Die Omi-Tyrannei
Wenn man nicht so viel und so bitter lachen müsste beim Lesen, man könnte glauben, der russische Schriftsteller Pawel Sanajew berichtet direkt aus der Vorhölle der Pädagogik. Der 38-jährige Schriftsteller erzählt in seinem ersten Roman die Geschichte des neunjährigen Sascha. Der Junge lebt in Moskau bei seinen Großeltern, denn insbesondere seine Großmutter ist der Meinung, dass seine Mutter nicht das Richtige für Sascha sei.
Denn erstens sei sie "ein Flittchen" und zweitens verschwende sie ihre Zeit mit ihrem neuen Mann, einem "größenwahnsinnigen Alkoholiker, den sie für ein verkanntes Genie hält". Also hat sie den Enkel zu sich geholt. Seine Mutter hat kaum Chancen gegen diese Entscheidung anzukommen, sie bleibt schwach im Hintergrund. Das Sagen hat die Großmutter und damit beginnen für Sascha harte Zeiten, sehr harte Zeiten.
Seine Oma ist keine Oma, sondern eine Tyrannin.
Das beginnt damit, dass sie dem Jungen (Der Arme!) diverse Krankheiten einredet, angefangen von Mukoviszidose bis hin zu einem "erhöhten Schädelinnendruck". Ihre Diagnose kann nur heißen: Sascha ist "ein Idiot" und "macht es nicht mehr lange".
Da sie sich – und das obwohl sie ihn ja selbst gewaltsam in ihr Haus geholt hat – mit der Betreuung ihres Enkels bestraft fühlt ("Himmlische Mutter, gib mir die Kraft, dieses Kreuz zu tragen!"), bleibt nur, ihn zu beschimpfen, dass die Erde bebt. Sie nennt den Neunjährigen "stinkendes Aas, verfluchtes Miststück" und wünscht ihm: "Auf dass du von Unglück geschlagen bist dein Leben lang. Auf dass dir nichts anderes mehr widerfährt als Rache."
Es ist erstaunlich, wie der Junge mit seinen neun Jahren unter diesen Umständen nicht zu Grunde geht. Im Gegenteil: er erweist sich mindestens so stark wie seine Großmutter, auch wenn er seine Stärke eher leise zeigt, mit einem für einen kleinen Jungen erstaunlichen Sarkasmus. Als er etwa eines Morgens in die Küche kommt, wundert sich die Großmutter, dass ihr Enkel schon aufgewacht ist und sagt ihm ins Gesicht: "Würdest du bloß nie mehr aufwachen!". Er meint dazu nur lakonisch: "Großmutter war offensichtlich nicht in Stimmung".
Diese Haltung kann der jugendliche Held fast die gesamte Geschichte über beibehalten und das macht diesen Roman – trotz des ersten Schrecks wegen der wilden Flucherei einer Großmutter über ihren Enkel – zu einer über weite Strecken höchst amüsanten Lektüre. Auch der Slapstick kommt dabei nicht zu kurz, wenn etwa die Heizsonde durch das Bad fliegt und auf Omas Schoß landet, oder wenn Sascha im Baumörtel versinkt und mit kiloschwerer Kleidung nach Hause kommt und das obwohl die Großmutter ihrem Enkel bizarre Hygieneregeln und ein generelles Bewegungsverbot auferlegt hat.
Bei alldem werden die Flüche der Großmutter so weit ins Groteske getrieben, dass sie gar nicht ernst gemein sein können. Denn ihrem Enkel wünscht sie so oft den Tod, dass man sich wundert, wie gut es ihm noch geht.
Der 38-jährige Pawel Sanajew lässt seinen kleinen Helden aus der Ich-Perspektive erzählen und kann nicht die autobiografischen Züge des Buches verhehlen, denn auch er kommt – wie der kleine Sascha – aus einer Schauspielerfamilie. Bekannt geworden ist Sanajew als Filmregisseur. Und das Tempo, das er hier vorgibt, hat den Drive eines gut geschnittenen Familiendramas. Gleichzeitig erzählt Sanajew – ein Kind der Sowjetunion – wie in Russland die Frauen das Leben am Laufen halten. Das war zu Sowjetzeiten so – wie in diesem Buch. Und es ist heute nicht viel anders. Stark waren vor allem jene Frauen, die den Krieg erlebt haben und später als Großmütter Härte zeigen wollten, um die nächsten Generationen auf zu erwartendes Unbill einzustimmen.
