Die Mutter aller Utopien
1516 ließ der englische Staatsmann Thomas More, lateinisch: Thomas Morus, einen seefahrenden Philosophen die sorgenfreie Insel "Utopia" in seinem gleichnamigen Buch entdecken und beschreiben. Seitdem wird der Name immer benutzt, wenn es um Entwürfe eines besseren Lebens geht. Die "Mutter aller Utopien" ist jetzt als Hörbuch erschienen.
Sie hat die Form eines Sichel-Mondes und liegt, ihrem griechischen Namen nach, nirgendwo: die Insel Utopia. Doch einige Menschen kennen sie. Einige wenige. Denn Klippen, die im Wasser verborgen sind, stellen für ankommende Schiffe eine Gefahr dar.
"Allein die Einheimischen kennen die Fahrrinnen. Und so gelangt nur selten ein Fremder ohne einen Lotsen der Utopier in diese Bucht."
Ein Fremder, der die Insel kennenlernt, ist der Seefahrer und Philosoph Raphael Hythlodaeus. Thomas More hat ihn erfunden, gewissermaßen als literarisches Sprachrohr für seine philosophischen und staatstheoretischen Ideen.
Raphael Hythlodaeus beschreibt, inwiefern die Insel Utopia die beste Form des Gemeinwesens ist: Die Bewohner Utopias, die Utopier, kennen keine Armut; alle arbeiten, allerdings nur sechs Stunden am Tag, damit sie noch genug Zeit für Bildung und wissenschaftliche Betätigung finden. Privatbesitz und Geld existieren nicht. Und Gold hat für die Utopier nicht den andernorts üblichen Wert:
"Während sie nämlich aus tönernem Geschirr und aus gläsernen Gefäßen essen und trinken, die zwar geschmackvoll, aber von geringem Wert sind, stellen sie nicht nur für die gemeinsam benützten Hallen, sondern auch für die Privathäuser Nachttöpfe und alle möglichen anderen schmutzigstem Gebrauch dienenden Gefäße aus Gold und Silber her. Ferner verfertigen sie aus dem gleichen Metall Ketten und grobe Fußfesseln, womit sie die Sklaven im Zaum halten. Und schließlich hängen sie an die Ohren aller, die durch irgendein Verbrechen ihre Ehre verloren haben, goldene Ringe. So sorgen sie mit allen Mitteln dafür, dass Gold und Silber bei ihnen in Schimpf und Schande stehen."
Die Gier nach Gold und Geld - für den fiktiven Philosophen und für Thomas More ist sie ein Grund dafür, dass Menschen im Europa des 16. Jahrhunderts unter Armut leiden. Fast hinter jeder Beschreibung der Bräuche auf Utopia verbirgt sich zugleich ein ernstes Anliegen Mores.
Der katholische More sagte sich von Heinrich VIII. los, als sich der König zum Oberhaupt der englischen Priesterschaft erklären wollte. Auf Utopia sind die Priester hingegen unangefochtene Mittler zwischen Gott und den christlich und philosophisch geprägten Bürgern.
Auch wundert es nicht, dass die Utopier die Heirat für ein ewiges Bündnis halten und deshalb eine Scheidung streng bestrafen. Thomas More wetterte nämlich gegen die Scheidung Heinrich VIII. Aber selbst das Thema Ehe ist für More nicht zu ernst, um es satirisch anzugehen: Wollen zwei Utopier heiraten, werden sie einander nackt präsentiert.
"Als wir diesen Brauch als unschicklich missbilligten und darüber lachten, wunderten sich jene ganz im Gegenteil über die auffallende Dummheit anderer Völker, die beim Kauf eines Füllens, wo es doch nur um eine kleine Summe Geld geht, so vorsichtig sind, dass sie sich weigern, das Pferd zu kaufen, ohne ihm, obwohl es ja sozusagen nackt ist, auch noch den Sattel abgenommen und Reitdecke entfernt zu haben, unter dem ja irgendein Geschwür verborgen sein könnte. Wenn es sich aber um die Wahl einer Gattin handelt, und die Wahl entscheidet über lebenslange Lust oder lebenslangen Ekel, gehen sie so nachlässig vor, die ganze Frau nach einem Stück Haut zu beurteilen, das kaum der Größe einer Hand entspricht. Denn abgesehen vom Gesicht ist ja nichts sichtbar."
Eine von mehreren humorvollen Passagen im überzeugenden Hörbuch. Ulrich Matthes liest sie gekonnt, mal erstaunt, mal nüchtern, immer ohne Effekthascherei, und damit ganz in der Rolle des beobachtenden fremden Philosophen.
Der Eichborn-Verlag erklärt dankenswerter Weise im Booklet jene Scherze, die Thomas More in den altgriechischen Eigennamen der Insel versteckt hat. So heißt "Hythlodaeus", Mores fiktives Alter Ego, "Schwätzer". Thomas More kann das: Selbstironisch sein und zugleich jene Überheblichkeit der Zeitgenossen anprangern, die eine bessere Gesellschaft verhindert:
"Da diese Schlange zu tief in den Menschen sitzt, als dass sie leicht herausgerissen werden könnte, freue ich mich, dass wenigstens den Utopiern diese Staatsform zu Teil geworden ist, eine Staatsform, die ich allen wünschen möchte."
