Die Nonne im Jobcenter

Von Marie Wildermann |
Mit 17 ging Krystyna Nowak ins Kloster - das war Ende der siebziger Jahre, im Nordosten Polens. Mitte der Neunziger trat sie aus. Heute arbeitet sie als Arbeitsvermittlerin in einem Jobcenter in Berlin.
"Dann wünsche ich Ihnen viel Erfolg! Auf Wiedersehen!"

Die Arbeitsvermittlerin Krystyna Nowak legt ihren Stift aus der Hand, lehnt sich in ihrem Schreibtischstuhl zurück und ist sichtlich erleichtert. Wieder steht einer ihrer 50-plus-Kunden kurz vor der Unterzeichnung eines Arbeitsvertrages.

"Die Leute sind verzweifelt, wenn sie längere Zeit arbeitslos sind: 'Ich kriege nichts, ich bekomme nichts, die Vermittlungsvorschläge kann ich sowieso vergessen.' Und dann irgendwann, am Ende unseres Gesprächs hab ich gesagt: 'Ich bin fest überzeugt, früher als später, Sie bekommen einen Job.' Und fünf Tage später: 'Ich hab einen Job!' Da hab ich gesagt: 'Hab ich doch gesagt!'"

Auf die Frage, warum sie sich da so sicher sei angesichts der schwierigen Lage für ältere Arbeitslose, sagt sie:

"Sicher bin ich nicht, aber ich gebe dem lieben Gott Herausforderung. Wenn ich das nicht mache, bekomme ich nicht."

Arbeitsvermittlerin Krystyna Nowak ist gebürtige Polin. Sie lebt seit gut 15 Jahren in Berlin. Fast genau so lange hat sie davor in einem Kloster zugebracht. Ihr Gottvertrauen im Job ist daher nicht nur eine Floskel. Aufgewachsen ist sie im Nordosten Polens in der Nähe von Danzig, die Familie mütterlicherseits ist katholisch, sehr fromm. Krystyna, die sich stark in der katholischen Jugendarbeit engagiert, fasst schon als junges Mädchen den Plan, Nonne zu werden.

"Für mich das Wort 'Schwester', das war Zauberwort, dass ich für alle – egal, ob ich die Leute kenne oder nicht - aber ich bin Schwester. Mein Traum war immer: als Schwester für die Leute da sein."

Mit 17 setzt sie ihre Entscheidung um. Ein Jahr vor ihrem Abitur geht sie ins Kloster. Die Eltern sind nicht begeistert. Weil sie sich von ihrem Vater nicht verabschiedet hat, nimmt sie im Kloster die weibliche Form seines Vornamens an: Schwester Waclawa.

In der Ordensgemeinschaft holt sie ihr Abitur nach, studiert Katholische Theologie und arbeitet in den Schulen der umliegenden Ortschaften als Religionslehrerin. Im Konvent hat sie darüber hinaus als Organistin die Messen zu begleiten. Krystynas Tage sind angefüllt mit Arbeit und Gebet.

"Halb sechs sind wir aufgewacht und um 7 Uhr war die heilige Messe. Dann jede Schwester nach dem heilige Messe haben wir zusammen gefrühstückt, und nach dem Frühstück sind wir zu unserer Arbeit gegangen. Weil die Schule immer um acht Uhr begonnen hat, da bin ich in Schritttempo zur Schule gegangen bis 13.30 Uhr, manchmal bis 14.30, dann bin ich nach Hause gekommen, dann Mittagessen, kurze Pause, und dann um halb sechs bin ich wieder zur Kathedrale gegangen, um bei der nächsten heiligen Messe als Organistin zu arbeiten, das war von Montag bis Freitag."

Samstags sind Chorproben, und neue Stücke auf der Orgel müssen eingeübt werden. Am meisten ist sonntags zu tun.

"Sonntag, das war von 7 Uhr bis 16 Uhr fast jede Stunde heilige Messe und um 18 Uhr nochmal. Und nicht jeder kann nachvollziehen, was es bedeutet, paar Stunden in der kalten Kirche zuzubringen. Wenn die Schwestern sonntags freihatten, für mich war nicht schlimmste, aber der schwierigste Tag der Woche. Und irgendwann habe ich gesagt, jetzt ist Schluss mit lustig, ein Tag frei möchte ich auch haben."

