Die "Odyssee" modern
Der opulente Prachtband wagt einen neuen Übersetzungsversuch in deutschen Hexametern. Der Schweizer Graezist Kurt Steinmann möchte Homers Verse in ein modernes Deutsch bringen, ohne die klassische Form zu verraten. Dennoch reicht er damit an bekannte Vorgänger wie Johann Heinrich Voß und Wolfgang Schadewaldt nicht heran.
Der Manesse-Verlag verlegt sich mittlerweile gegen Ende eines Jahres darauf, außerhalb der kleinen, handlichen Klassikereditionen einen großformatigen, opulenten Prachtband vorzulegen. Letztes Jahr führte das durch eine sensible Neuübersetzung zu einer Neuentdeckung von Swifts "Gullivers Reisen", dieses Mal hat sich der Verlag auf eine der Grundlagenschriften des Abendlands verlegt: Homers "Odyssee".
Hier stellt sich allerdings die Frage, ob dieser Klassiker aller Klassiker wirklich ein neues Deutsch nötig hat. Immerhin liegt mit Johann Heinrich Voß’ aufklärerischer Übersetzung aus dem 18. Jahrhundert eine nahezu kanonische Version vor: Generationen von Schülern und Studenten kennen ihren Homer durch das unverwechselbare Voßsche Deutsch. Vor allem hat Voß etwas unternommen, was allgemein und bis heute als unmöglich gilt: die griechischen Hexameter in deutsche Hexameter zu überführen. Das kann, angesichts des Unterschieds der beiden sprachlichen Rhythmen, höchstens annäherungsweise und nur mit schmerzhaften Einbußen gelingen.
Das klassische Versmaß definiert sich durch die Kürze und Länge der Silben, der deutsche Vers arbeitet hingegen mit betonten und unbetonten Silben. Das Versmaß des Hexameters ist der Daktylus: eine betonte und zwei unbetonte Silben. Im Griechischen fließt das quasi organisch dahin, im Deutschen hingegen merkt man immer wieder die Zwänge, zu denen das führt. Voß erfand in genialer Weise das dreisilbige Partizip für den deutschen Homer: das menschenverderbende Schild, der küstenumirrende Held, die blauäugichte Athene und schuf damit eine einprägsame antik-deutsche Kunstsprache.
Es gab nach Voß etliche Versuche, Homer zu aktualisieren. Die einflussreichste Neuübersetzung war diejenige von Wolfgang Schadewaldt: Er verzichtete auf den Hexameter und setzte Homer in deutsche Prosa. Damit blieb er viel genauer am Original, wenn es um Inhalt und Bedeutung geht – der kongeniale Rhythmus aber, der die poetische Sprache erst zur poetischen macht, ging dabei aber natürlich verloren.
Dass der Schweizer Graezist Kurt Steinmann nun für Manesse tatsächlich einen neuen Übersetzungsversuch in deutschen Hexametern vorlegt, ist vor diesem Hintergrund sehr mutig: durch Schadewaldt hat man bereits einen zeitgenössischen, verständlichen Homer, und alle Versuche, die Hexameter von Voß zu modernisieren, sind bisher gescheitert. Steinmann möchte die Verse von Homer in ein modernes Deutsch bringen, ohne die klassische Form zu verraten.
Johann Heinrich Voß übersetzte den Anfang so:
"Sage mir, Muse, die Taten des vielgewanderten Mannes, / Welcher so weit geirrt, nach der heiligen Troja Zerstörung". "
Bei Steinmann heißt es nun:
" "Muse, erzähl mir vom Manne, dem wandlungsreichen, den oft es / abtrieb vom Wege, seit Trojas heilige Burg er verheerte."
Man merkt schon hier: die Notwendigkeit einer Neuübersetzung lässt sich nicht schlagend legitimieren. Steinmann ist im Zweifelsfall leichter lesbar, er hält sich auch nicht immer sklavisch an die äußere Form, schließt inhaltliche Irritationen weitgehend aus und entscheidet sich manchmal für eine kleine Abweichung, wenn es um die Betonung geht. Er verfolgt keine dogmatische Linie, vermittelt aber immerhin eine Ahnung vom ursprünglichen Klang Homers. Das schöne, aufwendig gemachte Buch im Schuber, das der Manesse Verlag vorlegt, ändert aber kaum etwas daran, dass Voß der Klassiker bleibt – und Schadewaldt für die kompromisslose Verständlichkeit steht.
