Schlagen, rennen, stemmen
Cagri Ermis ist Profi-Boxer in Deutschland. Das Umfeld macht es ihm nicht leicht. Immer unübersichtlicher wird die Boxszene − und man kann dort als Sportler immer weniger Geld verdienen.
"Ich hab mich ja jetzt erst mal nur fit gehalten, ja, muss jetzt erst mal langsam wieder ins Training kommen und immer langsam anfangen und dann bis zum Kampf hin steigern."
Cagri Ermis am Sandsack. Vorige Woche hat er mit dem Aufbautraining begonnen. In sechs Wochen steht der nächste Kampf im Supermittelgewicht an. Er ist seit zweieinhalb Jahren Europameister des IBF-Verbandes, einer der vier großen Verbände im Profiboxen.
Nun wird er also zwei Mal täglich trainieren müssen, in einem Wuppertaler Boxgym. In der Mitte des Raumes dominiert der Ring, an der rechten Wand hängt ein großer Spiegel, in dem die Boxer die eigenen Bewegungen überprüfen können. Auf der anderen Seite hängen zwei Sandsäcke, ein runder für Aufwärtshaken und ein normaler, um den Ermis herumtänzelt und dabei Knurrgeräusche von sich gibt.
"Luft immer rauslassen. Wenn die Luft draußen ist, dann funktioniert besser die Atmung. Dann wirste nicht so schnell müde. Wenn du die Luft anhältst und haust, hast du immer ein Problem. Die Atmung muss stimmen."
Der nächste Gegner wird Nieky Holzken sein, und der ist nicht von Pappe. Vor fast sieben Jahren hat Ermis schon einmal gegen den Holländer geboxt und nach Punkten verloren. Holzken beendet auch einen großen Teil seiner Kämpfe vorzeitig durch k.o. Beide sind mit 33 Jahren gleich alt, doch Cagri Ermis schleppt mit 84 Kilo noch viel zu viel Gewicht mit sich herum: 76 Kilogramm sind die Obergrenze im Supermittelgewicht. Da gilt es noch einiges abzutrainieren.
"Acht Kilo, ja, das ist in sechs Wochen kein Problem. Ja, die Ernährung wird sich dann komplett ändern, Schokolade und so Sachen lässt man dann weg halt, ne, die fettigen Sachen, so weit wie es geht, und wenn man dann sechs Wochen zwei Mal am Tag trainiert, dann kann man sich das schon vorstellen, ne. Wenn man dann circa vier, fünf Stunden Training am Tag hat, dann purzeln die Pfunde schnell.
Mit Kickboxen angefangen
Cagri Ermis prügelt weiter auf den Sandsack ein. Seit Stunden trainiert er, stemmt Hanteln, tänzelt zum Schattenboxen vor dem Spiegel herum. Gestern ist er durch die hügeligen Wälder Wuppertals gejoggt. Morgen geht's ins Fitnessstudio.
Heute hab ich erstmal zehn Runden Sandsack gemacht, also erst mal aufwärmen, Seile, Schattenboxen, zehn Runden Sandsack, und jetzt noch eine Runde hier an den Speedball, nennt sich das. Da geh ich jetzt ne Runde dran zum Auslockern, und dann bisschen Gymnastik, Schattenboxen noch mal.
Cagri Ermis ist 1,79 Meter groß. Er ist in Wuppertal geboren, seine Eltern stammen aus der Türkei. Schon in der Kindheit betrieb er Kampfsport, in der Jugend boxte er lange Zeit in Hagen und fuhr, ebenso wie Nieky Holzken, zweigleisig, indem er auch Kickboxen machte. Beide wurden später in dieser Sportart Weltmeister, konzentrierten sich dann aber aufs klassische Boxen. Mit Kickboxen habe er sich zu lange beschäftigt, damit sei kaum Geld zu verdienen, sagt Ermis.
