"Die nackte Bühne, der spielende Mensch"
Das Theater müsse versuchen, einen größeren Überblick zu bekommen und sich in "Gegenwelten" zu bewegen, meint der Regisseur Dieter Dorn, der seine Autobiografie geschrieben hat. Nach vielen Jahren als Schauspiel-Intendant in München hat er sich der Oper zugewandt.
Ulrike Timm: "Wenn Musik der Liebe Nahrung ist, spielt weiter", so heißt es in Shakespeares "Was ihr wollt", und Dieter Dorn hat seine Autobiografie kurz und knapp "Spielt weiter!" genannt. 35 Jahre lang war Dorn der Theaterkaiser von München, bis 2001 Intendant an den Kammerspielen, vor zwölf Jahren dann wechselte er die Straßenseite und wurde Intendant des Residenztheaters, seine besten und seine liebsten Schauspieler, die kamen mit.
Vor zwei Jahren beendete der heute 77-jährige Dieter Dorn diese Ära in München, macht aber selbst weiter als Opernregisseur, derzeit erarbeitet er Wagners "Ring" in Genf und hat seine Autobiografie eben geschrieben, in der er gleich zu Beginn klarstellt, dass sein künstlerisches Kapital stets die Schauspieler gewesen seien. Das hat Dieter Dorn in seiner Arbeit auch immer wieder verlebendigt, dass jemand so klar beim Menschen auf der Bühne im Ensemble ansetzt, das gibt es so heute fast gar nicht mehr. Drum habe ich ihn zuerst gefragt, ob er sich manchmal auch als Dinosaurier empfinde.
Dieter Dorn: Nein, das tue ich nicht, aber ich fühle mich schon ein bisschen einsam. Aber wir hatten auch natürlich wirklich sehr gute Bedingungen, und ich kam aus den verschiedensten Theatern mit der Überzeugung, dass eine gemeinsame Arbeit mit einer Truppe das einzig Richtige ist, und der Versuch einer längerfristigen Arbeit, die sich also nicht in einzelnen Projekten irgendwie ergießt, sondern die wirklich über Jahre, über Jahrzehnte geht. Und das ist uns gelungen.
Timm: Aber heute macht man ja Arbeit am Theater eigentlich nicht mehr, ohne die Flugpläne in der jeweiligen Stadt zu kennen. Die Schauspieler touren doch sehr.
Dorn: Das hat sich aber schon nach dem Zweiten Weltkrieg angedeutet, darüber hat schon Gustaf Gründgens sinniert und sich beklagt. Und es ist noch gar nichts gegen das Weltensemble der Opernsänger. Da teilen sich ja 100 Sänger so ungefähr die ganzen großen Opernhäuser der Welt auf und sind heute da und morgen da und übermorgen da, und es gibt fast überhaupt kein Ensemble mehr, wo man also ein paar Jahre vielleicht miteinander zusammen arbeiten könnte.
Timm: Dann wären Sie ja doch ein Dinosaurier, im guten Sinne.
Dorn: So gesehen ja, ja. Aber ich möchte nicht in der Ausstellung liegen mit einem Schild drunter: Dinosaurier Dorn. Obwohl, das wäre mein drittes D dann.
Timm: Eine Autobiografie, Herr Dorn, die geht notwendig zurück, der Titel "Spielt weiter!", mit Ausrufezeichen, der weist nach vorn. An wen richtet der sich?
Dorn: Der richtet sich an die Schauspieler, von denen ich glaube, dass die Schauspieler eigentlich einen gesellschaftlichen Auftrag haben, nämlich wirklich stellvertretend für die Menschen, die sich nicht mehr in diese Dinge hineinbewegen können, in Gegenwelten, in Entwürfen, in den großen Texten zu spielen und das ganz ernst zu nehmen und das nicht als eine – und das wird es immer mehr – als eine eitle persönliche und die eigenen Obsessionen befriedigende Geschichte gesehen wird, sondern als eine hohe Begabung. Eine große Begabung hat auch einen großen Auftrag, meiner Meinung nach.
Timm: Ist das der Grund, warum Sie in Ihrem langen Theaterleben immer wieder bei Shakespeare und bei den Dramatikern der Antike gelandet sind, weil die alten Texte vielleicht doch die größten sind?
