Die Geschichte des Programmierfehlers
Wenn mit der Technik etwas nicht klappt, dann wird das gemeinhin als "Bug" bezeichnet. Und der hat tatsächlich einen dinglich-lebendigen Ursprung, der bis ins 19. Jahrhundert zurückführt. Eine historische Spurensuche.
Mal sind es Grafik-Fehler in Computerspielen oder Programm-Defekte, die den Akku im Smartphone auf unerklärliche Weise leersaugen. In manchen Fällen ist sogar die Sicherheit des gesamten Internets in Gefahr. Schuld sind Bugs, fehlverhafte Computerprogramme. Bewusst wahrgenommen habe ich Bugs, bzw. einen Bug zum ersten Mal im Jahr 1999, der Millennium Bug. Passend zur Jahrtausendwende, die sich ja perfekt dazu geeignet hat, das Ende der Welt auszurufen, sollte der Millennium Bug genau dieses einläuten.
Das Problem: Jahreszahlen wurden von vielen Computern nur mit zwei Stellen gezählt. Die Befürchtung war, dass in der Silvesternacht 1999 Rechner weltweit nicht wie gewünscht und erwartet auf 2000 sondern auf 1900 schalten. D.h. Fehlerschleifen, falsche Prüfsummen, Computerchaos. Stromausfälle, Börsencrash, Finanzkollaps. Ich war fasziniert davon. Beinahe besessen. Ich weiß noch, wie ich in der Silvesternacht den Countdown herbeisehnte. Wird gleich alles im Chaos enden?
Natürlich ist nichts passiert. Aber warum eigentlich Bugs, also Käfer? Was haben Insekten damit zu tun, wenn sich Fehler in Computerprogramme einschleichen? So merkwürdig das auch klingen mag: Unliebsame Flatter- und Krabbeltierchen spielen eine außerordentliche Rolle in der Geschichte des Programmierfehlers.
Es ist Dienstag, der 9. September 1947. Ein warmer Spätsommer-Tag, im ersten Jahr des Kalten Krieges. Ein militärisches Forschungs-Team der US-Navy beginnt mit dem Frühdienst im Computer Labor der Harvard Universität.
Operator: (schaltet ein paar Kanäle um) Nein. (schaltet weiter). Schon besser.
Operator: Wählt Tasten am Telefon… "Grace"?
Hopper: Ja?
Operator: Läuft die Mark II?
Hopper: Sie schnurrt wie ein Kätzchen.
Computer sahen ganz anders aus
Was hier wie ein Kätzchen schnurrt, ist zu dieser Zeit, also im Jahr 1947, eine nagelneue, meterlange und tonnenschwere, geheime Militär-Rechenmaschine. Sie steht im Computerlabor der Harvard Universität und hat nur wenig mit den Geräten zu tun, die wir heute als Computer bezeichnen.
"Man muss sich die Computer in den 40ern natürlich ganz anders vorstellen als die heutigen. Da konnte man noch jedes Bit anfassen. Jedes Relais stand für ein Bit. Der Mark II war ja irgendwas bei maximal 10 Hertz oder 6 Hertz, ich bin mir nicht ganz sicher. Das heißt sechs Takte pro Sekunde."
Nur mal ebenso nebenbei: Mein Telefon, das gerade in meiner Hosentasche steckt, schaltet gerade 300 Millionen mal schneller als das. Aber zurück zum Harvard Mark II.
Hopper: Wir sind auf Volllast. Im 10 Hertz-Betrieb.
Operator: Übertreiben wir’s mal lieber nicht. Wir sollten den Rechner nicht übertakten. 6 Hertz reichen auch.
"Da war dann das Rechenwerk und das Ein- und Ausgabewerk und das Steuerwerk und so weiter und sofort, der Speicher. Das waren alles riesige Apparate, die miteinander verbunden waren durch Kabelstränge."
Um das mal etwas zu verdeutlichen: Moderne Mikroprozessoren, wie wir sie heute kennen, wurden erst 20 Jahre später erfunden. Es gab keine Monitore zur Ausgabe, keine Tastatur oder Computermaus zur Eingabe. Das Wort Software existierte zu der Zeit nicht einmal. Programme wurden entweder per Kabelschaltung oder Lochkarten appliziert. Der Computer übersetzte alles in Nullen und Einsen. Und zwar mit Relais. Strom an gleich 1. Strom aus gleich 0. Zig tausende Relais-Schalter klickten und ratterten ununterbrochen.
