"Die Nacht der von Neil Young Getöteten" in Hamburg

Auf dem Hexentanzplatz

07:56 Minuten
Ein junger Mann mit Basekap raucht im Wald, an ein Klavier gelehnt, düstere Bildstimmung.
Der Abend hat unseren Kritiker Michael Laages überzeugt: "Alle sind musikalisch sensationell!" © Thalia Theater/Armin Smailovic
Von Michael Laages |
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Der Autor Navid Kermani ist großer Fan von Neil Young. Über die Liebe zu dessen Musik schrieb er "Das Buch der von Neil Young Getöteten", das nun die Grundlage für die Uraufführung am Hamburger Thalia Theater bildet.
Nein – nicht wie ein modisches "BioPic" auf Leinwand oder Bildschirm soll hier die Lebensgeschichte der kanadischen Folk- und Rock-Ikone Neil Young ins Visier genommen werden, der im kommenden Jahr 75 wird. Und das Hamburger Thalia-Team um Regisseur Sebastian Nübling hatte auch nicht bloß eine Art Liederabend im Sinn. Stattdessen gelingt mit dem Buch des Schriftstellers Navid Kermani (der an diesem Theater in Hamburg seit Jahren literarisch-historische Recherchen unter dem Titel "Herzkammer" erarbeitet) eine musikalische Begegnung der ganz ungewöhnlichen Art.

Ensemble um ein jammerndes Baby versammelt

Kermani erzählte in seinem "Buch der von Neil Young Getöteten" 2013 vor allem von sich selbst – und von der Rolle, die Neil Youngs Musik im eigenen Leben gespielt hat. Der Autor erforscht die Welt der Young-Songs und verfällt dabei nur selten in die Überanstrengungen musikjournalistischer Fan-Poesie. Er setzt die Analysen in Beziehung zu eigenen Befindlichkeiten, vom dramatischen Beinahe-Sterben des Vaters bis hin zum Baby, dessen Schmerzensschreie in Phasen kleinkindlicher Blähungen erst enden, wenn der Kinderwagen mit Neil Young beschallt wird. Um so ein jammerndes Baby versammelt sich das Hamburger Ensemble immer mal wieder und stimmt in fein arrangiertem Chorgesang Youngs frühe Songs an.
Das Bild für das Spiel mit Young ist überwältigend – Eva Maria Bauer hat einen wahrhaftigen Wald auf die unentwegt kreisende Drehbühne gestellt; hohe und niedrige Stämme, totes und lebendiges Holz – und mittendrin kommt auch mal die Kettensäge der Holzfäller zum Einsatz.
Eine Band spielt in einem Wald-Setting, düstere Lichtstimmung.
Eine Lichtung im Wald. Jene, die sich dort treffen eint vor allem eins: Die Liebe zu Neil Young.© Thalia Theater/Armin Smailovic
Natürlich ist das auch ein Symbol-Bild für den engagierten Umweltschützer Young – vor allem aber ist inmitten des Waldes eine Art Hexentanzplatz angelegt, auf dem der Geist des Sängers und Poeten beschworen wird; manchmal von den Bäumen herab, die die Wesen erklimmen, die hier spielen, singen und Passagen aus Kermanis Buch rezitieren. Diese Wesen sind hingegebene Fans wie der Autor, ziemlich weit aus der Alltagswelt heraus gefallen, hinein in die Träume und Alpträume von Neil.

Alle sehen ein bisschen aus wie Neil Young

Pascale Martin hat alle ein bisschen nach Neil Youngs Bild geformt, und zugleich möglichst geschlechtsneutral: die Frauen tragen struppige Bärte, die Männer rockartige Umhänge. Auf keinen Fall, das wird deutlich, soll es hier um gängige Männer-singen-über-Mädchen-Klischees gehen, um die Schlacht zwischen den Geschlechtern. Young-Songs können in dieser Hinsicht ja sehr finster sein: wenn etwa in "Down By The River" das Sänger-Ich die Freundin erschießt.
Langsam bewegt sich der Abend von Song zu Song. Niemand muss sich beeilen, die Bühne dreht sich ja eh schon. Und immer wieder treten die Young-Beschwörer zwischen Bäumen und Gestrüpp hervor und erzählen von ihrem Leben mit dem Sänger. Das Ensemble singt sensationell gut im Song-Setting von Carolina Bigge, die Gitarre, Tasten-Instrumente und Schlagzeug spielt und mit Brille, Mütze und Bart auch aussieht wie so ein verlorener Trucker, der unterwegs ist nach Hause auf die armselige Farm. Endlich ist Gabriela Maria Schmeide mal wieder zu hören, eine der hinreißendsten Gesangsstimmen auf deutschen Schauspielbühnen, Felix Knopp, Thomas Niehaus und Merlin Sandmeyer, Cathérine Seifert und Maja Schöne stehen ihr in Nichts nach. Und fast jeder und jede spielt ein Instrument.
Nebel im Wald mit Menschen.
Wenn im Chor Neil Young gesungen wird, kommt auch das Baby zur Ruhe.© Thalia Theater/Armin Smailovic
Den seltsamen Titel für die private Neil-Young-Verklärung fand Navid Kermani in der Beschäftigung mit dem Koran. Auch dort gibt es den mystischen Begriff der "Getöteten" – gemeint sind vor allem Besessene, deren Leben ganz und gar durchdrungen ist; wie vom Koran, so hier von Neil Youngs Musik. Auch Nicht-Fans vermag dieser Umgang mit Verzückung und Verlorenheit zugleich zu faszinieren.

Beschwörungen und Melancholie ganz aktuell

Und Youngs melancholische Sehnsüchte wie nach verlorenen Paradiesen sind ja vollkommen von heute. Gerade hat der Sänger eine neue CD vorgelegt – die Beschwörung durch Sebastian Nübling und das Ensemble auf dem Hamburger Hexentanzplatz ist ein mindestens genau so überzeugendes Ereignis.
Im düsteren Wald sitzt jemand an einem Klavier.
Es sei nicht nur ein Liederabend, obwohl viel Neil Young gesungen werde, sagt unser Kritiker.© Thalia Theater/Armin Smailovic

Die Nacht der von Neil Young Getöteten
von Navid Kermani
Regie: Sebastian Nübling
Thalia Theater, Hamburg

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