Die Musik überwindet die Mauer

Vor 25 Jahren führte ein Rockkonzert in Westberlin zu Krawallen in der DDR

Blick über einen Teil der 60.000 Zuschauer beim David-Bowie-Konzert vor dem Reichstaggebäude in West-Berlin am 6. Juni 1987.
Blick über einen Teil der 60.000 Zuschauer beim David-Bowie-Konzert vor dem Reichstaggebäude in West-Berlin am 6. Juni 1987. © dpa / picture alliance / Chris Hoffmann
Von Jörg Wagner |
Während David Bowie, Eurythmics und Genesis im Jahr 1987 nur wenige Meter von der Mauer entfernt ein Rockkonzert in Westberlin gaben, versammelten sich auch Hunderte ostdeutsche Jugendliche am Brandenburger Tor. Ihre Forderung nach einem Abriss der Mauer endete in Ausschreitungen.
Dieser 6. Juni 1987 ist kein gewöhnlicher Radiotag der RIAS-Jugendwelle.

"RIAS2 extra 2 – live vom Reichstag. Hier ist David Bowie!"

Es ist Pfingstsamstag. Der britische Rockstar David Bowie gibt dem 750-jährigen Berlin die Ehre. Genauer: Berlin West, wo er Ende der 70er-Jahre selbst gelebt hat und das ihn zum Hit "Heroes" inspirierte.
Bowie singt von Schüssen an der Mauer und ist selbst nur wenige Meter von ihr entfernt. Die 76 Meter breite Bühne vor dem Reichstagsgebäude auf dem Platz der Republik zeigt zwar nach Westen, doch die Musik überwindet die Mauer. Und lockt Menschen an. So wie es Bowie sich vor dem Konzert erhofft:

"Ich habe viel mit jungen Leuten gesprochen, als ich gestern drüben war und ich glaube schon, dass einige von ihnen zum Konzert heute Abend kommen werden."

Mit Musik beide Stadthälften akustisch zu verbinden und dadurch gleichzeitig auch auf die Teilung zu verweisen, liegt in der Absicht des Veranstalters Concert Conzept, der Erfahrungen mit einer ähnlich künstlerischen provokanten Aktion an der Mauer gemacht hat, als man 1984 André Heller für ein sogenanntes Feuertheater am Berliner Reichstag verpflichten konnte. Das gigantische Feuerwerk zog damals auch Ostberliner an. Zum großen Berlinjubiläum im 750. Jahr ist es Rockmusik, die die Grenzen überwindet – das dreitägige Festival "Concert for Berlin". An drei Abenden spielen neben Bowie noch New Model Army, die Eurythmics, Bruce Hornsby, Paul Young und Genesis. Und sie sind sogar fast DDR-weit zu hören. Mit Hilfe von RIAS2. Obwohl Radioübertragungen von Rockkonzerten aus Qualitäts- und Vermarktungsgründen unüblich sind. Der damalige RIAS-Projektleiter Christoph Lanz erinnert sich:

"Der letztliche Durchbruch war in der Person von Phil Collins. Nachdem er erfahren hat, welche Hörerschaft RIAS2 in Ostberlin und in der DDR hat, dann hat er gesagt: Das machen wir! Damit in der DDR das gehört werden kann."

Die Radioübertragungen machen neugierig auf Nähe. Ostberlin-Korrespondent Peter Merseburger in den ARD-Tagesthemen:

"Hunderte von Jugendlichen waren zum Brandenburger Tor gezogen, um ein paar Fetzen von der heißen Musik zu hören, die nicht nur der Wind von der anderen Seite herüber wehte."

Für die DDR-Führung ist die Mauer am Brandenburger Tor ein kritischer Grenzabschnitt. Hier endet die von Touristen stark frequentierte Straße Unter den Linden. Hier steht die sowjetische Botschaft, ist die US-Botschaft nur wenige Meter entfernt. Auch die Korrespondenten von ARD und ZDF haben in der Nähe Büros. Das macht mutig.

"Die Mauer muss weg! ... "

"Das waren Auseinandersetzungen, wie sie Ostberlin bislang nicht gewohnt war. Polizei ging mit Schlagstöcken gegen Tausende Jugendliche vor, die in Sprechchören den Abriss der Mauer forderten. Vor der Sowjetbotschaft riefen sie Gorbatschow! Gorbatschow! Und stimmten ironisch die Internationale an, denn die erkämpft das Menschenrecht."

Die DDR-Medien sprechen dagegen von Hirngespinsten westlicher Medien. Die Sicherheitsorgane haben den Befehl, einen möglichen Grenzdurchbruch der Rockfans zu verhindern und prügeln auch auf die Kamerateams von ARD und ZDF ein. Die protestieren mit Hilfe der Bundesregierung gegen Misshandlungen und vorläufige Festnahmen. Ewald Moldt, Ständiger Vertreter der DDR in Bonn weist die Proteste mit knappen Worten zurück:

"Die Vorgänge werden entstellt dargestellt. Und ich darf Ihnen im Übrigen sagen, dass die Deutsche Demokratische Republik die Politik, die auf die friedliche Koexistenz ausgerichtet ist, fortführen wird."

Der damalige RIAS-Verantwortliche Christoph Lanz:

"Was das für einen Effekt hatte in diesen drei Tagen in Ostberlin, in der DDR für junge Leute, das ist etwas, was man erst aus heutiger Sicht einschätzen kann, wo man sagen muss, da wurde sicherlich ein Steinchen in einem Mosaik eingefügt. Und daher gibt es ein großes Bild. Und das endet dann wahrscheinlich am 9. November 1989."