Vor zwei Jahren beendete der heute 77-jährige Dieter Dorn diese Ära in München, macht aber selbst weiter als Opernregisseur, derzeit erarbeitet er Wagners "Ring" in Genf und hat seine Autobiografie eben geschrieben, in der er gleich zu Beginn klarstellt, dass sein künstlerisches Kapital stets die Schauspieler gewesen seien. Das hat Dieter Dorn in seiner Arbeit auch immer wieder verlebendigt, dass jemand so klar beim Menschen auf der Bühne im Ensemble ansetzt, das gibt es so heute fast gar nicht mehr. Drum habe ich ihn zuerst gefragt, ob er sich manchmal auch als Dinosaurier empfinde.
Dieter Dorn: Nein, das tue ich nicht, aber ich fühle mich schon ein bisschen einsam. Aber wir hatten auch natürlich wirklich sehr gute Bedingungen, und ich kam aus den verschiedensten Theatern mit der Überzeugung, dass eine gemeinsame Arbeit mit einer Truppe das einzig Richtige ist, und der Versuch einer längerfristigen Arbeit, die sich also nicht in einzelnen Projekten irgendwie ergießt, sondern die wirklich über Jahre, über Jahrzehnte geht. Und das ist uns gelungen.
Timm: Aber heute macht man ja Arbeit am Theater eigentlich nicht mehr, ohne die Flugpläne in der jeweiligen Stadt zu kennen. Die Schauspieler touren doch sehr.
Dorn: Das hat sich aber schon nach dem Zweiten Weltkrieg angedeutet, darüber hat schon Gustaf Gründgens sinniert und sich beklagt. Und es ist noch gar nichts gegen das Weltensemble der Opernsänger. Da teilen sich ja 100 Sänger so ungefähr die ganzen großen Opernhäuser der Welt auf und sind heute da und morgen da und übermorgen da, und es gibt fast überhaupt kein Ensemble mehr, wo man also ein paar Jahre vielleicht miteinander zusammen arbeiten könnte.
Timm: Dann wären Sie ja doch ein Dinosaurier, im guten Sinne.
Dorn: So gesehen ja, ja. Aber ich möchte nicht in der Ausstellung liegen mit einem Schild drunter: Dinosaurier Dorn. Obwohl, das wäre mein drittes D dann.
Timm: Eine Autobiografie, Herr Dorn, die geht notwendig zurück, der Titel "Spielt weiter!", mit Ausrufezeichen, der weist nach vorn. An wen richtet der sich?
Dorn: Der richtet sich an die Schauspieler, von denen ich glaube, dass die Schauspieler eigentlich einen gesellschaftlichen Auftrag haben, nämlich wirklich stellvertretend für die Menschen, die sich nicht mehr in diese Dinge hineinbewegen können, in Gegenwelten, in Entwürfen, in den großen Texten zu spielen und das ganz ernst zu nehmen und das nicht als eine – und das wird es immer mehr – als eine eitle persönliche und die eigenen Obsessionen befriedigende Geschichte gesehen wird, sondern als eine hohe Begabung. Eine große Begabung hat auch einen großen Auftrag, meiner Meinung nach.
Timm: Ist das der Grund, warum Sie in Ihrem langen Theaterleben immer wieder bei Shakespeare und bei den Dramatikern der Antike gelandet sind, weil die alten Texte vielleicht doch die größten sind?
"Spannende Schau auf unsere Zeit"
Dorn: Ja, die sind natürlich die größten Texte, weil sie am meisten Welt enthalten, aber nicht nur. Wir haben ja auch viele Zeitgenossen gespielt, und ich würde darunter zum Beispiel ganz bestimmt Botho Strauß zählen, von dem ich viele Stücke gemacht habe. Aber der entscheidende Punkt ist, dass das Theater, wenn es wirken soll, meiner Meinung nach nicht direkt mit Haltung, mit politischer Haltung konfrontieren soll, sondern eigentlich, um Hintergründe und um größere Zusammenhänge bemüht sein muss, um etwas zu tun, was nur dieses Instrument kann. Und was die anderen Medien viel, viel besser können, das soll man denen auch überlassen. Das heißt eigentlich, die nackte Bühne, der spielende Mensch, der Text eines großen Dramatikers, der so viel Zeit von uns heute ansaugen kann, dass das zusammen eine spannende Schau auf unsere Zeit, auf unsere Probleme gibt.
