Brandenburger Stehaufmännchen
Brandenburg: Fast alle Wege führen übers Land, mancher Weg sogar irgendwann ans Ziel, auf jeden Fall aber weiter. Das Porträt eines Bundeslandes, dessen Bewohner sich trotz Rückschlägen nicht entmutigen lassen.
Es ist das fünftgrößte Land Deutschlands, das größte der neuen Bundesländer, hat aber weniger Einwohner als Berlin. Regenarm, seenreich und flach; Heimat von hundert Wölfen, an seinen Rändern fast menschenleer, während es rund um Berlin schwer ist, ein noch unbebautes Grundstück zu finden. Helle Sandwege und Kiefernwälder: Mehr gibt es in Brandenburg nicht, denkt so mancher, ideal zum Radfahren, aber Industrie oder gar technische Innovationen - Fehlanzeige.
Aber ganz so einfach ist es nicht: Das rot-rot regierte Brandenburg steht mit einer Arbeitslosenquote von unter neun Prozent nicht schlecht da. Besser zum Beispiel als Berlin, das ebenso hippe wie quirlige Zentrum, um das herum die Weiten Brandenburgs liegen.
So könnte man anfangen. Oder so:
"Aber wenn ich zurückblickend schaue, denke ich, hat mir das für meine weitere Entwicklung ganz gut getan, weil man immer weiß: Man muss sich alles erarbeiten, es kommt nichts geschenkt."
Karin Höpfners ist klein und zierlich und 71 Jahre alt. Ihr Start ins Leben war schwierig: Die Eltern Vertriebene, vier Kinder, Karin die jüngste, das Geld war immer knapp. Seit 1969 arbeitet sie in dieser Fabrik: In der DDR hat der "Volkseigene Betrieb Havelland" 70 Prozent der Babynahrung hergestellt, Karin Höpfner war als gelernte Bankerin damals für die Finanzen zuständig.
Nach der Wende kamen Investoren - und gingen wieder
Nach der Wende sah sie Investoren kommen und gehen. Weil gegen Milupa und Hip kein Ankommen war, wurde die Produktion auf Dosensuppen und -eintöpfe umgestellt. Seit der niederländische Lebensmittelkonzern Struik einstieg, ist Karin Höpfner Geschäftsführerin am Standort Beelitz.
Die traditionsreiche Kindernahrungs-Fabrik war zu DDR-Zeiten ein Vorzeigebetrieb mit 400 Angestellten. Dann fiel die Mauer, was Karin Höpfner begrüßte. Die Treuhand verkaufte die einzelnen Betriebsteile des Kombinats scheibchenweise.
"Es war auch dann, als die neuen Investoren kamen, dass man manchmal das Gefühl hatte: 'Na ja, was die hier machen!' Oder: 'Denen werden wir erst mal zeigen, wie es langgeht.' So ungefähr hatte ich auch in der Verwandtschaft mal eine Bemerkung: 'Na, ihr müsst ja erst mal arbeiten lernen.' Und das hat mich natürlich sehr getroffen. Da habe ich auch gesagt: 'Wir haben schon immer gearbeitet, leider nicht mit dem Erfolg wie auf der anderen Seite.'"
Die Maschinen waren veraltet, die Konkurrenz übermächtig: Hunderte Mitarbeiter verloren ihre Arbeit. Nicht die neuen Chefs aus dem Westen, sondern Karin Höpfner war es, die mit denjenigen sprach, die gehen mussten.
"Es war eine schwere Zeit. Du musstest praktisch denen, mit denen du jahrelang gearbeitet hast, sagen: Es ist vorbei. Es war schwer, bei jedem Abbau von Arbeitskräften war die menschliche Seite auch für mich sehr, sehr schwer, das muss ich sagen."
Chor: "Märkische Heide, märkischer Sand - sind des Märkers Freude, sind sein Heimatland. Steige hoch, du roter Adler, hoch über Sumpf und Sand - hoch über dunkle Kiefernwälder, heil dir mein Brandenburger Land."
Die Brandenburger haben es immer schwer gehabt
Heide, Sumpf und Sand waren nicht nur die Freude der Märker: Die Menschen im heutigen Brandenburg haben es immer schwer gehabt, seit Albrecht der Bär sich das Gebiet aneignete und es zum Bestandteil des Heiligen Römischen Reiches machte. Dieser 11. Juni 1157 gilt heute als Gründungsdatum der historischen Mark Brandenburg.
Die nährstoffarmen Sandböden brachten ihr den wenig schmeichelhaften Titel "Streusandbüchse" ein - und den Ackerbauern Jahrhunderte lang magere Ernten. Trotzdem hätten die Märker sich nie unterkriegen lassen, sagt der sozialdemokratische Wirtschaftsminister Albrecht Gerber.
