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Ein zweiter "Rosenkavalier"?
Selten wurde eine Oper so mit einer Sängerin identifiziert wie Richard Strauss‘ "Arabella" mit Lisa della Casa. Was sagt ein Dirigent dazu, der sich besonders zu Strauss hingezogen fühlt? Christian Thielemann über ein unterschätztes Werk.
Die Monarchie versunken, die Demokratie gescheitert, der Faschismus im Anmarsch. Und was machen Richard Strauss und Hugo von Hofmannsthal? Der Komponist und sein Librettist blicken Ende der 1920er Jahre mit der Oper "Arabella" auf das gute alte Wien der Kaiserzeit zurück. Doch wie "gut" kommt die Donaumetropole dabei wirklich weg?
Sie sollte eine Art Neuauflage des "Rosenkavalier" werden und damit an die erste gemeinsam erarbeitete Oper von Richard Strauss und Hugo von Hofmannsthal anknüpfen. Doch die "Arabella" wurde zwei Jahrzehnte später zum Abgesang – der Schriftsteller starb 1929, fünf Tage, nachdem er letzte Korrekturen am Libretto vorgenommen hatte.
Als die Uraufführung 1933 in Dresden stattfand, war Hitler bereits an der Macht – und der Komponist fügte sich der Vereinnahmung durch die NS-Diktatur.
Doppelte Donaumetropole
Beiden Opern gemeinsam ist ein opulent geschildertes Wien als prägender Ort der Handlung. Und beide blicken zurück: der "Rosenkavalier" auf den Absolutismus Maria Theresias, die "Arabella" auf die Gründerzeit unter Kaiser Franz Joseph I.
Doch während sich die erste Oper kurz vor dem Ersten Weltkrieg in eine intakte, lediglich von Possen und Intrigen bewegte Gesellschaft hineinträumte, schildert das zweite Werk eine Epoche, die harte Unterscheidungen zwischen Gewinnern und Verlierern trifft.
Arabellas adelige Familie hat im Jahr 1860 abgewirtschaftet, nur die Heirat mit einem reichen Mann – der in Gestalt von Mandryka erscheinen wird – kann einen Ausweg bieten. Unterdessen wird Arabellas Schwester Zdenka gezwungen, sich als Junge zu verkleiden, weil das Geld fehlt, sie als Frau standesgemäß in die Gesellschaft einzuführen.
Doppelte Moral
Man mag diese Konstellation, die auch Strauss zunächst fremd war, als etwas bemüht und vielleicht sogar als belanglos empfinden. Doch gelang es Hofmannsthal – zwischen den Zeilen und mit dem Schicksal der eigenen Familie vor Augen – eine Gesellschaft voller Doppelmoral, Geldgier und überkommener Ehrbegriffe darzustellen, die von zwei ungleichen Schwestern aufgemischt wird.
Und Richard Strauss komponierte dafür eine subtile, eher dem Parlando als der Walzerseligkeit zuneigende Musik.
Auch wenn die "Arabella" nie die Beliebtheit des wirkungsvolleren "Rosenkavalier" erreichte, hat sie als regelmäßig gespieltes Werk eine ganz eigene Aufführungstradition begründet. Lisa della Casa, deren silbernen Mozart-Sopran Richard Strauss noch höchstselbst bewunderte, wurde in den 1950er Jahren zur führenden und bis heute verehrten Interpretin der Titelpartie: Lisa della Casa und "Arabella", das ist fast so wie Maria Callas und "Tosca".
An ihrer Seite brillierten George London und Dietrich Fischer-Dieskau als Mandryka, später wurde die Arabella von herausragenden Sopranistinnen wie Julia Varady, Gundula Janowitz, Kiri te Kanawa und Renée Fleming verkörpert.
Und dann gibt es da noch das Orchester, das in der für Richard Strauss typischen raffinierten Weise behandelt wird – auch wenn oft besondere Zurückhaltung angesagt ist, damit die Stimmen nicht zugedeckt werden.
Diva auf Rollschuhen
Der Dirigent Christian Thielemann, Jahrgang 1959, Chef der Sächsischen Staatskapelle Dresden, hat sich in seiner gesamten Laufbahn mit Strauss und nicht zuletzt mit diesem Werk beschäftigt, angefangen von seiner ersten Zeit als Korrepetitor an der Deutschen Oper Berlin in den späten 1970er Jahren bis hin zu eigenen Aufführungen an der Metropolitan Opera New York oder bei den Salzburger Osterfestspielen.
Im Studio der "Interpretationen" erzählt er vom subtilen Reiz dieses Werkes, von der Arbeit mit bedeutenden Sängerpersönlichkeiten und von der Begegnung mit einer rollschuhlaufenden Kiri te Kanawa im Central Park.