Timm: Trotz "Spielt weiter!", dem Blick nach vorn, möchte ich mal ein bisschen in den Anfängen von Dieter Dorn fühlen. Sie wollten nämlich ursprünglich Dirigent werden und begannen dann – so heißt es im Buch – nach der Schauspielschule als "gutaussehender Tablettträger". Das ist bescheiden, aber vielleicht auch ein bisschen kokett – wenn ich mir aber die Fotos anschaue im Buch, die Zeichengebung von Dieter Dorn, die Zuhörgesten oder auch die Anweisungsgesten, hat das womöglich mit dem Dirigenten doch geklappt?
Dorn: Ja, möglicherweise, aber nicht musikalisch, sondern auf einem ganz anderen Gebiet, nämlich mit den Schauspielern, denn fast alle großen Texte haben eine ganz, ganz hohe Musikalität, die auch den Schauspielern hilft, wenn man es richtig macht, etwas zu bekommen, was man sonst, wenn man direkt damit umgeht, nicht bekommt.
Timm: Aber wenn Sie heute Oper inszenieren, eben zum Beispiel in Genf den "Ring", gibt es da eine heimliche Sehnsucht ‒ manchmal würde ich das Pult gerne auch tauschen, vom Regiepult wechseln ans Dirigentenpult?
Dorn: Als Opernregisseur leide ich ganz schrecklich, weil ab der Bühnen-Orchesterprobe, der ersten, gehört die Bühne dem Dirigenten, ich darf als Regisseur nicht mal unterbrechen – das gehört dann der Musik. Und Sie sind dann, wenn der Dirigent den Abend dirigiert, wirklich ein ganz armes Hascherl und sitzen da draußen und denken, es ist mir aus der Hand genommen. Und dazu gehört eine ganz große Überwindung von mir immer, jedes Mal das mitzumachen, und quasi stellvertretend im Dirigentenstab mit dabei zu sein.
Timm: Deutschlandradio Kultur, das "Radiofeuilleton", wir sprechen mit dem Theatermann Dieter Dorn, der gerade seine Autobiografie vorgelegt hat: "Spielt weiter!" Und das Herzstück des Buches sind natürlich die 35 Jahre, die Dieter Dorn in München das Theater geprägt hat, erst an den Kammerspielen und dann am Residenztheater. Brecht war Ihr großes umschwärmtes Ideal als junger Mensch, und Sie schreiben, von ihm hätten Sie gelernt, die Oberen auszutricksen. Ihre letzte eigene Brecht-Inszenierung liegt aber schon viele Jahre zurück, 1971, wenn ich nichts übersehen habe. Lernt man von Brecht und geht dann weiter zu anderen?
Dorn: Ja, so ist es. Das war damals für uns ganz junge Leute eine Offenbarung quasi, neben der Identifikation, die wir durch Stanislawski und eben in der DDR in der Theaterhochschule auf unseren Fahnen stehen hatten, diese – wie man so sagt – verfremdete Spielweise zu versuchen, und vor allem in dem Prinzip nicht des gleichzeitigen Spielens eines Charakters, sondern des Hintereinander-Spielens, das heißt, sich widersprechende einzelne Haltungen nicht in einem Charakter so zusammenzufassen, sondern quasi hintereinander so zu spielen, dass da dauernd Widersprüche entstehen, und der Zuschauer in diese Widersprüche und durch diese Widersprüche hineingehen kann in diese Figuren, und sie für sich entdecken und sich selber da auch entdecken kann. Weil der Mensch besteht halt wirklich nur aus Widersprüchen.
Timm: Es gibt einen modernen Autor, den Sie sehr viel inszeniert haben, nämlich Botho Strauß, auch ein sehr intellektueller Autor, und Cornelia Froboess schreibt in einem Gasttext in diesem Buch sinngemäß, sie habe immer bewundert, wie Sie diese intellektuellen Texte versinnlichen können. Was verbindet Sie denn mit Botho Strauß, und gibt es da eine Brücke Brecht – Botho Strauß?
Dorn: Ja, da gibt es eine Brücke. Bei Botho Strauß stehen auch Chiffren gewissermaßen, die kann man durch Spiel oder auch durch Schweigen oder durch eine ganz bestimmte Möglichkeit auf der Szene etwas dagegenzusetzen, kann man die dreidimensional und so machen, dass sie fast sogar einen Mythos transportieren können. Das ist eine ganz, ganz spannende Angelegenheit.
Timm: Es gibt in dem Buch Stolpersätze: "Aktuell ist nicht zeitgenössisch", so ist einer für mich gewesen. Und diese Haltung, aktuell ist nicht zeitgenössisch, die war ja für Sie auch manchmal Anlass für Konflikte …
Dorn: Ja.