"Dass es ein Auf und Ab gibt, das ist, glaube ich, im märkischen Bewusstsein sehr wohl drin, und dass es aber auch immer die Möglichkeit gibt, sich wieder rauszurappeln und dass man anpacken muss, sich mal schütteln und dann noch mal von vorn anfangen, das ist schon etwas, was den märkischen Charakter ausmacht, sich da dann nicht in Verzweiflung stürzen lassen, sondern zu sagen: Dann geht es eben noch mal von vorne los."
1945 nahmen die Russen alles mit, was sich auseinander schrauben ließ, 1990 wickelte die Treuhand einen Großteil der Betriebe als nicht wettbewerbsfähig ab.
"Es sind ja Zehntausende gewesen, die ruckzuck arbeitslos geworden sind, teilweise hatten wir eine reale Arbeitslosigkeit von 50 Prozent. Und da einerseits neue Betriebe aufzubauen und die arbeitslosen Menschen wieder in Arbeit zu bringen, diese doppelte Herausforderung haben die 90er-Jahre ganz stark charakterisiert."
Arbeitslosigkeit führte zu Abwanderung: Vor allem junge Männer und Frauen verließen ihre Heimat und suchten ihr Glück im Westen. Doch viele blieben auch und versuchten zu retten, was zu retten war – und auf dem plötzlich eröffneten Weltmarkt zu bestehen.
"Zum Beispiel die Stahlproduktion in Brandenburg an der Havel und in Hennigsdorf, aber auch in Eisenhüttenstadt. Was geblieben ist, ist das PCK in Schwedt, die Raffinerie, heute aber natürlich gar nicht mehr vergleichbar mit den 90er Jahren, sondern ein wirklich moderner Standort, auch BASF in Schwarzheide, schon immer ein Chemiestandort, seit 150 Jahren, und seit 1990 eben durch die BASF weiterbetrieben. Also eine ganze Reihe von industriellen Kernen konnten wir schon erhalten."
Neue Unternehmen siedeln sich vor allem rund um Berlin an
Knapp zweieinhalb Millionen Einwohner hat Brandenburg heute, davon lebt eine Million im Einzugsgebiet von Berlin und der einzigen Großstadt und Landeshauptstadt Potsdam. Im so genannten Speckgürtel siedeln sich bevorzugt neue Unternehmen an, darunter viel Biotechnologie und Pharmazie, denn hier gibt es Autobahnen und schnelles Internet.
"Wir haben neben den industriellen Kernen, von denen ich eben schon gesprochen habe, zum Beispiel auch eine völlig neue Branche hier im Land, nämlich die Luft- und Raumfahrt. Mit Rolls-Royce und MTU haben wir ganz wichtige Produktionsstandorte für Flugzeugtriebwerke ins Land holen können, wo viele Tausend Menschen Arbeit finden, eine wichtige Zukunftsbranche rund um den Flughafen herum. Da sind wir mittlerweile auch deutschlandweit einer der wichtigen Standorte geworden."
Stichwort Flughafen: Der Pannen-Airport BER ist wahrlich kein Aushängeschild für Brandenburger Wirtschaftskraft und Unternehmergeist. Wobei man fairerweise dazu sagen muss, dass das Bundesland nur einer der drei Gesellschafter des mindestens fünfeinhalb Milliarden teuren Debakels ist – neben Berlin und dem Bund.
Der BER soll 2017 eröffnet werden - vielleicht
Nach der schmählich geplatzten Eröffnung 2012 soll der Flughafen nun Ende 2017 tatsächlich fertig sein: Immerhin gibt es einige kritische Beobachter, die das für realistisch halten.
Profitieren würde von einem Job- und Wachstumsmotor BER wieder einmal der Speckgürtel: Gegen den Willen der Landesregierung wird der Flughafen in Schönefeld gebaut, vor den Toren von Berlin, statt im 60 Kilometer südwestlich gelegenen Sperenberg.