Sanajew erzählt auch von der Fähigkeit, sich in scheinbar unerträglichen Machtverhältnissen einzurichten. Und das in einem treffsicheren ironischen Ton und mit einer literarischen Reife, die den Leser vergessen lassen, dass es sich mit Pawel Sanajew um einen Debütautor handelt.
Rezensiert von Vladimir Balzer
Pawel Sanajew: Begrabt mich hinter der Fußleiste
Roman
Übersetzt von Natascha Wodin
A. Kunstmann Verlag
237 Seiten, 17,90 Euro
Seine Oma ist keine Oma, sondern eine Tyrannin.
Das beginnt damit, dass sie dem Jungen (Der Arme!) diverse Krankheiten einredet, angefangen von Mukoviszidose bis hin zu einem "erhöhten Schädelinnendruck". Ihre Diagnose kann nur heißen: Sascha ist "ein Idiot" und "macht es nicht mehr lange".
Da sie sich – und das obwohl sie ihn ja selbst gewaltsam in ihr Haus geholt hat – mit der Betreuung ihres Enkels bestraft fühlt ("Himmlische Mutter, gib mir die Kraft, dieses Kreuz zu tragen!"), bleibt nur, ihn zu beschimpfen, dass die Erde bebt. Sie nennt den Neunjährigen "stinkendes Aas, verfluchtes Miststück" und wünscht ihm: "Auf dass du von Unglück geschlagen bist dein Leben lang. Auf dass dir nichts anderes mehr widerfährt als Rache."
Es ist erstaunlich, wie der Junge mit seinen neun Jahren unter diesen Umständen nicht zu Grunde geht. Im Gegenteil: er erweist sich mindestens so stark wie seine Großmutter, auch wenn er seine Stärke eher leise zeigt, mit einem für einen kleinen Jungen erstaunlichen Sarkasmus. Als er etwa eines Morgens in die Küche kommt, wundert sich die Großmutter, dass ihr Enkel schon aufgewacht ist und sagt ihm ins Gesicht: "Würdest du bloß nie mehr aufwachen!". Er meint dazu nur lakonisch: "Großmutter war offensichtlich nicht in Stimmung".
Diese Haltung kann der jugendliche Held fast die gesamte Geschichte über beibehalten und das macht diesen Roman – trotz des ersten Schrecks wegen der wilden Flucherei einer Großmutter über ihren Enkel – zu einer über weite Strecken höchst amüsanten Lektüre. Auch der Slapstick kommt dabei nicht zu kurz, wenn etwa die Heizsonde durch das Bad fliegt und auf Omas Schoß landet, oder wenn Sascha im Baumörtel versinkt und mit kiloschwerer Kleidung nach Hause kommt und das obwohl die Großmutter ihrem Enkel bizarre Hygieneregeln und ein generelles Bewegungsverbot auferlegt hat.
Bei alldem werden die Flüche der Großmutter so weit ins Groteske getrieben, dass sie gar nicht ernst gemein sein können. Denn ihrem Enkel wünscht sie so oft den Tod, dass man sich wundert, wie gut es ihm noch geht.
Der 38-jährige Pawel Sanajew lässt seinen kleinen Helden aus der Ich-Perspektive erzählen und kann nicht die autobiografischen Züge des Buches verhehlen, denn auch er kommt – wie der kleine Sascha – aus einer Schauspielerfamilie. Bekannt geworden ist Sanajew als Filmregisseur. Und das Tempo, das er hier vorgibt, hat den Drive eines gut geschnittenen Familiendramas. Gleichzeitig erzählt Sanajew – ein Kind der Sowjetunion – wie in Russland die Frauen das Leben am Laufen halten. Das war zu Sowjetzeiten so – wie in diesem Buch. Und es ist heute nicht viel anders. Stark waren vor allem jene Frauen, die den Krieg erlebt haben und später als Großmütter Härte zeigen wollten, um die nächsten Generationen auf zu erwartendes Unbill einzustimmen.
Sanajew erzählt auch von der Fähigkeit, sich in scheinbar unerträglichen Machtverhältnissen einzurichten. Und das in einem treffsicheren ironischen Ton und mit einer literarischen Reife, die den Leser vergessen lassen, dass es sich mit Pawel Sanajew um einen Debütautor handelt.
Rezensiert von Vladimir Balzer
Pawel Sanajew: Begrabt mich hinter der Fußleiste
Roman
Übersetzt von Natascha Wodin
A. Kunstmann Verlag
237 Seiten, 17,90 Euro