Timm: … wenn andere über Ihr Theater geurteilt haben. Braucht Theater die Distanz zu dem, was heute passiert, den Draufblick, um zeitgenössisch zu sein und nicht bloß aktuell?
Dorn: Ja, das Theater ist – wenn es aktuell ist, ist es eigentlich verloren, weil es ganz blöd ist, weil das jeder Zuschauer, jeder Mensch, jeden Tag in den Zeitungen, in den Medien überall hat. Und das Theater muss versuchen, einen größeren Überblick zu bekommen und muss über die Hintergründe versuchen zu reflektieren, und muss versuchen, auch über die Verluste zu sprechen, die Verluste an Sprache zum Beispiel, indem man einfach sich der Sprache dieser großen Dramatiker stellt.
Und nicht, indem man es runterholt auf das Kantinendeutsch oder auf irgendwelche anderen Ebenen, sondern indem man darauf beharrt und dass die Verluste quasi auch eine Art Utopie sind. Also Utopie und die positive Schau nach rückwärts, was verlieren wir jeden Tag, das ist, glaube ich, die Hauptaufgabe von Theater, und die kann nicht aktuell im engen Sinne sein, sondern die kann aktuell in einem weiteren Sinne nur sein, und dann ist sie wirklich echt zeitgenössisch. Das muss sie sein.
Timm: Heißt das im Umkehrschluss für mich als Zuschauer, keine Videofilmchen, keine schnellen Bilder, keine stark gekürzten und gerafften Texte?
Dorn: Ja, das heißt es für das Instrument Bühne. Die Bühne ist ganz einfach ein leerer Raum, und Sie können auftreten von links und von rechts, und dann können Sie noch von hinten auftreten, und das ist es schon. Und dann können Sie noch die Technik bemühen und können von oben mit einem Seil sich herunterlassen und von unten aus der Versenkung kommen. Mehr gibt es nicht, und das sind die Spannungen, die eine Bühne hat und auf der der spielende Mensch dem Menschen vorspielt.
Timm: Trotz "Spielt weiter!", dem Blick nach vorn, möchte ich mal ein bisschen in den Anfängen von Dieter Dorn fühlen. Sie wollten nämlich ursprünglich Dirigent werden und begannen dann – so heißt es im Buch – nach der Schauspielschule als "gutaussehender Tablettträger". Das ist bescheiden, aber vielleicht auch ein bisschen kokett – wenn ich mir aber die Fotos anschaue im Buch, die Zeichengebung von Dieter Dorn, die Zuhörgesten oder auch die Anweisungsgesten, hat das womöglich mit dem Dirigenten doch geklappt?
Dorn: Ja, möglicherweise, aber nicht musikalisch, sondern auf einem ganz anderen Gebiet, nämlich mit den Schauspielern, denn fast alle großen Texte haben eine ganz, ganz hohe Musikalität, die auch den Schauspielern hilft, wenn man es richtig macht, etwas zu bekommen, was man sonst, wenn man direkt damit umgeht, nicht bekommt.
Timm: Aber wenn Sie heute Oper inszenieren, eben zum Beispiel in Genf den "Ring", gibt es da eine heimliche Sehnsucht ‒ manchmal würde ich das Pult gerne auch tauschen, vom Regiepult wechseln ans Dirigentenpult?
Dorn: Als Opernregisseur leide ich ganz schrecklich, weil ab der Bühnen-Orchesterprobe, der ersten, gehört die Bühne dem Dirigenten, ich darf als Regisseur nicht mal unterbrechen – das gehört dann der Musik. Und Sie sind dann, wenn der Dirigent den Abend dirigiert, wirklich ein ganz armes Hascherl und sitzen da draußen und denken, es ist mir aus der Hand genommen. Und dazu gehört eine ganz große Überwindung von mir immer, jedes Mal das mitzumachen, und quasi stellvertretend im Dirigentenstab mit dabei zu sein.
Timm: Deutschlandradio Kultur, das "Radiofeuilleton", wir sprechen mit dem Theatermann Dieter Dorn, der gerade seine Autobiografie vorgelegt hat: "Spielt weiter!" Und das Herzstück des Buches sind natürlich die 35 Jahre, die Dieter Dorn in München das Theater geprägt hat, erst an den Kammerspielen und dann am Residenztheater. Brecht war Ihr großes umschwärmtes Ideal als junger Mensch, und Sie schreiben, von ihm hätten Sie gelernt, die Oberen auszutricksen. Ihre letzte eigene Brecht-Inszenierung liegt aber schon viele Jahre zurück, 1971, wenn ich nichts übersehen habe. Lernt man von Brecht und geht dann weiter zu anderen?
