Die Neokons und die US-Außenpolitik
Francis Fukuyama setzt sich in seinem Buch "Scheitert Amerika?" kritisch mit der US-Außenpolitik der Bush-Regierung auseinander. Dazu zeichnet er den Weg der Neokonservativen nach und zeigt, dass die Regierung angesichts der terroristischen Herausforderung ihr ursprüngliches Konzept zur Verbreitung der Demokratie aufgegeben hat. Nun fürchtet Fukuyama, dass die US-Außenpolitik eine radikale Wende vornehmen könnte.
Dieses Buch sollte gelesen werden. Es setzt sich kritisch mit der Außenpolitik der Bush-Regierung auseinander, ohne in Eifer zu verfallen. Es zeichnet den Weg der Neokonservativen nach, erklärt ihre Grundsätze, enthüllt ihre Schwächen und bleibt dennoch sachlich. Endlich einmal, möchte man seufzen. Wenn bei uns jemand über die Neokons, Bush und den Irak-Krieg spricht, sitzt halb Deutschland auf dem Sofa und nimmt übel.
Francis Fukuyama bleibt gelassen. Der amerikanische Politikwissenschaftler - hierzulande vor allem durch seinen Essay über "Das Ende der Geschichte" bekannt - schildert in seinem neuen Werk "Scheitert Amerika?" seine Abkehr von den Ideen jener Gedankenwelt, die als neokonservativ gilt. Den Grund für seinen Bruch lieferten der Irak-Krieg und die Einsicht, der Terrorismus sei mit kriegerischen Mitteln nicht zu besiegen. Fukuyama, einer der scharfsichtigsten Analytiker seiner Generation, belässt es nicht dabei. Er sucht nach Alternativen zum bisherigen Kurs, wägt die Argumente der idealistischen Außenpolitik mit denen der Realpolitik ab und plädiert am Ende für einen "realistischen Wilsonianismus". Doch davon später.
Zunächst geht es dem Autor um die Neokons. Sie seien alles andere als eine verschworene Gemeinschaft mit einem einheitlichen Weltbild. Fukuyama legt die verschiedenen Traditionen des Neokonservatismus dar und stellt dessen Väter vor. Zuerst nennt er lrving Kristol, Daniel Bell und Seymour Martin Lipset, allesamt Studenten am New Yorker City College der dreißiger und vierziger Jahre, die mit den sozialen Zielen des Kommunismus sympathisierten, über die sowjetischen Verbrechen aber zu Gegnern der Linken wurden und als solche publizistischen Einfluss gewannen.
Als nächster in der Reihe folgt der deutschstämmige Philosoph Leo Strauss, der zahlreiche Arbeiten zu Platon, Thukydides und Hobbes verfasste, aber keinen einzigen Aufsatz zur internationalen Lage schrieb und dennoch - absurderweise, so Fukuyama - als der Vater von Bushs Außenpolitik gilt. Strauß, dessen Schüler der spätere Vize-Verteidigungsminister Paul Wolfowitz war, vertrat die Ansicht, dass die Regierungsform eines Landes die Lebensweise seiner Bevölkerung prägt und die Demokratie daher die für den Menschen zuträglichste Gesellschaftsform sei. Manche der Anhänger des 1973 verstorbenen Philosophen zogen daraus die Legitimation für den Regimewechsel, der als "regime change" einer der Bausteine der gegenwärtigen US-Außenpolitik wurde.
Die Ansicht, dass die Regierungsform ihre Wirkung auch auf die Außenpolitik entfalte, habe Albert Wohlstetter den Neokonservativen hinterlassen, so Fukuyama. Wohlstetter, einer der Begründer der Abschreckungstheorie, überlieferte den Neokons die Einsicht, dass Diktatoren ihre Völker im Notfall leiden lassen und dass das Druckmittel der Sanktion oder die bloße Abschreckung daher nicht greife.
Aus diesem Gedankengemisch entwarfen die heutigen Neokons ihr Weltbild. Fukuyama nennt vier ihrer Prinzipien:
"Die Überzeugung, dass der innenpolitische Charakter eines Regimes sich auch auf dessen Außenpolitik auswirkt und dass sich in der Außenpolitik die tiefsten liberalen Werte demokratischer Gesellschaften ausdrücken müssen.
Die Überzeugung, dass die amerikanische Macht zu moralischen Zwecken eingesetzt wurde und werden sollte und dass die Vereinigten Staaten sich auch weiterhin in internationalen Angelegenheiten engagieren müssen.
Ein Misstrauen gegenüber Projekten einer Sozialtechnologie in großem Maßstab. Die widrigen Folgen einer allzu ehrgeizigen Sozialplanung sind ein ständig wiederkehrendes Thema im neokonservativen Denken.
