Die Mutter aller Städte
Gerhard Haase-Hindenberg ist ein ungewöhnlicher Zeitgenosse. Der Schauspieler stammt eigentlich aus Franken, siedelte aber in den 1970er-Jahren nach Ost-Berlin um, um, sich dort an Hochschule für Schauspielkunst "Ernst Busch" zum Schauspieler ausbilden zu lassen – ein Beleg für eine gewisse Unangepasstheit und auch für Abenteuerlust. Er reiste viel und schrieb darüber Bücher – dazu auch welche zu politischen Themen wie über den Sohn des Kanzlerspions Günter Guillaume.
Sein neues Buch handelt von der Mutter aller Städte – Kairo, der mit etwa 20 Millionen Einwohnern größten und buntesten Stadt der arabischen Welt. Vorab – dieser Ehrentitel ist unsicher: Haase-Hindenberg gibt zu, dass er nicht weiß, warum man die Stadt so nennt, und sie ist auch nicht die einzige, die diesen Beinamen trägt. Also zitiert er lieber den arabischen Philosophen Muhammed Abu Hamed, der 1457 schrieb: "Hast du Kairo nicht erblickt, so hast du die Welt nicht gesehen".
Denn Kairo ist die Welt – oder besser: Kairo ist viele Welten.
Es ist die Welt der alten ägyptischen Eliten, die der guten alten Zeit nachtrauern. Der Zeit, als die Prachtbauten im Geschäftsviertel Wust al-Balad entstanden und ihre Blüte hatten. Sie wurden von französischen und italienischen Architekten gebaut, französisch waren die Restaurants, italienisch die Konditoreien, englisch die Clubs. Bis in die 1960er-Jahre war Kairo eine liberale Metropole, in den Bars, Nachtclubs, Moscheen und Kirchen nebeneinander existierten und jeder das machen konnte, was er wollte. Heute treffen sich die Intellektuellen im literarischen Salon des Schriftstellers Alaa al-Aswani, dessen Buch "Der Jakubijan-Bau" auch auf Deutsch erschienen ist.
Die Welt der Basare, der engen Gassen voller Läden und Gerüche, die - wie alles - im Wandel ist: Die traditionelle Handwerkskunst ist hier noch vorhanden, auch wenn mehr und mehr chinesische Industrieware die Stände verstopft. Haase-Hindenberg besucht die Werkstatt eines Silberschmieds, der sich als Künstler, nicht als Handwerker sieht, voller Stolz auf seine selbst entworfenen Unikate. Er berichtet, dass die meisten Silberschmiede armenisch-orthodoxe Christen sind, er führt den Leser in die "Meile des Lichts", wo ein Laden voller Lüster und Kronleuchter sich an den nächsten reiht und in deren Hinterzimmern die Lüster noch von Hand gefertigt werden.
Die Welt der Menschen, die in den Totenstädten leben – den großen Nekropolen, die ab den 1970er-Jahren wild besiedelt wurden. Wieviel Menschen hier heute leben, weiß niemand. 1986 waren es 12.000 – heute schwanken Schätzungen zwischen dem 5- und dem 20-fachen. Sie leben in Mausoleen von Pascha Familien, sie haben Strom, Fernsehapparate und Waschmaschinen, es sind nicht nur die Armen, auch Mittelschichtsfamilien sind hier zu Hause.
Er schreibt auch über das Fatwa Amt, in dem Hasan al-Kindi, geboren als Günter Bauer 1948 in Ost-Berlin, als Fachmann für deutschsprachige Koranexegese arbeitet, und über Suad Saleh, die Dekanin der Fakultät für Rechtswissenschaft für Studentinnen an der größten Universität Ägyptens, mit der er über islamisches Recht diskutiert. Über das Tragen des Kopftuches und den Ganzkörperschleier, über das Prinzip der Ehescheidung und eine Fatwa, die sie gegen einen Ex-Muslim, der zum Christentum konvertiert war, ausgesprochen hatte.