Dorn: Ja, so ist es. Das war damals für uns ganz junge Leute eine Offenbarung quasi, neben der Identifikation, die wir durch Stanislawski und eben in der DDR in der Theaterhochschule auf unseren Fahnen stehen hatten, diese – wie man so sagt – verfremdete Spielweise zu versuchen, und vor allem in dem Prinzip nicht des gleichzeitigen Spielens eines Charakters, sondern des Hintereinander-Spielens, das heißt, sich widersprechende einzelne Haltungen nicht in einem Charakter so zusammenzufassen, sondern quasi hintereinander so zu spielen, dass da dauernd Widersprüche entstehen, und der Zuschauer in diese Widersprüche und durch diese Widersprüche hineingehen kann in diese Figuren, und sie für sich entdecken und sich selber da auch entdecken kann. Weil der Mensch besteht halt wirklich nur aus Widersprüchen.
Timm: Es gibt einen modernen Autor, den Sie sehr viel inszeniert haben, nämlich Botho Strauß, auch ein sehr intellektueller Autor, und Cornelia Froboess schreibt in einem Gasttext in diesem Buch sinngemäß, sie habe immer bewundert, wie Sie diese intellektuellen Texte versinnlichen können. Was verbindet Sie denn mit Botho Strauß, und gibt es da eine Brücke Brecht – Botho Strauß?
Dorn: Ja, da gibt es eine Brücke. Bei Botho Strauß stehen auch Chiffren gewissermaßen, die kann man durch Spiel oder auch durch Schweigen oder durch eine ganz bestimmte Möglichkeit auf der Szene etwas dagegenzusetzen, kann man die dreidimensional und so machen, dass sie fast sogar einen Mythos transportieren können. Das ist eine ganz, ganz spannende Angelegenheit.
Timm: Es gibt in dem Buch Stolpersätze: "Aktuell ist nicht zeitgenössisch", so ist einer für mich gewesen. Und diese Haltung, aktuell ist nicht zeitgenössisch, die war ja für Sie auch manchmal Anlass für Konflikte …
Dorn: Ja.
Timm: … wenn andere über Ihr Theater geurteilt haben. Braucht Theater die Distanz zu dem, was heute passiert, den Draufblick, um zeitgenössisch zu sein und nicht bloß aktuell?
Dorn: Ja, das Theater ist – wenn es aktuell ist, ist es eigentlich verloren, weil es ganz blöd ist, weil das jeder Zuschauer, jeder Mensch, jeden Tag in den Zeitungen, in den Medien überall hat. Und das Theater muss versuchen, einen größeren Überblick zu bekommen und muss über die Hintergründe versuchen zu reflektieren, und muss versuchen, auch über die Verluste zu sprechen, die Verluste an Sprache zum Beispiel, indem man einfach sich der Sprache dieser großen Dramatiker stellt.
Und nicht, indem man es runterholt auf das Kantinendeutsch oder auf irgendwelche anderen Ebenen, sondern indem man darauf beharrt und dass die Verluste quasi auch eine Art Utopie sind. Also Utopie und die positive Schau nach rückwärts, was verlieren wir jeden Tag, das ist, glaube ich, die Hauptaufgabe von Theater, und die kann nicht aktuell im engen Sinne sein, sondern die kann aktuell in einem weiteren Sinne nur sein, und dann ist sie wirklich echt zeitgenössisch. Das muss sie sein.
Timm: Heißt das im Umkehrschluss für mich als Zuschauer, keine Videofilmchen, keine schnellen Bilder, keine stark gekürzten und gerafften Texte?
Dorn: Ja, das heißt es für das Instrument Bühne. Die Bühne ist ganz einfach ein leerer Raum, und Sie können auftreten von links und von rechts, und dann können Sie noch von hinten auftreten, und das ist es schon. Und dann können Sie noch die Technik bemühen und können von oben mit einem Seil sich herunterlassen und von unten aus der Versenkung kommen. Mehr gibt es nicht, und das sind die Spannungen, die eine Bühne hat und auf der der spielende Mensch dem Menschen vorspielt.
"Zu viel Texttreue kann es nicht geben"
Timm: Es gibt Kritiker und auch Regisseure, die halten das für altmodisch, und die werfen Ihnen zu viel Texttreue vor. Ist das Kritik oder ist das ein Kompliment?