Schließlich eine skeptische Haltung gegenüber der Legitimität und Effektivität des Völkerrechts und internationaler Institutionen zur Verwirklichung von Sicherheit oder Gerechtigkeit."
Was sind Fukuyamas Einwände? Allzu viel dürfte er an den Grundsätze der Neokonservativen nicht auszusetzen haben. Schließlich war er es, der in seinem Buch vom "Ende der Geschichte" die These vertrat, die Welt werde auf mehr oder weniger natürliche Weise über kurz oder lang demokratisch sein, vielleicht sogar wie die USA aussehen. Alles schön und gut, erwidert der Autor jetzt. Doch nach dem 11. September habe die Bush-Regierung seinen als langfristigen Prozess verstandenen Fahrplan in ein Aktionsprogramm verwandelt, das so schnell wie möglich umgesetzt werden sollte, um den Terrorismus zu bekämpfen. Für Fukuyama purer Leninismus.
"Ich war nie ein Sympathisant des Leninismus und war daher skeptisch, als die Bush-Regierung leninistisch wurde."
Darüber hinaus ist Fukuyama voller Zweifel, auch wenn es darum geht, Macht und Moral miteinander zu verknüpfen. Am Ende überwiege stets der Wille zur Macht, speziell der "militärischen Macht als Instrument zur Verwirklichung nationaler amerikanischer Ziele". Die US-Regierung habe den Systemwechsel nicht als einen Prozess des sorgfältigen Aufbaus demokratischer Institutionen begriffen, sondern als Aufgabe, sich wie im Fall lraks eines unliebsamen Regimes zu entledigen. Die Konsequenzen dieser Politik ließen sich täglich in Bagdad beobachten. Zudem habe die Regierung Bush außer Acht gelassen, dass der Terrorismus keine Folge des Demokratiedefizites sei, fügt Fukuyama an.
"Die Terroristen von New York, Madrid und London lebten in modernen demokratischen Gesellschaften, und gerade hier fühlten sie sich fremd. Die langfristige Lösung des Problems besteht nicht darin, den Nahen Osten irgendwie‚ in Ordnung zu bringen, sondern - was wesentlicher komplizierter ist - Menschen besser zu integrieren, die sich bereits im Westen befinden."
Weder die Bush-Regierung noch ihre neokonservativen Anhänger hätten darüber vor dem Irak-Krieg nachgedacht. Hätten sie alle Aspekte des Regimewechsels gewichtet und gewogen, so wäre ihnen darüber hinaus ein Widerspruch zu ihren eigenen Grundsätzen aufgefallen. Denn auf der einen Seite sei es das Anliegen der Neokonservativen, die Demokratie in der Welt zu verbreiten in der Annahme, damit würde auch die Außenpolitik der betreffenden Länder friedlicher werden. Auf der anderen Seite lehnten sie innen- und gesellschaftspolitisch ambitionierte Großprojekte etwa im Sozialbereich ab. Fukuyama stellt fest:
"In die Sphäre der Außenpolitik übersetzt, müsste diese neokonservative Denktradition eigentlich bedeuten, gegenüber der Möglichkeit der politischen Transformation im Nahen Osten eine gewisse Skepsis zu hegen."
Die Skepsis habe im Fall lraks gefehlt, so Fukuyama. Doch diese Erkenntnis führt heute nicht weiter, gesteht der Verfasser ein. Eindringlich warnt er vor den Folgen eines überhasteten Abzugs der amerikanischen Soldaten. Außerdem fürchtet er, dass die amerikanische Außenpolitik eine radikale Wende vornehmen wird. Manche Konservativen würden als Antwort auf das irakische Desaster eine isolationistische Außenpolitik befürworten. Andere plädierten verstärkt für die Realpolitik eines Henry Kissingers, die auf dem Prinzip des Mächtegleichgewichts beruht und der inneren Verfasstheit der Staaten wenig Bedeutung beimisst. Francis Fukuyama stellt sein eigenen Konzept dagegen:
"Was wir brauchen, ist ein realistischer Wilsonianismus, der erkennt, dass das, was im Inneren von Staaten vor sich geht, für die Weltordnung von Bedeutung ist, und der die verfügbaren Instrumente besser auf die Verwirklichung demokratischer Ziele abstimmt. ... Ein realistischer Wilsonianismus bedeutet zunächst einmal eine weitreichende Entmilitarisierung der US-Außenpolitik. Präventivkriege und Regimewechsel durch Militärinterventionen sollten als Möglichkeit nicht gänzlich ausgeschlossen werden, doch unter der Voraussetzung, dass dies sehr extreme Maßnahmen sind."
