Die Ökonomie des Begehrens
Roland Oberstein, Fachmann für Spekulationsblasen, hat eine Ex-Frau, eine Freundin, eine Geliebte und zwei studentische Hilfskräfte. Der Autor schildert das sexuelle Mäandern dieses Mannes mit einer derartigen Coolness, dass ein für exzellente Texte unerlässlicher Effekt entsteht: Ambivalenz.
Ist das der Roman, den wir verdient haben? Der Text, den eine kulturell versierte, akademisch gebildete und mit allen Wassern des flexiblen Kapitalismus gewaschene Mittelschicht lesen muss, um sich selbst zu erleben: als ein Milieu der moralisch Heruntergekommenen, der emotional Depravierten?
In "Mit Haut und Haaren" pflegt Arnon Grünberg erneut eine schlanke, nüchterne Rhetorik. Es gibt einen gut nachvollziehbaren Plot, diverse Liebespaare und fotogene Handlungsorte (New York, Amsterdam). Es könnte also ein bürgerliches Romankunstwerk sein, in das man neugierig ein- und aus dem man ein bisschen schlauer, aber nicht allzu desillusioniert wieder auftaucht.
Stattdessen: ein Personal, das so tief durchdrungen ist von der Verwertbarkeit der Gefühle, das einen schaudert. Wäre da nicht die leise Ahnung, dass die Figuren, die Grünberg in seinem virtuos unterkühlten Text aufeinander loslässt, ohne ihnen wirkliche Nähe zu gönnen, literarische Wiedergänger sind von uns, dem lesenden Publikum, man wünschte ihnen das Schlimmste.
Aber vielleicht widerfährt ihnen das ja bereits: Roland Oberstein, Wirtschaftswissenschaftler, Fachmann für Spekulationsblasen, hat eine Ex-Frau, eine Freundin, eine weitere Geliebte, am Ende kommen noch zwei studentische Hilfskräfte hinzu.
Zwischenmenschlichkeit ist für Oberstein ein anderes Wort für "die Förderung des allgemeinen Stumpfsinns", menschliche Kontakte fungieren als Mausefalle, als "Rattengift für jeden Ehrgeiz". Soziale Interaktion folgt der Logik des Kapitals: "Was ist Verlangen? Ob Menschen oder Produkte - es folgt alles der Ökonomie des Begehrens."
Was mit den Leidenschaften passiert, wenn sie nur noch Mittel sind für die tauschlogische Verwertung, davon kann uns die Literatur ein Lied singen. Sie tut das bereits seit dem Realismus des 19. Jahrhunderts, ein Blick in "Madame Bovary" genügt. Aber Grünberg schildert das sexuelle Mäandern dieses Mannes, seine als Neutralität getarnte Fühllosigkeit mit einer derartigen Coolness, dass ein für exzellente Texte unerlässlicher Effekt entsteht: Ambivalenz.
Hat er vielleicht doch recht, dieser Mann, der erklärt: "Menschen kosten Zeit" und "Empathie ist nur ein Mittel, die Überlebensmaschine Mensch zu verbessern"? Und die Frauengestalten, die ihn umkreisen - die zornige Sylvie, die pragmatische Lea, die kokette Violet -, sind sie nicht doch vielleicht einer Utopie aufgesessen, der Idee, man könne Liebe erwirtschaften, indem man sich selbst zur lukrativen Ressource gestaltet?
Eva Illouz, die berühmte Soziologin der "Gefühle in Zeiten des Kapitalismus", erklärte in einem Interview, der Glaube an die Liebe bringe Menschen dazu, permanent an sich zu arbeiten, nie nachzulassen in der Selbstoptimierung. Mit seinem neuen Roman macht Arnon Grünberg uns emotionalen Kapitalisten einen Strich durch diese Rechnung. Denn an diesem Helden prallen alle Eigenmanagement-Versuche ab. Eine schaurige - und notwendige Ernüchterung.
Besprochen von Daniel Haas
Arnon Grünberg: Mit Haut und Haaren
Diogenes Verlag, Zürich 2012
683 Seiten, 22,90 Euro
In "Mit Haut und Haaren" pflegt Arnon Grünberg erneut eine schlanke, nüchterne Rhetorik. Es gibt einen gut nachvollziehbaren Plot, diverse Liebespaare und fotogene Handlungsorte (New York, Amsterdam). Es könnte also ein bürgerliches Romankunstwerk sein, in das man neugierig ein- und aus dem man ein bisschen schlauer, aber nicht allzu desillusioniert wieder auftaucht.
Stattdessen: ein Personal, das so tief durchdrungen ist von der Verwertbarkeit der Gefühle, das einen schaudert. Wäre da nicht die leise Ahnung, dass die Figuren, die Grünberg in seinem virtuos unterkühlten Text aufeinander loslässt, ohne ihnen wirkliche Nähe zu gönnen, literarische Wiedergänger sind von uns, dem lesenden Publikum, man wünschte ihnen das Schlimmste.
Aber vielleicht widerfährt ihnen das ja bereits: Roland Oberstein, Wirtschaftswissenschaftler, Fachmann für Spekulationsblasen, hat eine Ex-Frau, eine Freundin, eine weitere Geliebte, am Ende kommen noch zwei studentische Hilfskräfte hinzu.
Zwischenmenschlichkeit ist für Oberstein ein anderes Wort für "die Förderung des allgemeinen Stumpfsinns", menschliche Kontakte fungieren als Mausefalle, als "Rattengift für jeden Ehrgeiz". Soziale Interaktion folgt der Logik des Kapitals: "Was ist Verlangen? Ob Menschen oder Produkte - es folgt alles der Ökonomie des Begehrens."
Was mit den Leidenschaften passiert, wenn sie nur noch Mittel sind für die tauschlogische Verwertung, davon kann uns die Literatur ein Lied singen. Sie tut das bereits seit dem Realismus des 19. Jahrhunderts, ein Blick in "Madame Bovary" genügt. Aber Grünberg schildert das sexuelle Mäandern dieses Mannes, seine als Neutralität getarnte Fühllosigkeit mit einer derartigen Coolness, dass ein für exzellente Texte unerlässlicher Effekt entsteht: Ambivalenz.
Hat er vielleicht doch recht, dieser Mann, der erklärt: "Menschen kosten Zeit" und "Empathie ist nur ein Mittel, die Überlebensmaschine Mensch zu verbessern"? Und die Frauengestalten, die ihn umkreisen - die zornige Sylvie, die pragmatische Lea, die kokette Violet -, sind sie nicht doch vielleicht einer Utopie aufgesessen, der Idee, man könne Liebe erwirtschaften, indem man sich selbst zur lukrativen Ressource gestaltet?
Eva Illouz, die berühmte Soziologin der "Gefühle in Zeiten des Kapitalismus", erklärte in einem Interview, der Glaube an die Liebe bringe Menschen dazu, permanent an sich zu arbeiten, nie nachzulassen in der Selbstoptimierung. Mit seinem neuen Roman macht Arnon Grünberg uns emotionalen Kapitalisten einen Strich durch diese Rechnung. Denn an diesem Helden prallen alle Eigenmanagement-Versuche ab. Eine schaurige - und notwendige Ernüchterung.
Besprochen von Daniel Haas
Arnon Grünberg: Mit Haut und Haaren
Diogenes Verlag, Zürich 2012
683 Seiten, 22,90 Euro