Rezensiert von Helmut Böttiger
Homer: Odyssee.
Aus dem Griechischen von Kurt Steinmann.
Nachwort von Walter Burkert.
Mit 16 Illustrationen von Anton Christian.
Manesse Verlag, Zürich 2007. 445 Seiten, 89,90 €
Hier stellt sich allerdings die Frage, ob dieser Klassiker aller Klassiker wirklich ein neues Deutsch nötig hat. Immerhin liegt mit Johann Heinrich Voß’ aufklärerischer Übersetzung aus dem 18. Jahrhundert eine nahezu kanonische Version vor: Generationen von Schülern und Studenten kennen ihren Homer durch das unverwechselbare Voßsche Deutsch. Vor allem hat Voß etwas unternommen, was allgemein und bis heute als unmöglich gilt: die griechischen Hexameter in deutsche Hexameter zu überführen. Das kann, angesichts des Unterschieds der beiden sprachlichen Rhythmen, höchstens annäherungsweise und nur mit schmerzhaften Einbußen gelingen.
Das klassische Versmaß definiert sich durch die Kürze und Länge der Silben, der deutsche Vers arbeitet hingegen mit betonten und unbetonten Silben. Das Versmaß des Hexameters ist der Daktylus: eine betonte und zwei unbetonte Silben. Im Griechischen fließt das quasi organisch dahin, im Deutschen hingegen merkt man immer wieder die Zwänge, zu denen das führt. Voß erfand in genialer Weise das dreisilbige Partizip für den deutschen Homer: das menschenverderbende Schild, der küstenumirrende Held, die blauäugichte Athene und schuf damit eine einprägsame antik-deutsche Kunstsprache.
Es gab nach Voß etliche Versuche, Homer zu aktualisieren. Die einflussreichste Neuübersetzung war diejenige von Wolfgang Schadewaldt: Er verzichtete auf den Hexameter und setzte Homer in deutsche Prosa. Damit blieb er viel genauer am Original, wenn es um Inhalt und Bedeutung geht – der kongeniale Rhythmus aber, der die poetische Sprache erst zur poetischen macht, ging dabei aber natürlich verloren.
Dass der Schweizer Graezist Kurt Steinmann nun für Manesse tatsächlich einen neuen Übersetzungsversuch in deutschen Hexametern vorlegt, ist vor diesem Hintergrund sehr mutig: durch Schadewaldt hat man bereits einen zeitgenössischen, verständlichen Homer, und alle Versuche, die Hexameter von Voß zu modernisieren, sind bisher gescheitert. Steinmann möchte die Verse von Homer in ein modernes Deutsch bringen, ohne die klassische Form zu verraten.
Johann Heinrich Voß übersetzte den Anfang so:
"Sage mir, Muse, die Taten des vielgewanderten Mannes, / Welcher so weit geirrt, nach der heiligen Troja Zerstörung". "
Bei Steinmann heißt es nun:
" "Muse, erzähl mir vom Manne, dem wandlungsreichen, den oft es / abtrieb vom Wege, seit Trojas heilige Burg er verheerte."
Man merkt schon hier: die Notwendigkeit einer Neuübersetzung lässt sich nicht schlagend legitimieren. Steinmann ist im Zweifelsfall leichter lesbar, er hält sich auch nicht immer sklavisch an die äußere Form, schließt inhaltliche Irritationen weitgehend aus und entscheidet sich manchmal für eine kleine Abweichung, wenn es um die Betonung geht. Er verfolgt keine dogmatische Linie, vermittelt aber immerhin eine Ahnung vom ursprünglichen Klang Homers. Das schöne, aufwendig gemachte Buch im Schuber, das der Manesse Verlag vorlegt, ändert aber kaum etwas daran, dass Voß der Klassiker bleibt – und Schadewaldt für die kompromisslose Verständlichkeit steht.
Rezensiert von Helmut Böttiger
Homer: Odyssee.
Aus dem Griechischen von Kurt Steinmann.
Nachwort von Walter Burkert.
Mit 16 Illustrationen von Anton Christian.
Manesse Verlag, Zürich 2007. 445 Seiten, 89,90 €