Haase-Hindenberg sieht genau hin, sieht viel und kann das meiste auch beschreiben. Nur die Dialoge sind mitunter etwas hölzern, wenn er Mitreisende als Stichwortgeber für historische Exkurse oder Erläuterungen nutzt. Deshalb ist das erste Kapitel auch das schwächste, weil er vorab einige Informationen liefern möchte und nicht sehr originell mit der Anreise und Taxifahrt ins Stadtzentrum beginnt. Danach sind wir angekommen, und dann wird alles, wenn nicht gut, dann doch interessant und gut beschrieben. Sehr empfehlenswert.
Besprochen von Günter Wessel
Gerhard Haase-Hindenberg: Verborgenes Kairo. Menschen, Mythen, Orte
Malik Verlag, München
304 Seiten, 19,95 Euro
Denn Kairo ist die Welt – oder besser: Kairo ist viele Welten.
Es ist die Welt der alten ägyptischen Eliten, die der guten alten Zeit nachtrauern. Der Zeit, als die Prachtbauten im Geschäftsviertel Wust al-Balad entstanden und ihre Blüte hatten. Sie wurden von französischen und italienischen Architekten gebaut, französisch waren die Restaurants, italienisch die Konditoreien, englisch die Clubs. Bis in die 1960er-Jahre war Kairo eine liberale Metropole, in den Bars, Nachtclubs, Moscheen und Kirchen nebeneinander existierten und jeder das machen konnte, was er wollte. Heute treffen sich die Intellektuellen im literarischen Salon des Schriftstellers Alaa al-Aswani, dessen Buch "Der Jakubijan-Bau" auch auf Deutsch erschienen ist.
Die Welt der Basare, der engen Gassen voller Läden und Gerüche, die - wie alles - im Wandel ist: Die traditionelle Handwerkskunst ist hier noch vorhanden, auch wenn mehr und mehr chinesische Industrieware die Stände verstopft. Haase-Hindenberg besucht die Werkstatt eines Silberschmieds, der sich als Künstler, nicht als Handwerker sieht, voller Stolz auf seine selbst entworfenen Unikate. Er berichtet, dass die meisten Silberschmiede armenisch-orthodoxe Christen sind, er führt den Leser in die "Meile des Lichts", wo ein Laden voller Lüster und Kronleuchter sich an den nächsten reiht und in deren Hinterzimmern die Lüster noch von Hand gefertigt werden.
Die Welt der Menschen, die in den Totenstädten leben – den großen Nekropolen, die ab den 1970er-Jahren wild besiedelt wurden. Wieviel Menschen hier heute leben, weiß niemand. 1986 waren es 12.000 – heute schwanken Schätzungen zwischen dem 5- und dem 20-fachen. Sie leben in Mausoleen von Pascha Familien, sie haben Strom, Fernsehapparate und Waschmaschinen, es sind nicht nur die Armen, auch Mittelschichtsfamilien sind hier zu Hause.
Er schreibt auch über das Fatwa Amt, in dem Hasan al-Kindi, geboren als Günter Bauer 1948 in Ost-Berlin, als Fachmann für deutschsprachige Koranexegese arbeitet, und über Suad Saleh, die Dekanin der Fakultät für Rechtswissenschaft für Studentinnen an der größten Universität Ägyptens, mit der er über islamisches Recht diskutiert. Über das Tragen des Kopftuches und den Ganzkörperschleier, über das Prinzip der Ehescheidung und eine Fatwa, die sie gegen einen Ex-Muslim, der zum Christentum konvertiert war, ausgesprochen hatte.
Haase-Hindenberg sieht genau hin, sieht viel und kann das meiste auch beschreiben. Nur die Dialoge sind mitunter etwas hölzern, wenn er Mitreisende als Stichwortgeber für historische Exkurse oder Erläuterungen nutzt. Deshalb ist das erste Kapitel auch das schwächste, weil er vorab einige Informationen liefern möchte und nicht sehr originell mit der Anreise und Taxifahrt ins Stadtzentrum beginnt. Danach sind wir angekommen, und dann wird alles, wenn nicht gut, dann doch interessant und gut beschrieben. Sehr empfehlenswert.
Besprochen von Günter Wessel
Gerhard Haase-Hindenberg: Verborgenes Kairo. Menschen, Mythen, Orte
Malik Verlag, München
304 Seiten, 19,95 Euro