinden und neu zu erschaffen. Dadurch entstanden unzählige Bilder (und Geschichten und Lieder): es entstand die „gestaltete Vielfalt", ein Labyrinth.
Nun ist das Labyrinthische ein Zustand, der den Menschen erst einmal gefährdet; das Ursprungslabyrinth ist jener Palast in Knossos, aus dem Theseus, der den Stiermenschen Minotaurus getötet hatte, nur mit Hilfe von Ariadnes Faden wieder herausfand. Bei Forte begegnet uns das Labyrinthische in Form zerstörter Ordnungen, verzerrter Wahrnehmungen, absurd gewordener Wirklichkeiten. Aber schon die Nachkriegs-Trümmerlandschaft Düsseldorfs (wo Forte 1935 geboren wurde) in seiner Romantrilogie "Das Muster", "Der Junge mit den blutigen Schuhen" und "In der Erinnerung" verband mit dem Negativen auch das Positive: Die Kinder, die in den Trümmern spielen, "waren die freiesten und lebendigsten Menschen, an die er sich erinnern konnte."
Bei Forte bedeutet das Labyrinth statt der Ausweglosigkeit in zunehmendem Maße gerade das Vorhandensein vieler Wege: eine unendliche Menge der Möglichkeiten. Man kann davon überfordert sein, aber grundsätzlich ist dies eine Erweiterung des Horizonts, eine Freiheit, die dem Menschen angemessen ist.
Das Labyrinthische kommt auch Fortes Erzählform und Poetik nahe. Seine Erinnerungstrilogie ist im Grunde "eine einzige große Geschichte, in der zahllose kleine Geschichten durcheinanderwirbeln", wie ein Kritiker damals schrieb. Und das Erzählen selbst wiederum, diese "unendlich oft erzählten Geschichten bewahren uns vor dem Vergessen", wir leben, ohne es vielleicht zu merken, in einem "erzählten Universum", heißt es im vorliegenden Buch. Schon in "In der Erinnerung" stand apodiktisch: "Das alles existierte nur, solange es erzählt wurde".
"Das Labyrinth der Welt" hieß auch ein Werk des Pädagogen und Theologen Comenius, so wie Marguerite Yourcenars epochale Autobiographie übrigens. Auch sie waren Weltsuchungs- und -findungsbücher, ähnlich wie andere Werke, die das Labyrinthische ordnen wollen wie Goffredo Parises "Alphabet der Gefühle" oder Carlos Fuentes‘ "Woran ich glaube". Forte erwähnt nur Comenius – als einen bedeutenden Gewährsmann, der nicht die bloße Wirklichkeit, sondern die Unendlichkeit unserer Vorstellungen feiert: "Wir müssen mehr über diese Möglichkeiten schreiben." Dem kann "der Autor" (wie Forte sich im Buch nennt) nur zustimmen: "Unser Leben besteht aus der Vielfalt der Geschichten."
Besprochen von Peter Urban-Halle
Dieter Forte: Das Labyrinth der Welt. Ein Buch
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2013
263 Seiten, 20,00 Euro