"Bewegen, nicht stehen bleiben, bewegen, bewegen. Schön, genau, komm mal, komm, wieder raus, jawohl richtig, genau…"
Der erste Sparringskampf in der Boxgym. Trainer Stevica Ivankovic hält sich von außen an den Seilen fest und macht mal erst auf Motivation.
"Und noch mal, sehr schön, wunderbar, genau das, jawohl, sehr schön, super gemacht, genau, wunderbar, versuche Distanz zu finden, genau…"
Cagri Ermis tänzelt leichtfüßig um seinen Trainingspartner herum: Ali Kali, ein etwas größerer, schwergewichtiger Typ.
"Auf 100 Prozent kann man nicht gehen, weil auch das Verletzungsrisiko sein kann, zu sanft darf es auch nicht sein, damit man schon im Training ist. - Wie viele Runden macht ihr heute? - Ich denke, zehn bis 15 Runden. Man muss sich da schon anständig vorbereiten für so'n Kampf, damit man auch topfit in den Ring geht."
"Er hat ja vor einer Woche Grippe gehabt, war ein bisschen erkältet, ja, wie ich hab gestern gesehen, er ist schon ein bisschen in dieser Phase, wo, ja, langsam, langsam wird schon besser. Aber wir hoffen, dass ab nächster Woche Montag starten wir richtig los, zwei Mal pro Tag mit dem Training aufgefüllt, vormittags, nachmittags. Wir machen jetzt drei Wochen Konditionstraining, erst mal Kondition fangen wir an, und danach so zwei Wochen langsam runter gehen und Sparring drei Mal in der Woche auf jeden Fall, und dann kommt am Vormittag lockeres Training, mit Ausschwitzen und so weiter, und ja.
Cagri Ermis ist mittlerweile auf den Weltranglistenplatz 53 abgerutscht. Das liegt vor allem an der langen Zeit seiner Verletzung und an den beiden Absagen in den letzten Monaten.
"Ist auch immer viel drum herum. Der eine der war krank, und der andere der wollte dann nachher mehr Geld haben vom Management und so, das sind Sachen, da stecke ich leider nicht drinnen, das ist der Veranstalter macht das, ne, der bezahlt das ja alles, und da sind die sich irgendwie nicht einig geworden, und dadurch ist der Kampf dann geplatzt."
"Er muss jetzt zwei, drei Kämpfe dieses Jahr machen, sonst steht wieder auf die Rangliste nach unten, aber ich hoffe und ich denke, dass wir das dieses Jahr schaffen."
Es entstanden immer neue Verbände
Die Jahre zwischen 2010 und 2015 bezeichnet Cagri Ermis als die besten seiner Karriere.
"Habe ich dann ein gutes Angebot bekommen aus Hamburg, das war 2010, hab zwar schon davor profigeboxt, nebenbei, also Profikämpfe gemacht als Boxer, reines klassisches Boxen, und dann 2010 bin ich nach Hamburg gezogen, da hab ich mit Kickboxen aufgehört und hab mich dann nur aufs Boxen konzentriert. Jetzt manage ich mich ja so gesehen selber, ich hab zwar auch gute Sponsoren hinter mir, ich weiß ja, wie das Geschäft läuft, aber ist schon besser, wenn man einen guten Manager oder Promoter hat, der sich dort auskennt, wenn man sich nur auf den Sport konzentrieren kann."
Mit 33 Jahren gehört man im Boxen noch lange nicht zum alten Eisen.
"33 ist noch nicht das Alter, in dem ein Boxer sagen muss, es ist vorbei, aber er weiß natürlich als Boxer, wenn du 33 bist und vielleicht drei, vier Kämpfe im Jahr machst, dann ist die Zahl der Fights, die du noch erfolgreich gestalten kannst, überschaubar."
Thorsten vom Wege, Sportreporter, Boxexperte. Insgesamt bestritt Ermis bislang 30 Profikämpfe, 22 Kämpfe gewann er, 12 beendete er durch k.o.-Siege. Er selber ist zwar ab und zu zu Boden gegangen, verlor aber nur ein Mal durch technisches k.o., ansonsten nach Punkten.
