Es ist visuell natürlich ein brutaler Akt. Es beinhaltet Zerstörung. Aber gleichzeitig hat es auch etwas mit Achtsamkeit zu tun. Das ist wie ein Paradox. Und das Büro ist interessantes Terrain, weil 'Büro' kapitalistische Arbeitswelt oder auch die Leistungsgesellschaft versinnbildlicht.
Kein Platz für Verspieltes
05:50 Minuten
Die Welt ist aus den Fugen geraten. Das spiegelt sich auch in der Kunst wider. Für formal-ästhetische Spielereien ist kein Platz mehr. Die für den Kunstpreis der Böttcherstraße Nominierten beschäftigen sich mit drängenden gesellschaftlichen Fragen.
Ein coronoverwaistes Büro, eine mannshohe, in sich gedrehte Skulptur aus Keramik und Industrieholz, die gleich zu stürzen scheint. Sie könnte Sinnbild unserer klimakatastrophen-geschundenen Welt sein. Dazu nachdenkliche Stillleben, Videoarbeiten über Migration und die DDR.
Die Auswahl der Kuratorinnen und Kuratoren, Museumsleitern und Museumsleiterinnen zeigt: Angesichts unserer aus den Fugen geratenen Welt ist für rein formal-ästhetische Spielereien kein Platz mehr. In der Jury für den Kunstpreis der Böttcherstraße sind unter anderem Hilke Wagner, Direktorin des Albertinum Dresden, Roland Mönig, Leiter des Von-der-Heydt-Museums Wuppertal, und Thomas D. Trummer vom Kunsthaus Bregenz
In jedem Raum eine neue Welt
Alle Nominierten beschäftigen sich auf ihre Weise mit der Wirklichkeit, so Kuratorin Friederike Quander:
"Malerei, Skulptur, Film, Performance. Davon lebt diese Ausstellung. Da ist auch diese Lebendigkeit in diesen Räumen, der Rhythmus, auch wenn man durch die Ausstellung geht. In jedem Raum betritt man eine neue Welt."
Es beginnt blutig und verkleidet als Kindermärchen: Marianna Simnett, die in ihren Videoarbeiten oft Gefühle wie Ekel und Schrecken provoziert, um die Abgründe des vermeintlich Normalen zu enthüllen, lässt hier in schönster Splatter-Manier einen sprechenden Raben Rache nehmen an der Vermessenheit der menschlichen Spezies.
Leuchtendes Blau beherrscht den Raum von Noemi Weber. Sie lud 20 Leute ein, mit ihr in einer Performance die Wände zu bemalen – die kreative Aneignung der Institution Museum.
Es geht auch um Ost-Identität
Ungewöhnlich, aber höchste Zeit: Gleich zwei Künstler wurden nominiert, die sich unvoreingenommen mit der DDR beschäftigen. Oskar Schmidt, Jahrgang 1977, Fotograf, Maler und der einzige Mann in der Runde, zeigt in gedeckten Farben kleinformatige Stillleben: eine Kneifzange neben einer schimmernden Perlmuttschnecke, Reclam-Taschenbücher neben einer Flasche Glasreiniger oder zwei Holzmasken – raffiniert miteinander verwebte Versatzstücke technischer, künstlerischer und ästhetischer Errungenschaften seiner einstigen Heimat.
„Das spielt auf Fragen von Identität und Herkunft an", erklärt Schmidt. "Das ist jetzt kein nostalgischer Blick, aber es war mir ein Anliegen, auch Sachen zu zeigen, die verdrängt oder vergessen wurden in den letzten 30 Jahren.“
Der vergessene Computerhersteller der DDR
Die 38-jährige Nadja Buttendorf nutzt dafür YouTube: Ihre Soap-Opera „Robotron“ erzählt vom Kolleginnenalltag im VEB-Kombinat "Robotron", dem größten Computerhersteller der DDR. In kurzen, formal wunderbar verrückten, vom Grundton her oft lakonisch und sarkastisch anmutenden Trickfilmsequenzen, erinnert sie an die Geschichte des Betriebs, der 1989 fast 70.000 Beschäftigte hatte, bevor er vom Westen plattgemacht wurde.
Schnell wird klar: Es geht dabei nicht nur um die DDR, so Kuratorin Friederike Quander: „Es erzählt eben diese Technikgeschichte, den Wettbewerb mit dem Westen, aber auch Fragen der Gleichberechtigung, der Vereinbarkeit mit Familienplanung, aber natürlich auch Wohnraummangel, Wohnraumknappheit – also ganz viele aktuelle Fragen."
Drängende gesellschaftliche Fragen
Die Auswahl zeigt, wie Künstlerinnen immer neue ästhetische Formen, Strategien und Methoden entwickeln, um sich mit drängenden gesellschaftlichen Fragen zu beschäftigen.
Anna Witt etwa präsentiert ein voll eingerichtetes Büro. In einer Performance wird es ganz leise zerlegt werden. Die Geräusche, die dabei entstehen, werden später als Soundtrack über dem Trümmerfeld liegen.
Anna Witt spielt damit auch sarkastisch an auf ein Social-Media-Phänomen, bei dem Influencer leise Geräusche machen und als Entspannungs- und Einschlafhilfe verkaufen. Während der Isolation der Pandemie hatte das Hochkonjunktur, erklärt die Künstlerin, die jetzt radikale Heilung ermöglicht nach dem Motto: Macht kaputt, was euch kaputt macht! Sie erklärt:
Verwehrte Lebensperspektiven durch den Westen
Kolonialismus, Rassismus, Migration sind seit Jahren Thema der Bildenden Kunst. Die Ausstellung entlässt den Besucher mit einer solchen Arbeit: In nur wenigen Minuten erzählt die britisch-nigerianische Künstlerin Karimah Ashadu auf ebenso poetische wie verstörende Weise von verwehrten Lebensperspektiven durch den Westen.
Ein junger Nigerianer mit enormen Kenntnissen über Pferde hofft da auf eine Zukunft in Europa. Immer wieder reitet er ans Meer und hält inne: Die Unendlichkeit des Meeres ist kein Ort der Freiheit mehr, sondern ein Massengrab.
Die Kunsthalle Bremen präsentiert bis zum 30. Oktober 2022 Werke aller Nominierten.