Wie auch immer, scheitern die Amerikaner im Irak, sind die Ideen der Neokonservativen über Jahre hinaus diskreditiert, In diesem Fall würde auch Fukuyamas Strategie des "realistischen Wilsonianismus" keine Anerkennung finden. Geht es weiter bergab im Irak, wird in Washington erneut die Stunde der Realpolitiker schlagen. Daran wäre nichts auszusetzen. Henry Kissinger war nicht der schlechteste Außenminister der Vereinigten Staaten.
Francis Fukuyama: Scheitert Amerika? – Supermacht am Scheideweg
Aus dem Amerikanischen von Udo Rennert
Propyläen-Verlag, 2006
Francis Fukuyama bleibt gelassen. Der amerikanische Politikwissenschaftler - hierzulande vor allem durch seinen Essay über "Das Ende der Geschichte" bekannt - schildert in seinem neuen Werk "Scheitert Amerika?" seine Abkehr von den Ideen jener Gedankenwelt, die als neokonservativ gilt. Den Grund für seinen Bruch lieferten der Irak-Krieg und die Einsicht, der Terrorismus sei mit kriegerischen Mitteln nicht zu besiegen. Fukuyama, einer der scharfsichtigsten Analytiker seiner Generation, belässt es nicht dabei. Er sucht nach Alternativen zum bisherigen Kurs, wägt die Argumente der idealistischen Außenpolitik mit denen der Realpolitik ab und plädiert am Ende für einen "realistischen Wilsonianismus". Doch davon später.
Zunächst geht es dem Autor um die Neokons. Sie seien alles andere als eine verschworene Gemeinschaft mit einem einheitlichen Weltbild. Fukuyama legt die verschiedenen Traditionen des Neokonservatismus dar und stellt dessen Väter vor. Zuerst nennt er lrving Kristol, Daniel Bell und Seymour Martin Lipset, allesamt Studenten am New Yorker City College der dreißiger und vierziger Jahre, die mit den sozialen Zielen des Kommunismus sympathisierten, über die sowjetischen Verbrechen aber zu Gegnern der Linken wurden und als solche publizistischen Einfluss gewannen.
Als nächster in der Reihe folgt der deutschstämmige Philosoph Leo Strauss, der zahlreiche Arbeiten zu Platon, Thukydides und Hobbes verfasste, aber keinen einzigen Aufsatz zur internationalen Lage schrieb und dennoch - absurderweise, so Fukuyama - als der Vater von Bushs Außenpolitik gilt. Strauß, dessen Schüler der spätere Vize-Verteidigungsminister Paul Wolfowitz war, vertrat die Ansicht, dass die Regierungsform eines Landes die Lebensweise seiner Bevölkerung prägt und die Demokratie daher die für den Menschen zuträglichste Gesellschaftsform sei. Manche der Anhänger des 1973 verstorbenen Philosophen zogen daraus die Legitimation für den Regimewechsel, der als "regime change" einer der Bausteine der gegenwärtigen US-Außenpolitik wurde.
Die Ansicht, dass die Regierungsform ihre Wirkung auch auf die Außenpolitik entfalte, habe Albert Wohlstetter den Neokonservativen hinterlassen, so Fukuyama. Wohlstetter, einer der Begründer der Abschreckungstheorie, überlieferte den Neokons die Einsicht, dass Diktatoren ihre Völker im Notfall leiden lassen und dass das Druckmittel der Sanktion oder die bloße Abschreckung daher nicht greife.
Aus diesem Gedankengemisch entwarfen die heutigen Neokons ihr Weltbild. Fukuyama nennt vier ihrer Prinzipien:
"Die Überzeugung, dass der innenpolitische Charakter eines Regimes sich auch auf dessen Außenpolitik auswirkt und dass sich in der Außenpolitik die tiefsten liberalen Werte demokratischer Gesellschaften ausdrücken müssen.
Die Überzeugung, dass die amerikanische Macht zu moralischen Zwecken eingesetzt wurde und werden sollte und dass die Vereinigten Staaten sich auch weiterhin in internationalen Angelegenheiten engagieren müssen.
Ein Misstrauen gegenüber Projekten einer Sozialtechnologie in großem Maßstab. Die widrigen Folgen einer allzu ehrgeizigen Sozialplanung sind ein ständig wiederkehrendes Thema im neokonservativen Denken.
Schließlich eine skeptische Haltung gegenüber der Legitimität und Effektivität des Völkerrechts und internationaler Institutionen zur Verwirklichung von Sicherheit oder Gerechtigkeit."
