"Die Ohnmacht der mächtigsten Frau der Welt"
Für die Kanzlerin könnte die NSA-Datenaffäre im Wahlkampf zur Belastung werden. Angela Merkel betreibe gegenüber den USA daher eine "heikle Schaukelpolitik", sagt der Politikberater Michael Spreng. Die Opposition wittere nun die Chance, die Regierungschefin zu schwächen.
Ute Welty: Wenn einer eine Reise tut, dann muss er was erzählen. Und genauso ergeht es am heutigen Dienstag dem Bundesminister des Inneren, der zum Äußersten gegriffen hat – Hans-Peter Friedrich von der CSU war in den USA, um jetzt dem PKGr über die NSA zu berichten. Was so klingt wie ein Song der "Fantastischen Vier", ist in Wahrheit eine ernste Angelegenheit. Bis in hohe Regierungskreise soll der US-Geheimdienst abgehört und ausgespäht haben.
Im parlamentarischen Kontrollgremium ist das heute Thema, in dem Ausschuss des Bundestages, der für die Kontrolle der Geheimdienste zuständig ist. Obwohl die Sitzungen geheim sind, kann man fest damit rechnen, dass vor allem die Opposition die Gelegenheit nutzt, um der Regierung einen einzuschenken, 68 Tage vor der Bundestagswahl. Ob die Politiker damit aber gut beraten sind, das frage ich jetzt Politikberater Michael Spreng hier in der Ortszeit, guten Morgen!
Michael Spreng: Guten Morgen, Frau Welty!
Welty: Spätestens heute Abend in der Tagesschau wird sich Thomas Oppermann von der SPD oder Hans-Christian Ströbele von den Grünen wieder aufregen dürfen – wie wirkt das auf Sie?
Spreng: Ja gut, diese Internetspionage hat ja zwei Aspekte, also a), es ist ein gefundenes Wahlkampfthema – bisher haben ja alle Wahlkampfthemen der Opposition nicht gezündet. Und ein Thema, bei dem es um Amerika geht, deutsche Grundrechte und Sicherheit, ist ein Wahlkampfthema. Aber es ist ja auch ein ernstes Thema, es geht ja tatsächlich um deutsche Grundrechte und die Frage der Datensicherheit in Deutschland. Also es sind diese beiden Aspekte.
Welty: Denken Sie, dass Oppermann und Ströbele potenzielle Wähler erreichen?
Spreng: Das ist die Frage. Die Frage ist, wie weit erregen sich die Deutschen tatsächlich über diese Internet-Spähprogramme, über die Tatsache, dass alles, was sie im Internet tun, nicht mehr sicher ist. Es gibt in Deutschland natürlich auch sehr viele Wähler, denen Sicherheit wichtiger als Freiheit ist, so wie offenbar in Amerika die Regierung denkt, insofern ist es noch offen, ob es im Wahlkampf zündet. Aber es hat einen wichtigen Aspekt, die Opposition kann an diesem Beispiel die Ohnmacht der mächtigsten Frau der Welt vorführen. Denn es zeigt sich ja, dass Frau Merkel keinen Einfluss darauf hat, was die Amerikaner tun, wen sie ausspähen, in welchem Umfang und ob sie dabei deutsche Grundrechte achten. Und diese Ohnmacht vorzuführen, das ist natürlich schon ein starkes Thema im Wahlkampf.
Welty: Aber dieses Unterfangen ist ja nicht ohne Risiko, denn SPD und Grüne waren ja auch mal in Regierungsverantwortung.
Spreng: Ja. Zur damaligen Zeit gab es mit Sicherheit auch im Geheimdienstbereich zwischen den Diensten Dinge, die für die SPD oder die Grünen heute unangenehm wären, aber ein so massives Internetspähprogramm, das gewissermaßen alle Daten aus Deutschland abgesaugt und archiviert werden, das hat es noch nicht gegeben bzw. war bisher unbekannt. Also insofern ist es schon ein Fall von einmaliger und großer Dimension.