Thomas Morus: Utopia
Gelesen von Ulrich Matthes.
Aus dem Lateinischen übersetzt von Jacques Laager.
Frankfurt/Main: Eichborn Lido 2005.
2 CDs, 173 Minuten. 19,95 Euro.
"Allein die Einheimischen kennen die Fahrrinnen. Und so gelangt nur selten ein Fremder ohne einen Lotsen der Utopier in diese Bucht."
Ein Fremder, der die Insel kennenlernt, ist der Seefahrer und Philosoph Raphael Hythlodaeus. Thomas More hat ihn erfunden, gewissermaßen als literarisches Sprachrohr für seine philosophischen und staatstheoretischen Ideen.
Raphael Hythlodaeus beschreibt, inwiefern die Insel Utopia die beste Form des Gemeinwesens ist: Die Bewohner Utopias, die Utopier, kennen keine Armut; alle arbeiten, allerdings nur sechs Stunden am Tag, damit sie noch genug Zeit für Bildung und wissenschaftliche Betätigung finden. Privatbesitz und Geld existieren nicht. Und Gold hat für die Utopier nicht den andernorts üblichen Wert:
"Während sie nämlich aus tönernem Geschirr und aus gläsernen Gefäßen essen und trinken, die zwar geschmackvoll, aber von geringem Wert sind, stellen sie nicht nur für die gemeinsam benützten Hallen, sondern auch für die Privathäuser Nachttöpfe und alle möglichen anderen schmutzigstem Gebrauch dienenden Gefäße aus Gold und Silber her. Ferner verfertigen sie aus dem gleichen Metall Ketten und grobe Fußfesseln, womit sie die Sklaven im Zaum halten. Und schließlich hängen sie an die Ohren aller, die durch irgendein Verbrechen ihre Ehre verloren haben, goldene Ringe. So sorgen sie mit allen Mitteln dafür, dass Gold und Silber bei ihnen in Schimpf und Schande stehen."
Die Gier nach Gold und Geld - für den fiktiven Philosophen und für Thomas More ist sie ein Grund dafür, dass Menschen im Europa des 16. Jahrhunderts unter Armut leiden. Fast hinter jeder Beschreibung der Bräuche auf Utopia verbirgt sich zugleich ein ernstes Anliegen Mores.
Der katholische More sagte sich von Heinrich VIII. los, als sich der König zum Oberhaupt der englischen Priesterschaft erklären wollte. Auf Utopia sind die Priester hingegen unangefochtene Mittler zwischen Gott und den christlich und philosophisch geprägten Bürgern.
Auch wundert es nicht, dass die Utopier die Heirat für ein ewiges Bündnis halten und deshalb eine Scheidung streng bestrafen. Thomas More wetterte nämlich gegen die Scheidung Heinrich VIII. Aber selbst das Thema Ehe ist für More nicht zu ernst, um es satirisch anzugehen: Wollen zwei Utopier heiraten, werden sie einander nackt präsentiert.
"Als wir diesen Brauch als unschicklich missbilligten und darüber lachten, wunderten sich jene ganz im Gegenteil über die auffallende Dummheit anderer Völker, die beim Kauf eines Füllens, wo es doch nur um eine kleine Summe Geld geht, so vorsichtig sind, dass sie sich weigern, das Pferd zu kaufen, ohne ihm, obwohl es ja sozusagen nackt ist, auch noch den Sattel abgenommen und Reitdecke entfernt zu haben, unter dem ja irgendein Geschwür verborgen sein könnte. Wenn es sich aber um die Wahl einer Gattin handelt, und die Wahl entscheidet über lebenslange Lust oder lebenslangen Ekel, gehen sie so nachlässig vor, die ganze Frau nach einem Stück Haut zu beurteilen, das kaum der Größe einer Hand entspricht. Denn abgesehen vom Gesicht ist ja nichts sichtbar."
Eine von mehreren humorvollen Passagen im überzeugenden Hörbuch. Ulrich Matthes liest sie gekonnt, mal erstaunt, mal nüchtern, immer ohne Effekthascherei, und damit ganz in der Rolle des beobachtenden fremden Philosophen.
Der Eichborn-Verlag erklärt dankenswerter Weise im Booklet jene Scherze, die Thomas More in den altgriechischen Eigennamen der Insel versteckt hat. So heißt "Hythlodaeus", Mores fiktives Alter Ego, "Schwätzer". Thomas More kann das: Selbstironisch sein und zugleich jene Überheblichkeit der Zeitgenossen anprangern, die eine bessere Gesellschaft verhindert:
"Da diese Schlange zu tief in den Menschen sitzt, als dass sie leicht herausgerissen werden könnte, freue ich mich, dass wenigstens den Utopiern diese Staatsform zu Teil geworden ist, eine Staatsform, die ich allen wünschen möchte."
Thomas Morus: Utopia
Gelesen von Ulrich Matthes.
Aus dem Lateinischen übersetzt von Jacques Laager.
Frankfurt/Main: Eichborn Lido 2005.
2 CDs, 173 Minuten. 19,95 Euro.