"Das sind also mechanische Elemente die bewegt werden müssen und das braucht seine Zeit, die dürfen aber auch nicht überbeansprucht werden, indem man sie übertaktet, weil sie sonst entweder kaputt gehen oder weil sie sonst ein flimmern erzeugen, das nicht mehr distingierbar ist. D.h. sie geben zu viele Schaltimpulse, die nicht mehr vom Rechenwerk voneinander unterschieden werden können. D.h. man könnte praktisch sagen, dass der Computer ins Stottern gerät wenn man das zu schnell ablaufen lässt."
Genau aus dem Grund wurde üblicherweise ein Betriebs-Protokoll geführt. Computerfehler waren in dieser Zeit nämlich eher die Regel, nicht die Ausnahme. Beim Mark II war die Mathematikerin Grace Hopper für das Computer-Logbuch verantwortlich. Sie hat da protokolliert, welche Vorfälle es gegeben hat, vielleicht auch um ihren Vorgesetzten Bericht zu erstatten.
Hopper: Irgendwas stimmt hier nicht. Mark II spuckt völlig verrückte Werte aus.
Operator: Schon wieder?
Hopper: 4,6159252059? Ich schreibe das gleich mal ins Logbuch. 10 Uhr, Programm angehalten. Relais sechs bis zwei haben Fehlfunktion. 2.13476415. Parameter 1,2700 Konstante 9,07347025
Und diese Zahlenkolonnen waren wichtig. 1947 beginnt der Kalte Krieg. Das Auswerten von Informationen, das Berechnen von militärischen Daten, all das wird im Schichtbetrieb durchgeführt. Die wenigen Computer die es gab, liefen 24 Stunden am Tag. sieben Tage die Woche. Außerdem nahm der Druck auf Hopper und ihre Kollegen zu, denn in Maryland startet ein Konkurrenzprojekt mit einem noch schnelleren Computer. Der ENIAC. Ein defekter Rechner ist für Grace Hopper und ihre Kollegen am 9. September 47 deshalb ein Problem.
Operator: Lass uns mal das Testprogramm starten.
Hopper: Aber dir ist klar, dass das mindestens drei Stunden läuft bis wir ein Ergebnis bekommen?
Operator: Was anderes fällt mir im Moment auch nicht ein.
Grace Hopper sollte Fehler finden
Grace Hopper war für den Betrieb dieses Großrechners verantwortlich und wenn ein Fehler auftrat, war es ihr Job, den Grund zu finden und alles dafür zu tun, dass die Maschine fehlerfrei weiterrechnen kann. Hopper kannte Mark 2 in und auswendig, denn sie war nicht nur am Bau des Riesencomputer beteiligt, sondern arbeitete auch schon mit dem Vorgängermodell. Der Harvard Mark I. Eine Maschine, die einen großen Anteil daran hatte, den zweiten Weltkrieg zu beenden, was übrigens die Hauptmotivation für Grace Hopper war, sich überhaupt mit Computern zu beschäftigen. Die Arbeit im Computerlabor in Harvard war für Hopper mehr als nur ein Job. Es war ihre persönliche Mission. Die begann bereits sechs Jahre zuvor. Deshalb muss ich an dieser Stelle einen Bogen machen. Denn die Geschichte des Bugs kann man nicht ohne die Geschichte von Grace Hopper einfach nicht erzählen. Dafür müssen wir noch einen Sprung zurück machen. Und zwar ins Jahr 1941. Am 7. Dezember, zwei Tage vor ihrem 35. Geburtstag, änderte sich alles in Grace Hoppers Leben. Allerdings nicht nur für sie. Der japanische Luftangriff auf Pearl Harbor brachte den Zweiten Weltkrieg, der zuvor für die meisten Amerikaner weit weg schien, vor die eigene Haustür. Das änderte nicht nur die Haltung der USA, aktiv im Zweiten Weltkrieg einzugreifen, Pearl Harbor sorgte auch bei Grace Hopper für ein Umdenken. Ihr Biograph Kurt Beyer, beschreibt es so:
"Ohne Pearl Harbor, hätten wir nie etwas von Grace Hopper gehört. Am 6. Dezember 1941, also ein Tag vor dem Angriff, war sie Hochschullehrerin mit einem Doktor in Mathematik. Sie war verheiratet, lebte in New York, in der gleichen Straße wie ihre gesamte Verwandtschaft. Sie hatte ein Sommerhaus außerhalb der Stadt. Sie führte ein sehr normales und vor allem gefestigtes Leben. Sechs Monate war alles anders. Sie kündigte ihren Job, verließ ihren Mann und setzte alles daran, in die Navy zu kommen."
