Die Schuldendrücker von Meck-Pomm
Mecklenburg-Vorpommern war das erste Bundesland in Ostdeutschland, das keine neuen Schulden mehr aufnahm: Trotz hoher Arbeitslosigkeit und Werftenkrise. Wie das ging? Wir haben unter anderem den ehemaligen Ministerpräsidenten Harald Ringstorff gefragt.
"Hallo Sigrid!"
"Hallo Harald, schön dich zu sehen. Gut siehst du aus. Warst du heute wieder schwimmen?"
Natürlich ist Harald Ringstorff in seinem kleinen Dorfsee geschwommen. So hält er es seit Jahrzehnten Morgen für Morgen. Danach ist der Ministerpräsident a.D. rund 50 km weiter nach Rostock gefahren, wo er und seine damalige Finanzministerin gemeinsam in Erinnerungen kramen wollen.
"Die Zahlen weiß ich immer noch: Da gab es 1990 zweihunderttausend Beschäftigte in der Landwirtschaft. 1995/96 waren es noch 28.000."
... sagt Sigrid Keler über die Zeit, in der sie die Finanzministerin einer CDU-geführten Landesregierung geworden war. Auch das Wenige an Industrie war kurz nach der Wiedervereinigung weitgehend zugrunde gegangen. Jahrelang schoben sich M-V und Sachsen-Anhalt die rote Laterne bei Wirtschaftsleistung und Steuereinnahmen zu. Spitze? Bei den Arbeitslosenzahlen.
Zudem war Mecklenburg-Vorpommern pro Einwohner schon bald so hoch verschuldet wie alte Flächenländer. Und zwar laut Harald Ringstorff auch, weil die damalige Kohl-Regierung in Bonn die Neuen Länder anfangs geradezu nötigte, viel Geld auszugeben und sorglos Kredite aufzunehmen. Schließlich waren "blühende Landschaften" versprochen.
Rot-Rot bewies: Auch Linke können mit Geld umgehen
Allein für das Jahr 1998 hatte Finanzministerin Keler umgerechnet 660 Millionen Euro Neuschulden aufnehmen lassen. Dann brachte die Landtagswahl die bundesweit erste Regierungskoalition aus SPD und PDS. Sigrid Keler blieb Herrin über die Finanzen. Harald Ringstorff zog als Ministerpräsident viele Anfeindungen auf sich. Entsprechend seine Genugtuung heute:
"Rot-Rot konnte mit Geld umgehen und was ich für uns in Anspruch nehme: Wir haben nicht nur kurzfristig für eine Legislaturperiode gedacht, sondern wir haben auch an die Folgejahre gedacht und deshalb nur sehr vorsichtig verbeamtet. Bei der Nichtverbeamtung der Lehrer haben wir an die Zukunft gedacht. Es ist erstmal billiger, einen Beamten zu haben. Aber das lange Ende kommt und die Pensionslasten werden hoch, wenn Sie sehr viele Beamte zu versorgen haben."
Danach gehandelt hatten nur Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen. Dass das Land seit einem Jahr nun doch junge Lehrer verbeamtet, findet Harald Ringstorff bedauerlich. Doch zu viele hier ausgebildete Lehrer folgten dem Lockruf der Verbeamtung in anderen Ländern.
"Man kann in der Politik nicht stur bei einer Linie bleiben. Wenn sich die äußeren Umstände verändern, muss man auch versuchen, flexibel zu sein."
Ansonsten heiße es gerade bei nötigen Strukturänderungen, die selten schnelle Erfolge zeigen: Beweglich im Detail, hart im Kurs! So bei der Kreisgebietsreform, und so auch beim bundesweit einmaligen Personalkonzept, um die Kosten einer zu großen Landesverwaltung zu dämpfen. Die schwer umstrittene Idee: Statt Neuanstellungen überzählige Beamte und Angestellte auf unterbesetzte Behörden verteilen. Neu auch: Arbeitszeiten verkürzen ohne Lohnausgleich.
"Das hat mindestens 50 bis 60 Millionen in jedem Jahr gebracht. Also das waren Entscheidungen, die mir nicht schwergefallen sind."
Das Erfolgsrezept: Die Schmerzen gleichmäßig verteilen
Hart hingegen, das Landeskindergeld abzuschaffen, die hohen Kosten für die Kindertagesstätten einzuhegen und den kommunalen Finanzausgleich aufzugeben, erinnert sich Sigrid Keler und schwört auf zwei Erfolgsrezepte: Ein Finanzminister müsse die Schmerzen gleichermaßen auf alle Ressorts verteilen und er müsse vertrauen können, dass der Regierungschef nicht hinterrücks doch dem Einen dies verspricht und dem Anderen jenes.
"Wir haben uns da bestens verstanden, und das lief und das war wichtig. Ich habe immer gesagt, auch Rote können schwarze Zahlen schreiben."