"Und dann bin ich da, 2012 bin ich gegen den Portugiesen Victor Sa bin ich WBF-Weltmeister geworden."
Was waren das noch Zeiten, als es nur einen Verband gab und Muhammad Ali ganz klar der Weltmeister war. Dann aber entdeckten findige Manager, wie viel Geld man mit dem Boxsport verdienen kann.
"Das heißt ja Profiboxen, weil es irgendwas mit Geld verdienen zu tun hat, und logischerweise sind schlaue Promoter und schlaue Vertreter des Boxens insgesamt auf die Idee gekommen, wir organisieren uns mal unseren eigenen Weltmeister, und demzufolge haben sie neue Verbände gegründet, WBC, dann noch WBA, IBF und WBO, das haben wir dann weltweit schon mal geklärt, und in diesen vier Großen gibt’s dann in jeder Gewichtsklasse mindestens einen Weltmeister. Am verrücktesten sind die von WBA. Die haben dann ihren Weltmeister, und wenn der zu gut ist, dann finden die noch die Möglichkeit, ihn zum Superweltmeister zu erklären, und unter ihm noch einen Weltmeister laufen zu lassen. Am Ende sieht da eigentlich gar keiner mehr durch, und das war schon fast ne goldene Zeit, in der man pro Gewichtsklasse einen Champion hatte."
Ebenso haben sich die Verbände ihre eigenen Europameister geschaffen. Und noch verwirrender ist das Geschäft im Profiboxen, wenn die Sportler ständig zwischen den Verbänden hin- und herspringen. Da blicken selbst Eingeweihte kaum durch, welcher Gegner der passende sein könnte.
"Im Profiboxen ist ein schwieriges Geschäft. Da musst du gute Kontakte haben, und da muss das Geld stimmen, von vornherein. Wenn man dort jeden Kampf annimmt, dann ist das schwierig, da zu gewinnen."
Thorsten vom Wege: "Gerade in Deutschland ist das Boxen, muss man so deutlich sagen, nicht auf dem steigenden, sondern eher auf dem absteigenden Ast. Die finanziellen Möglichkeiten für die Veranstalter sind geringer geworden, die Möglichkeiten überhaupt, Abende zu veranstalten, im größeren Rahmen, wo es dann finanziell interessant wird, sind auch weniger geworden, und das macht's natürlich für einen Mann dieser Güte nicht einfacher, das muss man so deutlich sagen. Zum anderen ist es ja natürlich in einer Form auch, naja, ich will jetzt nicht sagen mafiös, aber es ist auch zumindest so, dass die Promoter natürlich sich sagen: Wenn hier einer sich selber vermarktet, dann können wir nichts daran verdienen, und damit rutschst du in der Liste derjenigen, die angefragt werden, automatisch nach hinten."
Im Kampf die Hand gebrochen
Kurz nachdem Cagri Ermis 2012 Weltmeister geworden war, brach er sich in einem späteren Kampf die rechte Schlaghand.
"Ja, das hat mich ein bisschen zurückgeworfen. Das war damals beim Kampf gegen Raphael Bejema aus Hamburg, Puerto Ricaner, hab ich mir die Hand gebrochen, Mittelhand, hab da immer noch ne Titanplatte mit sechs Schrauben."
Damals boxte Ermis für den EC Boxstall in Hamburg.
"Hab ich mir in der ersten Runde die Schlaghand hab ich mir gebrochen, die härteste Stelle am Kopf ist die Stirn, und wenn man da dann voll drauf trifft, dann kann das schon mal passieren. Wir hatten den Kampf auf acht Runden angesetzt, und dann bin ich in die Ecke gekommen in der ersten Runde, und damals mein Trainer Oktay Okal aus Berlin, Silbermedaillengewinner Atlanta 96, hab ich gesagt: 'Trainer, ich hab mir die Hand gebrochen', und er hat gesagt: 'Nein, weitermachen, da ist nix, du hast dir bestimmt nur weh getan.' Ja und dann nach dem Kampf hab ich gesehen, dass ich die Hand kaum aus den Handschuhen rausbekommen habe, hab den Kampf auch noch gewonnen nach Punkten, war ne Riesenerfahrung."