Welty: Nicht wenige sagen mehr oder weniger offen, so tun, also ob man von alldem nichts gewusst hätte, das ist geradezu albern. Sie, der Sie den Politikbetrieb sehr gut kennen, wie schätzen Sie das ein?
Spreng: Es gibt ja in der Politik das, was es auch in Unternehmen gibt: Häufig wollen auch die Chefs nicht alles wissen, damit sie sich im Ernstfall dumm stellen können. Einen solchen Mechanismus gibt es auch in der Politik. Es gibt die zuständigen Geheimdienstkoordinatoren, es gibt den Innenminister, es gibt die Dienste, und die Kanzlerin will vielleicht auch nicht alles wissen. Insofern ist ihre Unwissenheit vielleicht nicht ganz gespielt. Das könnte dahinterstecken.
Welty: Das heißt, es ist eher Taktik?
Spreng: Ja, es ist sehr viel Taktik natürlich dabei. Das Hauptproblem für Frau Merkel ist ja, je mehr sie auf den Tisch haut in Washington oder hauen lässt, was ja bisher nicht passiert ist. Aber wenn sie es tun würde, da die Amerikaner nicht im Traum daran denken, irgendetwas an diesen Internetspähprogrammen zu ändern, würde sie damit nur ihre eigene Ohnmacht vorführen. Also ist das für sie ein heikles Schaukeln, eine heikle Schaukelpolitik jetzt im Wahlkampf, nicht ohnmächtig zu erscheinen, aber dennoch den Eindruck zu erwecken, die Bundesregierung würde etwas gegen diese Spähprogramme tun.
Welty: Wir kennen das alle von James Bond: Geheimdienste arbeiten geheim und vor allem nicht immer legal. Warum ist das real so wenig vermittelbar, was im Film völlig logisch ist? Stößt Politik da an eine irrationale Grenze?
Spreng: Ja, weil Geheimdienste sind a) in Filmen, und b) sind sie halt im Geheimen und tangieren den normalen Bürger eher nicht. Aber in diesem Fall jetzt, wo es um die Daten und die Internetverbindungen gewissermaßen aller Deutschen geht, in diesem Fall hat es ja die Sphäre der Geheimdienste weit verlassen. Die Opfer sind ja alle Deutschen, deren Grundrechte, deren informationelle Selbstbestimmung, deren Telefon- und Postgeheimnis verletzt wird. Also insofern ist das ein einmaliger Fall, dass ein Geheimdienst nicht einzelne Spione ausspioniert oder einzelne Themen, sondern quasi ein ganzes Volk.
Welty: Sie haben es eben schon eindrücklich beschrieben, wie sehr die Kanzlerin bei dieser Geschichte im Fokus steht. Wird das Thema NSA sie tatsächlich angreifbar machen? Bisher reagiert sie ja mit einem lockeren Schulterzucken, wie immer eigentlich.
Spreng: Ja gut, sie darf natürlich nicht zu erkennen geben, wie ernst dieses Thema ist, sondern sie versucht es runterzuspielen. Sie hofft, dass den Wählern Sicherheit wichtiger ist als diese Freiheitsdiskussion. Dass das Thema einschläft noch bis zum Wahltag, also deswegen ist natürlich die Devise "runterspielen" und gleichzeitig verbal Aufklärung einfordern in Amerika, wohlwissend aber, dass die Amerikaner an ihrer Praxis nichts ändern werden.
Welty: Sehen Sie am Horizont dieses Wahlkampfes ein anderes Thema, das diesen Wahlkampf maßgeblich beeinflussen könnte?