In den 80ern äußerte sich Hopper während eines Vortrags dazu auch selbst:
"Pearl Harbor war 41. 43 waren wir mitten drin im Krieg. Ich wollte schon längst in der Navy sein, aber sie ließen mich nicht."
Sie war – absurderweise – zu leicht für die Navy.
"Ich glaube das gibt uns einen ganz guten Einblick in Grace Hoppers Persönlichkeit. Sie hat sich nicht davon aufhalten lassen, dass vor ihr keine Frauen in der Navy waren. Sie war hartnäckig, so lange, bis die Regeln geändert wurden, so wie sie es wollte. Allerdings wusste die Navy nicht was sie mit einer 52 Kilogramm Mathematikerin anstellen sollte. Deshalb haben sie sie in ein Geheimprojekt nach Harvard verfrachtet."
Monströse Rechenmaschine
Also ab nach Harvard. Dort soll sie den ersten wirklich ernstzunehmenden Computer fertigstellen und in Betrieb nehmen. Den Harvard Mark I. Eine monströse Rechenmaschine, die drei Addition pro Sekunde verarbeiten konnte. Hightech aus dem Jahr 1943.
"Also zunächst einmal ist das ja ein Job gewesen, von dem niemand etwas wusste. Es wusste auch niemand etwas über die Existenz von Computern in den 40er Jahren. Das waren ein paar Ingenieure und ein paar Leute die Fachmagazine lasen. Aber im Wesentlichen waren das alles "Top Secrets". Bis Ende der 40er Jahre waren es weniger als 10 Geräte auf der Welt. Also es war alles Top Secret und insofern waren das auch alles Militärs und zum Schweigen verpflichtete Menschen."
Das Projekt war so geheim, dass sogar das Militär selbst zu dieser Zeit nicht wirklich wusste, an was genau da überhaupt in Harvard gearbeitet wurde. Grace Hopper beschrieb ihre ersten Tage so:
"Als ich in Harvard ankam, hatte man zwar von einem Computerprojekt gehört, aber niemand wusste, wo ich eigentlich hin sollte. Am Nachmittag wurde ich dann in den Keller der Universität geschickt. Ich ging durch die Tür und Commander Aiken sagte: Wo zum Teufel waren sie so lange?"
Howard Aiken war übrigens der Chefentwickler des Mark I und Hoppers Vorgesetzter.
"Und dann zeigte Commander Aiken in Richtung des Mark I und sagte: Das ist eine Rechenmaschine."
In einem 1987 ausgestrahlten US-Fernseh-Interview von David Letterman spricht Grace Hopper über ihre Zeit im Computerlabor in Harvard. Wie kam es, dass sie schon damals, also um 1944 so viel Ahnung von Computern hatte, will Letterman wissen.
"Ich hatte keine Ahnung von Computern. Es war schließlich der erste Rechner überhaupt."
"Ihr wurde gesagt, dass sie mit einer riesigen Maschine arbeiten sollte, die sie noch nie zuvor gesehen hatte. Über 15 Meter lang, 750 Tausend bewegliche Teile, fünf Tonnen schwer und acht Kilometer Kabel. Was nun? Natürlich sucht sie nach einer Gebrauchsanleitung. Das Problem ist aber: es gibt keine. Es ist der erste Computer in den USA und sie soll ihn bedienen."
"Eines Tages kam Commander Aiken zu mir und sagte: Sie werden ein Buch schreiben. Ich sagte: Das kann ich nicht. Er antwortete: Sie sind jetzt in der Navy! Also habe ich ein Buch geschrieben. Eine ausführliche Betriebsanleitung für den Computer. Was für eine Arbeit!"
Bei einem Handbuch blieb es allerdings nicht. Hoppers Arbeit am Harvard Mark I hatte historische Auswirkungen. Zur Erinnerung: Sie trat ja in die Navy ein, um den zweiten Weltkrieg zu beenden. Und der Mark I, ihr Arbeitsgerät, spielte für das Ende des Krieges eine entscheidende, und zugleich verheerende Rolle.