Anderthalb Jahre konnte er daraufhin nicht boxen und verlor darüber seinen Weltmeistertitel. Der kommende Termin ist ein Pflichtkampf. Zwei Gegner sind Ermis kurz nacheinander abgesprungen.
Sein vielleicht bester Kampf war der gegen Robin Krasniqi, ein Verwandter des ehemaligen Schwergewichtseuropameisters Luan Krasniqi. Ein Kampf über acht Runden im Berliner Maritim Hotel, der Anfang 2016 von einem türkischen Sender live übertragen wurde.
"War ein starker Kampf von uns beiden. Also, ich bin keiner, der immer nach dem Kampf immer erzählt, ich bin besser gewesen, aber ich denke mir schon, dass ich schon knapp vorne war, doch. Also man merkt das ja im Ring, das Gefühl, das man hat nach dem Kampf, der Boxer hat meistens das richtige Gefühl, ne, ob er gewonnen hat oder verloren hat, und ich hab doch das Gefühl gehabt, dass ich gewonnen hab. Vielleicht kommt's ja irgendwann mal zu einer Revanche, mal schauen."
Die Fachwelt war der Meinung, dass der Kampf auch Remis hätte enden können.
"Aufwärtshaken hat der mehr gehabt, war natürlich Heimboxer, ne. Das macht ne Menge aus. Wenn du Heimboxer bist, ich bin der Gastboxer, das ist denen ihre Veranstaltung, sind die Punktrichter auf jeden Fall immer hinter den Heimboxern. Das das Problem beim Boxen, das ist schwierig zu gewinnen dann. Also da muss man immer viel mehr machen."
Thorsten vom Wege: "Wir reden immer noch vom Boxen, da ist es immer noch ein Kampf, der von Menschen entschieden wird, wenn's nicht durch einen Knockout ausgeht oder durch ne Verletzung, also wenn die Punktrichter ins Spiel kommen, ist es dann für einen ausländischen Boxer, der in Deutschland boxt, extrem schwierig. Der hat ja nicht nur das Publikum als, wie heißt es beim Fußball, als zwölften Mann gegen sich, sondern der hat auch noch fünf Jungs am Ring sitzen, die nicht zwingend für ihn voten. Wir haben die skurrilsten Urteile schon erlebt, Paradebeispiel: Axel Schulz, der hat in seinem Leben, glaube ich, einen richtig richtig guten Kampf gemacht, damals in den Vereinigten Staaten, und hat er gegen den schon alternden George Forman, der aber eben das Produkt war, das gebrandet und wieder in den Ring gehoben werden sollte, obwohl er den Kampf klar nach Punkten gewonnen hat, keine Chance."
In den USA wollte er nicht bleiben
Robin Krasniqi wird mittlerweile als Nummer fünf der WBO-Weltrangliste geführt. Artur Abraham ist seit 2012 in diesem Verband Weltmeister. Am 22. April werden die beiden in Magdeburg gegeneinander boxen. Mit Abraham hätte Ermis selbst gern einmal im Ring gestanden.
"Puuh, Lieblingsgegner. Für einen Boxer ist immer, man will immer gegen die Leute, die immer über einem stehen, boxen. In Deutschland wären das so bekannte Namen wie Abraham, Artur Abraham oder Felix Sturm, solche Leute würde ich gerne boxen. Das ja ne harte Nuss, Abraham. Ja, wär ne harte Nuss, aber das ist ja das Schöne daran, die Herausforderung, ne, man steigert sich ja auch mit dem Gegner. Die Leistung im Ring, die wird dann besser, wenn der Gegner gut ist und stark ist, bist du automatisch dann auch viel besser als sonst.