Spreng: Das eigentliche Wahlkampfthema ist Merkel oder Steinbrück, wen wollen die Deutschen als Kanzler? Und da scheint ja bisher die Favoritin festzustehen. Also, es sieht nicht so aus, als gäbe es noch ein neues Wahlkampfthema, zumindest nicht aus dem bisherigen Bestand. Deshalb stürzt sich auch die Opposition so sehr auf dieses Thema, weil ihr das plötzlich beschert wurde durch Edward Snowden.
Welty: Über die Mühen im Wahlkampf 68 Tage vor der Bundestagswahl der Politikberater Michael Spreng. Ich danke fürs Gespräch!
Spreng: Ich danke auch, Frau Welty!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Im parlamentarischen Kontrollgremium ist das heute Thema, in dem Ausschuss des Bundestages, der für die Kontrolle der Geheimdienste zuständig ist. Obwohl die Sitzungen geheim sind, kann man fest damit rechnen, dass vor allem die Opposition die Gelegenheit nutzt, um der Regierung einen einzuschenken, 68 Tage vor der Bundestagswahl. Ob die Politiker damit aber gut beraten sind, das frage ich jetzt Politikberater Michael Spreng hier in der Ortszeit, guten Morgen!
Michael Spreng: Guten Morgen, Frau Welty!
Welty: Spätestens heute Abend in der Tagesschau wird sich Thomas Oppermann von der SPD oder Hans-Christian Ströbele von den Grünen wieder aufregen dürfen – wie wirkt das auf Sie?
Spreng: Ja gut, diese Internetspionage hat ja zwei Aspekte, also a), es ist ein gefundenes Wahlkampfthema – bisher haben ja alle Wahlkampfthemen der Opposition nicht gezündet. Und ein Thema, bei dem es um Amerika geht, deutsche Grundrechte und Sicherheit, ist ein Wahlkampfthema. Aber es ist ja auch ein ernstes Thema, es geht ja tatsächlich um deutsche Grundrechte und die Frage der Datensicherheit in Deutschland. Also es sind diese beiden Aspekte.
Welty: Denken Sie, dass Oppermann und Ströbele potenzielle Wähler erreichen?
Spreng: Das ist die Frage. Die Frage ist, wie weit erregen sich die Deutschen tatsächlich über diese Internet-Spähprogramme, über die Tatsache, dass alles, was sie im Internet tun, nicht mehr sicher ist. Es gibt in Deutschland natürlich auch sehr viele Wähler, denen Sicherheit wichtiger als Freiheit ist, so wie offenbar in Amerika die Regierung denkt, insofern ist es noch offen, ob es im Wahlkampf zündet. Aber es hat einen wichtigen Aspekt, die Opposition kann an diesem Beispiel die Ohnmacht der mächtigsten Frau der Welt vorführen. Denn es zeigt sich ja, dass Frau Merkel keinen Einfluss darauf hat, was die Amerikaner tun, wen sie ausspähen, in welchem Umfang und ob sie dabei deutsche Grundrechte achten. Und diese Ohnmacht vorzuführen, das ist natürlich schon ein starkes Thema im Wahlkampf.
Welty: Aber dieses Unterfangen ist ja nicht ohne Risiko, denn SPD und Grüne waren ja auch mal in Regierungsverantwortung.
Spreng: Ja. Zur damaligen Zeit gab es mit Sicherheit auch im Geheimdienstbereich zwischen den Diensten Dinge, die für die SPD oder die Grünen heute unangenehm wären, aber ein so massives Internetspähprogramm, das gewissermaßen alle Daten aus Deutschland abgesaugt und archiviert werden, das hat es noch nicht gegeben bzw. war bisher unbekannt. Also insofern ist es schon ein Fall von einmaliger und großer Dimension.
Welty: Nicht wenige sagen mehr oder weniger offen, so tun, also ob man von alldem nichts gewusst hätte, das ist geradezu albern. Sie, der Sie den Politikbetrieb sehr gut kennen, wie schätzen Sie das ein?