"Und zur Not sind wir dann auch mal zu zweit aufgetreten", lacht Ringstorff.
"Ja, ja ..." nickt Sigrid Keler.
Und da war auf Seiten der PDS vor allem Angelika Gramkow, seit 1991 finanzpolitische Sprecherin und in den insgesamt acht rot-roten Regierungsjahren Chefin der Landtagsfraktion. Harald Ringstorff und Sigrid Keler schätzen an der studierten Ökonomin noch heute, das Verschuldungsproblem fachlich durchdrungen und bei ihren sehr ausgabefreudigen Genossen durchgesetzt zu haben, dass auch die tollsten Maßnahmen unter Haushaltsvorbehalt standen. Angelika Gramkow erinnert sich:
"Wenn man auf der einen Seite Geld ausgeben wollte, musste man auf der anderen Seite sagen, wo sparen wir ein. Das traut man einer PDS-Regierung ja gar nicht zu."
Das galt freilich auch für viele Bürger, die sich bei der Landtagswahl 2002 enttäuscht von der PDS abwandten. Dass Rot-Rot die Neuverschuldung des Landes halbiert hatte, war ihnen nicht so wichtig wie der Eindruck, die Haushaltssanierung hartherzig auf Kosten der Bevölkerung durchzuziehen. Immerhin war damals fast jeder fünfte Erwerbsfähige in M-V arbeitslos gemeldet, die Zahl der Sozialhilfeempfänger auf 57.000 gestiegen.
Millionen wurden für die Rettung der Werften ausgegeben - umsonst
Doch weder in den ersten noch in den folgenden vier rot-roten Regierungsjahren wurde nur gekürzt und gespart. Die Landesregierung steckte – manche sagen: versenkte - hunderte Millionen DM und später Euro zur Rettung von Schiffbau und heimischen Werften. Nicht immer erfolgreich. Viele Förderbescheide gingen hinaus - leider auch an fragwürdige Wirtschafts- und Tourismusprojekte.
Vor allem auf Betreiben der PDS-Seite entstanden zahlreiche, aber nicht immer sinnvolle Programme und Träger für Soziales, Arbeitsmarkt, Bildung, Kultur. Manche dienen heute noch als Auffangbecken für verdiente Parteifreunde.
Der damalige Vize-Regierungschef und Bauminister, Helmut Holter, sowie sein Staatssekretär gerieten sogar in große Erklärungsnot, weil sie Fördergelder in Millionenhöhe an Bildungsträger gelenkt hatten, in denen ihre Ehefrauen arbeiteten. Korruption – sagten die Einen. Das ist mindestens Klientelpolitik – sagten die Anderen.
"Jede Bürgerin, jeder Bürger muss sich zu Hause fragen: Können wir jeden Monat den Dispo überziehen? Und jeder weiß, dass dann die Bank irgendwann nicht mehr mitmacht. Das war die Situation des Landes. Trotzdem haben wir es geschafft, Schwerpunkte in der politischen Auseinandersetzung zu setzen"
... sagt Angeklika Gramkow.: "Aber es gab eine Entscheidung, wo ich heute als Oberbürgermeisterin in einer Situation bin, dass ich heute die Folgen noch spüre."
Schweriner "Stadthaus", 6. Etage. Hier leitet Angelika Gramkow seit 2008 die Geschicke der schönen, aber hoch verschuldeten Landeshauptstadt. Aus eigener Kraft komme Schwerin nie von den Schulden herunter, sagt die Linke und denkt wehmütig zurück an die Entscheidung der SPD-PDS-Regierung, die einst vom Land garantierte Mindestüberweisung von jährlich 1,3 Milliarden Euro an die Dörfer und Städte aufzuheben. Diesen Schritt hatte sie damals mitgetragen.
"Zu sagen, wir können keine Garantie geben, wenn die Gesamtsituation sich verschlechtert, hat zu massiven Auseinandersetzungen in beiden Parteien geführt und wird mir heute als Oberbürgermeisterin, wo ich auf der anderen Seite stehe, immer noch vorgehalten, dass die Mindestgarantie für die Kommunen weg ist. Man könnte sie wieder einführen. Ich würde es mir wünschen. Damals war es notwendig, um den stringenten Finanzkurs halten zu können. Ob es richtig war, das weiß ich nicht."
Keine Neuverschuldung mehr: Die Nachricht erzeugte Freudentränen
Doch immerhin – die Erinnerungen an den Neujahrsempfang im Januar 2007 im Landtag seien immer noch gut:
"Ich weiß noch ganz genau, als unsere Finanzministerin Sigrid Keler mir mitteilte, dass wir im Jahr 2006 ein positives Ergebnis erreicht haben und damit keine Neuverschuldung notwendig wird, was mir vor Freude die Tränen in die Augen getrieben hat. Wir haben in diesem Jahr den Beweis angetreten, dass eine PDS in der Regierungsbeteiligung gut wirtschaften kann. Das war ein großer Erfolg."