Thorsten vom Wege: "Abraham ist ganz deutlich - ich war jetzt bei Uli Wegener vor drei Wochen - ist ein Auslaufmodell, ich sag's so deutlich, der hat keine Lust mehr. Tyron Zeuge ist jetzt grade der Mann, der bei Sauerland eigentlich die eins ist, der ist jetzt gerade Weltmeister geworden, der Feigenbutz ist einer der extrem Schlagstarken, klar boxerisch limitierter Mann, bei dem man grade versucht, dem mit richtigen Trainern das Boxen beizubringen. Der Hertel ist einer, der noch so aus der Amateurschule kommt, er ist ein sehr, sehr eleganter Boxer, die drei sind echt zu stark, und damit bist du der vierte in Deutschland, da wirst du irgendwann mal geholt für einen Aufbaukampf. Also das ist echt schwer."
Vielleicht wäre Ermis Karriere noch ganz anders verlaufen, und er hätte seine Kämpfe gegen Felix Sturm oder Artur Abraham wirklich gehabt.
"Genau. Amerika war ich, 2008/2009 war das, war ich dort und ich war davor im Trainingslager vom Vladimir Klitschko, damals hat der unter Emanuel Stewart trainiert, das ist der amerikanische Trainer, berühmter Trainer, der verstorben ist, vor zwei Jahren, und der hat da Mittelgewichtler gehabt, also in meiner Gewichtsklasse, und dann wurde ich dann zum Stanglwirt, nach Österreich, bin ich dann eingeladen worden, da haben die ihr Trainingslager, da hat Vladimir Klitschko, jede Vorbereitung macht er dort. Da bin ich eingeladen worden und hab dort trainiert und hab Sparring halt da gemacht mit dem Puerto-Ricaner, der aus Amerika kam."
Der Puerto-Ricaner Kerment Cintron war kurz zuvor Weltmeister des IBF-Verbandes geworden und bereitete sich im österreichischen Camp auf seine Titelverteidigung vor.
"Ja und das hat denen so gut gefallen, dem Trainer, dem Stewart, dass er mich dann eingeladen hat nach Amerika, ne. Da war ich dann in New Jersey, Philadelphia ein bisschen, ich war da zweieinhalb‚ Wochen nur zum Training erst mal, wollte, dass ich unbedingt wieder komme, aber das war nix für mich. Da hab ich mich anders entschieden und ich wollte meine Karriere hier in Deutschland fortführen, ne."
Es gab für Ermis damals drei Gründe nicht zu bleiben, einmal private, dann die große Konkurrenz in den USA und vor allem die unsicheren Verträge.
"Vertrag, das ist in Amerika immer ein bisschen schwierig. Da wirst du pro Kampf bezahlt, also da musst du dann schauen, dass du dann immer mal kämpfst, dass du da bezahlt wirst, da kriegst du da nicht irgendwie ein Monatsgehalt, und ja ein bisschen schwierig alles gewesen, ne. Ich bin heimatverbunden, ne, ich mag das nicht so gern, zu lange weg zu sein von zu Hause. Familie ist für mich A und O. Und deswegen hab ich mich damals gegen entschieden, da zu bleiben."
"Jetzt momentan haben wir 20 plus Stange, 25 Kilo, glaube ich, 30 Kilo, jetzt kommen noch 10 drauf."
Ermis hebt, der Coach zählt: "Nicht so schnell, bisschen langsamer runter, ja, vier, fünf, sechs, sieben, acht, neun, nicht so schnell. Neun, zehn, noch zwei, bisschen stabiler, noch eins."
Ermis stöhnt.
Szenenwechsel: Die Fitnesshalle RespectGym im nahen Schwelm. Auch hier ein Boxring, ein großer Spiegel, diverse Sandsäcke, darüber hinaus aber wesentlich mehr Martergeräte als im Boxgym. Coach Cetin Yildiko hat sich heute entschlossen, Cagri Ermishart ranzunehmen. Er legt ihm jeweils die Hantel mit Gewichten in die Armbeugen, auf dass der mit dem Krempel in die Knie gehen möge. Eine Art Sitzhaltung ohne Stuhl, aber mit reichlich Kilo.