Was sind Fukuyamas Einwände? Allzu viel dürfte er an den Grundsätze der Neokonservativen nicht auszusetzen haben. Schließlich war er es, der in seinem Buch vom "Ende der Geschichte" die These vertrat, die Welt werde auf mehr oder weniger natürliche Weise über kurz oder lang demokratisch sein, vielleicht sogar wie die USA aussehen. Alles schön und gut, erwidert der Autor jetzt. Doch nach dem 11. September habe die Bush-Regierung seinen als langfristigen Prozess verstandenen Fahrplan in ein Aktionsprogramm verwandelt, das so schnell wie möglich umgesetzt werden sollte, um den Terrorismus zu bekämpfen. Für Fukuyama purer Leninismus.
"Ich war nie ein Sympathisant des Leninismus und war daher skeptisch, als die Bush-Regierung leninistisch wurde."
Darüber hinaus ist Fukuyama voller Zweifel, auch wenn es darum geht, Macht und Moral miteinander zu verknüpfen. Am Ende überwiege stets der Wille zur Macht, speziell der "militärischen Macht als Instrument zur Verwirklichung nationaler amerikanischer Ziele". Die US-Regierung habe den Systemwechsel nicht als einen Prozess des sorgfältigen Aufbaus demokratischer Institutionen begriffen, sondern als Aufgabe, sich wie im Fall lraks eines unliebsamen Regimes zu entledigen. Die Konsequenzen dieser Politik ließen sich täglich in Bagdad beobachten. Zudem habe die Regierung Bush außer Acht gelassen, dass der Terrorismus keine Folge des Demokratiedefizites sei, fügt Fukuyama an.
"Die Terroristen von New York, Madrid und London lebten in modernen demokratischen Gesellschaften, und gerade hier fühlten sie sich fremd. Die langfristige Lösung des Problems besteht nicht darin, den Nahen Osten irgendwie‚ in Ordnung zu bringen, sondern - was wesentlicher komplizierter ist - Menschen besser zu integrieren, die sich bereits im Westen befinden."
Weder die Bush-Regierung noch ihre neokonservativen Anhänger hätten darüber vor dem Irak-Krieg nachgedacht. Hätten sie alle Aspekte des Regimewechsels gewichtet und gewogen, so wäre ihnen darüber hinaus ein Widerspruch zu ihren eigenen Grundsätzen aufgefallen. Denn auf der einen Seite sei es das Anliegen der Neokonservativen, die Demokratie in der Welt zu verbreiten in der Annahme, damit würde auch die Außenpolitik der betreffenden Länder friedlicher werden. Auf der anderen Seite lehnten sie innen- und gesellschaftspolitisch ambitionierte Großprojekte etwa im Sozialbereich ab. Fukuyama stellt fest:
"In die Sphäre der Außenpolitik übersetzt, müsste diese neokonservative Denktradition eigentlich bedeuten, gegenüber der Möglichkeit der politischen Transformation im Nahen Osten eine gewisse Skepsis zu hegen."
Die Skepsis habe im Fall lraks gefehlt, so Fukuyama. Doch diese Erkenntnis führt heute nicht weiter, gesteht der Verfasser ein. Eindringlich warnt er vor den Folgen eines überhasteten Abzugs der amerikanischen Soldaten. Außerdem fürchtet er, dass die amerikanische Außenpolitik eine radikale Wende vornehmen wird. Manche Konservativen würden als Antwort auf das irakische Desaster eine isolationistische Außenpolitik befürworten. Andere plädierten verstärkt für die Realpolitik eines Henry Kissingers, die auf dem Prinzip des Mächtegleichgewichts beruht und der inneren Verfasstheit der Staaten wenig Bedeutung beimisst. Francis Fukuyama stellt sein eigenen Konzept dagegen:
"Was wir brauchen, ist ein realistischer Wilsonianismus, der erkennt, dass das, was im Inneren von Staaten vor sich geht, für die Weltordnung von Bedeutung ist, und der die verfügbaren Instrumente besser auf die Verwirklichung demokratischer Ziele abstimmt. ... Ein realistischer Wilsonianismus bedeutet zunächst einmal eine weitreichende Entmilitarisierung der US-Außenpolitik. Präventivkriege und Regimewechsel durch Militärinterventionen sollten als Möglichkeit nicht gänzlich ausgeschlossen werden, doch unter der Voraussetzung, dass dies sehr extreme Maßnahmen sind."
Wie auch immer, scheitern die Amerikaner im Irak, sind die Ideen der Neokonservativen über Jahre hinaus diskreditiert, In diesem Fall würde auch Fukuyamas Strategie des "realistischen Wilsonianismus" keine Anerkennung finden. Geht es weiter bergab im Irak, wird in Washington erneut die Stunde der Realpolitiker schlagen. Daran wäre nichts auszusetzen. Henry Kissinger war nicht der schlechteste Außenminister der Vereinigten Staaten.
Francis Fukuyama: Scheitert Amerika? – Supermacht am Scheideweg
Aus dem Amerikanischen von Udo Rennert
Propyläen-Verlag, 2006