Dorn: Das ist ein Kompliment, zu viel Texttreue kann es gar nicht geben. Wir hingen und hängen da auch ganz oft nur hinterher, weil wir das, was da drin verborgen ist, oft gar nicht mal ans Licht befördern können.
Timm: Manche Sätze in dem Buch, die bestürzen ja auch: "Auch wenn wir einen Riesenerfolg hatten, konnte ich mich nur zu einem Drittel daran freuen, weil ich dachte: Das ist doch alles gar nicht, wie es hätte sein sollen." Hat sich daran nichts geändert, nie auch nur eine Prise "Verweile doch, du bist so schön"?
Dorn: Nein, das ist ganz, ganz ernst gemeint. Das ist was ganz Verrücktes bei mir, aber das ist, glaube ich, nicht nur bei mir so. Das war eigentlich auch so bei meinen ganzen wunderbaren Schauspielern, dass man quasi, wenn man etwas erreicht hat, von dem man meint, da ist man ganz dicht rangekommen, sich eher ärgert, dass man nicht noch dichter drangekommen ist und nicht noch weiter gegangen ist. Da holt man auch die Kraft raus für die nächste Arbeit.
Timm: Wenn nichts große Klasse war, aber vieles gut, und Sie könnten die Zeit noch mal zurückdrehen, was würden Sie denn dann grundlegend ändern?
Dorn: Das ist, glaube ich, ganz schwer zu beantworten. Ich kann mir eigentlich gar nicht vorstellen, was ich ändern würde oder könnte, weil es alles ja auch aus der jeweiligen Situation entstanden ist. Und Sie kennen mein Vorwort auch, das heißt, das ist ein Benn-Zitat. Erkenne die Lage, sagt er, gehe von deinen Beständen aus, nicht von deinen Parolen, vollende die Einzelnen deiner Werke. So, das habe ich versucht zu machen, und das ist dabei rausgekommen.
Timm: Dann wünsche ich Ihnen einfach herzlich toi, toi, toi für alles, was noch kommt und bedanke mich fürs Gespräch.
Dorn: Ich bedanke mich auch. Das toi, toi, toi kann ich gebrauchen für den "Ring", danke.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Dorn: Das ist ein Kompliment, zu viel Texttreue kann es gar nicht geben. Wir hingen und hängen da auch ganz oft nur hinterher, weil wir das, was da drin verborgen ist, oft gar nicht mal ans Licht befördern können.
Timm: Manche Sätze in dem Buch, die bestürzen ja auch: "Auch wenn wir einen Riesenerfolg hatten, konnte ich mich nur zu einem Drittel daran freuen, weil ich dachte: Das ist doch alles gar nicht, wie es hätte sein sollen." Hat sich daran nichts geändert, nie auch nur eine Prise "Verweile doch, du bist so schön"?
Dorn: Nein, das ist ganz, ganz ernst gemeint. Das ist was ganz Verrücktes bei mir, aber das ist, glaube ich, nicht nur bei mir so. Das war eigentlich auch so bei meinen ganzen wunderbaren Schauspielern, dass man quasi, wenn man etwas erreicht hat, von dem man meint, da ist man ganz dicht rangekommen, sich eher ärgert, dass man nicht noch dichter drangekommen ist und nicht noch weiter gegangen ist. Da holt man auch die Kraft raus für die nächste Arbeit.
Timm: Wenn nichts große Klasse war, aber vieles gut, und Sie könnten die Zeit noch mal zurückdrehen, was würden Sie denn dann grundlegend ändern?
Dorn: Das ist, glaube ich, ganz schwer zu beantworten. Ich kann mir eigentlich gar nicht vorstellen, was ich ändern würde oder könnte, weil es alles ja auch aus der jeweiligen Situation entstanden ist. Und Sie kennen mein Vorwort auch, das heißt, das ist ein Benn-Zitat. Erkenne die Lage, sagt er, gehe von deinen Beständen aus, nicht von deinen Parolen, vollende die Einzelnen deiner Werke. So, das habe ich versucht zu machen, und das ist dabei rausgekommen.
Timm: Dann wünsche ich Ihnen einfach herzlich toi, toi, toi für alles, was noch kommt und bedanke mich fürs Gespräch.
Dorn: Ich bedanke mich auch. Das toi, toi, toi kann ich gebrauchen für den "Ring", danke.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.