"Zwei Mal kommt er in der Woche, die letzten Wochen versuchen wir mal auf drei Mal zu erhöhen, aber zwei Mal kommt er. Es geht etwas über ne Stunde."
Auch mental stark sein
Zwischen den Einheiten dreht Ermis im Trab ein paar Runden durch die Halle, prügelt gelegentlich einen der Sandsäcke und findet sich wieder zur Hantel ein, die mittlerweile mit ein paar Kilogramm mehr bestückt wurde.
"Tut es weh? Ja, so langsam geht es auf die Oberschenkel, ne. Beim Boxen müssen nicht nur die Fäuste und die Arme stark sein, sondern die Beine auch, ne, das denkt man sich so gar nicht, aber von den Beinen kommt die Kraft, ne, zum Schlagen. Und der Rumpf, ne, vor allem. Aus dem Rumpf, aus der Hüfte kommen die Schläge."
"Das sind jetzt siebzig Kilo, die er also nur auf den Armen trägt. Der hat die nicht auf der Schulter drauf oder sonst was, die hat er hier auf die Arme, und damit geht er so runter, ne. Also sehr schwere Übung, ist auch nicht jedermanns Sache. Die machen die auch nicht viele gerne, weil das wirklich unheimlich schwer ist, macht auch eigentlich keinen Spaß, wenn du keinen hast, der dich pusht, hehe. Alleine würd er das auch nicht machen."
Der Kampftermin ist um drei Wochen nach hinten verschoben worden. Das bringt ein wenig die Trainingspläne durcheinander.
"Schön stabil stehen, komm. Alles alleine. Sieben, komm noch drei. Hoch. Zwei noch. Komm, noch eins, geh runter! Und klasse, super."
Immerhin lässt sich der Coach erweichen und geht für die nächsten Einheiten mit dem Gewicht wieder herunter.
"Die Kunst ist es ja auch, einen Kämpfer so fit zu machen, dass er körperlich auch stark ist. Weil boxen kann er sowieso, wer will dem großartig denn boxen beibringen? Nur wenige in Deutschland können so boxen wie er. Das ist nun mal Fakt. Das wissen auch viele. Und wie gesagt, die größte Arbeit ist es halt, diese Fitness, ne. Einen Kämpfer fit zu machen, damit der mental auch stark in den Ring rein geht. Das ist die größte Arbeit. Selbstbewusstsein und stark zu sein. Ne, also der ist ein Superboxer, und seine Erfolge haben ja auch für ihn gesprochen, die letzten Jahre, ja."
Noch ein paar Einheiten im Kreuzheben, bei dem die Langhantel im Wechselgriff umfasst wird, mit dem einen Handrücken nach vorn und dem anderen umgekehrt, auch das stärkt die Rückenmuskulatur und die Oberschenkel. Zwei Wochen noch bis zum Kampf, Gewicht Stand jetzt: 79 Kilo, drei müssen noch runter. Und dann geht es noch an die dicken Seile, die am mittleren Stahlträger befestigt sind und die Ermis rückwärts nach hinten ziehen soll.
Ermis hat einen Sponsor, der gleichzeitig auch sein Arbeitgeber ist. Das Unternehmen beseitigt Lackschäden an Autos. In den Wochen vor einem Kampf wird Ermis oft freigestellt. Er muss sich ja fitquälen. Und ohne finanzielle Unterstützung geht gar nichts. Der Trainer will bezahlt sein, ebenso der Fitnesscoach.
"Es wird eben immer schwerer für solche Jungs, die da mit mittelprächtigen Kampfrekorden daherkommen, sich selber so zu vermarkten, sich so zu präsentieren, dass es für den Lebensunterhalt reicht."