Das Klosterleben ist nicht nur ein langer Arbeitstag aus Pflichten und Disziplin, es herrschen auch Neid und Missgunst.

"Wenn ich zwischen einer und andere Messe zwischen 30 und 40 Minuten Zeit hatte, da bin ich natürlich mit meinen Jugendlichen nach unten gegangen und dann hab ich sofort gesehen, eine Schwester stand am Fenster und hat mich beobachtet, und ich wusste: Nachmittags im Kloster werde ich sofort roten Teppich bei meiner Oberin haben. Ich hatte ganz einfach genug von Kontrolle."

Noch denkt sie aber nicht daran, aus dem Kloster auszutreten, sondern sucht eine Alternative innerhalb des Ordens. Weil ihr Konvent zu einem deutschen Orden gehört, kann sie nach Deutschland gehen, um einen Sprachkurs zu besuchen.
Mitte der neunziger Jahre sitzt sie in ihrer Nonnentracht in einem Seminarraum in einer Sprachenschule mitten in Berlin, in einem bunten Gemisch aus verschiedenen Nationalitäten, Hautfarben und Religionen.

"Hier in Berlin hab ich ganz andere Welt gesehen, und dafür danke ich Gott von ganzem Herzen. Ich weiß es nicht, wie mein Leben weitergelaufen wäre, wenn ich den Schritt nicht gemacht hätte."

In einem Brief an den Orden erklärt Krystyna ihren Austritt. Die Eltern in Polen und eine Freundin in Berlin unterstützen sie bei ihren ersten Schritten in das neue Leben. Sie sucht sich einen Job und eine Wohnung und beginnt nochmal ein Studium, diesmal der Germanistik.

"Als Studentin durfte ich jobben, hab ich mich verschiedene Stellen beworben, mit Minimum, Augen zu und durch, und dann hab ich meinen Mann kennengelernt, und zusammen ging es schon wesentlich besser. Zwischendurch wurde ich Mutter geworden, natürlich hab ich meine Mitschwestern informiert, dass ich vom Ledigenstand zu verheiratet gewechselt habe, Kontakt mit dem Kloster habe ich bis jetzt."

Der Sohn ist inzwischen zehn. Krystyna hat nach ihrem Studium eine Zusatzqualifikation als Arbeitsvermittlerin absolviert und seit einiger Zeit eine Festanstellung in einer Arbeitsagentur in Berlin. Krystynas Ehemann, auch gebürtiger Pole - ein freier Übersetzer und Journalist - kümmert sich um den gemeinsamen Sohn, wenn die Sprechzeiten im Jobcenter bis in den frühen Abend gehen.
Viele Arbeitssuchende, die sie betreut, haben – wie sie selbst - einen Migrationshintergrund.

"Und bin lebendiges Beispiel: Man kann was erreichen. Ich hab auch von Null begonnen."

Mit Geduld und Beharrlichkeit unterstützt sie die Jobsuchenden. Und mit einer großen Fähigkeit, zu motivieren. Aber das sind nicht die einzigen Qualifikationen, die sie aus ihrem früheren Leben als Nonne für diesen Job mitbringt. Es ist auch die individuelle Wertschätzung für die Menschen, die vor ihr sitzen.

"Die Motivation brauchen die Leute, sie haben schon genug gehört, dass sie zu alt sind."

Aber sie verschweigt auch nicht, dass der Job manchmal an ihre Grenzen geht.

"Manchmal die Nerven sind schon ganz am Ende."

Und wenn es mal nicht so klappen will mit der Jobvermittlung, dann intensiviert sie ihren Draht "nach oben" sagt sie halb augenzwinkernd, halb ernst. Über ihre Zeit im Kloster denkt sie bis heute positiv:

"Diese 14 Jahre im Kloster werde ich nicht als Fehler betrachten, ich bin dankbar. Gott ist für mich weiter eine lebendige Person, das ist nicht irgendein unbekannter Objekt, das ist eine Person, die ein festen Platz in meinem Leben hat."

Doch dann unterbricht sie das Gespräch. Sie muss noch einen dringenden Anruf tätigen. Und während des Gesprächs zeigt sie auf die Uhr und gibt mit Gesten und Mimik zu verstehen, dass sie jetzt keine Zeit zum Plaudern mehr hat, draußen auf dem Flur warten noch Kunden und auf dem Schreibtisch ein Stapel Akten.