"Dieser Harvard Mark I., der wurde tatsächlich eingesetzt für das Design der Atombombe. Für ein ganz bestimmtes Element der Atombombe, es ging da um eine Implosionssteuerung. Also es ging da um die Frage, wie man ein spaltbares Material verdichten muss, damit es zündbar ist und das waren sehr aufwändige Rechenprozesse, die händisch nicht ohne weiteres hätten gelöst werden können. Und da kamen Computer genau richtig, bzw. da musste eine Maschine gebaut werden, die das konnte. Das heißt es wurden immer irgendwelche Kriegsspiele auf diesen frühen Maschinen gespielt, die Simulationen durchführen, die am richtigen Material zu gefährlich oder zu teuer gewesen wären, um dann vielleicht in einer bestimmten Simulation mit den richtigen Parametern genau die richtigen Maße zu finden, die man nachher auch bauen kann, woraus dann dieser Sprengsatz besteht."
Aus den virtuellen Kriegsspielen und Simulationsrechnungen des Harvard Mark I wurde am 6. und 9. August 1945 bitterer Ernst. Die Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki töteten knapp 100.000 Menschen innerhalb eines Augenblicks. Die darauf folgende Kapitulation Japans beendete am 2. September 1945 den Zweiten Weltkrieg endgültig.
"Jetzt muss man sich mal vorstellen, man schaltet den Rechner ein und der rechnet nicht was man will."
Operator: Schon wieder? So ein Mist! Immer das gleiche mit diesem Scheißding! Obwohl: die Mark I war noch schlimmer. Das wir damit den Krieg gewonnen haben ist echt ein Wunder. Ich dachte, uns knallt die Atombombe noch unterm Hintern weg, bei diesen Fehler-Werten.
Man will ja eine Rechenaufgabe lösen mit diesem Gerät und da erwartet man halt ganz bestimmte Zahlenwerte. Und da hinter diesen Programmierungen Ideen stehen, wie die Maschine selbst funktioniert, musste natürlich jedes Problem erstmal so definiert und umgedacht werden, dass es durch die Maschine lösbar wurde.
Hopper: 2,13476415
Operator: Würdest du noch das Lochkartenprogramm starten?
Hopper: Schon erledigt!
"D.h. der Ingenieur, der diese Aufgabe eingerichtet hat in den Computer, der wusste mit diesen Zahlenkolonnen etwas anzufangen. Und jetzt besteht ja die Arbeit der Systemadministratorin, wenn man die Grace Hopper mal so nennen will, darin, herauszufinden, was für eine Art von Fehler ist das und wie kann der zustande gekommen sein?
Das heißt man musste sich fragen, z.B. bei einer Addition, wie würde der Computer mit seiner Hardware das jetzt lösen, dieses Problem. Und man musste das, was man sich jetzt überlegt hatte, auf diese Maschine applizieren und die Maschine dann laufen lassen um zu gucken ob das Ergebnis, das durch das Laufen entsteht, tatsächlich dasselbe war."
Hopper: 9,0738248375. Mach mal das Fenster auf, das hält ja keiner aus hier.
Ein blödes Flattertierchen!
Um 15:45 Uhr, am sonnig-warmen Nachmittag des 9. September 1947, war es endlich soweit. Während die offenen Fenster die aufgeheizten Räume des Harvard Computerlabors durchlüfteten und für etwas Abkühlung sorgten, war der Fehler, der den militärischen Großrechner Mark II außer Betrieb nahm, endlich gefunden.
Operator: Grace!?
Hopper: Sag bloß, du hast du den Fehler gefunden?!
Operator: Ja, in der Anschlussplatte F, im Relais 70, da war, ich kann's immer noch nicht fassen, das arme Ding… da war eine verdammte Motte!
Hopper: Eine was?
Operator: Eine Motte! So ein blödes Flattertierchen.
Die Motten-, bzw. Bug-Geschichte wurde übrigens Jahrzehntelang falsch erzählt. Bis in die 80-er war die Rede davon, dass Grace Hopper selbst die Motte aus dem Mark 2 zog und bis heute bekommt sie den Bug-Fame… Streng genommen es war aber ein Operator, ein Techniker aus ihrem Team. Der hat den ersten dokumentierten Bug der Computergeschichte entdeckt.
"Und hat dann sich eben die Relais angeguckt, geguckt ob da irgendwas defekt ist und dann eben zwischen dem Kontakt und dem Schalter, also da, wo normalerweise geschaltet wird, dieses isolierende Tier gefunden."
Eine Suche, die laut Protokoll knapp 5 Stunden gedauert hat.