Noch einmal 70 Kilometer weiter südlich liegt im strukturschwachen Landkreis Elbe-Elster das Städtchen Herzberg. Michael Oecknigk ist hier seit vielen Jahren Bürgermeister. Der CDU-Politiker fühlt sich von der rot-roten Landesregierung abgehängt und missachtet: Alles Fördergeld fließe in den Speckgürtel, klagt er. Damit dort Häuser und Kitas für die Berliner Familien entstehen, die immer zahlreicher ins grüne Umland ziehen. Viel Frust hat sich in Herzberg angehäuft:
"Ich finde es total ungerecht. Fakt ist: Wir versuchen seit Jahrzehnten, und ich bin ja nun wirklich seit der Wende im Amt, Leute hierzubehalten, auch Unternehmen mit anzusiedeln. Viele Firmen waren bei mir, haben sich umgeguckt, haben gesehen: Die Stadt ist ordentlich, das Gewerbegebiet ist schön, aber es fehlt eine Verkehrsanbindung. Seit über 20 Jahren renne ich schon der Landesregierung, der Bundesregierung und anderen hinterher, um eine bessere Verkehrsanbindung hinzukriegen. Wir brauchen von hier bis zur Autobahn, egal, in welche Richtung, fast eine Stunde. Ich will nur die gleiche Chance haben. Ich muss zehnmal, zwölfmal so viel Bittsteller sein als mein Kollege in Werder, Havel, oder in Oranienburg oder anderen Ortes, die im Speckgürtel wohnen. Ich muss mir immer wieder neue Sachen einfallen lassen, dass wir mal Fördermittel kriegen, dass wir mal eine Unterstützung kriegen, ansonsten habe ich den Eindruck, dass man die peripheren Räume so Stück für Stück auch austrocknen lässt, also ganz gezielt."
Die Uckermark hat schon 50.000 Einwohner verloren
Ganz im Nordosten Brandenburgs, in der Uckermark rund um Templin, bohrt die Zahnärztin Kerstin Finger am Backenzahn einer Patientin im Rentenalter herum. Und zwar in deren Wohnzimmer: Seit Jahren fährt Kerstin Finger über die Dörfer und besucht Patienten, die es aus eigener Kraft nicht mehr in ihre Templiner Praxis schaffen.
Die Uckermark: An der Grenze zum Nachbarland Polen, so groß wie das Saarland, aber nur rund 120.000 Einwohner. 170.000 waren es noch, als die Mauer fiel. Die jungen Menschen gehen weg, die alten bleiben zurück. Und wenn die anstehende Gebietsreform der Landesregierung greift, werden die Wege für sie noch länger: Die Zahl der Landkreise soll schrumpfen, um das Land "demografiefest" zu machen. Wer ein Auto oder ein Gewerbe anmelden will, wird dann unter Umständen weit fahren müssen. Kerstin Finger hat damit kein Problem.
"Wir müssen einfach auf andere Formen der Versorgung zurückgreifen. Diese Mobilität muss sich umkehren, es muss die Leistung zum Bedürftigen und nicht der Bedürftige muss immer zur Leistung, weil wir das nicht schaffen können. Es wird jetzt eine Übergangszeit geben und die ist eigentlich interessant. Und da muss es Vermittler geben, die sagen: 'Ich helfe dir jetzt.' Wie viele tun sich mit dem Internet schwer oder mit der Online-Überweisung oder, oder, oder. Aber ich denke, wir wachsen in eine Zeit rein, wo das gang und gäbe sein wird. Also an dem Punkt habe ich nicht die Sorge. Ich habe höchstens an den Punkten Sorge, wo wir wirklich darauf angewiesen sind, dass die Beziehungen untereinander gut sind. Wenn diejenigen, die verbleiben, das für sich lösen, voneinander wissen und auch miteinander leben und nicht gegeneinander, dann ist mir da wirklich nicht bange."
Kerstin Finger hat es aus Rostock nach Brandenburg verschlagen, aber diese Eigenständigkeit, die selber anpackt, statt sich auf andere zu verlassen, die ist typisch brandenburgisch. Meint Karin Höpfner, die tatkräftige Chefin von Struik Foods in Beelitz. 50 Mitarbeiter von den ursprünglich 400 sind ihr geblieben. Mit denen stellt Karin Höpfner im Jahr 25 Millionen Dosen Suppe und Eintopf her.
Dabei stand das Unternehmen 2004 zum zweiten Mal vor dem Aus, als der damalige Inhaber die Produktion nach Tschechien und Polen auslagerte, aus Kostengründen. Dank eines Vertrags mit Aldi Nord für eine Gulaschsuppe stieg damals der niederländische Familienbetrieb Struik ein. Ein Rettungsring, der erst einmal trägt.
"Ich habe ein gutes Gefühl, weil Herr Struik die Preußen liebt, das Land Brandenburg und auch unsere Mentalität, weil er immer sagt: 'Ja, ihr kämpft.' Und natürlich ist der Markt schwer, keine Frage. Deshalb muss man jeden Tag sein Bestes geben, das ist die Devise. Ohne gute Arbeit jeden Tag ist das eben sonst nicht machbar. So, jetzt zeige ich Ihnen noch mal den großen Sterilisator, der ist auch neu."