"Die Verbände, die arbeiten nur mit Boxern zusammen, wo die dann später sehen, dass die damit Geld verdienen können, ne, wenn die mich jetzt gewinnen lassen gegen einen Artur Abraham oder so, das bringt für die nichts. Weil Artur Abraham hat einen Fernsehvertrag mit SAT 1, ne, über drei Jahre, sagen wir mal, und das bringt Geld."
Thorsten vom Wege: "Die großen Jungs, die richtig Geld bringen, die findet man natürlich nur, wenn das Fernsehen mitspielt, und dann gibt's ja da die eine oder andere Vermarktungsmöglichkeit, und der eine oder andere wird sich erinnern: Manche haben sich das dann auf den Rücken malen lassen, was sie da gerade als Werbung zum Besten geben wollten, wir haben den alten Witz gemacht, wenn du schlecht genug bist, kannst du auch die Schuhsohlen noch vermarkten, weil du bleibst lange liegen, aber das ist schwer."
Den Gegner genau studiert
Wieder Sparring. Noch sechs Tage. Das Kampfgewicht ist fast erreicht.
"Einfach die Deckung länger oben lassen, bei der Geraden, er hat die Linke gerade ein paar Mal genommen, musste nicht sein, die hätte er mit der Deckung abfangen können, ne."
Wilfried Wagenführ. Der Mann macht neben dem Ring ein paar lockere Übungen mit kleinen Hanteln, beobachtet aber Ermis sehr genau.
"Ich bin so für den rechtlichen Bereich zuständig, also die Kampfverträge und das Sponsoring und so. Ich war früher Präsident von WCKL, der World Professional Kickboxing League, das war einer der ganz großen Verbände im Kickboxen, und von daher auch so'n bisschen Nähe zum Sport."
Wieder ist Ali Kali Sparringsgegner. Ein eingespieltes Team.
"Am Ende der Trainingseinheit wird Ali den Gegner nach Möglichkeit imitieren, sodass Cagri dann die Chance hat, schon im Sparring sich auf die Technik und auf das Verhalten des Gegners einzustellen. Also nicht nur auf Video zu studieren, sondern das eben dann ein bisschen konkreter zu üben und zu trainieren. Also im Prinzip diesen Kampf, wenn man so will, schon vorbereiten auf diese Art und Weise."
Nieky Holzken, der kommende Gegner. Man hat ihn gemeinsam studiert, per Video, wieder und wieder, hat zurückgespult und auf Zeitlupe gestellt.
"Der ist jetzt nicht der schnelle Boxer, der macht wenige Kombinationen, aber immer gezielte Schläge macht der. Ja, ist auch schlagstark, doch. Dadurch dass der gute Treffer immer landet, das heißt, gezielte Treffer, kann der die Leute auch gut k.o. hauen. Ist schon ein k.o.-Hauer. Auf jeden Fall."
Trainer Stevica Ivankovic tanzt wieder um den Ring herum und gibt Anweisungen.
"Nicht verstecken, gucken, genau. Wie Sie hier gerade sehen, Ermis macht jetzt nur Ausweichen, locker Ausweichen, bewegen, was er braucht jetzt. Das ist seine Stärke, einfach schön bewegen, komm, bewegen, bisschen."
Und dann endlich der Kampf, in Helmond, Holland. Rund 600 Zuschauer verfolgen das Geschehen: Cagri Ermis ist eindeutig im Vorwärtsgang, er landet immer wieder Treffer, aber nur drei Runden lang.
"Von meiner Seite her war eigentlich alles gut. Und der Kampf hat gut begonnen, die ersten drei Runden waren sehr gut für mich, ja, und dann habe ich leider einen Leberhaken bekommen, den ersten, und den habe ich noch so einigermaßen verkraftet, und bin dann noch mal auf dieselbe Stelle erwischt worden und dann war leider der Kampf aus."
K.o. in der vierten Runde. Und jetzt?
"Also, brauche erst mal jetzt Ruhe, paar Tage so'n bisschen zu sich kommen, Gras drüber wachsen lassen, und dann schauen wir mal weiter, was wir dann machen."