Aus machtpolitischer Sicht zu spät. Bei der Landtagswahl im Herbst 2006 erreichte Rot-Rot nur noch eine Stimme Mehrheit. SPD-Ministerpräsident Harald Ringstorff verbündete sich lieber mit der CDU und vereinbarte mit ihr, die Neuverschuldung bis 2009 auf Null zu bringen.
Als Finanzministerin weiter verantwortlich blieb vorerst die zierliche wie zähe Sigrid Keler. Auch sie erinnert sich gut an den Jahresbeginn 2007, als sie ihre Beamten mehrmals nachrechnen ließ, bevor sie ihrem Chef eröffnete, dass das Land schon jetzt keine neuen Kredite mehr bräuchte.
"Und jetzt sage ich mal, was er mir damals gesagt hat: 'Du hast mir schon schlechtere Nachrichten gebracht. Aber: Freut euch mal nicht zu offen!'"
"Ja, es ist so: Wenn die Kassenlage etwas besser ist, kommen immer gleich sehr viele Wünsche, und zwar konsumtive Wünsche."
Folglich hätten sie keinen großen Wind um die Erfolgsnachricht gemacht, die Taschen weiterhin dicht gehalten und 2007 lieber begonnen, als erstes Ost-Land Zinsen zu tilgen.
"Ich habe mich damals eigentlich sehr gefreut, dass der damalige sächsische Ministerpräsident Milbradt mir einen Brief geschrieben hat und mir gratuliert hat. Und ich weiß noch, der hessische Finanzminister, Herr Weimar, der kam damals und sagte: 'Also Frau Keler, ich hätte es auch schaffen können, wenn ich die Rücklagen aufgelöst hätte.' Und da habe ich gesagt: 'Herr Weimar, ich habe auch keine Rücklagen aufgelöst.'"
Das ändert sich gerade unter Kelers Amtsnachfolgerin.
Ortswechsel. Schweriner Schloss. Anfang Juli billigt das SPD-CDU-Kabinett den Entwurf des Doppelhaushaltes für die Jahre 2016/17. Die Spitzenleute geben in der Landespressekonferenz stolz Interviews.
Heute steht noch immer die schwarze Null
Finanzministerin Heike Polzin (SPD) erklärt, dass die von den Ministerkollegen zunächst angemeldeten Ausgabenwünsche um fast eine halbe Milliarde Euro höher lagen als die geschätzten Einnahmen. Das wäre ein dickes rotes Minus! Doch am Ende stand sie wieder: die schwarze Null.
"Ja, das ist eine echte schwarze Null. Denn Neuverschuldung bedeutet, man nimmt neue Kredite auf."
Und das will die seit 2008 amtierende oberste Hüterin der Landesfinanzen nicht. Allerdings:
"Das Sprichwort 'Spare in guten Zeiten, dann kannst du das eben auch wieder austeilen': Das realisieren wir gerade."
Denn Mecklenburg-Vorpommern wird sich erstmalig aus seinem Rücklagentopf bedienen, in dem 345 Millionen Euro aus vorherigen Überschüssen liegen. Hohe Tarifabschlüsse im öffentlichen Dienst, wachsende Sozialausgaben vor allem im Bereich Jugendhilfe und Asylbewerber, dazu endlich wieder Zuschüsse für die Kommunen – dies und politische gewollte Investitionen sind nicht mehr allein durch die laufenden Einnahmen zu finanzieren.
Denn wie alle nicht mehr ganz so neuen Länder muss auch Mecklenburg-Vorpommern mit dem stetigen Versiegen der Solidarpakt-Mittel zurechtkommen. Flossen einst jährlich 1,2 Milliarden Euro nach Schwerin, wird 2020 ganz damit Schluss sein.
Den Verlust fangen die durchaus sprudelnden Steuereinnahmen nicht auf. Finanzministerin Heike Polzin weiß nicht, wie lange M-V die schwarze Null noch halten kann, will aber auch mit Blick auf die Landtagswahl im nächsten Jahr noch nicht wieder mit dem neuen Schuldenmachen beginnen. Sie geht lieber ans Eingemachte und will weiter sparsam haushalten. Wobei:
"Gerade angesichts der aktuellen europäischen Situation stellt sich wieder die Frage: Was bringt es überhaupt zu sparen und keine Neuverschuldung aufzunehmen? Ich persönlich reagiere immer darauf: Es ist bewiesen, dass das der richtige Weg ist, wenn auch der unbequeme, weil man seinen Kindern und Enkeln ein Erbe hinterlässt. Irgendwen erwischt es dann mal, und die Verantwortlichen haben sich dann in der Regel aus dem Staub gemacht. Wir tragen diese Verantwortung aus der Überzeugung heraus, dass dies der richtige Weg ist."