"Das können Sie sich so vorstellen, das ist eine mit Kupferdraht umwickelte Spule und wenn durch diese Spule ein Strom fließt, dann entsteht ein magnetisches Feld, das heißt, da zieht ein Magnet, und dieser Magnet zieht dann einen kleinen Blechschalter nach unten und der löst einen Kontakt aus."
Operator: Das muss durch das Fenster reingekommen sein. Die wollte sich wohl auf Relais 70 niederlassen und dann: BÄMM
"Und wenn das Tier dazwischen ist, dann gibt es nur noch nullen, d.h. es gibt keinen Schaltprozess mehr."
Hopper: Und was du damit gemacht?
Operator: Na was wohl? Ich hab’s im Logbuch vermerkt. Die Motte ist da jetzt verewigt. Ich hab sie mit Klebeband archiviert. 15:45 Uhr: Motte in Relais 70. Der erste tatsächlich gefundene Bug.
Grace Hopper selbst hat diese Situation bei einem Vortrag in den 80er Jahren in ihrer typisch trockenen Art so beschrieben:
"Wir haben Mark 2 Hals über Kopf zusammengebaut. Schließlich waren wir mitten im Krieg. Alles musste schnell gehen. In dem Gebäude, in dem wir arbeiteten, war alles improvisiert. Es war Sommer und die Klimaanlage war nicht wirklich gut. Die Jalousien ebenso wenig. Wir haben die Fenster aufgemacht, um wenigsten ein bisschen frische Luft im Labor zu haben. Plötzlich stoppte Mark 2. Nach einer gefühlten Ewigkeit fand ein Techniker endlich den Fehler. In einem Relais war eine Motte. Tot. Zerquetscht durch den Kontakt im Relais. Der Techniker holte sich eine Pinzette und zog das Tier vorsichtig heraus. Dann legte er es in das Computer-Logbuch, nahm ein Stück Klebeband, klebte die Motte fest und schrieb darunter: "Ersten tatsächlichen Bug gefunden"."
"First actual case of Bug beeing found", genau diese Worte stehen in dem Dokument. Die Seite des Protokolls existiert übrigens immer noch, und zwar im Smithsonian Museum. Inklusive der Motte, die im Relais Nummer 70 gefunden wurde. Seit dem 9. September 1947 ist das tote Tier mit Klebeband im Betriebsprotokoll des Harvard Mark II verewigt. Falls ihr mir nicht glaubt, ein Foto davon gibt’s auf der Seite zur Sendung. Aber bevor ihr jetzt die Aufmerksamkeit auf das Foto richtet, wartet noch ein wenig, denn die Geschichte des Bugs ist noch nicht ganz zu Ende erzählt.
Operator: Grace?
Hopper: Ja?
Operator: Weißt du was wir gerade gemacht haben? Wir haben das Programm debugged! Verstehst du? Debugged! (lacht)
Hopper: Der ist wirklich gut! Ich erzähl das gleich mal dem Aiken. Der hat ja sonst nix zu lachen.
Eigentlich ist die Käfer-Geschichte schon viel älter
"Also ich kannte diese Anekdote nicht bevor ich nicht angefangen habe, mich mit Computergeschichte zu beschäftigen. Jetzt gibt es natürlich einerseits diesen unvergleichlich trockenen Humor von Grace Hopper, wenn sie schreibt "actual bug", dann ist klar, den Begriff hat es vorher schon gegeben und jetzt hat sie endlich mal einen richtigen Käfer gefunden, der dann aber leider nur ne Motte war. Also warum aus dem Programmierfehler keine Moth wurde, sondern ein Bug, über all die Jahrzehnte, das ist nicht zu klären. Der Bug allerdings ist kulturgeschichtlich wesentlich älter. Das ist in der Literatur nachgewiesen, schon hundert Jahre vorher. Auch in dem Zusammenhang, dass Bug eben als Fehler, als irgendeine Art von Fehler in Systemen auftaucht."
Grace Hopper selbst erwähnte, dass der Begriff "Bug" während des Zweiten Weltkriegs u.a. für Defekte in der Radartechnik verwendet wurde. Auch in den 30-er Jahren war "Bug" bereits Teil des popkulturellen Sprachgebrauchs. Der erste mechanische Flipperautomat der Welt, "Baffle Ball", wurde 1931 mit folgendem Slogan beworben: "Free of Bugs". Eine Schelte gegen die Konkurrenz, die offenbar mit Fehlern zu kämpfen hatte. Auch im 19. Jahrhundert taucht "Bug" bereits in der Beschreibung kleinerer Fehler in mechanischen und elektrischen Teilen auf. Das Knistern und Rauschen in einer Telefonleitung würde durch kleine Tiere, bzw. "Bugs" verursacht, die an der Leitung knabbern würden. Der nächste Anhaltspunkt kommt von Thomas Edison. Er schrieb im Jahr 1878 in einem Brief an einen befreundeten Ingenieur und beschwerte sich über technische Störungen und Schwierigkeiten, die sich immer wieder in seine Erfindungen einschleichen würden.
