"Die Mühle und das Kreuz"

Von Bernd Sobolla |
1564 malte Pieter Breugel der Ältere ein Gemälde, das göttliche Heilsgeschichte und menschliches Alltagsleben verband. Er verlegte dazu die Kreuzigung Christi in sein Flandern des 16. Jahrhunderts. Der polnische Filmemacher Lech Majewski hat einen Film über "Kreuztragung Christi" gemacht.
Ganz langsam fährt die Kamera von links nach rechts, zeigt lebendige Menschen, wie sie auch auf dem Bild "Die Kreuztragung Christi" zu sehen sind. Im Hintergrund verharren fast regelungslos Soldaten, Pferde, Schaulustige und Männer, die das Kreuz aus Birkenholz tragen. Im Vordergrund werden Frauen angekleidet. Und schließlich erscheinen Pieter Bruegel und der Antwerpener Bankier Nicolas Jonghelinck, der den Maler 1564 beauftragt, die "Kreuztragung Christi" zu malen.

Filmausschnitt: "Die Mühle und das Kreuz"
"Das könnte also eine Gruppe Heiliger sein, die aus der Vergangenheit zurückkehren, um das gegenwärtige Schicksal Flanderns zu beklagen."

Dann erhebt sich Bruegel, legt seine Zeichenmappe zur Seite, geht umher, verändert einige Gewänder und verlässt das Bild. Nach nicht einmal drei Minuten wird klar, dass man einen außergewöhnlichen Film sieht. Denn die Vereinigung von Originalwerk und filmischer Inszenierung, also mit realen Schauspielern - digital ermöglicht - zieht den Betrachter in das Werk und in seine Zeit hinein. Ein genialer Einfall von Regisseur Lech Majewski:

"Das Spannendste war für mich, Bruegel selbst zu begegnen. Ich verehre ihn als absoluten Meister. Deshalb habe ich den Film wie eine Art Treffen inszeniert, das wir erleben."

Bruegel will nicht einfach die Kreuzigung Jesu malen, sondern eine Vielzahl von Geschichten erzählen - auch die Flanderns in der Mitte des 16. Jahrhunderts. Doch bevor Lech Majewski den Maler das Gemälde komponieren lässt, inszenieren er und sein Kameramann Adam Sikora selbst ein filmisches Gemälde. Anders kann man ihre großartigen Einstellungen kaum bezeichnen: Bauern, die am Morgen in ihren Betten erwachen, der Müller und seine Familie im Innern der riesigen Mühle und, aus einer Nebellandschaft kommend, Soldaten auf ihren Pferden. Letztere werden bald Menschen als Ketzer ermorden, denn die Zeit der Inquisition, der Verfolgung Ungläubiger oder Abtrünniger durch die katholische Kirche, ist noch nicht vorbei. Und Nicolas Jonghelinck, gespielt von Michael York, erlebt diese menschenverachtenden Taten mit Abscheu.

Filmausschnitt: "Die Mühle und das Kreuz"
"Diese fremden Söldner in ihren roten Waffenröckchen sind auf Geheiß ihrer spanischen Herren hier, die über uns herrschen. Jeden Tag hängt uns ihr Benehmen wie ein übler Gestank in der Nase. Eine Beleidigung des Stolzes der christlichen Demut und des gesunden Menschenverstandes."

Regisseur Lech Majewski beschreibt das Leben der Epoche, indem er das tägliche Leben zeigt: Bauern auf dem Weg zur Feldarbeit, Händler, die auf dem Markt Waren anbieten, Gaukler, die das Volk unterhalten. Es gibt Arbeitsgeräusche, Musik und den Lärm von spielenden Kindern, aber keine Dialoge, mit Ausnahme der Hauptdarsteller. Dazu gehört neben Michael York Charlotte Rampling, die als Jesu Mutter die mordenden Soldaten durchs Land ziehen sieht, weiteres Unheil ahnt und die Tür ihres Hauses schließt.

Filmausschnitt: "Die Mühle und das Kreuz"
Reiter - Tür

Und da ist Rudgar Hauer, der Pieter Bruegel spielt. Regisseur Lech Majewski lässt den Maler erläutert, wie er "Die Kreuztragung Christi" malen will.

Filmausschnitt: "Die Mühle und das Kreuz"
"Mein Bild wird viele Geschichten erzählen müssen. Es soll groß genug sein, alles aufnehmen zu können. ... Ich werde vorgehen wie die Spinne, die ich heute Morgen ihr Netz bauen sah. Zuerst findet sie einen Punkt zur Verankerung. Hier, im Herzen meines Netzes, unter dem Mahlstein der Ereignisse, wird unser Erlöser gemahlen - gnadenlos wie Korn. Ich werde ihn zeigen, wie er nach Golgatha geführt wird von den roten Waffenröcken der spanischen Milizen. Obgleich er ins Zentrum meines Bildes gefallen ist, muss ich ihn dem Blick des Betrachters entziehen. Weil er ... das Wichtigste ist."

Und ganz oben am Bildrand, steht die Mühle auf dem Felsen, um deren Zentrum die Flügel kreisen, sinnbildlich für die Menschen im ewigen Lauf zwischen Leben und Tod. Auf der Mühle steht der Müller und blickt herab auf den Kreuzigungszug. Zeigen die meisten anderen Gemälde Gott, wie er die Wolken zerteilt und enttäuscht voll Zorn auf die Welt herabblickt, übernimmt bei Bruegel der Müller seinen Platz: Er mahlt das Brot des Lebens und des Schicksals. Und während unten Jesus nach Golgatha geführt wird, hebt er seinen Arm, die Mühlräder halten an und alles erstarrt. Es ist die beeindruckendste Szene in Lech Majewskis Film:

"Es ist kein Zufall, dass Bruegel das Windrad der Mühle im Schatten des Kreuzes zeigt. Der Müller wird so zum Gebieter über die Welt. Plötzlich hält die Mühle an, es gibt keinen Wind, und die Welt steht still. Das wollten wir festhalten."

Filmausschnitt: "Die Mühle und das Kreuz"
"Und wenn später die Soldaten, um Jesu Kleider würfeln, erlebt Maria, gespielt von Charlotte Rampling, den Tod ihres Sohnes. "

Charlotte Rampling: "Er brachte ein Licht in die Welt. Und dieses Licht bedrohte die Bequemlichkeit der verkommenen Sitten und Gebräuche. Er war eine Bedrohung für jeden gefährlichen Narren, dem weder Gott noch Menschen am Herzen liegen, sondern nur jämmerliche Gewissheiten und Macht."

Rund 500 Figuren hat Pieter Bruegle in seinem Bild verdichtet, flämische und biblische Geschichte visuell vereint. Und Lech Majewski ist es gelungen, Bruegels Bild für die Leinwand zum Leben zu erwecken und dessen komplexe Bildsprache verständlich zu machen. Es mag paradox klingen, aber für die Kinoleinwand ist der Film fast ein bisschen zu schade. Noch besser würde er in Galerien und Museen passen.