Spreng: Es gibt ja in der Politik das, was es auch in Unternehmen gibt: Häufig wollen auch die Chefs nicht alles wissen, damit sie sich im Ernstfall dumm stellen können. Einen solchen Mechanismus gibt es auch in der Politik. Es gibt die zuständigen Geheimdienstkoordinatoren, es gibt den Innenminister, es gibt die Dienste, und die Kanzlerin will vielleicht auch nicht alles wissen. Insofern ist ihre Unwissenheit vielleicht nicht ganz gespielt. Das könnte dahinterstecken.
Welty: Das heißt, es ist eher Taktik?
Spreng: Ja, es ist sehr viel Taktik natürlich dabei. Das Hauptproblem für Frau Merkel ist ja, je mehr sie auf den Tisch haut in Washington oder hauen lässt, was ja bisher nicht passiert ist. Aber wenn sie es tun würde, da die Amerikaner nicht im Traum daran denken, irgendetwas an diesen Internetspähprogrammen zu ändern, würde sie damit nur ihre eigene Ohnmacht vorführen. Also ist das für sie ein heikles Schaukeln, eine heikle Schaukelpolitik jetzt im Wahlkampf, nicht ohnmächtig zu erscheinen, aber dennoch den Eindruck zu erwecken, die Bundesregierung würde etwas gegen diese Spähprogramme tun.
Welty: Wir kennen das alle von James Bond: Geheimdienste arbeiten geheim und vor allem nicht immer legal. Warum ist das real so wenig vermittelbar, was im Film völlig logisch ist? Stößt Politik da an eine irrationale Grenze?
Spreng: Ja, weil Geheimdienste sind a) in Filmen, und b) sind sie halt im Geheimen und tangieren den normalen Bürger eher nicht. Aber in diesem Fall jetzt, wo es um die Daten und die Internetverbindungen gewissermaßen aller Deutschen geht, in diesem Fall hat es ja die Sphäre der Geheimdienste weit verlassen. Die Opfer sind ja alle Deutschen, deren Grundrechte, deren informationelle Selbstbestimmung, deren Telefon- und Postgeheimnis verletzt wird. Also insofern ist das ein einmaliger Fall, dass ein Geheimdienst nicht einzelne Spione ausspioniert oder einzelne Themen, sondern quasi ein ganzes Volk.
Welty: Sie haben es eben schon eindrücklich beschrieben, wie sehr die Kanzlerin bei dieser Geschichte im Fokus steht. Wird das Thema NSA sie tatsächlich angreifbar machen? Bisher reagiert sie ja mit einem lockeren Schulterzucken, wie immer eigentlich.
Spreng: Ja gut, sie darf natürlich nicht zu erkennen geben, wie ernst dieses Thema ist, sondern sie versucht es runterzuspielen. Sie hofft, dass den Wählern Sicherheit wichtiger ist als diese Freiheitsdiskussion. Dass das Thema einschläft noch bis zum Wahltag, also deswegen ist natürlich die Devise "runterspielen" und gleichzeitig verbal Aufklärung einfordern in Amerika, wohlwissend aber, dass die Amerikaner an ihrer Praxis nichts ändern werden.
Welty: Sehen Sie am Horizont dieses Wahlkampfes ein anderes Thema, das diesen Wahlkampf maßgeblich beeinflussen könnte?
Spreng: Das eigentliche Wahlkampfthema ist Merkel oder Steinbrück, wen wollen die Deutschen als Kanzler? Und da scheint ja bisher die Favoritin festzustehen. Also, es sieht nicht so aus, als gäbe es noch ein neues Wahlkampfthema, zumindest nicht aus dem bisherigen Bestand. Deshalb stürzt sich auch die Opposition so sehr auf dieses Thema, weil ihr das plötzlich beschert wurde durch Edward Snowden.
Welty: Über die Mühen im Wahlkampf 68 Tage vor der Bundestagswahl der Politikberater Michael Spreng. Ich danke fürs Gespräch!
Spreng: Ich danke auch, Frau Welty!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.