"Der erste Schritt bei all meinen Erfindungen ist ein intuitiver Gedanke, der wie in einem Ausbruch kommt, doch dann tauchen Schwierigkeiten auf – das Ding funktioniert nicht mehr. Es sind die "Bugs", wie solche kleinen Fehler und Schwierigkeiten genannt werden, die sich zeigen."
Eine der ältesten Nachweise stammt aus der Mitte des 19. Jahrhunderts und beschreibt eine neue Morsetaste. Bei unerfahrenen Schreibern tauchten überdurchschnittlich viele Fehler auf. Die populärste Firma, Vibroplex, hatte einen Käfer, also einen Bug, als Logo. Trotzdem gelten Grace Hopper bzw. sie und ihr Team in Harvard und die Relais-Motte des Mark II als der Ursprung des Bugs. Zumindest im Kontext des Programmierfehlers. Und der hat Rear Admiral Grace Brewster Murray Hopper bis ans Ende ihres Lebens verfolgt.
"Grace Hopper gilt als die Erfinderin der Programmiersprachen, der maschinenunabhängigen Programmiersprachen, sie hat die Sprache COBOL im Wesentlichen mitentwickelt, die eine ganz wichtige Sprache für Wirtschaftsanwendungen geworden ist. Das ist sie auch heute noch. Es wird zwar nicht mehr viel in Cobol programmiert, aber es wird noch viel für Cobol debugged, weil immer noch viele Systeme mit Cobol laufen. Eine schöne Anekdote ist, dass als Cobol entwickelt wurde von Grace Hopper und ihrem Team, sehr wenig Speicher zur Verfügung stand, und man sich gesagt hat. Na gut, dann legen wir doch Daten wie zum Beispiel das Datum in sechs einzelnen Stellen ab. D.h. wie haben zwei Stellen für den Tag, zwei für den Monat und zwei für das Jahr, das reicht. Erstmal. Bis wir bei der 99 angelangt sind. Das Jahr 2000 Problem, das im Wesentlichen durch sie mit verursacht wurde, durch diese Art der speicherschonenden Entwicklung, ist ein wichtiger Fehler, der sich sogar angekündigt hat."
Gerade weil sich der Millennium-Bug so lange angekündigt hat, konnte man sich relativ gut darauf vorbereiten. Deshalb war der berühmte Programmierfehler zur Jahrtausendwende in seiner Konsequenz in erster Linie eher ein Medienereignis. Aber auch ein Vorgeschmack auf das Gefühl ausgeliefert zu sein, gegenüber einer vernetzten Welt, die zunehmend von Computersystemen bestimmt wird. Eine Welt, die fehlerhaft ist.
Letzte Frage: Wie muss man damit umgehen. Weil, wenn man heute mit Computern aufwächst, wächst man irgendwie mit der Erwartung auf, dass das unfehlbare Maschinen sind.
"Was wir machen können ist, dass wir uns eine Kompetenz zulegen, die uns ein bisschen emanzipierter gegenüber der Maschine dastehen lässt. D.h. dass wir diese Tabletcomputer, iPhones, Laptops etc, nicht mehr so angucken als was das aus einem Guss gehämmerte Statuen, die in irgendeiner Art und Weise das perfekte Schöne sind, sondern wir brauchen im Prinzip wieder das Ingenieursbewusstsein so ein bisschen im Hinterkopf, das in den 40er-Jahren geherrscht hat, damit wir der Maschine selbstbewusst gegenübertreten und sagen können: Jetzt suche ich diese Motte mal."
Hopper: So, letzter Eintrag für heute. 16:30 Uhr. Rechner läuft. Das war’s. Ich mache jetzt Feierabend.
Operator: Ja ok. Wir sehen uns morgen wieder zur Spätschicht.
Hopper: Und vergiss nicht den Logbucheintrag zu machen.
Operator: Werd’ ich nicht.
Hopper: Tschüss.